Berufsbild Machine Learning Engineer: Wer intelligente Maschinen anlernt

Wenn es darum geht, künst­liche Intelli­genz in die prak­tische An­wendung zu bringen, sind Experten gefragt, die Software-Plattformen zum Laufen bringen und in der Lage sind, die Algo­rithmen zu opti­mieren. Machine Learning Engineers gehören deshalb derzeit zu den um­worbenen Stars der KI-Branche.

KI-Spezialisten mit Praxistalent

Von Mehmet Toprak

Neue Jobs, neue Aufgaben, neue Herausforderungen – die Digitalisierung bringt ständig neue Berufe hervor. Vor allem der Bereich künstliche Intelligenz (KI) produziert derzeit gefühlt im Monatsrhythmus neue Berufsbilder. Dazu gehört der Machine Learning Engineer. Wie der Name schon sagt, geht es hier darum, maschinelles Lernen, einen Teilbereich der KI, konkret umzusetzen und zu realisieren. Raus aus dem Forschungslabor und rein in die praktische Anwendung in Handel und Industrie, das ist die Mission der ML Engineers.

Genau das ist es auch, was sich Unternehmen in Deutschland wünschen. Nach einer Studie des Marktforschungsunternehmens IDC vom Mai 2019 hatten bis zu diesem Zeitpunkt 41 % der Unternehmen bereits KI-Projekte realisiert. Von diesen Unternehmen wiederum wollten 44 % weitere Projekte anpacken. Auf der Agenda stehen laut IDC derzeit besonders die Automatisierung von Prozessen in den Bereichen IT, Sales- und Marketing. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch das Marktforschungsunternehmen Lünendonk & Hossenfelder. Es fehlen nur leider die dafür nötigen Fachkräfte, dies beklagen 38 % der Unternehmen der IDC-Studie. Gute Aussichten also für KI-Gurus und ML Engineers, die sich einen attraktiven Job sichern wollen.

Die Aufgaben des ML Engineers

Beim maschinellen Lernen geht es darum, Maschinen so zu programmieren, dass diese in der Lage sind, selbstständig zu lernen, sich autonom auf neue Situationen einzustellen und deshalb immer bessere Ergebnisse zu erzielen. Mit dem Begriff „Maschine“ ist hier Software gemeint, beispielsweise jene Software, die eine E-Commerce-Plattform steuert, oder Computerprogramme, die Roboter in einer Fabrik vernetzen und zu Produktionseinheiten verbinden. Mithilfe von Machine Learning agiert die Software situationsabhängig und flexibel. Sie lernt ständig dazu und ist im Idealfall in der Lage, Pannen zu erkennen und passend zu reagieren. Beispielsweise könnte eine Maschine der Produktionsstraße die zu bearbeitenden Werkstücke umleiten, wenn Sensoren dem System anzeigen, dass die Anlage an der nächsten Station heiß zu laufen droht und abgeschaltet werden muss.

Was genau macht dann ein ML Engineer? Dessen Job wird manchmal mit dem des Data Analysten verwechselt. Letzterer sammelt Daten aus verschiedenen Quellen, ordnet und sortiert diese, versucht dann in einer Analyse Zusammenhänge und Erkenntnisse zu gewinnen. Dabei nutzt er die jeweils passenden KI-Tools. Der ML Engineer ist für die praktische Umsetzung und den Betrieb der jeweiligen ML-Anwendung zuständig. Er sorgt sozusagen dafür, dass die Maschine läuft, dass sie gut geschmiert läuft, dass sie dabei immer besser wird und am Ende gute Ergebnisse bringt. Dafür muss er Daten aufbereiten, sie in eine technisch kompatible Struktur bringen und die KI-Lösung darauf ansetzen. Im zweiten Schritt kann er die Algorithmen auf die jeweilige Aufgabe anpassen oder neu kombinieren, bevor er schließlich die Ergebnisse auswertet.

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Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag ist zuerst in unserer Magazin­reihe „IT & Karriere“ erschienen. Einen Über­blick mit freien Down­load-Links zu sämt­lichen Einzel­heften be­kommen Sie online im Presse­zentrum des MittelstandsWiki.

Damit zeigt sich ein weiterer Unterschied zum Data Analysten. Der Analyst präsentiert seine Ergebnisse den Kollegen oder dem Management seines Unternehmens. Diese werden damit in die Lage versetzt, richtige Geschäftsentscheidungen zu treffen. Der ML Engineer dagegen konzentriert sich darauf, dass die KI-Software auf die richtigen Algorithmen zugreift, alle Module der Software-Plattform reibungslos zusammenarbeiten und am Ende noch präzisere Ergebnisse bringen.

Zielorientiertes Lernen

Man sollte den ML Engineer dabei nicht mit einem besseren Wartungstechniker verwechseln. Die Tätigkeit ist vor allem deshalb anspruchsvoll, weil er den gesamten Prozess und das Zusammenspiel aller Module kennen muss. Er muss verstehen, wie die dahinterliegenden Datenbanken funktionieren und er muss die verschiedenen Algorithmentypen kennen. Dabei genügt es nicht, bekannte Standardalgorithmen einzubauen, die in den Bibliotheken verfügbar sind. Diese müssen auch mit passenden Lernmodellen und Entscheidungsbäumen verknüpft werden. Ein ML Engineer weiß also, was sich hinter Begriffen wie überwachtes, unüberwachtes, teilüberwachtes oder verstärkendes Lernen verbirgt, nämlich die grundlegenden Lernmodelle der künstlichen Intelligenz.

Er kennt auch die Konzepte hinter den Entscheidungsprozessen der Software und ihrer Einschätzung statistischer Wahrscheinlichkeiten wie etwa Bayes’sche Netze, das Markow-Entscheidungsprozess oder das Hidden Markov Model. Auch ganz praktisch und handwerklich ist er fit und beherrscht die für ML typische Programmiersprache Python. Cloud-Technologien gehören ebenfalls zu seiner alltäglichen Arbeitsumgebung.

Und schließlich weiß er genau, welches Ziel die ML-Anwendung hat. Dazu wiederum muss er die Geschäftsprozesse im Unternehmen verstehen. Nur so kann er entscheiden, ob die von Algorithmen produzierten Ergebnisse passen oder nicht, sich nahtlos in die Wertschöpfungskette einfügen und wo gegebenenfalls noch Optimierungsmöglichkeiten lauern.

Thema: Künstliche Intelligenz

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Momentan dreht sich alles um ChatGTP. Für die Zeit davor gibt eine Einführung einen ersten Überblick über den Stand der Technologien, die Fortsetzungen skizzieren praktische Einsatzgebiete für KI, insbesondere in der Industrie. Für den Lebenslauf könnten die Ratgeber zur KI-Studienstrategie bzw. zum KI-Studium (auch in Kombination mit Robotik) sowie zum Berufsbild Machine Learning Engineer und zum KI-Manager nützlich sein.

Extrabeiträge untersuchen, wie erfolgreich Computer Computer hacken, ob und wann Vorbehalte gegen KI begründet sind und warum deshalb die Erklärbarkeit der Ergebnisse (Stichwort: Explainable AI bzw. Erklärbare KI) so wichtig ist. Hierher gehört außerdem der Seitenblick auf Maschinenethik und Münchhausen-Maschinen. Als weitere Aspekte beleuchten wir das Verhältnis von KI und Vorratsdatenspeicherung sowie die Rolle von KI in der IT-Sicherheit (KI-Security), fragen nach, wie Versicherungen mit künstlicher Intelligenz funktionieren, hören uns bei den Münchner KI-Start-ups um und sehen nach, was das AIR-Projekt in Regensburg vorhat. Ein Abstecher führt außerdem zu KI-Unternehmen in Österreich.

Auf der rein technischen Seite gibt es Berichte zu den speziellen Anforderungen an AI Storage und Speicherkonzepte bzw. generell an die IT-Infrastruktur für KI-Anwendungen. Außerdem erklären wir, was es mit AIOps auf sich hat, und im Pressezentrum des MittelstandsWiki gibt es außerdem die komplette KI-Strecke aus dem Heise-Sonderheft c’t innovate 2020 als freies PDF zum Download.

ML-Anwendungen in allen Branchen

Der ML Engineer benötigt also ein sehr umfassendes Wissen. Das ermöglicht ihm, KI-basierte Systeme in unterschiedlichsten Anwendungen in Betrieb zu nehmen. Anwendungsszenarien gibt es in so ziemlich allen Branchen. Das kann die E-Commerce-Anwendung oder CRM-Plattform (Customer Relationship Management) beim Pizzaservice sein oder die intelligente Maschinensteuerung in der Fabrik. Im Online-Shop registriert das System, auf welche Produkte ein Kunde gerade geklickt hat und zeigt ihm dazu passende Produkte. Der E-Scooter-Verleiher erkennt via KI, zu welchen Tageszeiten und auf welchen Routen die meisten Scooter unterwegs sind. Und auch bei der Kontrolle des öffentlichen Personen- und Nahverkehrs hilft KI, zum Beispiel wenn es darum geht, Belastungsspitzen und Staus zu vermeiden.

Im öffentlichen Dienst, etwa bei der Polizei, könnten mit KI gefährliche Hotspots in der Stadt frühzeitig identifiziert werden. Im Gesundheitssektor macht sich künstliche Intelligenz ebenfalls nützlich, beispielsweise bei der Vorhersage der Ausbreitung einer Virenepidemie. Auch in der medizinischen Diagnostik spielt maschinelles Lernen eine entscheidende Rolle. So kann sie beim Generieren von 3D-Bildern des menschlichen Gefäßsystems auf Basis von CT- oder MRT-Aufnahmen unschätzbare Dienste leisten. Auf den hochauflösenden Bildern kann der Chirurg schon vor der Operation sehen, wo er den Schnitt setzen muss. Einerlei also, ob Medizin, Internet-Company, Fabrik, Behörde oder öffentlicher Dienst, es gibt kaum eine Branche, in der KI respektive maschinelles Lernen keine Rolle spielen würde.

Was Arbeitgeber erwarten

Dementsprechend begehrt sind gut ausgebildete Fachleute. Wer allerdings die Jobbeschreibungen in den Stellenangeboten liest, merkt schnell, dass die oben erwähnte saubere Trennung zwischen Datenanalyst und ML Engineer in der Arbeitswelt häufig ignoriert wird. Viele Arbeitgeber erwarten von den gesuchten Spezialisten, dass sie die ganze Palette der KI-Fertigkeiten mitbringen, vom Aufbau und Training einer KI-Anwendung über die regelmäßige Pflege, Anpassung und Optimierung des Systems bis hin zur Datenauswertung und Präsentation der Ergebnisse.

Das ist oftmals nicht ohne Zusatzausbildung zu leisten. Glücklich diejenigen, die gerade ein topaktuell aufgestelltes Informatikstudium absolvieren. An Studiengängen im Bereich KI bzw. ML ist kein Mangel. In der Regel ist ML Engineering ein Modul in Informatik-Studiengängen mit Masterabschluss. Diese werden unter Stichworten wie Big Data Management, Computational and Data Science oder Data Engineering and Analytics angeboten. Die Hochschule Aalen in Baden-Württemberg hat den Studiengang Machine Learning and Data Analytics eingerichtet, um nur ein Beispiel zu nennen. Abgeschlossen wird dieser Studiengang mit dem Master of Science.

Abgesehen von all den weiterführenden und spezialisierten Studiengängen gilt ein abgeschlossenes Studium in Informatik, Wirtschaftsinformatik oder auch Mathematik, Statistik, Rechnungswesen oder BWL als gute Grundvoraussetzung, gern gesehen werden natürlich auch zwei bis drei Jahre Berufserfahrung. In den Stellenbeschreibungen wird oftmals auch die Erwartung formuliert, der neue Kollege müsse logisch und zielgerichtet denken und Genauigkeit im Umgang mit den Daten beweisen. Wer einen Master of Science in der Tasche hat, sollte damit allerdings kein Problem haben. Einen ersten Überblick über die Studienangebote in Deutschland gibt es auf der Berufenet-Website der Bundesagentur für Arbeit.

Lernbereite Lehrer verdienen gut

Die Aufgabengebiete im Bereich der künstlichen Intelligenz entwickeln sich rasant weiter. Unter Experten gilt es als ausgemacht, dass nur Unternehmen, die KI-Anwendungen nutzen und diese auch dynamisch weiterentwickeln auf Dauer wettbewerbsfähig bleiben. Dementsprechend steigen die Ansprüche an die Leistungsfähigkeit der Systeme. Allein schon deshalb kann sich niemand lange auf seinem Status als KI-Guru ausruhen, vielmehr sind Dazulernen und Weiterbilden angesagt.

Solchermaßen mit Know-how ausgestattet sind auch die Chancen auf einen gut bezahlten Arbeitsplatz aussichtsreich. Nach Angaben des Freelancer-Portals Freelancermap liegt das Durchschnittsgehalt eines ML Engineers derzeit bei etwa 65.000 Euro. Je nach Arbeitgeber und Ort sind für Topverdiener schon mal bis zu 120.000 Euro drin. Viele Unternehmen locken die ML-Spezialisten ganz altmodisch mit Vergünstigungen wie vermögenswirksamen Leistungen, Fahrtkostenzuschuss oder besonders attraktiven Angeboten am Arbeitsplatz.

Jobs in der Forschung

Und wenn es kein Job beim Unternehmen oder im öffentlichen Dienst sein soll, ist vielleicht eine Tätigkeit in der Forschung interessant. Egal, ob Umwelttechnik oder Medizin, Physik oder Biologie, KI und damit ML Engineering wird in der Forschung immer wichtiger. Das war auch vor fünf Jahren schon so, doch jetzt zeichnet sich ein neuer Trend ab. Es geht nicht nur darum, Daten mithilfe von künstlicher Intelligenz schneller und intelligenter auszuwerten.

Die Technologie soll Forscher auch helfen herauszufinden, welche Hypothese experimentell erprobt werden soll und welche Experimente überhaupt sinnvoll sind. Das zumindest schreibt die Universität Tübingen zu einem Cluster of Excellence zum Thema Machine Learning. Ein anderes gerade eingerichtetes Projekt der Universität will maschinelles Lernen einsetzen, um Quanteneffekte in neuronalen Netzwerken zu untersuchen. Künstliche Intelligenz wird also fast schon selbst zum wissenschaftlichen Assistenten.

Mein Job: Maschinenlehrer

Wer Interesse, Talent und vielleicht auch schon ein wenig Erfahrung bei der intensiven Arbeit mit Bild- und Videoanalysen, Text- und Sprachverarbeitung, der Verarbeitung von Audiodaten oder der Auswertung heterogener Datenquellen mitbringt, kann den Einstieg zum ML Engineer getrost wagen. Die Breite der ML-Ausbildung ist dann nicht nur Herausforderung, sondern auch ein entscheidender Wettbewerbsfaktor, weil in der Regel sowohl Ingenieurs- als auch KI-spezifische Kompetenzen gefragt sind. Ein klarer Pluspunkt für alle praxisorientierten Maschinenlehrer, die nicht nur Algorithmen zum Laufen bringen wollen.

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