Digitale Innovationen verändern die Pharmabranche grundlegend. Boehringer Ingelheim hat mit BI X ein eigenes Technologielabor gegründet, das als unabhängige GmbH im Konzern agiert. BI X beschleunigt mit KI-Prototypen die Medikamentenentwicklung deutlich.
Im „heise meets …“-Podcast gibt Christian Tressel, CEO von Boehringer Ingelheim X (BI X), Einblicke in die Arbeit des digitalen Innovationslabors. Die etwa 80 Mitarbeiter aus über 20 Nationen arbeiten an drei Standorten in Deutschland, China und den USA an Technologielösungen für die gesamte pharmazeutische Wertschöpfungskette.
Klinische Studien: KI-Modelle reduzieren Entwicklungszeiten drastisch
Ein Hauptfokus liegt auf der Beschleunigung klinischer Studien. BI X hat ein KI-Modell entwickelt, das auf historischen klinischen Daten basiert, um den Kontrollarm einer Studie – die Placebo-Gruppe – virtuell nachzubilden. „Wir haben bereits Virtualisierungsraten von bis zu 50 Prozent erreicht“, erklärt Tressel.
Der Zeitgewinn ist beachtlich: „Wir gehen von einem Potenzial von zwei bis vier Jahren Zeitersparnis aus“, so der CEO von BI X. Besonders wertvoll sei dieser Ansatz im Bereich seltener Erkrankungen und der Onkologie, wo die Rekrutierung von Patienten für Studien eine große Herausforderung darstellt.
Generative KI: Spezialisierte Modelle identifizieren Wirkstoff-Targets
Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der Anwendung generativer KI in der pharmazeutischen Forschung. BI X hat ein Large-Language-Modell mit Proteindaten trainiert, um potenzielle Zellmembran-Anker zu identifizieren. Diese Ankerpunkte im Körper entscheiden über die Wirksamkeit von Medikamenten. Die KI-Lösung erhöhe die Erfolgsquote bei der Auswahl vielversprechender Kandidaten, so Tressel.
Die Arbeitsweise bei BI X unterscheidet sich bewusst vom Konzern. „Wir versuchen, in selbstregulierten Arbeitsstrukturen zu arbeiten. Also nicht klassische Hierarchien aufzubauen, sondern möglichst viel auf Autonomie und dezentrale Entscheidungen zu setzen“, betont Tressel. Um Freiräume für Innovationen zu schaffen, arbeitet das Team oft mit synthetischen Daten statt mit realen Patientendaten.
Für die Zukunft sieht Tressel großes Potenzial in der kontinuierlichen Erfassung von Biomarkerdaten durch smarte Geräte. Dies könnte zu einer früheren Erkennung von Krankheiten führen und den Behandlungserfolg verbessern. Langfristig könnten sogar Nano-Devices zum Einsatz kommen, die in der Blutbahn zirkulieren und permanent Gesundheitsdaten erfassen.