Berufsbild Data Artist: Wer Big Data erst anschaulich macht

Sie verbinden IT-Kenntnisse, Statistik-Know-how und Mathe­matik mit künst­lerischem Talent. Data Artists werten Informatio­nen aus und visualisieren Daten in Info­grafiken. So machen sie komplexe Zusammen­hänge im Business ver­ständlich und schaffen Ent­scheidungs­grundlagen für Fach­abteilungen und Management.

IT-Profis mit Künstlerseele

Von Mehmet Toprak

Wer Stellenangebote für Data Artists liest, muss wahrscheinlich erst mal schlucken. Da wird einiges verlangt. Der Bewerber sollte über IT- und Netzwerk-Know-how verfügen, sich mit Programmiersprachen wie JavaScript und Python auskennen, Kenntnisse in statistischen Verfahren und Algorithmen mitbringen, schon mal was mit künstlicher Intelligenz gemacht haben, sich mit Google Analytics auskennen – und natürlich künstlerisches Talent für die optisch attraktive Visualisierung von Daten haben. Geübter Umgang mit den wichtigsten Visualisierungstools wird vorausgesetzt. Außerdem sollte der Begriff Storytelling kein Fremdwort für den Bewerber sein.

Angesichts dieser enormen Anforderungen wundert es nicht, dass erfahrene Spezialisten für Datenvisualisierung, aka Data Artists, rar gesät sind und deshalb von vielen Unternehmen händeringend gesucht werden. Niemand weiß dies besser als André Petras, Senior Data Scientist bei Telefónica Deutschland, Abteilung Datenanalyse und künstliche Intelligenz. Seit 14 Jahren beschäftigt er sich mit dem Thema. Mit Styling Data betreibt er sogar einen eigenen Blog. Petras sagt: „Data Artists sind sozusagen die Einhörner unter den Analysten. Die Kombination aus IT- und Mathematik-Know-how, kommunikativen Skills und künstlerischer Begabung ist halt sehr selten.“

Bei Telefónica löst Petras das Problem, indem er den Kollegen im Team durch interne Schulungen das nötige Wissen vermittelt. Das ist auch schon die erste gute Nachricht. Wer nicht völlig unbegabt ist, kann das Handwerk eines Data Artists auch erlernen. Fortbildungen und Schulungen gibt es genug (siehe Kasten).

Erst die Daten, dann die Kunst

Die Aufgaben des Data Artists sind dem des Data Scientists gewissermaßen nachgelagert. Der Scientist sammelt und konsolidiert Infos aus ganz verschiedenen Quellen wie Google Analytics, Websites, ERP-System, Excel-Dateien oder Kontaktlisten, um sie anschließend auszuwerten und zu analysieren. Der Data Artist setzt die abstrakten Informationen in Grafiken um und macht sie damit auch für (vorgebildete) Laien verständlich.

In der Praxis sind die Übergänge allerdings fließend. Denn auch der Data Artist muss wenigstens annähernd über das technische Know-how des Data Scientists verfügen, Formate und Schnittstelle beherrschen und in der Lage sein, Daten in Visualisierungstools anzubinden. So gesehen ist es leichter, sich vom Analysten zum Data Artist weiterzubilden als vom reinen Infografiker zum technisch versierten Data Artist.

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Data Artist André Petras: „Data Artists müssen ein Gespür für Farben und Formen haben. Sie müssen sich aber auch mit den Daten auseinandersetzen, diese aus verschiedenen Perspektiven betrachten und miteinander kombinieren.“ (Bild: Telefónica)

Hand in Hand: Kunst und Analyse

Dabei gilt es hier gleich ein mögliches Missverständnis zu klären. Aufgabe des Data Artists ist es nicht nur, Erkenntnisse, die bereits als Zahlen oder Diagramme vorliegen, durch bunte Infografiken aufzuhübschen. Bevor der Künstler ans Werk gehen darf, schlüpft er in die Rolle des Wissenschaftlers und wirft einen genauen Blick auf die Daten. André Petras erklärt: „Wir arbeiten explorativ, indem wir uns mit den Daten auseinandersetzen, diese aus verschiedenen Perspektiven betrachten und miteinander kombinieren.“

Das erfordert auch ein genaues Verständnis der Geschäftsprozesse und der Bedürfnisse der jeweiligen Fachabteilungen. Diese haben beispielsweise beim Data Artist eine Präsentation zu einer bestimmten Fragestellung angefordert. Die Fragen kommen aus allen Bereichen des Geschäftsbetriebs: Einkauf, Finanzen, Marketing, Kundenprofile, Logistik und Produktion – überall da, wo Daten anfallen, sind die talentierten Kollegen gefragt, die genaue Analyse und ansprechende Optik gleichermaßen beherrschen. „Die Visualisierung nutzen wir in vielen Bereichen, beispielsweise bei Vertriebssteuerung, beim Management der Shops, bei der Kundenkommunikation oder bei Customer Services“, sagt Petras.

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Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag ist zuerst in unserer Magazin­reihe „IT & Karriere“ erschienen. Einen Über­blick mit freien Down­load-Links zu sämt­lichen Einzel­heften be­kommen Sie online im Presse­zentrum des MittelstandsWiki.

Eine gelungene Infografik verwandelt das komplexe Datenmaterial in überschaubare und schnell erfassbare Erkenntnisse. Das ist aber nur ein Aspekt und vielleicht nicht mal der wichtigste. Denn auch für den erfahrenen Analysten macht die Visualisierung häufig erst Zusammenhänge sichtbar, die sich in den Zahlen versteckt haben. Vom Data Artist wird daher erwartet, dass er die Infos zum angefragten Thema so auswählt und kombiniert, dass sie als sinnvolle Entscheidungsgrundlage taugen, im Fachjargon auch „actionable insights“ genannt. Spezialisten wie Petras untersuchen die tägliche Datenflut auch auf eigene Faust und geben spannende Ergebnisse selbsttätig an die Kollegen weiter.

Akademien für Datenkünstler

Ausbildungen in Sachen Datenvisualisierung oder Data Artist werden derzeit noch unter Oberbegriffen wie Data Science, Business Analytics oder Big Data geführt, eigene Hochschulstudiengänge gibt es bislang nicht. Wer nach einer passenden Ausbildung sucht, sollte in einer Internet-Suchmaschine „Data Scientist“ oder „Data Science“ eintippen. Hier wird man schnell fündig. Viele Hochschulen in Deutschland bieten aber inzwischen einen Bachelor- oder Masterstudiengang für Data Science. Die Visualisierung bzw. der Data Artist sind dann Teil der Studieninhalte. Auch Business Schools und Institute wie etwa die Haufe Akademie, die Fraunhofer Academy oder die Fernstudiumspezialisten der Akad University haben Data Science im Programm. In vielen Fällen kann man Datenvisualisierung auch als eigenständiges Modul wählen.

Eine weitere Anlaufstelle ist die Arbeitsagentur, die auf Berufe.net umfangreiche Infos zu allen Berufsbildern und Karrieremöglichkeiten im Bereich Datenwissenschaft bereitstellt. Als Weiterbildung oder auch als berufsbegleitendes Training eignen sich die zahlreichen Online-Kurse. So bietet beispielsweise das Business-Netzwerk LinkedIn eine ganze Reihe videobasierter Tutorials, darunter auch solche für Datenvisualisierung. Passende Online-Kurse gibt es auch beim E-Learning-Anbieter Lecturio. Den schnellsten Einstieg aber bietet wie so oft YouTube: Hier fördern Suchbegriffe wie „Tutorial Data Artist“ jede Menge Videos und Vorträge zum Thema zutage.

Von der Infografik zur Heatmap

Wichtig bei allen Präsentationen: Die simple Infografik genügt heute nicht mehr. Dafür ist sie zu statisch. Balkendiagramme oder Torten mögen im Einzelfall für Darstellungen etwa von Marktanteilen ausreichen, die hohe Kunst der Visualisierung beginnt jedoch da, wo die klassische Infografik aufhört. Professionelle Datenkünstler arbeiten heute mit raffinierten Darstellungen wie Begriffswolken, Heatmaps, Fieberkurven und Zeitleisten, um ihre Botschaft zu vermitteln. Im Idealfall verknüpfen sich so die Daten zu einer Geschichte, Stichwort: Storytelling.

Als Standard gilt, dass die Präsentation als Report oder in Form eines Dashboards interaktiv gestaltet wird. So können die Manager die Ergebnisse passend sortieren, nach bestimmten Kriterien filtern oder verschiedene Parameter anwenden. Der große Vorteil besteht zum einen darin, dass komplexe Zusammenhänge anschaulich werden, zum anderen darin, dass Management und Entscheidungsträger auf dieser Basis schneller und differenzierter reagieren können.

Im Zeitalter von Big Data müssen große wie kleine Unternehmen ständig mit einer Flut von Daten und Informationen umgehen. Da ist die Visualisierung viel mehr als eine schöne Ergänzung, sie wird zur puren Notwendigkeit, damit um die Geschäftsprozesse und den Markt verstehen kann. Das bestätigt auch Matthias Zacher, Senior Consulting Manager beim Marktforschungsinstitut IDC in Frankfurt: „Ohne Datenvisualisierung ist es kaum noch möglich, Erkenntnisse, Informationen und Empfehlungen auf den Punkt zu bringen. Infografiken sind zwar kein neues Thema, aber aufgrund der Automatisierung von Analyseprozessen in Verbindung mit grafischen Elementen und visuellen Effekten, entstehen heute fast unbegrenzte Möglichkeiten bei der Analyse.“

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IDC-Manager Matthias Zacher: „Ohne Datenvisualisierung ist es kaum noch möglich, Erkenntnisse, Informationen und Empfehlungen auf den Punkt zu bringen.“ (Bild: IDC)

Als Königsdisziplin der Data Artists gilt die bewegte Grafik auf einer interaktiven Karte. Ein Beispiel hierfür wären etwa die Bewegungen von Mobilfunkkunden, die bei allen Mobilfunkbetreibern anonymisiert unter die Lupe genommen werden. Je besser der Data Artist hier seinen Job macht, je besser es ihm hier gelingt, unterschiedliche Infos in einer visuellen Darstellung zu bündeln, desto aussagekräftiger und faszinierender fallen die Ergebnisse aus. Sind ausreichend Daten vorhanden, könnten auch Großstädte davon profitieren und damit etwa die Planung des öffentlichen Nahverkehrs optimieren.

Der Werkzeugkasten der Profis

Mit welchen Tools arbeiten Data Artists? Das vielleicht bekannteste ist das Business-Intelligence-System Tableau. Es hat unter anderem den Vorteil, dass man sehr viele Datenquellen und -formate einbinden kann. Zudem bietet es einen eigenen Story-Modus. Großer Beliebtheit erfreut sich auch D3.js. Die JavaScript-Bibliothek gilt als sehr flexibel und versteht sich bestens mit Excel-Dateien. Viele Unternehmen setzen auf Qlik Sense vom BI-Spezialisten QlikTech. Die Analyseplattform gibt es auch in einer Online-Version. Sie ist relativ einfach zu bedienen und bindet Daten aus verschiedensten Quellen ein.

Die Tools beschränken sich nicht auf den Bereich der optischen Gestaltung, sie ermöglichen immer auch die variable Kombination und Auswertung der Infos, ohne die es keine aussagekräftige Visualisierung geben kann. IDC-Experte Zacher meint dazu: „Eine Visualisierung darf nie Selbstzweck sein, sondern muss immer geschäftliche Anforderungen erfüllen.“

Wie für mich gemalt

Eine gelungene Visualisierung oder auch eine smarte Infografik lenkt die Aufmerksamkeit der Entscheidungsträger auf bestimmte Aspekte, nimmt Schlussfolgerungen vorweg und beeinflusst so Entscheidungen des Unternehmens. Ein anspruchsvoller Job also, und einer, der mit einer beträchtlichen Verantwortung einhergeht.

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