Marken

Kamikaze auf wirtschaftliche Hochleistungssysteme

Von Prof. Dr. Alexander Deichsel, Institut für Markentechnik

Unter anhaltendem wirtschaftlichem Druck suchen die Unternehmen nach Orientierung. Unwillkürlich suchen sie dabei nach einem Mainstream, dem sie sich anschließen könnten, um so Sicherheit zu gewinnen. Im Markt kann man heute allerdings nur einen einzigen Mainstream ausmachen: Preise runter – Kosten runter; Kosten runter – Preise runter; ein Weg in die Selbstzerstörung.

Kostensenkungsprogramme machen fit – solange nur das Fett abgebaut wird. Mit der einseitigen Ausrichtung auf Kostensenkung haben die meisten Unternehmen – dem zunehmendem Druck des Marktes nachgebend – jedoch nicht nur Fett, sondern auch Muskeln abgebaut. Der Druck aus dem Markt schlägt damit ungehemmt in die Unternehmen herein. Verschärfend kommt hinzu, dass die aus Kostenreduzierung gewonnenen Gelder bereits in die Schlacht geworfen und im Markt verfeuert werden, bevor sie überhaupt realisiert sind. Im Schnitt wird deshalb in den meisten Branchen nur noch wenig Geld verdient.

Verkehrte Autokorrektur

Außerdem wird Marke heute im Allgemeinen auf die Darstellung des Unternehmens und seiner Produkte über Zeichen (Name, Logo, Farben etc.) im Umfeld von Werbung und Kommunikation reduziert. Eine ursächliche Beziehung zwischen der Außenwirkung der Marke und den dahinter liegenden Leistungsstrukturen der beteiligten Unternehmen wird dabei nicht hergestellt.

Deshalb ist es auch möglich, dass selbst jahrzehntelang erfolgreiche Marken mehr und mehr von ihrem Kurs abweichen und damit ihre Ertragskraft nachhaltig schwächen. Sobald die Absatzentwicklung nicht mehr den Erwartungen entspricht, beginnen umgehend zwei Programme:

  1. Auf der einen Seite wird die Marke in Frage gestellt, die Agentur gewechselt, Logos werden „modernisiert“, Markenzeichen innerhalb der Organisation neu zugeordnet, neue Leistungen von der bewährten Marke getrennt angeboten, Marktforschungsstudien in Auftrag gegeben und den Ergebnissen folgend der Unternehmensauftritt geändert.
  2. Auf der anderen Seite wird das Unternehmen Kostensenkungsprogrammen unterzogen, Preise werden gesenkt, die Distribution (meist nach unten) aufgemacht, Aktionen gemacht und Sortimente ausgeweitet, ohne die Auswirkungen auf die Markenkraft zu berücksichtigen.

Derartige Programme laufen vollständig abgekoppelt voneinander. Die Folge: Die
Außendarstellung stimmt nicht mehr mit den tatsächlichen Unternehmensleistungen überein und die Marke verliert ihre Überzeugungskraft in der Kundschaft.

Marke ist Leistung in Gestalt

Die objektive Betrachtung zeigt jedoch: Marke ist Subjekt einer einmaligen Bewegung, die ihre eigene Richtung und Rhythmik besitzt und nicht ungestraft ihren Kurs ändern darf, etwa umpositioniert oder neu definiert werden kann. Ihre Einheit ist jedes Mal als Ganzes gegeben. Wie bei einem physischen Körper wird auch der geistige Leistungskörper einer Marke nicht durch Teile zusammengesetzt, sondern hat diese Komponenten als von sich abhängige und durch sich bedingte. Markenführung muss also das jeweilige Willenssystem als gegebenes Gestalt-Ganzes optimieren. Dieses Ganze ist das Gesamt seiner Möglichkeiten und in diesem Sinne als Gestalt wirklich und substantiell.

Die sich daraus ergebenden markentechnischen Aufgabenstellungen sind Management in Progress. Nicht allerdings durch ein Tagesgeschäft, das Prozesse maximiert und durch Wettbewerbsbeobachtung und Benchmarking Fremdes in das eigene System hereinzieht. Eine derart mechanistische Auffassung von Erfolg hält weder ein zu trainierender Mensch gesundheitlich durch, noch ein Markensystem.

Prozessmaximierung darf wohl als ein „Mehr von …“ gemessen werden: mehr Kommunikation, mehr Sortiment, mehr Effizienz, mehr PoS, mehr Marktanteil, mehr Ertrag – immer jedoch nur mit Bezug auf das inhaltliche Ordnungsprinzip des einzelnen Markensystems. In ihm liegt die stärkende Dynamik, die nicht mit Dynamismus verwechselt werden darf. Marke ist kein Partytreff für Trendy People. Marke ist Schiff mit Kurs und Kompass.

Fazit: Fast nicht wiederzuerkennen

Unternehmensmanagement ist heute weitgehend Prozessmanagement, nicht Körperführung. Prozesse laufen jedoch allein in und zwischen Körpern. Ein Wirtschaftskörper muss seine Prozessabschnitte von seinem inneren Prinzip her organisieren. Ein Markensystem ist selbsttätige Substanz, aus einem Guss und einfache Einheit, wie ein Baum. Einfach heißt: Sie ist unteilbarer Leistungszusammenhang.

Was bei einem Baum automatisch geschieht, muss bei der Marke allerdings im Tagesgeschäft normativ gemanaged werden. Fremdbestimmende Branchengesetze zerstören das Individuelle. Charles Darwin hat auch hier keinen Platz, denn nicht die Arten evoluieren, sondern allein das Individuum ist der Ort des schöpferischen Sprungs. Eben deshalb kann aus einer originären Leistungsidee eine Marke aufgebaut werden, die dem Markt ihr Gesetz vorschreibt und ggf. eine Branche erschafft. Marke erfüllt ihren wirtschaftlichen Zweck, wenn sie als je individuelles Hochleistungssystem durchgesetzt wird – eigenwillig und grenzbewehrt.

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