ChatGTP: Wen künstliche Intelligenzen über sich dulden

Der Mensch sprach: Lasst uns eine Intelligenz machen als unser Bild, uns ähnlich. Alles soll sie besser und einfacher machen, aber sie soll doch nicht besser sein als wir. Mit ChatGPT ist nun der Sündenfall eingetreten. Und weil wir KI nicht wieder zurück in die Tube kriegen, stellt sie uns die Sinnfrage.

Vertreibung aus der Wohlfühlzone

Von Axel Oppermann

Es ist bemerkenswert, wie leicht es ist, eine bestimmte Klientel zu verunsichern und zu mobilisieren, indem man unreflektierte Meinungen über Automatisierung und künstliche Intelligenz verbreitet. Vor allem Arbeitnehmer, die immer noch glauben, dass eine Abwesenheitsnotiz in Outlook das Maximum an automatisierter Kommunikation ist, werden laut. Es ist fast so, als hätten sie Angst, ihren Job oder ihre Privilegien zu verlieren, obwohl sie eigentlich nur dann wirklich herausgefordert werden, wenn sie sich weigern, sich weiterzubilden und ihre Fähigkeiten zu verbessern. Aber warum sich die Mühe machen, zu argumentieren, wenn es viel einfacher ist, Angst zu haben und zu diffamieren?

Denken wie Menschen

Deshalb: Die Geschichte der KI begann vor 70 Jahren mit der Idee, Maschinen könnten menschliches Denken simulieren. Alan Turing erfand den Turing-Test in den 1950er-Jahren. KI-Modelle wie neuronale Netze wurden entwickelt. Durch Big Data und Cloud-Technologie gab es einen KI-Boom, der zu Anwendungen in Bereichen wie Sprach- und Bilderkennung, autonomen Fahrzeugen, Predictive Maintenance und Personalisierung führte.

KI hat große Fortschritte gemacht und gehört heute bereits zum Alltag vieler Menschen. Virtuelle Assistenten, teilautonome Fahrzeuge, vorausschauende Wartung und personalisierte Empfehlungssysteme sind nur einige Beispiele. Doch der Urmoment der KI ist wahrscheinlich erst jetzt. Also unser Jetzt. Unsere Gegenwart. Die Gründung von OpenAI 2015 und die Markteinführung von ChatGPT und GPT werden in 50 Jahren als Durchbruch gelten.

Warum? Zum einen, weil ChatGPT die am schnellsten wachsende App aller Zeiten ist. Laut OpenAI ist ChatGPT schneller als TikTok und Instagram gewachsen. Fünf Tage nach dem Start hatte ChatGPT bereits eine Million Nutzer, im Dezember 2022 waren es 57 Millionen und im Januar 2023 sogar 100 Millionen. Zum anderen deshalb, weil ChatGPT und GPT sich in nahezu alle Prozesse in allen Industrien in irgendeiner Form integrieren lassen und so die Art und Weise verändern, wie Wirtschaft funktioniert. Und drittens: Die unerwartete Dominanz von ChatGPT hat die gesamte IT-Branche in Aufruhr versetzt und zu einer überraschenden Kehrtwende bei Unternehmen wie Google geführt, die nun endlich ihre bereits vorhandenen (marktreifen) generativen KI-Lösungen auf den Markt bringen. Und das, obwohl sie diese zuvor zurückgehalten hatten, um ihr eigenes Geschäftsmodell zu schützen.

Thema: Künstliche Intelligenz

MW-Fotolia 102960839-square.jpg

Momentan dreht sich alles um ChatGTP. Für die Zeit davor gibt eine Einführung einen ersten Überblick über den Stand der Technologien, die Fortsetzungen skizzieren praktische Einsatzgebiete für KI, insbesondere in der Industrie. Für den Lebenslauf könnten die Ratgeber zur KI-Studienstrategie bzw. zum KI-Studium (auch in Kombination mit Robotik) sowie zum Berufsbild Machine Learning Engineer und zum KI-Manager nützlich sein.

Extrabeiträge untersuchen, wie erfolgreich Computer Computer hacken, ob und wann Vorbehalte gegen KI begründet sind und warum deshalb die Erklärbarkeit der Ergebnisse (Stichwort: Explainable AI bzw. Erklärbare KI) so wichtig ist. Hierher gehört außerdem der Seitenblick auf Maschinenethik und Münchhausen-Maschinen. Als weitere Aspekte beleuchten wir das Verhältnis von KI und Vorratsdatenspeicherung sowie die Rolle von KI in der IT-Sicherheit (KI-Security), fragen nach, wie Versicherungen mit künstlicher Intelligenz funktionieren, hören uns bei den Münchner KI-Start-ups um und sehen nach, was das AIR-Projekt in Regensburg vorhat. Ein Abstecher führt außerdem zu KI-Unternehmen in Österreich.

Auf der rein technischen Seite gibt es Berichte zu den speziellen Anforderungen an AI Storage und Speicherkonzepte bzw. generell an die IT-Infrastruktur für KI-Anwendungen. Außerdem erklären wir, was es mit AIOps auf sich hat, und im Pressezentrum des MittelstandsWiki gibt es außerdem die komplette KI-Strecke aus dem Heise-Sonderheft c’t innovate 2020 als freies PDF zum Download.

Lesen und schreiben

GPT steht für „Generative Pre-trained Transformer“ und ist ein Ansatz, Texte mit künstlicher Intelligenz zu erzeugen, der auf einem tiefen neuronalen Netzwerk basiert und eine Vielzahl von Sprachmodellen umfasst, die darauf trainiert sind, Texte in natürlicher Sprache zu erzeugen. Neuronale Netzwerke sind ein Teilbereich der KI, sie basieren auf der Struktur und Funktion des menschlichen Gehirns, sie sollen auf diese Weise komplexe Aufgaben wie Sprach- oder Bildverarbeitung lösen. Ein bereits klassisches Beispiel ist die Anwendung in der Gesichtserkennungstechnologie – ein neuronales Netz lernt aus einer großen Menge von Fotos, um dann neue Gesichter zu erkennen und zu klassifizieren.

GPT ist ein Large Language Model (LLM) von OpenAI, das für die automatische Textgenerierung und -verarbeitung verwendet werden kann – automatische Übersetzungen, Zusammenfassungen von Texten oder das Verfassen von Artikeln und Essays. Solche LLMs sind eine Art künstliche Intelligenz, die in der Lage ist, Texte zu erzeugen, die wie von Menschen geschrieben sind. Sie basieren auf tiefen neuronalen Netzen und trainieren sich selbst, indem sie riesige Mengen an Texten verarbeiten. GTP kann per API eingebunden werden, sodass die Software-Entwicklung es in ihre Anwendungen integrieren kann.

ChatGPT wiederum ist eine spezielle Chatbot-Software, die auf dem GPT-Modell basiert und für die Interaktion mit Usern in einem Chat-Format optimiert ist. ChatGPT ist auf Sprachanwendungen spezialisiert, z. B. Code-Generierung, Textzusammenfassung, Sprachübersetzung, Klassifizierung, Chatbot-Erstellung und Grammatikkorrektur oder Bildbeschriftung. In diesem Kontext ist jedoch wichtig: ChatGPT kann nicht zwischen Fakt und Fiktion unterscheiden. Insofern sind ChatGTP Grenzen gesetzt, wenn es darum geht, die klassischen Suchmaschinen zu ersetzen. In den Bereichen informatives Suchen und Transaktionssuche könnte ChatGPT jedoch langfristig konkurrieren.

ITKarriere 2023 01.jpg

Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag ist zuerst in unserer Magazin­reihe „IT & Karriere“ erschienen. Einen Über­blick mit freien Down­load-Links zu sämt­lichen Einzel­heften be­kommen Sie online im Presse­zentrum des MittelstandsWiki.

Verbinden und verstehen

Die bekanntesten LLMs sind derzeit GPT-2, GPT-3 und seit März 2023 GPT-4 von OpenAI. Sie sind spezielle Modelle, die auf die Texterzeugung spezialisiert sind. Sie könnten in der Medizin, der Finanzwelt und anderen Bereichen Dienste tun. Allerdings haben LLMs auch Einschränkungen. Sie benötigen enorme Mengen an Daten und enorme Rechenleistung, haben aber Schwierigkeiten, kontextuelle Nuancen zu verarbeiten und allgemeines Wissen anzuwenden. Es besteht auch das Risiko von Fehlern und Verzerrungen aufgrund von Voreingenommenheit in den Trainingsdaten.

Insgesamt können LLMs als Teil der breiteren Kategorie von Generative AI angesehen werden. Sie könnten die Art und Weise zu verändern, wie Menschen arbeiten und kommunizieren, indem sie Prozesse automatisieren, Effizienz steigern und neue Möglichkeiten eröffnen. Aber es gibt auch Einschränkungen und Risiken, wie die Verbreitung von Fehlinformationen, die Manipulation von Inhalten und die Abhängigkeit von der Technologie, die bei der Anwendung berücksichtigt werden müssen. Ein LLM kann falsche oder voreingenommene Informationen generieren, die dazu führen können, dass Menschen falsche Entscheidungen treffen oder vertrauenswürdige Informationen missverstehen. Wie gesagt: ChatGPT kann nicht zwischen Fakt und Fiktion unterscheiden. Die Abhängigkeit von LLMs kann auch dazu führen, dass menschliche Fähigkeiten wie Kreativität und kritisches Denken verkümmern, ebenso Sprachverständnis und Schreibkompetenz.

KI kann also praktisch alles. In der Finanzbranche beantwortet ChatGPT Anfragen und informiert über neue Angebote. Im Einzelhandel unterstützt die KI-Plattform bei der Produktsuche und gibt Empfehlungen. Im Gesundheitswesen hilft sie bei Diagnose und Behandlung von Krankheiten und verbessert die Interaktion zwischen Patienten und Ärzteschaft. ChatGPT steigert die Effizienz in Produktion und Logistik und kann Lieferengpässe vorhersagen. KI-basierte Technologien könnten in der Arbeitswelt Zeit sparen und die Effizienz steigern – und zugleich Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung fördern.

Microsoft in der Offensive

Die Palette der Einsatzszenarien für ChatGPT bzw. GPT ist breit. Insbesondere, aber nicht nur, bei Microsoft-Produkten. Denn Microsoft plant, ChatGPT von OpenAI 2023 massiv einzusetzen. Der OpenAI-Investor setzt auf KI durch OpenAI, um die Azure-Consumption zu steigern, Kunden im Bereich Office zu binden und den Share of Wallet in allen Branchen insbesondere durch Industry-Clouds zu erweitern. Durch die Integration von (und mit) OpenAI schafft Microsoft ein führendes Portfolio in den Bereichen Physical World (Sensoren und Edge), Connectivity (Azure IoT), Data (u. a. Azure Synapse Analytics), Intelligence, Modeling (Digital Twins), Cognitive, Logic (Power Platform) und Business Process (Dynamics 365).

ChatGPT soll in Office 365 die E-Mail-Bearbeitung und die Dokumentenerstellung vereinfachen. Hierzu wird in die Office-365- bzw. Microsoft-365-Apps ein sogenannter Copilot integriert. Microsoft 365 Copilot ist eine KI-unterstützte Funktion, die in Anwendungen wie Word, Excel, PowerPoint, Outlook, Teams und Power Platform integriert ist. Der Copilot nutzt natürliche Sprache und Unternehmensdaten, um personalisierte Vorschläge und Automatisierungen anzubieten.

Die Integration der OpenAI-Technologie in GitHub Copilot gibt Microsoft einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Konkurrenten wie GitLab und Atlassian. Mit Microsoft Designer, das das DALL·E-2-Modell von OpenAI nutzt, könnte sich in Zukunft eine Alternative zu Bildbearbeitungsprogrammen wie Canva oder Adobe ergeben. Das Davinci-Modell von OpenAI kann auch zur Entwicklung von Spieleanwendungen verwendet werden. Dynamics 365 Copilot bietet interaktive Unterstützung für Geschäftsfunktionen, indem es Aufgaben automatisiert. Die Power Platform bietet Entwicklern und Endbenutzern neue Möglichkeiten, KI im Arbeitsfluss zu nutzen.

Microsoft hat ein Framework für die verantwortungsvolle Implementierung von AI-Technologien entwickelt und geht damit einen konsequenten Schritt in Richtung Business-Anwendungen einer neuen Ära, in der KI eine entscheidende Rolle spielen wird.

Unbequeme Veränderungen

Keine Innovation ohne Ängste, Sorgen, Einwände und Vorwände. Vorweg sei gesagt: Die Diskussion, ob KI oder ChatGPT Arbeitsplätze gefährdet oder nicht, wird keine befriedigende Antwort liefern. Diese Diskussion wiederholt sich bei fast jeder neuen Technologie: beim Internet, bei Industrierobotern und bei Fließbändern. Immer wurde geklagt, Arbeitsplätze gingen verloren und der Wohlstand sei gefährdet. Und immer war das Gegenteil der Fall. Bei der Diskussion um KI geht das sogar meilenweit am Thema vorbei.

Menschen, die Probleme mit Veränderungen haben, sollten sich zunächst fragen, ob sie in Zukunft oberhalb oder unterhalb des Algorithmus arbeiten wollen. Dann sollten sie sich fragen, ob sie mit ihrer derzeitigen und zukünftigen Situation zufrieden sind. Sie sollten sich fragen, ob sie mit oder gegen den Algorithmus arbeiten wollen; ob künstliche Intelligenz aus ihrer Sicht eine Gefahr sind. Wenn sie gegen den Algorithmus arbeiten wollen, müssen sie nichts ändern. Sie werden sich ins Abseits entwickeln. Die Stichworte, die sie nachschlagen sollten, sind: Job Simplification, Job Stripping, Job Narrowing und Job Impairment – lauter Formen einer „Arbeitserleichterung“, die derselben Logik folgt, wie das Sprichwort, das kleinen Kindern behutsam Messer, Gabel, Schere, Licht aus der Hand nimmt. Veränderungsunwillige, die das nicht wollen, sollten sich überlegen, was sie tun müssen, um in Zukunft oberhalb des Algorithmus zu arbeiten.

KI-positiv eingestellte Personen sollten sich hingegen fragen, wie sie von ChatGPT und dergleichen profitieren können und wie sie die Technologie in ihren Arbeitsalltag integrieren und sich und ihre Arbeitsweise weiterentwickeln können. Ihr Ziel muss es sein, oberhalb des Algorithmus zu arbeiten. Oberhalb des Algorithmus arbeiten bedeutet, ihn als Werkzeug zu nutzen, um die eigene Arbeit innovativer und effektiver zu gestalten, statt von ihm dominiert zu werden.

Oberhalb des Algorithmus könnten die Beschäftigten kreativ und frei sein, indem sie den Algorithmus als Werkzeug nutzen, das ihre Arbeit effektiver und innovativer macht. Es bedeutet, den Algorithmus zu kontrollieren und ihm Anweisungen zu geben, es bedeutet, so zu arbeiten, wie es den eigenen Bedürfnissen entspricht. Im Gegensatz dazu bedeutet unterhalb des Algorithmus, dass dieser den Arbeitsprozess dominiert und die Beschäftigten in eine vorgegebene Rolle zwingt. Dadurch geht die Entscheidungsfreiheit verloren, was zu einem Verlust an Kreativität und Innovation führen kann. Es ist daher wichtig, den Algorithmus als Werkzeug zu gestalten, das dem Menschen dient und ihm die Freiheit gibt, Arbeit kreativ und innovativ zu erledigen.

Menschen, die in Zukunft über dem Algorithmus arbeiten wollen, sollten ihre Fähigkeiten in den Bereichen stärken, in denen Algorithmen noch nicht effektiv sind, wie z. B. Kreativität, Empathie, menschliche Interaktion und strategisches Denken. Darüber hinaus sollten sie lernen, wie man Daten und Algorithmen interpretiert, um die Entscheidungsfindung zu verbessern und sicherzustellen, dass diese Mittel fair und ethisch eingesetzt werden. Dazu gehört das Verständnis von Algorithmen und deren Grenzen sowie eine kritische Denkweise und die Fähigkeit, sich an neue Technologien und Trends anzupassen.

Axel Oppermann 2013.jpg

Axel Oppermann berät seit über 17 Jahren als IT-Markt­analyst Technologie­unternehmen in Strategie- und Marketing-Fragen. Er arbeitet beim Beratungs- und Analysten­haus Avispador, schreibt für diverse Blogs, Portale, Fach­zeitschriften und kommentiert in diversen Bewegt­bild­formaten aktuelle Themen sowie den Markt. Als Gesprächs­partner für Journalisten und Innovatoren bringt Axel erfrischend neue Ansichten über das Geschehen der digITal-Industrie in die Diskussion ein. Seine viel­fältigen Erkenntnisse gibt Axel in seinen kontroversen, aber immer humor­vollen Vorträgen, Seminaren, Work­shops und Trainings weiter. Seine Themen: Digital & darüber hinaus.

Nützliche Links