Internationale Studie: Selbstreinigung der Atmosphäre stabiler als erwartet

Die Erdatmosphäre reagiert weniger empfindlich auf Schadstoffe, als einige Forscher bislang fürchteten. Die Konzentration der Hydroxylradikale in der Atmosphäre hat sich in den vergangenen Jahren nämlich nur um wenige Prozent verändert, wie ein internationales Forscherteam herausgefunden hat, an dem auch Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz beteiligt waren. Hydroxylradikale sind für die Selbstreinigungskraft der Atmosphäre von zentraler Bedeutung, da sie die Luft von vielen gefährlichen Schadstoffen befreien.

Die Studie des internationalen Forscherteams mit Wissenschaftlern der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) in den USA und des Max-Planck-Instituts für Chemie trägt viel zum besseren Verständnis der Selbstreinigung der Atmosphäre bei. Bereits vor der Studie war bekannt, dass Hydroxylradikale in diesem Reinigungsprozess eine Schlüsselstellung einnehmen: Sie oxidieren Kohlenwasserstoffe, unter anderem das Treibhausgas Methan und Abgase aus Industrie und Verkehr, und machen sie damit wasserlöslicher, so dass sie mit dem Regen leichter aus der Luft ausgewaschen werden.

Jahrelang war allerdings unklar, wie gut die Atmosphäre tatsächlich Schadstoffe oxidieren kann. Einige Untersuchungen legten bedenkliche Schlüsse nahe: Sie ließen vermuten, dass die Reinigungskraft sehr empfindlich auf Umweltveränderungen reagiert. Manche Forscher hatten Konzentrationsschwankungen um bis zu 25 % befürchtet. „Nun wissen wir, dass diese lebenswichtige Eigenschaft unserer Erdatmosphäre, sich selbst von Schadstoffen zu reinigen, recht stabil ist“, so Steve Montzka, Erstautor der Studie und Forscher an der NOAA.

Für Jos Lelieveld, Initiator der Studie und Direktor am Max-Planck-Institut für Chemie kam dieses Ergebnis allerdings nicht unerwartet. Seine Gruppe hat vorausgesagt, dass die Selbstreinigung gut gepuffert ist. Allerdings fehlte bislang der Beweis. Aber neben dem Beweis liefert die Studie auch die Basis für weitere Verbesserungen des Klimaschutzes: „Unsere Ergebnisse machen die Vorhersagen des Klimas und der globalen Luftqualität zuverlässiger, weil wir die Zusammensetzung der Atmosphäre mit Computermodellen nun besser beschreiben können“.

So funktioniert das

Das Hydroxylradikal besteht aus einem Wasserstoff- und einem Sauerstoffatom. Es entsteht in erster Linie durch die vom Sonnenlicht ausgelöste Reaktion von Wassermolekülen und Ozon. Hydroxyl wird aber auch über verschiedene chemische Reaktionen recycled, so dass seine Menge stabil bleibt. Die Radikale liegen in der Erdatmosphäre in äußert geringen Konzentrationen vor und werden schnell gebildet, aber im Mittel auch nach etwa einer Sekunde wieder abgebaut, da sie schnell mit anderen Molekülen reagieren. Daher ist es sehr schwierig, die Konzentration genau zu bestimmen.

Um den Gehalt an Hydroxyl dennoch zu ermitteln, bedienen sich Wissenschaftler eines Tricks. Sie analysieren ein Molekül in der Atmosphäre, das mit Hydroxylradikalen reagiert, aber deutlich lang­lebiger und einfacher zu messen ist, nämlich das Methylchloroform. Diese Substanz wurde lange Zeit als Lösemittel in Farben, Klebstoffen und zur Reinigung verwendet. Es wird in der Atmosphäre in erster Linie durch die Reaktion mit Hydroxyl abgebaut. Seine Menge hängt also unmittelbar mit der Hydroxylmenge in der Luft zusammen und spiegelt damit dessen Veränderungen wider.

Die bisherigen Unsicherheiten rührten daher, dass die Konzentration der Hydroxylradikale nur indirekt über die Konzentration von Methylchloroform in der Atmosphäre gemessen werden konnte (siehe Kasten). Diese Methode produzierte in den 1980er- und 1990er-Jahren allerdings stark variierende Schätzwerte, da der Ausstoß von Methylchloroform seinerseits stark schwankte. Erst infolge des Montreal-Protokolls zum Schutz der Ozonschicht endete die Produktion von Methylchloroform ab Mitte der 1990er-Jahre. Da die Forscher nun keine neuen Emissionen mehr berücksichtigen mussten, konnten sie von einem kontinuierlichen Abbau des vorhandenen Methylchloroforms ausgehen und die Hydroxylmenge in der Atmosphäre viel präziser ermitteln.

An neun verschiedenen Orten hat das Team von 1998 bis 2008 wöchentlich die Konzentration des Methylchloroforms gemessen, vor allem auf abgelegenen Inseln und Küstenstationen, wo die lokale Luftverschmutzung vernachlässigbar gering ist. Die Messungen fanden im Rahmen eines Programms der NOAA statt, in dem systematisch Luftproben gesammelt werden. Die Ergebnisse der Luftanalysen rechneten die Forscher in Modellierungen am Max-Planck-Institut für Chemie und an der Universität Wageningen in den Niederlanden auf die globale Methylchloroformmenge hoch.

Die Studie könnte einen jahrelangen Wissenschaftsstreit beenden, in dem die Selbstreinigungskraft der Atmosphäre sehr kontrovers diskutiert wurde. Allerdings ist die Frage nach dem Selbstreinigungsvermögen ihrerseits nur ein – wenn auch wichtiger – Mosaikstein von vielen in der generellen Diskussion um den Klimaschutz.

Die Studienergebnisse können unter dem Titel Small Interannual Variability of Global Atmospheric Hydroxyl in der Zeitschrift Science (Ausgabe vom 7. Januar 2011) nachgelesen werden.

(Max-Planck-Institut für Chemie /ml)