All-IP: Wie die Telefonie-Migration auf All-IP klappt

Nicht mehr lange, dann wird auch der letzte analoge Telefon­anschluss Geschichte sein. Die Telekom stellt bereits eifrig auf All-IP-Kommuni­kation um. Für die meisten jüngeren Telefon­anlagen sollte das kein Problem sein. Es gibt für Unter­nehmen aber inter­essante Varianten, etwa eine PBX aus der Cloud.

Grundlage ist ein VoIP-fähiges LAN

Von Doris Piepenbrink

Die Deutsche Telekom stellt ihr Zugangsnetz nach und nach komplett auf DSL-Technik um. In absehbarer Zeit wird es dort nur noch Kommunikation auf IP-Basis geben. Unternehmen sollten die Umstellung auf All-IP jetzt angehen, damit sie nicht unter Druck geraten und eine teure Übergangslösung installieren müssen.

Genuine Unified Communications

Unabhängig davon, auf welche Anbindung und welchen Provider ein Unternehmen migriert – es kann den eigenen Rufnummernblock weiter nutzen. Die Sprachqualität ist bei All-IP-Übertragungen mittlerweile stabil. Bei Verwendung von HD-Voice nach G.722 ist sie sogar besser als bei ISDN-Verbindungen.

Mit der Umstellung auf All-IP wird die Telefonie außerdem deutlich flexibler: Eine Telefonnummer lässt sich auf verschiedene Gerätetypen und Arbeitsplätze oder Standorte umleiten. Für Firmen bedeutet das, dass sie in vollem Umfang Lösungen für Unified Communication and Collaboration (UCC) einsetzen können, die in der Regel alle IP-basiert arbeiten. Das Ausfallrisiko lässt sich minimieren, indem ein Rufnummernblock auf mehrere Server und Standorte verteilt wird. Und verschlüsselte Übertragungen über das IP-Netz bieten zudem mehr Sicherheit als Gespräche im Festnetz.

Probleme bereiten allerdings ISDN-Sonderdienste wie Gegensprechanlagen, Brandmeldeanalgen, Frankiermaschinen, Aufzugsysteme, Alarmanlagen sowie das Faxen. Hier müssen IP- oder mobilfunkbasierte Alternativen gefunden werden. Zudem können Analog- oder auch DECT-Geräte über entsprechende Adapter in das IP-Netz eingebunden werden.

Kommunikation-und-Netze-1-2016.jpg

Schwarz auf Weiß
Dieser Bei­trag erschien zu­erst in unserer Magazin­reihe „Kom­munika­tion und Netze“. Einen Über­blick mit Down­load-Links zu sämt­lichen Einzel­heften be­kommen Sie online im Presse­zentrum des MittelstandsWiki.

VoIP-fähiges LAN als Basis

Damit die Session-basierte IP-Telefonie im LAN störungsfrei funktioniert, muss dafür ausreichend Bandbreite reserviert sein, etwa über eine Priorisierung per VLAN. Viele Provider raten zu einem eigenen VLAN für die Sprachkommunikation. Damit genügend Bandbreite zur Verfügung steht, sollte das LAN durchgängig mindestens für 100 MBit/s ausgelegt sein. Bei der Einbindung eines WLANs ist es wichtig, dass die Access Points 802.1q (VLANs) und 802.1p (Quality of Service) unterstützen.

Da die Telefonie im LAN integriert ist, hängt ihre Verfügbarkeit direkt von der des LANs ab. Das heißt: Es sollte auf jeden Fall redundant aufgebaut sein, mit mehreren Verbindungen zum IP-Netz des Betreibers. Zudem sollten alle aktiven Netzkomponenten wie Switches, Router und die TK-Anlage mit einer unterbrechungsfreien Stromversorgung abgesichert sein. Das bietet sich auch für IP-Telefone mit PoE-Versorgung (Power over Ethernet) an.

Auf Kompatibilität achten

Fast alle Provider haben mehrere Möglichkeiten im Programm, um die Unternehmenstelefonie auf All-IP umzustellen. Oft kann man sogar die vorhandene TK-Anlage weiter verwenden. Bei einer reinen ISDN-Anlage gibt es zwar entsprechende Adapter zur Anbindung an ein IP-Netz, aber der Leistungsumfang würde sich so schmälern, dass das keine befriedigende Lösung ist. Andererseits haben viele TK-Anlagenhersteller ihre ISDN-Modelle bereits für IP-Technik vorbereitet und bieten entsprechende Module oder Line Cards zur Umstellung auf IP an. Allerdings muss diese Lösung nicht unbedingt kompatibel zum Vermittlungssystem des Providers sein.

Grundsätzlich unterscheiden sich IP-basierte TK-Anlagen sowohl im Funktionsumfang als auch bei der Protokollunterstützung oft ganz erheblich. Selbst die standardisierte SIP-Übertragung ist nicht wirklich einheitlich und führt zu Inkompatibilitäten. Der Provider M-net beispielsweise gibt in seinen Technical Notes zum SIP-Trunking genau an, welche TK-Anlage mit welchem Software-Release wie weit unterstützt wird.

Anbindung per SIP-Trunking

Eine bestehende IP-TK-Anlage lässt sich per SIP-Trunking an das Provider-Netz anbinden. Ein SIP-Trunk bündelt für einen Rufnummernblock und für eine definierte maximale Anzahl an parallelen Rufen die Verbindung zwischen dem Mediation-Server der TK-Anlage und dem SBC (Session Border Controller) am Übergabepunkt zum Provider-Netz. Eine entsprechende Firmware auf dem Mediation-Server und dem SBC regelt dabei die Kommunikation zwischen den beiden Komponenten.

KommRZ1.2016.ID06 Bild1 Sip-Trunk.jpg
Verfügt die TK-Anlage über einen WAN-Port, wird der SIP-Trunk an einem separaten Voice-Port des WAN-Routers ausgekoppelt und kann über eine direkte LAN-Verbindung zum WAN-Port der TK-Anlage geführt werden. (Bild: QSC)

Der SIP-Trunk des Providers kann zum einen über die Internet-Anbindung des Unternehmens geführt werden. In diesem Fall muss die TK-Anlage mit einer Firewall und/oder einem zusätzlichen Enterprise Session Border Controller (E-SBC) vor Internet-Angriffen geschützt werden. Dabei bleibt ein Port für den Voice-Stream offen. Besitzt die TK-Anlage einen separaten WAN-oder NG-Port, kann auch dieser direkt mit einem Voice-Port des WAN-Routers (Provider) verbunden werden. Die Internet-Daten laufen wie gewohnt über die vorhandene Firewall, die in diesem Fall auch nicht umkonfiguriert werden muss. Die Sprach-Sessions gehen über die direkte Verbindung zwischen Voice-Port und TK-Anlage.

KommRZ1.2016.ID06 Bild2 SIP-Trunk-Redundanz-.jpg
Bei einer Anbindung per SIP-Trunk lässt sich eine durchgängige Redundanz ohne Single Point of Failure realisieren. (Bild: QSC)

Für die Anbindung per SIP-Trunk ist entscheidend, dass TK-Anlage und Vermittlungssystem kompatibel sind. Ist dies der Fall, muss festgelegt werden, in welchen Schritten und mit welchen Schutzmechanismen (Schutzbedarfskategorien gemäß BSI) umgestellt werden soll. Grundsätzlich lässt sich dabei jeder Single Point of Failure beseitigen. Das ist bei einem klassischen ISDN-Anschluss selbst bei Mehrfachabstützung in diesem Maße nicht möglich.

Die Umstellung der TK-Anlage auf SIP-Trunking ist in der Regel ein Projektgeschäft und sollte von Fachleuten geplant und ausgeführt werden. Wenn das Zusammenspiel von TK-Anlage und Vermittlungssystem einmal läuft, wird die Verwaltung einfacher, weil die Telefonie dann ein Teil des LANs ist.

Flexibel über die Cloud

Wer sich diesen Aufwand nicht antun möchte oder wessen Wartungsvertrag für die TK-Anlage sowieso gerade ausläuft, der kann auf Cloud-basierte Telefonie umsteigen. Diese Variante ist sehr flexibel, und das ohne Investition in teure Hardware. Wenn die Sicherheitsaspekte und die Einbindung von individuellen Besonderheiten geklärt sind, ist die Cloud-basierte TK-Anlage eines Providers – oft auch „Central PBX“ oder „IP-Centrex“ genannt – eine skalierbare Platform as a Service für praktisch alle Unternehmensgrößen.

Bild 3 Cloud Anschlussmoeglichkeiten.jpg
All-IP aus der Cloud ermöglicht vielfältige Anschlussgeräte und Netzanbindungen. (Bild: Nfon)

Die Anzahl der verwendeten Accounts lässt sich individuell und bedarfsgerecht gestalten. Zudem hat der Anwender die Möglichkeit, andere Cloud-Anwendungen, etwa eine Videokonferenz– oder Groupware-Lösung, mit der TK-Anlagenfunktion zu verbinden. Die Abrechnung erfolgt in der Regel nach dem Pay-per-Use-Prinzip. Alle Anbieter versprechen, dass sich damit die Telefonkosten gegenüber einer herkömmlichen Anbindung per ISDN deutlich senken sollen. Der Kunde benötigt eine redundante Web-Anbindung und ein auf Voice over IP vorbereitetes LAN. Home Offices sowie kleine Filialen benötigen einen IP-fähigen Router.

KommRZ1.2016.ID06 Bild4 -public-vs-private.jpg
Die Anbindung zwischen Unternehmensrouter und Provider-Netz kann über eine Standleitung bzw. MPLS als Privat Cloud erfolgen und/oder über das Internet als Public Cloud. (Bild: Nfon)

Kriterien der Providerwahl

Bei dieser Lösung liegen verschlüsselte Kommunikation, Datensicherheit und Schutz der Personendaten, zusätzliche Dienste oder Software-Updates in der Hand des Providers. Deshalb ist ein umfassendes Sicherheits– und Verfügbarkeitskonzept des Providers unverzichtbar. Darüber hinaus sollte ein ITK-Verantwortlicher bei der Auswahl des Anbieters darauf achten, dass dieser seinen Sitz in Deutschland hat und nach den Richtlinien des Telekommunikationsgesetzes (TKG) sowie nach dem deutschen Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) handelt. Um die Hochverfügbarkeit des Netzes zu gewährleisten, sollte er eine Autonome Systemnummer (AS-Nummer) wie ein ISP vorweisen können und zum Beispiel vom TÜV zertifiziert sein – und keinesfalls dem US-amerikanischen Patriot Act unterliegen. Da man sich gerade bei Spezialanpassungen langfristig an diesen Dienstleister bindet, sollte man nicht gerade ein Start-up wählen und sich Referenzen zeigen lassen. Diese Kriterien sind auch für SIP-Trunking-Anbieter keine schlechte Grundlage.

Je nach Größe und Sicherheitsbedürfnis kann man sein LAN nicht übers Internet, sondern direkt mit dem Rechenzentrum des Providers verbinden (Private Cloud), etwa über eine Ethernet- oder eine MPLS-Verbindung. Da die Telekom in Deutschland das größte Netz hat, ist hier der Direktanschluss am einfachsten möglich. Gehärtete Firewall-Lösungen sind bei Cloud-Anbietern Standard. Einige Provider bieten zudem eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung vom Telefon bis zur Cloud-TK-Anlage an.

Umstellung und Integration

Ist das LAN entsprechend vorbereitet, funktioniert die Umstellung der Telefonie im LAN wie der Wechsel einer klassischen Telefonanlage. Der Administrator legt die Teilnehmer über eine webbasierte Oberfläche auf der Anlage an, verteilt die zugehörigen Endgeräte, schließt sie an und konfiguriert sie. Dann werden die Rufnummern von der alten TK-Anlage auf die neue umgestellt. Hier kommt es darauf an, wie weit der Anbieter seinen Inbetriebnahmeprozess entwickelt hat. Im Idealfall bekommt jeder User sein Endgerät aus der Gesamtlieferung, und nach der Eingabe eines Benutzernamens und eines Passworts zieht sich das Gerät die für den User vorgesehene Konfiguration selbst.

Spezielle Anpassungen oder die Einbindung von vorhandenen Geräten sind wie beim SIP-Trunking individuell zu lösen. Wie dort lassen sich zum Beispiel DECT-Telefone über entsprechende Adapter weiter nutzen. Für Faxdienste haben alle Provider eine Software-Lösung im Angebot. Viele Anbieter im Business-Bereich integrieren analoge Endgeräte und analoge Faxgeräte über Analogadapter. Die Anbieter entwickeln in der Regel in enger Abstimmung mit dem Kunden auch Lösungen für die Einbindung von vorhandenen Anlagen, Geräten und Notrufsystemen.

Hybride Lösungen

Da heute fast alle Provider sowohl Cloud-basierte TK-Anlagen sowie SIP-Trunking im Programm haben, kann eine bestehende IP-TK-Anlage weiter betrieben werden. Andere Liegenschaften werden dann über die Cloud angebunden. Ist die vorhandene Anlage kompatibel zur TK-Anlage des Netzbetreibers, ist sogar eine Hybrid-Lösung möglich. Dann können die beiden TK-Anlagen zum Beispiel Besetztlampenfeld-, also Präsenzinformationen austauschen und Rufe zwischen den Anlagen als interne Calls behandeln. Doch TK-Anlagen sind sehr individuelle Geräte. Die Hersteller haben dafür viele und sehr unterschiedliche Software-Releases entwickelt. Deshalb sind hybride Lösungen immer Projektgeschäft.

Nützliche Links