Kabelmanagementsysteme für Rechenzentren: Wie RZ-Betreiber Über­sicht im Server­schrank schaffen

Jede Ver­kabelung sieht an­fangs ordent­lich aus. Doch ein paar Um­patchungen später ist daraus ein un­über­sicht­licher Wirr­warr ge­worden: Eine ein­deutige Zu­ordnung ist auf die Schnelle kaum mehr mög­lich, außer­dem be­hin­dern die Kabel den Luft­strom der Kühlung. Das sollte nicht sein – und muss auch nicht.

Neues gegen das Kabelchaos

Von Doris Piepenbrink

Mit jedem Move, Add oder Change im Rechenzentrum werden Patchverbindungen gezogen und neu angeschlossen. Die zugehörigen Patchkabel lassen sich nur noch schwer durch die Führungselemente ziehen, und der Administrator kommt kaum noch an die Rastnasen, um einen Stecker zu ziehen. Um hier Abhilfe zu schaffen, gibt es verschiedene Lösungsansätze.

Ordnung und ungehinderter Luftstrom

Auf der CeBIT 2017 hat das österreichische Start-up Patchbox zusammen mit Rittal die Patchbox 450 vor. Damit soll der Anwender bis zu achtmal schneller patchen können und weniger Platz auf, aber vor allem vor der Patch-Ebene benötigen. Die Patchbox 450 ist eine 19-Zoll-Kabelbevorratungsbox, die bei einer Höheneinheit 24 Patchkabel enthält. Diese 1,3 m langen Kabel kann der Anwender jeweils in der benötigten Länge herausziehen. Es sind laut Herstellerangaben geprüfte Kupferpatchkabel der Kategorie 6, Klasse E oder LC-Duplex-Patchkabel mit OM3-, OM4- oder OS2-Fasern, wobei die verschiedenen Kabelarten auch gemischt in einer Box einsetzbar sind.

Mit der Patchbox zwischen Switch und Patchpanel ist eine Eins-zu-eins-Portzuordung einfach zu realisieren. Die flexiblen Flachbandkabel benötigen kaum Einbauraum vor der Patchebene. (Bild: Patchbox)
Mit der Patchbox zwischen Switch und Patchpanel ist eine Eins-zu-eins-Portzuordung einfach zu realisieren. Die flexiblen Flachbandkabel benötigen kaum Einbauraum vor der Patchebene. (Bild: Patchbox)

Da die Verbindungen zum einen aus flexiblen Flachbandkabeln bestehen und zum anderen in der Box über einen Federmechanismus zurückgehalten werden, werden sie nur so weit herausgezogen, wie nötig. Die Kabel beanspruchen also kaum Platz vor der Patch-Ebene – das ist der große Vorteil des Systems. Denn so kann die kühlende Luft im vorderen Bereich des Netzwerkschranks ungehindert nach oben strömen. Idealerweise platziert der Administrator die Boxen immer zwischen Switch und Patchpanel und erreicht so eine vertikale Eins-zu-eins-Zuordnung von Switch- und Patchpanel-Ports. Das ist klar und übersichtlich. Nicht verwendete Switch-Ports erkennt man auf einen Blick: Der zugehörige Stecker für das Patchpanel schaut aus der Box und ist nicht zu einem Patchfeld geführt.

Bei Umpatchungen muss der Anwender ein Patchkabel eventuell von der Patchbox zu einem anderen Patchpanel im Schrank führen. Laut Hersteller reichen die 1,3 m für Distanzen bis 15 HE. Dann zieht der Anwender das Kabel zur Seite, kann dort ein seitliches Führungselement unter dem Winkel des Patchfelds anbringen und das Patchkabel an der Schrankseite zum anderen Patchfeld führen. Hier sollte dann ein Rangierfeld verwendet werden. Insgesamt könne man mit der Patchbox immerhin den Platz für ein Rangierfeld einsparen.

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Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Magazin­reihe „Rechen­zentren und Infra­struktur“. Einen Über­blick mit freien Down­load-Links zu sämt­lichen Einzel­heften bekommen Sie online im Presse­zentrum des MittelstandsWiki.

Interessant ist die angepriesene Zeitersparnis bei der Installation: Alexander Geng, CEO des Start-ups erklärt im Gespräch mit der Redaktion, dass bei normalen Installationen zum einen mehr Rangierpanels eingeschraubt werden müssten. Außerdem müsse der Anwender alle Patchkabel erst einmal auspacken. Dann legt er sich die Kabel in den jeweils richtigen Längen zurecht und schließt dann eines nach dem anderen an: den ersten Port finden, anschließen, das Kabel durch das Rangierpanel führen, seitlich bis zur Höhe des zugehörigen Patchpanels führen, dort den richtigen Port identifizieren und das Kabel durch das zweite Rangierpanel dorthin führen und anschließen. Das Ganze wiederholt sich 24-mal. Bei der Patchbox muss der Anwender nur die Patchbox auspacken und in das Rack schrauben. Dann kann er direkt die Ports anschließen. Bei der 1:1-Zuordnung ginge das tatsächlich um die achtmal schneller als mit herkömmlichen Patchkabeln, und das ohne Überlängen. Im Online-Shop des Herstellers kostet eine vollbestückte Patchbox mit 24 Kupferpatchkabeln 480 Euro ohne Mehrwertsteuer.

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Mit AWG-28-Leiterquerschnitt sind die Kabel flexibler und können auch für die Eins-zu-eins-Anbindung von aktiven Komponenten verwendet werden. (Bild: Panduit)

Dünnere Kabel und LED-Zuordnung

Wer keine Flachkabel und Patchboxen verwenden möchte, kann zum Beispiel das neue AWG-28-Verkabelungssystem für Rechenzentren von Panduit verwenden, das der Hersteller Mitte Mai 2017 auf den Markt gebracht hat. Die Kupfertrunkkabel und Patchkabel enthalten Kupferleiter mit einem Querschnitt von AWG 28. Damit ließen sich gegenüber dem üblichen Leiterdurchmesser von AWG 24 laut Hersteller bis zu 50 % Platz sparen. Zudem sind die dünneren Patchkabel flexibler, sodass sich ähnliche vertikale Eins-zu-eins-Patchungen wie mit der Patchbox realisieren ließen.

Ergänzend dazu bietet Panduit gewinkelte Patchpanels an, bei denen man komplett auf Rangierpanels verzichten kann. Bei den Winkelpanels ragen die beiden winklig zueinander gestellten Halterahmen für die Ports nach vorne: Jeweils die linke und die rechte Hälfte der Ports ist somit winklig nach außen gestellt. Da die Patchkabel bei dieser Portstellung nicht geknickt werden müssen, können sie direkt zu den seitlich im Schrank befestigten Kabelmanagementsystemen geführt werden. Rangierpanels sind nicht nötig.

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Mit Winkelpanels sind Rangierpanels unnötig, weil die Patchkabel so ohne Knickung an die Schrankaußenseite geführt werden können. (Bild: Panduit)

Natürlich strömt bei dieser Lösung die Luft nicht ganz so ungehindert durch den Schrank wie bei der Patchbox, aber es ist besser als mit dickeren Kabeln. Wie die Lösung nach zahlreichen Umpatchungen aussieht, bleibt abzuwarten.

Mit der Patchbox gibt es zwar keinen Kabelsalat mehr, aber nach mehreren Umpatchungen ist auch hier die eindeutige Zuordnung nicht mehr unbedingt gegeben. Das Gleiche gilt für die Panduit-Lösung. Wer der sicheren Zuordnung oberste Priorität beimisst, sollte vielleicht besser auf LED-Patchkabel setzen. Da bleibt zwar das Kabelchaos, doch wenn der Administrator einen Detektor an einem Ende eines Patchkabels in entsprechende Pins am Stecker einsteckt, so leuchten beide Enden des Patchkabels auf Knopfdruck rot auf. Zahlreiche Anbieter haben mittlerweile solche LED-Patchkabel für Kupfer und LWL im Programm.

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Bei LED-Patchkabeln wird ein Detektor in entsprechende Pins am Stecker angeschlossen, und die Enden des Patchkabels leuchten rot auf. Das gibt es auch für LWL-Patchkabel. (Bild: ZVK)

Normgerechte AIM-Lösungen

Doch das alles reicht nicht aus, wenn ein Rechenzentrum zum Beispiel das Verfügbarkeitslevel 4 nach DIN EN 50600 erfüllen soll. Für diese Datacenter schreibt die Norm ein Konfigurationsmanagement vor. Dabei müssen alle Konfigurationselemente erkannt, aufgezeichnet und in einer Konfigurationsmanagement-Datenbank vorgehalten werden. Über ein Produktzyklusmanagement müssen für alle Komponenten die Kosten im TCO-Ansatz erfasst sein, also Energiekosten, Investitions- und Wartungskosten zusammen. Außerdem sollen Aspekte wie betriebliche Zuverlässigkeit und Wartbarkeit berücksichtigt sein. Das erfordert die Einbindung in ein Überwachungs- und Ereignismanagement.

Aus diesem Grund hat die Branche einen neuen Standard für Automatische Infrastrukturmanagementsysteme (AIM) entwickelt, der im Herbst 2017 unter der Bezeichnung ISO/IEC 18598 verabschiedet wurde. Dabei geht es um die Miterfassung der passiven Verbindungen in übergeordneten Managementsystemen. Die bereits bestehenden proprietären Systeme sind damit größtenteils schon in standardbasierte Systeme übergegangen. Sie sind meist mit überschaubarem Aufwand in bestehenden Infrastrukturen nachrüstbar und lassen sich über klar definierte Schnittstellen in andere Managementsysteme einbinden. AIM-Systeme erkennen automatisch, wenn ein Anwender einen Datenstecker (Kupfer oder LWL) einsteckt oder herauszieht, mit genauer Ortsangabe.

In der Regel sind das RFID-basierte Lösungen mit Patchkabeln, die am Stecker einen RFID-Chip integriert haben, und entsprechenden Empfängerleisten im Patchfeld bzw. an den Komponenten. Anbieter von standardkonformen Systemen sind zum Beispiel Commscope, Metz Connect und Reichle & De-Massari. Dieser Hersteller hat Anfang 2017 eine neue Version seiner Lösung R&MinteliPhy auf den Markt gebracht. Sie ist für das eigene LWL-Verkabelungssystem Netscale konzipiert und ermöglicht dort Packungsdichten von bis zu 80 RFID-überwachten LC-Duplex- oder MTP-Ports pro HE. Laut Herstellerangaben lassen sich die kompakten RFID-Patchkabel aber auch für andere Verkabelungssysteme mit AIM-Überwachung einsetzen.

Damit man auch bei hohen Packungsdichten den Überblick behält, ist es wichtig, dass die Verkabelung gut und stets aktuell dokumentiert ist. Das bleibt in der Praxis leider oft auf der Strecke. Mit der Patchbox oder der AWG-28-Verkabelung lassen sich Switch- und Serverports sehr übersichtlich anschließen. Doch bei häufigen Umpatchungen können auch diese Lösungen unübersichtlich werden. Wer Fehlpatchungen auf jeden Fall vermeiden möchte, setzt dann doch besser auf LED-Patchkabel (mit Kabelsalat) oder verwendet gleich ein ISO/IEC 18598-konformes AIM-System.

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