AGG im Zivilrecht: Die AGG-Klauseln gelten auch für Webshops

Seit dem Gleichbehandlungsgesetz starren Unternehmen wie gebannt auf Stellenausschreibungen und Bewerbergespräche. Aus dem Blick geriet dabei die Reichweite des Gesetzes. Es ist nämlich auch im Zivilrecht zuständig, z.B. im Online-Vertrieb. Hier ist wichtig: Die Fristen sind deutlich knapper.

Öffentliche Angebote müssen sauber sein

Von der Fachredaktion anwalt.de

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ist eines der umstrittensten Gesetze, die in den letzten Jahren in Kraft traten – heiß diskutiert besonders wegen seiner Auswirkungen auf das Arbeitsrecht. Den wenigsten dürfte aber auch bewusst sein, dass der Regelungsbereich weit darüber hinausreicht. Die AGG-Fallstricke gibt es ebenso im Zivilrecht. Von Bedeutung für Geschäftsleute sind speziell Vertragsrecht, Mietrecht und Versicherungsrecht.

Im Privatrecht finden die §§ 1 bis 5 AGG und die §§ 19 bis 21 AGG Anwendung. § 19 AGG verbietet die Benachteiligung aus Gründen der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion, wegen einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität im Rahmen eines privatrechtlichen Schuldverhältnisses (z.B. eines Vertrags). Das Diskriminierungsverbot gilt bereits für die Begründung sowie für die Durchführung und Beendigung des Schuldverhältnisses. Ausgenommen sind lediglich familien- und erbrechtliche Schuldverhältnisse.

Diskriminierte müssen ihre Ansprüche innerhalb von zwei Monaten geltend machen. Die zusätzliche Frist von drei Monaten im Arbeitsrecht gilt nicht für die übrigen Bereiche des Privatrechts. Nach Ablauf der Zeit können Betroffene nur noch rechtlich gegen die Benachteiligung vorgehen, wenn sie die Frist schuldlos versäumt haben.

Online-Vertrieb ist „Massengeschäft“

Zunächst bezieht sich das Benachteiligungsverbot auf so genannte „Massengeschäfte“. Das sind vor allem Verträge, die ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen bzw. bei denen die konkrete Person für den Vertragsabschluss aus Sicht des Anbieters nur von nachrangiger Bedeutung ist. Hierzu zählen alle Schuldverhältnisse, die zu gleichen Bedingungen begründet, durchgeführt und wieder beendet werden.

Serie: Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
Teil 1 stellt die Pro­ble­matik im Kern­bereich Arbeits­recht dar. Eine erste Prozess-Statistik gibt vor­läufig Entwarnung. Teil 2 widmet sich den AGG-Aus­wirkungen im Zivil­recht und sagt, was bei Miet­ver­hältnissen, Ver­sicherungen und im Online-Handel gilt. Teil 3 gibt praktische Tipps für den Um­gang mit Stel­len­be­werbern. Weitere Extrabeiträge erklären, wo die Gleichbehandlung bei einer Kündigung zu beachten ist, und schildern den Fall einer erfolgreichen Klage gegen Lohndiskriminierung.

Betroffen sind standardisierte Verträge in Einzelhandel, Gastronomie und Transportwesen, z.B. Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Taxifahrten, Shopping-Touren in Warenhäusern, Vertragsverhältnisse mit Restaurants, Diskotheken, Museen, Theatern und auch Internet-Geschäfte. Geschäfte, die Ähnlichkeit mit einem Massengeschäft haben (Reiseverträge etc.), fallen ebenfalls unter den AGG-Schutz.

Risikokalkulation bei Versicherungen

Bei Privatversicherungen gilt das Benachteiligungsverbot insbesondere für Versicherungsverträge, bei denen typischerweise bestimmte Risikokriterien keine Rolle spielen (etwa bei einer Reisegepäckversicherung).

Weil eine Privatversicherung häufig elementare Lebensrisiken abdeckt, hat der Gesetzgeber das Diskriminierungsverbot darüber hinaus teilweise auf Privatversicherungen ausgedehnt, die auf einer individuellen Risikoprüfung beruhen, vor allem wenn die Ungleichbehandlung auf sozial nicht gerechtfertigten Kriterien basiert. So darf ein Kfz-Haftpflichtversicherer z.B. keinen Unterschied bei den Vertragsbedingungen für ausländische Autofahrer machen.

Allerdings ist die Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts gemäß § 20 Abs. 2 AGG zulässig, wenn es sich hierbei um einen bestimmenden Faktor für die Risikobewertung handelt. Konkret bedeutet dies, dass der Versicherer Männern und Frauen unterschiedliche Versicherungsbedingungen anbieten darf, wenn das Geschlecht wesentlichen (versicherungsmathematisch begründeten) Einfluss auf die Risikoprüfung im Rahmen der Versicherung hat.

Ausdrücklich ausgenommen von dieser zulässigen Ungleichbehandlung sind jedoch Kosten, die in Verbindung mit einer Schwangerschaft oder dem Mutterschutz anfallen. Weitere Kriterien (Religion, Behinderung, Alter etc.) können für die Festlegung von Prämien und Leistungen herangezogen werden, sofern dies nicht willkürlich geschieht. Die Darlegungs- und Beweislast obliegt jeweils dem Versicherer. Ein absolutes Diskriminierungsverbot besteht allerdings bezüglich Rasse und ethnischer Herkunft; eine solche Ungleichbehandlung ist niemals zu rechtfertigen.

Eines gilt immer: Auch bei Mietverhältnissen greift das generelle Verbot von Diskriminierung in Hinblick auf Rasse und ethnische Herkunft. Das heißt: Eine Benachteiligung aus diesen Gründen ist auch Vermietern mit bis zu 50 Wohnungen verboten, wenn sie öffentlich Wohnraum anbieten.

Mietrecht ab 50 Einheiten

Nach dem Arbeitsrecht ist das Mietrecht am meisten vom Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz betroffen. Ähnlich wie bei den anderen privatrechtlichen Schuldverhältnissen und der Bezugnahme auf „Massengeschäfte“, schließt § 19 Abs. 5 AGG ausdrücklich Vermietungen vom Diskriminierungsverbot aus, wenn der Vermieter nicht mehr als 50 Wohnungen vermietet.

Zudem sind Vermietungen von „Privaten“ ausgenommen, zwischen denen ein besonderes Nähe- und Vertrauensverhältnis besteht (Beispiel: die Vermietung von Wohnraum unter Angehörigen auf demselben Grundstück).

Das Benachteiligungsverbot bezieht sich wiederum auf das gesamte Mietverhältnis, d.h. nicht nur das Inserat und der Mietvertrag, sondern auch die Haus- und Nutzungsordnung sind diskriminierungsfrei auszugestalten. (Typische Beispiele: Eine Immobiliengesellschaft lehnt die Vermietung an Ausländer grundsätzlich ab oder Familien mit Kindern müssen wegen der Kinder nach der Hausordnung öfters Treppenhaus und Keller putzen als die übrigen Mieter.)

Diskriminierte Mieter oder Mietbewerber können Schadensersatz und Schmerzensgeldansprüche geltend machen, haben jedoch keinen Anspruch auf Abschluss des Mietvertrages. Ein aus AGG-Gründen unzulässig gekündigter Mieter kann von seinem ursprünglichen Vermieter so die Erstattung von Umzugskosten und Maklerprovision im Zusammenhang mit der Anmietung der neuen Wohnung verlangen.

Gut zu wissen: Leistungen aus dem Gesundheits- und Bildungsbereich müssen ebenso diskriminierungsfrei angeboten werden. Dies gilt z.B. für Rehakliniken, Ärzte, Bildungs– und Weiterbildungseinrichtungen und sogar Fahrschulen.

Rechtfertigung in Grenzen

Gemäß § 19 Abs. 2 AGG gilt das Diskriminierungsverbot wegen Rasse und ethnischer Herkunft generell für alle sonstigen privatrechtlichen Schuldverhältnisse, bei denen der Vertragsschluss öffentlich angeboten wird (z.B. in einer Zeitungsannonce). Rechtfertigungsgründe für solche Benachteiligungen sieht das Gesetz nicht vor.

Eine Benachteiligung kann jedoch zulässig sein, wenn sie aus tatsächlichen Gründen gerechtfertigt ist, die mit ihr unmittelbar zusammenhängen. Zur Gefahrenvermeidung sind etwa das Zugangsverbot für Männer zu einem Frauenhaus, die altersmäßige Begrenzung des Zugangs zu einem Fahrgeschäft auf der Kirmes oder auch Frauenparkplätze zulässig. Als Rechtfertigungsgrund kommt auch der Schutz der Intimsphäre in Betracht (z.B. getrennte Badezeiten im Schwimmbad). Außerdem können besondere Vorteile aus sozialadäquaten Gründen gewährt werden, zum Beispiel Rabatte für Studenten, Schüler, Behinderte und Rentner.

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Fazit: Neue Fälle, neue Urteile

Das Diskriminierungsverbot spielt bei einer Vielzahl völlig unterschiedlicher Lebensbereiche eine Rolle, nicht nur bei Stellenausschreibungen, Arbeitsverträgen und im Geschäftsleben. Gerade im Zivilrecht sind in diesem Zusammenhang noch viele Probleme ungeklärt. Nicht zuletzt wegen der harten Zweimonatsfrist empfiehlt es sich hier, im Ernstfall möglichst schnell anwaltlichen Rechtsrat einzuholen.

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