Generationenmanagement

Gezieltes Coaching hält Spezialwissen in der Firma

Von Bernadette Imkamp, Schwäbisch Hall AG

In jedem Unternehmen gibt es Wissen, das nicht verloren gehen darf, wenn das Unternehmen auch künftig erfolgreich arbeiten möchte. Dieses erfolgskritische Wissen ist oft personengebunden. Also stellt ein Abwandern oder Ausscheiden der Wissensträger ein operatives Risiko dar. Dieses Risiko einer Wissenserosion wird sich in den kommenden Jahren in vielen Unternehmen erhöhen, denn aufgrund der Altersstruktur ihrer Belegschaften scheiden mehr Mitarbeiter aus dem Berufsleben aus. Außerdem rücken mit der viel zitierten Generation Y junge Leistungsträger nach, die sich oft nicht so fest und dauerhaft wie ihre älteren Kollegen an einen Arbeitgeber binden. Auch das kann die Wissensbasis gefährden.

Deshalb wird es für Unternehmen zunehmend wichtig sicherzustellen, dass erfolgskritisches Wissen nicht „in Rente“ geht oder sich aus anderen Gründen „verabschiedet“. Probleme hiermit treten vor allem dann auf, wenn es sich bei dem erfolgskritischen Wissen um Erfahrungswissen handelt. Denn dieses Wissen ist oft nur in den Köpfen der Wissensträger verankert und nicht schriftlich dokumentiert. In diesen Fällen ist ein Transfer des erfolgskritischen Wissens von den Mitarbeitern, die dieses aktuell haben, auf diejenigen, die es künftig (auch) besitzen sollen, oft der einzige gangbare Weg.

Widerstände überwinden

Ein solcher Wissenstransfer erfolgt im Betriebsalltag häufig noch nicht oder unstrukturiert – u.a. aus folgenden Gründen:

  • mangelnde Zeit im Tagesgeschäft,
  • zu spätes Erkennen der Notwendigkeit eines Wissenstransfers,
  • fehlende Systematik beim Erkennen und Abgrenzen erfolgsrelevanter Wissensbereiche und
  • fehlende Systematisierung und Institutionalisierung der Wissensweitergabe.

Zuweilen führen auch persönliche Befindlichkeiten dazu, dass ein Transfer nur teilweise erfolgt. Hierzu gehören u.a.

  • die Angst vieler potenzieller Wissensgeber, die Weitergabe ihres Wissens könne den Wert ihrer Arbeitskraft und die Anerkennung ihrer bisherigen Leistung schmälern, und
  • die Angst vieler potenzieller Wissensnehmer, der Wissensgeber oder ihre (künftige) Führungskraft könnten ihre Bitte um Information als Zeichen von Inkompetenz interpretieren.

Deshalb ist es wichtig, den Prozess der Wissensweitergabe zu systematisieren und durch ein neutrales Coaching zu begleiten – auch weil den aktuellen Stelleninhabern oft gar nicht bewusst ist, über wie viel erfolgsrelevantes Wissen sie verfügen. Die künftigen Stelleninhaber hingegen wissen meist noch nicht, was das erfolgskritische Wissen bei ihrer künftigen Tätigkeit ist. Also können sie es nicht gezielt erfragen.

Realbeispiel Generationenmanagement

Im Rahmen ihres Projekts „Generationenmanagement“ suchte Schwäbisch Hall auch Wege, um den Wissenserhalt im Unternehmen sicherzustellen. Bei diesem Projekt wurden u.a. auf Basis des künftigen Personalbedarfs die Personalmanagement- und -entwicklungsinstrumente daraufhin überprüft, inwieweit sie „demografiefest“ sind – also gewährleisten, dass Schwäbisch Hall auch künftig die Mitarbeiter mit der benötigten Qualifikation zur Verfügung stehen.

Hieraus resultierte 2010 ein Pilotprojekt zum Thema Wissenstransfer-Coaching im Unternehmen, und nach bestandenem Praxistest wurde dieses Coaching 2011 offiziell als Personal- und Wissensmanagement-Instrument bei Schwäbisch Hall eingeführt. Das Wissenstransfer-Coaching soll die Fachbereiche dabei unterstützen, die für ihre Aufgaben notwendige Wissensbasis stabil zu halten. Zum Einsatz kommt es nur bei erfolgskritischem Know-how – also v.a. bei rarem Expertenwissen. Ein Transfer-Coaching bei jedem Personalwechsel wäre aufgrund des aufwendigen Verfahrens nicht effizient.

Systematisches Wissenstransfer-Coaching

Angestoßen wird ein Wissenstransfer-Coaching-Prozess im Normalfall bei den jährlich stattfindenden Personalmanagement-Gesprächen zwischen den Führungskräften in den Fachbereichen und den Vertretern des Personalbereichs. Dabei besprechen die Beteiligten u.a., welche Mitarbeiter (voraussichtlich) ausscheiden, z.B. weil sie das Rentenalter erreichen oder eine andere Position bei Schwäbisch Hall übernehmen. Sie ermitteln auch, welche dieser Mitarbeiter Träger erfolgskritischen Wissens sind und in welchen Fällen im Vorfeld oder parallel zum Wechsel des Stelleninhabers ein Transfer-Coaching sinnvoll wäre.

Besonderes Augenmerk liegt dabei auf den IT-Experten bei Schwäbisch Hall, die im Lauf ihres Arbeitslebens z.B. Spezialwissen zu zentralen Anwendungsprogrammen oder Großrechneranlagen erworben haben. Ist einer dieser Experten Träger von erfolgskritischem Wissen und verlässt er das Haus z.B. in absehbarer Zeit aus Altersgründen, wird nach dem Personalmanagement-Gespräch ein Prozess angestoßen.

In acht Schritten zum Übertrag

Im Idealfall besteht dieser Prozess aus acht Schritten.

Erstanalyse der Ausgangssituation

Die Führungskraft des (IT-)Experten und der Vertreter des Personalbereichs beleuchten nach dem Personalmanagement-Gespräch die Ausgangssituation: Wann verlässt der (IT-)Experte die Abteilung wohin? Wer wird sein (voraussichtlicher) Nachfolger sein? Arbeitet dieser bereits für Schwäbisch Hall? Warum ist der (IT-)Experte Träger von erfolgskritischem Wissen? Welchen Charakter hat dieses Wissen? Wie könnte der Wissenstransfer erfolgen?

Sichtung mit SHT-Coach

Nach dieser Erstanalyse beauftragt die Führungskraft einen hierfür geschulten Coach der Schwäbisch Hall Training (SHT), eines Tochterunternehmens der Bausparkasse Schwäbisch Hall, den Wissenstransfer-Prozess zu begleiten. Gemeinsam durchleuchten sie die Kompetenzen und die Aufgaben des (IT-)Experten: Über welche speziellen Fähigkeiten verfügt er z.B. aufgrund seines beruflichen Werdegangs, seiner bisherigen Tätigkeit, seiner (Zusammen-)Arbeit mit anderen Bereichen und Organisationen? Welche dieser Kenntnisse sind erfolgskritisch?

Systematisierung im Dialog

Die Führungskraft bespricht mit dem (IT-)Experten das geplante Wissenstransfer-Coaching und holt sein Commitment hierzu ein. Mit dem Coach analysieren sie gemeinsam, über welches Spezialwissen der (IT-)Experte im Detail verfügt. Die Leitfragen dabei sind:

  • Auf welchen Quellen basiert Ihr Wissen?
  • Welche Kompetenzen befähigen Sie für Ihre Aufgaben?
  • Welche Aufgaben erfüllen Sie aktuell?

Basierend auf diesem Gespräch erstellen sie einen sogenannten Wissensbaum, dessen Wurzeln die Quellen des Wissens, der Stamm die Kompetenzen und die Krone die aktuellen Aufgaben beinhalten. Diese Systematisierung ist hilfreich für die Strukturierung des weiteren Prozesses und versinnbildlicht das Lebenswerk des Wissensgebers.

Relevanz und Prioritäten

Auf Basis dieser Übersicht verständigen sich die Führungskraft und der Coach darüber, welches Wissen dem Nachfolger des (IT-)Experten in welcher Reihenfolge und mit welchen Prioritäten vermittelt wird. Entscheidend ist dafür v.a. die Relevanz der Themen für das Unternehmen oder für eine möglichst rasche Einarbeitung des Nachfolgers.

Bezug auf den Nachfolger

Nachdem dieser Rahmen feststeht, beziehen die Führungskraft und der Coach den Nachfolger des (IT-)Experten in das Wissenstransfer-Coaching ein. Der Nachfolger erhält Informationen, wie der Wissenstransfer abläuft, wozu er dient und um welche Inhalte es geht.

Zeit- und Transferplan

Die Führungskraft, der Coach, der (IT-)Experte als Wissensgeber und sein Nachfolger als Wissensnehmer treffen sich zum Wissenstransfer-Auftakt. Dieses Treffen dient der Erläuterung der Ziele des Wissenstransfer-Coachings sowie der Klärung des organisatorischen Ablaufs. Gemeinsam erstellen die Teilnehmer einen Transferplan, in dem auch steht, wie oft sich der (IT-)Experte und sein Nachfolger (voraussichtlich) treffen, welche Themen jeweils behandelt werden und was beide zur Vorbereitung tun sollten.

Moderierte Transfertreffen

In den Folgemonaten treffen sich der (IT-)Experte und sein Nachfolger regelmäßig – z.B. über einen Zeitraum von drei Monaten alle drei Wochen – um das erfolgskritische Wissen zu „transferieren“. In diesen von dem Coach moderierten Dialogen befassen sich Wissensgeber und Wissensnehmer systematisch mit den im Transferplan definierten Themen. Das Ziel: Der Wissensnehmer eignet sich das erfolgskritische Wissen an.

Dabei liegt der Fokus neben dem fachlichen Spezialwissen v.a. auf dem Erfahrungswissen, das sich nur bedingt verschriftlichen lässt. Solche Punkte können sein:

  • Stolperdrähte, über die man bei der alltäglichen Wahrnehmung der Funktion schnell stürzt,
  • Faktoren, denen der künftige Stelleninhaber z.B. aufgrund der Historie eines Projekts besonderes Augenmerk schenken sollte,
  • Faktoren, die es bei der Zusammenarbeit mit anderen Bereichen und Organisationen zu beachten gilt.

Reflexion und Ausblick

Nach dem eigentlichen Transferprozess treffen sich die Führungskraft und der Coach erneut mit dem Wissensgeber und dem Wissensnehmer, um den Prozess gemeinsam zu reflektieren und evaluieren. Vereinbart wird auch, inwieweit der Wissensgeber den Wissensnehmer weiterhin unterstützt – z.B. indem er ihm bei Fragen als Ansprechpartner sowie Tipp- und Ratgeber zur Seite steht. Ein wichtiger Aspekt ist dabei, die Arbeit des bisherigen Stelleninhabers nochmal ausdrücklich zu würdigen.

Varianten nach Wechselbedarf

Bei planbaren Stellenwechseln erstreckt sich der beschriebene Prozess über ca. ein halbes Jahr – unabhängig davon, ob der Wissensgeber das Unternehmen altersbedingt verlässt oder bei Schwäbisch Hall eine neue Position übernimmt. Zuweilen ist ein so strukturiertes Vorgehen nicht möglich, z.B. wenn das Unternehmen unterjährig vom geplanten Ausscheiden eines Mitarbeiters erfährt. Dann wird das Prozessdesign den jeweiligen Rahmenbedingungen angepasst.

Verantwortlich für die Steuerung des Gesamtprozesses ist die jeweilige Führungskraft. Der Coach unterstützt als Dienstleister im Prozess. Er hilft der Führungskraft sowie dem Wissensgeber und dem Wissensnehmer dabei, den Transferprozess qualitativ hochwertig und systematisch zu gestalten.

Fazit: Wissenstransfer-Coaching bewährt sich

Inzwischen wird das Transfer-Coaching seit drei Jahren bei Schwäbisch Hall praktiziert – mit durchwegs positiven Erfahrungen. Die Praxis hat gezeigt: Durch das Transfer-Coaching erfolgt die Vermittlung von erfolgskritischem Wissen in einer deutlich systematisierteren Form, wodurch nicht nur die Einarbeitung der neuen Stelleninhaber schneller und reibungsloser gelingt. Auch die Effizienzverluste bei Stellenwechseln werden minimiert.

Die Erfahrung hat zudem gezeigt: Wissensgeber und Wissensnehmer erfahren das Transfer-Coaching als Zeichen der Wertschätzung ihrer Person und ihrer Arbeit. Den Wissensgebern wird vermittelt, dass sie

  • in den zurückliegenden Jahren wertvolle Arbeit für das Unternehmen geleistet haben und
  • dabei ein Know-how erworben haben, das Schwäbisch Hall nicht verlieren möchte.

Den Wissensnehmern hingegen wird vermittelt,

  • dass ihrem Arbeitgeber bewusst ist, welch komplexe Aufgabe sie übernehmen und
  • er ihnen deshalb die erforderliche Unterstützung gewährt.

Gezeigt hat sich in den letzten Jahren auch: Durch die gezielte Reflexion, bei welchem Wissen es sich um erfolgskritisches Wissen handelt, wird es allen Prozessbeteiligten inklusive der Führungskraft oft erst bewusst, was zentrale Erfolgsfaktoren der Arbeit in ihrem Bereich sind. Das führt häufig dazu, dass (Teil-)Prozesse und Abläufe neu definiert und neue Standards für die (Zusammen-)Arbeit formuliert werden, wodurch die Qualität der Leistung insgesamt steigt.

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Bernadette Imkamp ist Abteilungsleiterin Personalbetreuung/-marketing bei Schwäbisch Hall. Sie betreut das Wissenstransfer-Coaching.


Bausparkasse Schwäbisch Hall AG, Crailsheimer Str. 52, 74523 Schwäbisch Hall, Tel. 0791-46-4646, Fax 0791-46-2628, service@schwaebisch-hall.de, www.schwaebisch-hall.de

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