Telepresence

Zukunft zum Greifen nah

Von Uli Ries

Wo Entscheidungen auf dem Spiel stehen und Partner sich begegnen, sehen die Akteure einander lieber persönlich. Jetzt macht sich eine neue Videokonferenz-Generation daran, die technischen Schwächen ihrer Vorgänger vergessen zu machen: Telepresence.

Seit den 1980er-Jahren, als die Möglichkeit von Videokonferenzen technisch aufkam, hat sich einiges getan. Interessenten erhoffen sich immense Einsparungen. Der Hauptgrund: Besprechungen mit weltweit verstreuten Kollegen oder Kunden müssen dann nicht mehr zwangsweise mit kostspieligen und zeitaufwändigen Reisen einhergehen, die mit dem Ideal einer Green IT kaum zu vereinbaren sind. Zumal diese Ochsentouren oft nicht das gewünschte Ergebnis bringen, etwa wenn der Jetlag auf die Konzentrationsfähigkeit der Gesprächsteilnehmer schlägt.

Das Konzept der Videokonferenz ist in sich schlüssig, die Umsetzung zeigte sich in der Praxis aber oft hakelig. Zwar hat die Technik auch hier rasante Forstschritte gemacht und der Umstieg auf paketvermittelte IP-basierende Systeme hat die herkömmliche, bandbreitenlimitierte und teure ISDN-Technik schnell verdrängt. Aber den meisten Menschen ist ein leibhaftiges Gespräch immer noch am liebsten. Selbst sehr gute Videokonferenzsysteme können schließlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass zwischen den entfernten Gesprächspartnern Kamera und Mikrofon stehen.

Gegenüber am selben Tisch

Nicht zuletzt um sich von den oftmals belächelten Videokonferenzlösungen abzusetzen, hören die modernen Systeme auf den Namen „Telepresence“. Diese Technik soll den Eindruck erzeugen, dass alle Konferenzteilnehmer wirklich an ein und demselben Tisch im selben Raum sitzen. Teilnehmer solcher Sitzungen bestätigen verblüfft, was Anbieter wie Cisco, HP, Tandberg oder Polycom versprechen: Man vergisst binnen kürzester Zeit, dass man mit einer Batterie aus 65 Zoll großen Flachbildschirmen oder einer Projektionsfläche spricht und nicht mit einem Gegenüber aus Fleisch und Blut.

Leibhaftig auf dem Holodeck
Es kommt bereits noch wilder: Lebensgroße Hologramme der Gesprächspartner ersetzen die bisher bekannten Bildübertragungen auf Displays oder Projektionsleinwänden. Die Gesprächspartner werden wahrhaft Teil des Treffens, obwohl sie vielleicht viele tausend Kilometer entfernt sind. Was klingt wie eine Szene aus einem Science-Fiction-Film hat Cisco bereits öffentlich demonstriert. Ein Videomitschnitt der Präsentation ist im Internet zu sehen.

Um diese Illusion zu erzeugen und aufrecht zu erhalten, setzen alle Anbieter auf den massiven Einsatz von Technik – und die will bezahlt werden. Bis zu 350.000 Euro werden pro Installation fällig. Angesichts solcher Summen wird schnell klar, dass herkömmliche Videokonferenzsysteme ihre Marktberechtigung noch eine ganze Weile behalten werden.

Kommt es aber auf realitätsnahe Gespräche bei verteilten Standorten an, führt kein Weg an Telepresence vorbei. Diese Systeme punkten insbesondere bei heiklen Treffen, in denen es um hohe Einsätze geht, exakte Formulierungen wichtig sind und die rasche Abwicklung entscheidet. Dank perfekter Technik werden die Gesprächspartner nicht von Unzulänglichkeiten abgelenkt, sondern können sich ganz auf die Kommunikation untereinander konzentrieren. Telepresence-Konferenzen lassen sich genau wie herkömmliche Videokonferenzen binnen Sekunden ankündigen und initiieren. Die Komplexität der geballten Technik verbirgt sich vollkommen vor dem Anwender, der die Sitzung per Mausklick starten kann.

Mit Hightech und Spiegeltricks

Dass Telepresence die herkömmliche Videokonferenz so alt aussehen lässt, liegt am erzeugten Raumgefühl. Die Gesprächspartner haben das Empfinden, als säßen alle im selben Zimmer. Voraussetzung für eine derart realistische Szenerie ist ein Mix aus faustdicker IT-Power und dem passenden Raumkonzept. Das beginnt bei der Farbe der Wände, setzt sich in einer gleichmäßigen Ausleuchtung des kompletten Raums fort und reicht bis zum speziell angefertigten Konferenztisch: Er ist quasi längs der Mitte auseinandergeschnitten und findet seine fehlende Hälfte per Videobild im anderen Endpunkt der Telepresence-Konferenz. So entsteht die Illusion, als säßen die Gesprächspartner einander gegenüber.

Kulissen genügen aber nicht. Über den Grad des Realismus entscheiden am Ende Bild- und Tonqualität. Telepresence setzt daher meist auf Bildübertragung im High-Definition-Format (720p oder 1080p), auf entsprechend hochwertige Kameras und Mikrofone sowie auf ein sauberes Raumklangsystem. Ohne Raumklang würde der Eindruck sofort zerstört, dass die Stimme des Sprechers tatsächlich von seiner aktuellen Sitzposition kommt. Dank der hohen Bildauflösung entgeht den Gesprächspartnern kein Wimpernzucken des entfernten Gegenübers. Ohne diese kleinen mimischen Zeichen bliebe oft unklar, wie ein kurzes Wort gemeint war.

Angesichts dessen liegt es auf der Hand, dass die perfekt-synchrone Übertragung Vorrang hat. Bereits ab einer Verzögerung von mehr als 70 Millisekunden nimmt der Mensch Bild und Ton getrennt war und die Szene wird als nicht mehr lippensynchron empfunden. Das stellt extrem strenge Anforderungen an die bild- und tonverarbeitende Hardware, da sie bei derartig hohen Auflösungen und komplexen Audioverhältnissen große Datenmengen erfassen, komprimieren und übertragen muss. Ohne spezielle Codec-Hardware ist das nicht zu bewältigen. Zudem muss natürlich auch das zugrunde liegende Netzwerk mit einer solchen Last zurechtkommen und die Datenpakete der Konferenz mit hoher Priorität übertragen.

Zu guter Letzt könnte sich die Internet-Anbindung als Flaschenhals erweisen. Denn schließlich fließt der komplette Datenverkehr zwischen den Standorten durch das Netz. Hier empfiehlt es sich, ein entsprechendes Service Level Agreement mit dem Provider zu treffen, das die benötigte Bandbreite garantiert. Pro Konferenzsystem und Standort sind Datenraten ab 6 MBit/s normal. Will man auch Multipunktkonferenzen zwischen mehr als zwei Positionen betreiben, steigt die erforderliche Bandbreite dort, wo die Steuerkomponente sitzt. Pro zugeschalteter Stelle muss die Bandbreite der Zentrale um die Größe des zusätzlichen Datenstroms erhöht werden.

Fazit: Konferenzen kommen zur Sache

Angesichts der technischen Perfektion hat Telepresence das Zeug, die heute übliche Konferenzlandschaft zu revolutionieren. Während sich sonst stets die Technik ins Bewusstsein drängelt, richtet Telepresence den Fokus aufs Treffen selbst. Solche Lösungen werden erfahrungsgemäß auch eifrig genutzt, und die Akzeptanz innerhalb des Unternehmens steigt sprunghaft.

Die hohen Installations- und Unterhaltskosten relativieren sich angesichts extrem niedrigerer Reisekosten und mit Blick auf den Effizienzgewinn: Ein dreistündiges Meeting ist mit Telepresence tatsächlich ein dreistündiges Meeting. Anreisen werden überflüssig und Meetings lassen sich auch spontan führen. Und Unternehmen, deren Selbstverständnis auf Nachhaltigkeit baut, dürften mit dieser Technologie im Reinen sein.

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Uli Ries ist freier Journalist und Autor mit abgeschlossene journalistischer Ausbildung und langjähriger Erfahrung (u.a. bei CHIP, PC Professionell und www.notebookjournal.de). Seine Spezialgebiete sind Mobilität, IT-Sicherheit und Kommunikation – zu diesen Themen tritt er immer wieder auch als Moderator und Fachreferent auf.


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