IT-Freelancing: Wann IT-Freelancing eine realistische Lösung ist

Spätestens mit der Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes im Jahr 2017 ist das IT-Freelancing zu einer kniffligen Sache geworden, und zwar für beide Seiten. Doch deshalb gleich ganz die Finger davon zu lassen – wie es einige Unternehmen derzeit vorziehen – ist auch keine gewinnbringende Option.

Vorsicht, Falle(n)!

Von David Schahinian

Es könnte so schön sein. Wie der Global Freelancer Income Report 2020 des Zahlungsdienstleisters Payoneer zeigt, schätzen Freiberufler vor allem ihre vielfältigen Beschäftigungsmöglichkeiten, ihre Unabhängigkeit und ein auskömmliches Einkommen. Das gilt umso mehr für IT-Freelancer, die sich ihre Auftraggeber lange Zeit aus einer Vielzahl an Angeboten aussuchen konnten. Die Unternehmen wiederum kaufen sich aktuelles und hochspezialisiertes Fachwissen sowie flexible Auftragnehmer ein. Ohne komplizierte Kündigungsschutzregeln und langfristige Bindung, das spart Geld und minimiert Risiken.

Ganz so einfach ist es in der Realität aber eben doch nicht. Insbesondere seit der Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) im Jahr 2017 stehen Unternehmen vor der Frage, wie sie IT-Freelancer rechtskonform an sich binden können. Sind die Dienste einer Personalagentur zwischengeschaltet, besteht bei nicht sauber ausgearbeiteten Verträgen die Gefahr einer illegalen Arbeitnehmerüberlassung. Bei Freiberuflern droht das Damoklesschwert der Scheinselbstständigkeit. Das Risiko, bei Verstößen entdeckt zu werden, ist in den vergangenen Jahren gestiegen, weil der Zoll – als zuständige staatliche Behörde – und die Deutsche Rentenversicherung Personal aufgestockt und die Kontrollen intensiviert haben.

Angestellte wider Willen

Freiberufler sind, nomen est omen, ziemlich frei. Sie dürfen daher vom Auftraggeber keine arbeitsrechtlichen Weisungen erhalten – etwa, wann und wo sie tätig werden sollen. In den Verträgen wird zwar festgeschrieben, welche Vorgaben sie zu erfüllen haben, und daraus können sich durchaus auch örtliche oder zeitliche Anforderungen wie beispielsweise das Arbeiten beim Auftraggeber oder eine bestimmte Deadline ergeben. Einseitige Weisungen sind aber nicht drin.

Im Mittelpunkt steht die Leistung, nicht die Person des Freelancers. Urlaubsplanungen, interne E-Mail-Adressen oder andere Hinweise auf eine Eingliederung des Freiberuflers in die Organisation des Unternehmens sprechen für eine Scheinselbstständigkeit. Sogar die Einladung zur Betriebsweihnachtsfeier sollte unterlassen werden, auch wenn man menschlich gut miteinander auskommt. Die Freelancer dürfen das nicht persönlich nehmen, Gesetze sind eben Gesetze.

Stellt die Rentenversicherung bei der sogenannten Statusfeststellungsprüfung eine Scheinselbstständigkeit fest, kann es passieren, dass die IT-Freelancer das Projekt verlieren oder gar zu Angestellten des Auftraggebers erklärt werden. Das wollen sie in der Regel nicht, und das will auch der Auftraggeber nicht. Auf ihn können Nachzahlungen zur Sozialversicherung für die letzten vier Jahre zukommen. Solche Prüfungsverfahren können entweder vom Auftraggeber oder vom Freelancer selbst angestoßen werden, die Rentenversicherung prüft aber auch aus eigener Initiative.

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Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag ist zuerst in unserer Magazin­reihe „IT & Karriere“ erschienen. Einen Über­blick mit freien Down­load-Links zu sämt­lichen Einzel­heften be­kommen Sie online im Presse­zentrum des MittelstandsWiki.

Es hilft nichts, den Kopf in den Sand zu stecken, davon hätten beide Seiten Nachteile. Einer Mitte Februar 2021 durchgeführten Umfrage von freelancermap.de unter 480 IT-Freelancern aus der DACH-Region zufolge beurteilen 51 % ihre aktuelle Auftragslage als schlecht oder sogar sehr schlecht. Das ist sicher zu einem großen Teil der Coronakrise und nicht nur der Verunsicherung bezüglich der rechtlichen Vorgaben geschuldet. Umgekehrt bedeutet es aber auch, dass Auftraggeber gerade jetzt eine gute Möglichkeit haben, IT-Spezialisten zu Preisen akquirieren zu können, die vor 18 oder 24 Monaten noch wesentlich höher lagen.

Rechtskonformer Hürdenlauf

Der Status quo ist jedoch unbefriedigend. Denn aus Sorge, Fehler zu machen, beschäftigen einige Unternehmen gar keine freien Profis mehr, obwohl eine Zusammenarbeit für beide Seiten fruchtbar wäre. Verbesserungsvorschläge gibt es einige. So hat der Arbeits- und Unternehmensrechtsexperte Prof. Dr. Markus Stoffels beispielsweise 2020 ein Rechtsgutachten zum Thema für den Digitalverband Bitkom erstellt. Darin empfiehlt er unter anderem die Harmonisierung des Arbeitnehmerbegriffs im Arbeits- und Sozialrecht sowie eine Reform des Statusfeststellungsverfahrens. Darüber hinaus plädiert er für die Formulierung von Positivkriterien im Sinne einer Vermutung zugunsten selbstständiger Tätigkeit – Kriterien also, die für eine Einstufung als Selbstständige sprechen.

Entsprechende Sonderregelungen für die Definition von Selbstständigkeit im IT-Bereich lehnt die Bundesregierung aber ab. Es wäre ein falscher Weg, branchen- oder tätigkeitsbezogene Sonderregelungen für angeblich nicht schutzbedürftige Personenkreise zu schaffen, sagte ein Sprecher des Bundesarbeitsministeriums auf Anfrage. Das Schutzbedürfnis könne sich im Laufe der Zeit wandeln, wie es sich beispielsweise bei vielen an den Folgen der Coronakrise zeige. Auch sei die Sozialversicherung „neben dem Schutz des Einzelnen dem Schutz der Solidargemeinschaft verpflichtet“. Das individuelle Bedürfnis dürfe deshalb nicht zum Maßstab für die Versicherungspflicht werden, heißt es in der Antwort weiter.

Ein weiterer Stolperstein ist die unternehmensinterne Organisation. So ging etwa 2019 der Fall der Provinzial Nordwest durch die Presse. Wie unter anderem die Süddeutsche Zeitung berichtete, verlängerte die Versicherung seinerzeit viele Verträge mit selbstständigen und teils jahrelang für sie tätigen IT-Spezialisten nicht mehr, nachdem die interne Revision Prüfungen anstellte. Auch hier ging es um vermeintliche Scheinselbstständigkeit. Fraglich war nicht zuletzt, wer für die Probleme verantwortlich war, heißt es in der SZ weiter: „Angeheuert wurden die Experten nicht von der Personalabteilung, sondern vom IT-Einkauf.“

Kein Einzelfall, wie eine aktuelle Umfrage des Bundesverbands Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) und von Beeline, einem Anbieter von Vendor Management Systemen, unter 83 Einkäufern, HR- und Fachbereichsleitern namhafter Industriebetriebe zeigt. Der Beschaffungsprozess für externe Mitarbeiter sei oft nicht zentral und einheitlich für alle Vertragsarten organisiert. Ein unnötiges Compliance-Risiko, zumal ein ganzheitlicher Überblick auch Möglichkeiten von Synergieeffekten und Kosteneinsparungen eröffnet.

Schwarz auf Weiß allein schützt nicht

Viele Personal- und Fachabteilungen sitzen allerdings in einer Zwickmühle. Mangels Ressourcen fällt es ihnen insbesondere in kleineren Unternehmen schwer, stets alle aktuell geltenden Regelungen beim rechtskonformen IT-Freelancing zu kennen und umzusetzen. Hinzu kommt: Eine saubere Gestaltung der Vertragsebene ist zwar Grundvoraussetzung für die Vermeidung eines Organisationsverschuldens, sagt Christoph Sedlmeir, CEO von prime-ing, einem Anbieter von Managed Services: „Nichtsdestotrotz gilt der Grundsatz: Die tatsächlich gelebten Verhältnisse schlagen die vertraglich definierten.“ Die Vertrags- und die Durchführungsebene würden immer zusammen bewertet, weiß der Personalexperte. Sein Unternehmen hat ein Tool entwickelt, das die kritischen Punkte der Zusammenarbeit von Auftraggebern und -nehmern bei Werk- und Dienstverträgen in formalisierte Workflows übersetzt. So sollen mit Relation Xcellence (kurz: relaX) beispielsweise unerlaubte Weisungen von vornherein durch die Systemstruktur ausgeschlossen werden.

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Kennt sich mit den Tücken des AÜG aus: Christoph Sedlmeir, Geschäftsführer der prime-ing GmbH in Gummersbach. (Bild: prime-ing GmbH)

An die Plattform lassen sich zudem Sublieferanten und Personaldienstleister anbinden. Letztere müssen aus gutem Grund berücksichtigt werden, wenn sie vermittelnd tätig geworden sind, erklärt Sedlmeir: „Sie kümmern sich darum, geeignete IT-Spezialisten zu finden und setzen dann in der Regel auch den Vertrag auf.“ An der täglichen Projektarbeit seien sie jedoch nicht mehr beteiligt, obwohl sich dort oftmals praktische Fragen stellen. Etwa, welche Aufgaben vom Vertrag abgedeckt sind oder wer wem welche Weisungen nun denn erteilen darf. Dabei stehe auch für die Personalvermittler viel auf dem Spiel. Bei rechtlichen Verstößen drohen unter anderem der Verlust der Arbeitnehmerüberlassungslizenz und Bußgelder in bis zu sechsstelliger Höhe.

Eine saubere Trennung ist jedoch häufig gar nicht so einfach. So ist bei einer Arbeitnehmerüberlassung beispielsweise das arbeitsteilige Zusammenarbeiten mit Stammarbeitnehmern erlaubt, während bei Werk- und Dienstverträgen eine organisatorische Trennung der Arbeitsbereiche obligatorisch ist. Die Dispositionsfreiheit bei Werk- und Dienstverträgen liegt einzig und allein beim Auftragnehmer, so Sedlmeir weiter. Im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung ist der Einsatz im Unternehmen dagegen für alle Tätigkeiten im Rahmen des Überlassungsvertrags möglich.

Mein Kunde kann sich sicher sein

Risiken beim Einsatz von Freelancern bestehen zwar ohne Frage, insbesondere im IT-Bereich, der sich deutlich von anderen Branchen unterscheidet. Sie sind aber mit guter Vorbereitung und gegebenenfalls entsprechender Unterstützung in den Griff zu bekommen. Mangelndes Wissen und Know-how – hier scheint der Hase eher im Pfeffer zu liegen. Im Oktober 2020 beleuchtete die Personalberatung SThree Group die Realität von 841 befragten Freelancern. 78 % von ihnen waren überzeugt, die Kriterien für den Status als Selbstständige zu erfüllen. 21 % waren diesbezüglich unsicher. Wie sehr sich diese Auffassung allerdings mit den Ergebnissen der Statusfeststellungsverfahren deckt, ist fraglich. Nicht selten dauern die Verfahren lange und werden nachteilig für Freelancer entschieden.

23 % trafen wiederum auf Auftraggeber, die nicht angemessen zwischen Mitarbeitern und Freelancern unterschieden. Mehr als ein vermeidbarer Fauxpas, der letztlich wieder auf die Freiberufler zurückfällt: 25 % der befragten IT-Freelancer haben bereits Aufträge verloren, weil ihr Kunde Angst vor Scheinselbstständigkeit hatte.

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David Schahinian arbeitet als freier Journalist für Tageszeitungen, Fachverlage, Verbände und Unternehmen. Nach Banklehre und Studium der Germanistik und Anglistik war er zunächst in der Software-Branche und der Medienanalyse tätig. Seit 2010 ist er Freiberufler und schätzt daran besonders, Themen unvoreingenommen, en détail und aus verschiedenen Blickwinkeln ergründen zu können. Schwerpunkte im IT-Bereich sind Personalthemen und Zukunftstechnologien.

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