Communication World 2011

Mobiles Internet rollt auf die Straße

Von Dr. Harald Karcher

Der Nachfolger der 3G-Mobilfunk-Techniken UMTS und HSPA, die 4G-Technik namens LTE, gehörte zu den Highlights der Hightech-Tagung Communication World, die am 11. und 12. Oktober 2011 in den M,O,C,-Messehallen in Münchens Lilienthalallee 40 tagte. Gleich im Eingangsfoyer 3 erblickte der Besucher einen Toyota Prius, der über LTE per Funk mit dem Internet verkoppelt wurde.

In diesem energiebewussten Mittelklassefahrzeug waren vier handmontierte Flachbildschirme, zwei vorne und zwei hinten, über ein lokales Netzwerk miteinander vernetzt. Ein LAN-to-LTE-Router im Kofferraum des Prius verbindet das lokale Autonetzwerk online mit dem Rest der Internet-Gemeinde.

Webkonferenz im Connected Car

So eine LTE-Funkverbindung eignet sich sogar für hohe Geschwindigkeiten bis über 300 km/h, sagt der Alcatel-Funkexperte Uwe Briegel auf dem Fahrersitz. Hinten könnten die Kinder an den Bildschirmen etwa surfen, chatten, facebooken oder YouTubes anschauen. Das hat im Test auch funktioniert, wenngleich der Browser in den LCDs der Kopfstützen noch recht störrisch reagierte.

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Dieser Toyota Prius wurde von Alcatel-Lucent mit vier LCD-Displays zum Surfen und zum Video-Conferencing per LTE ausgestattet. Links neben dem Auto sieht man die zur Messe eigens auf­gestellte LTE-Basis­station. (Foto: Harald Karcher)

Auf dem Beifahrersitz durfte sich der Autor dieser Story dann per Videokonferenz-over-LTE mit dem entfernten Alcatel System Engineer Sebastian Schweiger in einer anderen Etage des M,O,C, teleunterhalten. Die Videokonferenz aus dem Toyota Prius lief über die LTE-Funkzelle einer eigens im M,O,C, aufgebauten LTE-Basisstation von Alcatel-Lucent in das DSL-Festnetz hinein, dann per Internet zu einem Videoserver der US-Firma Vidyo, von dort per Internet wieder nach München zurück, und zwar in eine obere Etage des M,O,C,-Messegebäudes. Dort hing ein handelsüblicher All-In-One-PC von HP mit einer Logitech HD Pro Webcam C910 direkt an einem DSL-Anschluss, ohne LTE dazwischen. Das Videogespräch zwischen PC und Automobil wirkte im Test durchaus lippensynchron, will sagen: ziemlich echt.

Vorführmodelle im Städtetest

Das Beispiel zeigt: Mit LTE werden Videokonferenzen aus dem Auto heraus in HD-Qualität möglich: etwa zu den Kollegen im Büro oder zur Familie am heimischen Videokonferenzfernseher. Die Autohersteller liefern allerdings noch keine Fahrzeuge mit fertigen LTE-Einbauten vom Fließband; das dürfte noch mehrere Jahre dauern. Alcatel-Lucent und QNX Software Systems haben weltweit nur drei Autos zu Demozwecken mit LTE-Musterlösungen ausgestattet: eines in Europa, eines in China und eines in den USA.

Auch wenn in Stuttgart, München, Ingolstadt und Wolfsburg noch keine fertigen LTE-Autos vom Band rollen: Die dazu nötige LTE-Netzwerktechnik ist grundsätzlich verfügbar und auch schon mitten im Flächen-Rollout: In Deutschland funkt LTE auf dem Lande bei 800 MHz mit bis zu 50 MBit/s im Downstream. In ersten Städten funkt LTE 2600 MHz sogar bis 100 MBit/s. Laut Bundesnetzagentur sind schon sechs Bundesländer weitgehend mit LTE 800 abgedeckt. Wer auf dem Lande bislang also nicht einmal DSL bekommen konnte, darf in den nunmehr LTE-versorgten Gemeinden jetzt einen Riesensprung von 64 kBit/s per ISDN auf derweil mehrere tausend kBit/s per LTE erleben.

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Thomas Jannot, rechts, moderierte die wichtigste Technik­session rund um den UMTS-Nachfolger LTE: Links Nokia Siemens Net­works Manager Dirk Linde­meier, rechts Thomas Nindl vom kalifornischen Mobilfunk­chip­giganten Qual­comm. (Foto: Harald Karcher)

Globale Long Term Evolution

Unter der Moderation von MittelstandsWiki-Herausgeber Thomas Jannot lüfteten die LTE-Manager im M,O,C die tieferen Geheimnisse hinter der neuen Funktechnik: „Wissen Sie, wofür LTE steht?“, fragte der global agierende Dirk Lindemeier von Nokia Siemens Networks (NSN). Klar doch, für Long Term Evolution. Nach 3G-UMTS sei das nun der neue globale Mobilfunkstandard der vierten Generation.

Er funkt bereits in vielen Ländern rund um den Globus, von Amerika bis Asien, auf ganz vielen verschiedenen Frequenzen von 700 MHz bis 2600 MHz. Schon 237 Mobilfunkbetreiber investieren laut Lindemeier in 85 Ländern dieser Welt Milliarden in den Aufbau von LTE-Netzwerken. In 18 Ländern wird LTE sogar schon kommerziell vertrieben, sagte der NSN-Manager.

Auch Deutschland steht mit LTE an vorderster Front: Hier gibt es das reichweitenstarke LTE 800 von Vodafone seit Dezember 2010, von der Deutschen Telekom seit Frühling 2011 und von Telefonica O2 seit Sommer 2011 kommerziell zu kaufen, allerdings fast nur in ländlichen Gebieten. Das ist politisch aber so gewollt und soll die Internet-Kluft zwischen Stadt und Land nun endlich wirkungsvoll reduzieren. Von den Grünen bis zur Bundesregierung sind sich ausnahmsweise fast alle ziemlich einig: Internet fürs Land ist ausdrücklich erwünscht. Genau wie Wasser, Strom und Straßen.

Stationäre LTE-Router

Die meisten Endgeräte für den rasanten LTE-Funk haben vorerst noch einen sehr stationären Charakter: Alle drei deutschen Betreiber nutzen, wenngleich unter verschiedenen Namen, den baugleichen chinesischen LTE-Router Huawei B390. Der holt sich das Internet per LTE vom nächstliegenden LTE-Funkturm und verteilt es innerhalb einer Wohnung, eines Hauses oder einer Firma dann per WLAN weiter. Somit reicht es, wenn die Rechner, Laptops, Tablets und Handys nur WLAN beherrschen, sie müssen in diesem stationären LTE-Szenario noch keine eigenen LTE-Chips unter der Haube haben. Weitere LTE-zu-WLAN-Router von AVM und Lancom Systems sind schon seit 2010 als Prototypen bekannt, mangels passender LTE-Funkchips aber noch nicht massenhaft lieferbar. In Kürze sollen sie aber kommen.

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Hier videotelefoniert der Autor gerade aus dem 1. OG per LTE mit dem Alcatel-Funkexperten Uwe Briegel im Auto. (Foto: Harald Karcher)

LTE hat nicht nur satte Downstream-Raten von 50 bis 100 MBit/s, man spürt den Speed beim Surfen auch ganz deutlich unter den Fingern: Das kommt laut NSN-Manager Lindemeier auch von den exzellenten Ping-Roundtrip-Latenzzeiten: Bei EDGE liegen sie laut NSN so um die 200 ms, bei LTE sind es in günstigen Situationen nur noch 20. Zum Vergleich: DSL hat Ping-Zeiten von 20 bis 50 ms, je nach Anschluss und Provider.

Damit das jeder versteht, zeigt Lindemeier ein Werbecartoon von Telenor. Demnach verliert der mobile 3G-Nutzer ein Shooting-Game, weil sein Gegner, der 4G-Nutzer, das schnellere Funk-Internet mit den kürzeren Ping-Zeiten benutzt – und damit eben auch die zackigere Kontrolle über seine virtuelle Pistole hat. Fazit: Die neue Funktechnik LTE ist in Deutschland angekommen und kann sehr wohl mit Kabeltechniken wie DSL und VDSL konkurrieren.

Laut Lindemeier dürften folgende Dienste ganz stark von den Vorteilen der LTE-Funktechnik profitieren: Mobiles Internet, Cloud Computing für die private Nutzung, Mediendienste, mobiles Multiplayer Gaming, Maschinen-zu-Maschinen-Kommunikation (M2M), Smart Cities, vertikale Lösungen für Energie, Gesundheit, Sicherheit und Medien sowie ganz pauschal gesagt: das Mobile Enterprise, das mobile Unternehmen.

Mobile LTE-Smartphones

Stationäre LTE-zu-WLAN-Router sind natürlich nur der Anfang. Damit kann sich der Nutzer ja nur innerhalb der 10 bis 100 m großen WLAN-Funkzelle so richtig mobil im Internet bewegen.

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Thomas Nindl von Qual­comm erklärte auf der Communi­cation World 2011, wie winzige Chips das mobile Inter­net erst mög­lich machen. (Foto: Harald Karcher)

Viele User und Provider warten aber eigentlich auf superdünne Smartphones, iPhones, Tablets, iPads und Laptops, die eigene LTE-Funkmodule unter der Haube haben. Bisher fehlten dazu noch geeignete, sprich: hochintegrierte LTE-Mobilfunkchipsätze, die so winzig sind und so wenig Strom verbrauchen, dass man sie in so dünne Geräte überhaupt einbauen kann.

Solche Chips erhofft sich die Mobilgerätebranche von Firmen wie etwa Qualcomm. Deren Director Business Development Thomas Nindl sprach auf der Communication World 2011 recht allgemein zum Thema „Breitband als Motor für neue Endgeräte-Generationen“. Erst nach dem Vortrag war ihm konkret zu entlocken, dass Qualcomm just dieser Tage einen so genannten Snapdragon-S4-Chipsatz MSM8960 an die ersten Endgerätehersteller ausliefert. Erfahrungsgemäß dauere es danach noch etwa sechs Monate, bis so ein neuer Chipsatz dann tatsächlich in Smartphones und Tablets auf dem Endkundenmassenmarkt ankommt.

Fazit: Technologie auf dem Sprung

Natürlich konnte Nindl nicht sagen, ob und wann die Apples, HTCs und Samsungs dieser Welt ihre Smartphones und Tablets mit derart hochintegrierten und funktionsreichen Funkchips ausliefern werden. Wer aber die Daten des Snapdragon-S4-Chipsets MSM8960 genau studiert, hat wenigstens schon mal eine begründete Ahnung, was die führenden Mobilmarken ab Frühling 2012 so alles können dürften.

Die Communication World 2012 fand dann am 9. und 10. Oktober 2012 erneut im Münchner M,O,C, statt.

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