Last- und Einspeisemanagement: Warum die Energiewende offene Software braucht

Mit dem Ausbau der Energie- und Wassernetze und neuen Steuerungskonzepten für die Einspeisung von erneuerbaren Energien stehen die Netzbetreiber vor großen Herausforderungen. Mehr und mehr nehmen sie die Entwicklung von Schnittstellen und Software daher selbst in die Hand – im offenen Konsortium.

Offene Entwicklung schafft Versorgungssicherheit

Von Christof Heinritz, Peter Herdt, Stephan Janeck, Gerhardt Regenbogen, Prof. Dr. Dirk Riehle, Frank Rose, Michael Roth, Detlef Thoma und Michael Tuchs

Dass es immer komplexer wird, neue Anforderungen in die über lange Jahre gewachsene Systemlandschaft zu integrieren, ist wenig überraschend. Genauso wenig wie der Umstand, dass dabei die historisch gewachsenen Grenzen zwischen den IT-Systemen zunehmend zum Hindernis werden. Der Aufwand, der nötig ist, um Änderungen und Erweiterungen einzupflegen, ist wegen der Abhängigkeit von einigen wenigen Herstellern unangemessen hoch. Die Anforderungen der Energiewende und Regulierung zeitnah zu erfüllen, wird vor allem dann zum Problem, wenn die Kosten nicht explodieren sollen.

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Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserem Magazin zum Open Up Camp 2014. Einen Überblick mit Download-Links zu sämtlichen Einzelheften bekommen Sie online im Pressezentrum des MittelstandsWiki.

Deshalb entschloss sich eine Gruppe von sechs deutschen Netzbetreibern Ende 2012/Anfang 2013 dazu, mit einer Machbarkeitsstudie zu untersuchen, ob die gemeinschaftliche, also konsortiale Entwicklung und Bereitstellung von Open-Source-Software für den Betrieb zukünftiger Stromnetze die Situation entscheidend verbessern kann.

Als Ergebnis soll 2014 ein Zusammenschluss interessierter Netzbetreiber, Softwarehersteller, -dienstleister und Hochschulen in einem Umsetzungsprojekt den Beweis dafür antreten, dass die Aussagen zur flexiblen und effizienten Software-Entwicklung realistisch sind. Thema des Projekts: Last- und Einspeisemanagement. Dabei ist auch eine dynamische Entwicklung des Interessentenkreises nach Projektfortschritt einkalkuliert. Ein positives Ergebnis ließe sich auch auf die anderen Netzsparten und weitere Netzbetreiberprozesse übertragen.

Dienste in der SOA-Landschaft

Die IT-Systemlandschaft für den Betrieb von Netzen entstammt einer Zeit, in der Rechnerleistung und Speicherkapazität wesentlich geringer und im Vergleich zu heute viel teurer waren. Nach und nach wurden einzelne Arbeitsprozesse durch angepasste Einzelsysteme optimiert und so entstand ein regelrechtes Flickwerk. Die Herausforderung besteht zunächst in der Verknüpfung dieser Systeme mittels standardisierter Schnittstellen.

Denn konventionelle proprietäre Schnittstellen haben auch noch den Nachteil, dass es keinen wirtschaftlichen Wettbewerb gibt. Man ist immer auf die Hersteller der beiden betroffenen Systeme angewiesen. Die Folge: Preise und Termine sind meist als gegeben hinzunehmen. Die Netzbetreiber sehen sich bislang Herstellern gegenüber, die – sobald der Zuschlag für die Implementierung eines IT-Systems einmal erteilt ist – in einer Lock-in-Situation weitgehend konkurrenzlos den Kunden auf Dauer an sich fesseln. Ein Wechsel zu einem anderen Anbieter ist nur schwer möglich; zu groß ist der Aufwand für Datenmigration und neue Schnittstellen.

Gemeinsam entwickeln

Der neuartige Lösungsansatz, den die Studie verfolgt, umfasst aus Sicht der Informationstechnik die Aspekte Software-Architektur und -plattform sowie den Entwicklungsprozess mit dazugehörigen Werkzeugen. Die Software-Architektur wurde grob skizziert und soll nun im Rahmen eines Projektes umgesetzt werden: Ein SOA-Modell (Service-oriented Architecture), also ein System gekapselter Dienste, soll die Anpassung und Integration in die existierende IT-Landschaft garantieren.

SOA kann man als modulares System auffassen, die Komponenten hinter den Schnittstellen sind praktisch austauschbar und können sogar unabhängig voneinander entwickelt werden. Sogar vorhandene Altsoftware lässt sich als Dienst integrieren und länger nutzen.

Den Software-Entwicklungsprozess und die dazugehörigen Werkzeuge hat die Studie ebenfalls betrachtet. Sie sollen zusätzlich im Rahmen eines Förderprojekts vollständig definiert und umgesetzt werden. Das wesentliche Merkmal dabei ist Transparenz: Alle relevanten Informationen sollen einsehbar sein. Das Wissen wird breit gestreut und der Lock-in an bestimmte Anbieter vermieden.

Getrennt wirtschaften

Damit sich Interessenten und Anwender an der Entwicklung und Vermarktung von Open-Source-Software beteiligen, müssen die wirtschaftlichen und technischen Chancen einerseits und die Risiken andererseits klar sein. Einer der Schwerpunkte der Studie lag deshalb darin, verlässliche Parameter für diese Einschätzung zu gewinnen. Im Ergebnis wurden die wirtschaftlichen und technischen Erfolgsaussichten als sehr gut bewertet: Der konsortiale Zusammenschluss verfügt über alle erforderlichen fachlichen Kompetenzen, und da die Software direkt an den anstehenden Bedürfnissen der beteiligten Unternehmen entwickelt wird, ist kontinuierliche Werthaltigkeit zu erwarten.

Vorbild mit Erfahrung
Das vorgeschlagene OSS-Entwicklungsmodell mag auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheinen. Tatsächlich wird Open-Source-Software aber schon seit mehr als 20 Jahren über Unternehmensgrenzen hinweg gemeinschaftlich entwickelt. So hat sich z.B. die Luftfahrt- und Verteidigungsbranche im Anwenderkonsortium TOPCASED zusammengefunden und entwickelt gemeinsam OS-Software um sich von der Abhängigkeit von einzelnen Softwareherstellern zu befreien (diese Unternehmen eine deutlich kürzere Lebenszeit als die Flugzeuge, die sie mit Software unterstützen sollen). Die Luftfahrtbranche ist deshalb ein guter Vergleich, weil die Software dort langlebig sein muss und vor allem auch sicherheitskritisch ist, was ebenso auf die Software für die deutschen Energie- und Wassernetze zutrifft.

Das für die Software im Energiesektor zu gründende Konsortium wird eine Non-Profit-Organisation sein, die im Interesse ihrer Mitglieder und der Öffentlichkeit agiert. Die Software ist dann für die beteiligten Unternehmen nicht wettbewerbsdifferenzierend. Es handelt sich um gemeinschaftlich entwickeltes Eigentum; die Software reduziert die Kosten für die beteiligten Unternehmen.

Fazit: Einladung zum Ausbau

In der Machbarkeitsstudie legte sich die Projektgruppe auch auf eine Empfehlung für eine geeignete Open-Source-Lizenz fest, die Prozesse zur Erzeugung von gemeinschaftlich entwickelter Software und den damit verbundenen Dienstleistungen angemessen unterstützt. Unternehmen können die Software verwenden, erweitern und darauf aufsetzende Produkte und Dienstleistungen verkaufen.

Das Konsortium ist nicht zuletzt offen und kann nach geregelten Bedingungen weitere Interessenten, Netzbetreiber, Softwarelieferanten, -dienstleister und Hochschulen aufzunehmen.

Nützliche Links

Die Machbarkeitsstudie „Konsortiale Software-Entwicklung auf der Basis von Open-Source-Software“ gibt es bei der OSBF kostenfrei als PDF zum Herunterladen.