Best-Practice-Breitband Arnsberg

Weitblick sorgt für NGA-Internet

Von Dr. rer. nat. Jürgen Kaack, STZ-Consulting Group

Die Stadt Arnsberg hatte schon vor der Durchführung des Breitbandprojekts eine mehrheitlich gute Versorgung in den Wohngebieten, insbesondere durch eine weitgehende Abdeckung mit dem Kabel-TV-Netz von Unitymedia. Mit der Umstellung auf den Standard DOCSIS 3.0 (Data Over Cable Service Interface Specification) sind damit in weiten Teilen der Stadt 128 MBit/s im Downstream verfügbar. Um aber Versorgungslücken in der Kernstadt zu beseitigen und die Gewerbegebiete mit zukunftssicherer Bandbreite auszustatten, hatte Bürgermeister Hans-Josef Vogel nach der Zuweisung der Mittel aus dem Konjunkturpaket II entschieden, einen Großteil für den weiteren Gastbeitrag:Breitbandausbau im Stadtgebiet einzusetzen.

Im Gebiet der Kernstadt waren nur noch zwei kleinere Wohngebiete schlecht versorgt (mit deutlich unter 1 MBit/s). Da diese Regionen recht klein sind und umgeben von Gebieten, die durch Unitymedia bereits gut versorgt waren, war es absehbar, dass es schwierig sein würde, einen anderen Betreiber für den Ausbau zu gewinnen. Andererseits ist ein Ausbau mit einem Kabel-TV-Ansatz teuer, da in jede der zu versorgenden Straßen über Tiefbauarbeiten Koaxialkabel verlegt werden müssten.

Die Stadt Arnsberg beherbergt außerdem eine ganze Reihe von Gewerbegebieten. Da diese in der Vergangenheit von Kabel-TV-Anbietern mangels eines passenden Diensteangebotes nicht versorgt worden waren, blieb auch in den meisten Gewerbegebieten Arnsbergs die Breitbandversorgung unzureichend.

Szenarien in der Analyse

Mit dieser Ausgangslage startete das Breitbandprojekt. Zusammen mit dem Projektleiter der Stadt erarbeitete die Beratung zunächst ein Konzept für die Umsetzung, das konkrete Einzelmaßnahmen definierte. Da sich in der zuvor durchgeführten, allgemein gehaltenen Markterkundung keine Betreiber mit konkreten Konzepten gemeldet hatten, wurden zunächst Workshops mit interessierten Betreibern durchgeführt, um Interessen und Voraussetzungen für einen Ausbau zu klären.

Es galt zunächst, Informationen über die Struktur der Unternehmen (z.B. Branche, Größe) zusammenzustellen und in den Gewerbegebieten zu überprüfen, ob und welche Infrastruktur nutzbar wäre. Auch die Möglichkeiten der Bandbreitenzuführung in die einzelnen Gebiete über vorhandene Infrastrukturen wurden analysiert.

Diese Schritte waren notwendig, um einerseits die Kosten für einen Ausbau niedrig zu halten und andererseits die Attraktivität für den Breitbandausbau aus Sicht des Netzbetreibers zu steigern.

Viele interessierte Betreiber

Als Ergebnis der Workshops lagen unterschiedliche technische Konzepte für einen Ausbau vor, die von einer Funkversorgung über einen „klassischen“ Fiber-to-the-Curb-Ausbau bis zu Direktanbindungsansätzen mit Glasfaser oder Koaxialkabel reichten.

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Die STZ-Consulting Group ist eine Unternehmens­beratung, die Unternehmen und Kommunen bei der Bewältigung von Veränderungs­prozessen unterstützt, von der Entwicklung trag­fähiger Konzepte bis zur Um­setzung. Die Partner der STZ-Consulting Group haben lang­jährige Erfah­rungen aus eigener operativer Führungs­tätigkeit in Unter­nehmen, aus der Gründung und dem Aufbau von Unter­nehmen sowie in der Beratung. Ein Branchen­schwerpunkt liegt in der Tele­kommunikation.


Dr. Jürgen Kaack – STZ-Consulting Group, Kolibristr. 37, 50374 Erftstadt, Tel. 02235-988776, info@stz-consulting.de, www.stz-consulting.de.

Mit diesen Erkenntnissen entschied man auf Anregung der Berater in internen Diskussionen, die unterversorgten Wohngebiete im Kernstadtbereich über das Angebot einer Zuwendung zur Deckung einer Wirtschaftlichkeitslücke auszuschreiben. Auch für drei Gewerbegebiete sollte der Ausbau über den Ausgleich der Wirtschaftlichkeitslücke erfolgen. Dann wurden die Gewerbegebiete ausgewählt, in denen ein NGA-Netz (Next Generation Access) aufgebaut werden sollte.

Damit betrat Arnsberg einerseits Neuland, andererseits legte es mit einer flexiblen Auslegung der nötigen Bandbreiten einen zukunftssicheren Grundstein. Denn während der Ausbau gegen Ausgleich einer Wirtschaftlichkeitslücke bei vielen Breitbandprojekten bereits erprobt und erfolgreich umgesetzt ist, gibt es für den Aufbau von NGA-Netzen in Gewerbegebieten noch nicht viele Vorbildprojekte.

Offen für Technologie-Inhalte
Aus Sicht der Stadt war klar, dass die eigene Leistung mit der Bereitstellung der passiven Infrastruktur aus Kabelschutzrohren enden würde. Der Betrieb von aktiver Technik durch „Beleuchten“ einer Glasfaser erfordert zusätzliche Erfahrungen und Ressourcen. Selbst wenn man nur eine unbeleuchtete Faser (Dark Fiber) einzieht, kann es durch unterschiedliche Glasfasertypen Akzeptanzprobleme bei der Nutzung geben. Die Beschränkung auf das reine Leerrohr bringt zudem den Vorteil, dass eine gewisse Technologieneutralität gewahrt bleibt – schließlich können sowohl Glasfaser- als auch Koaxialkabel eingezogen werden.

Leerrohre zu vermieten

Damit der Bau der passiven Infrastruktur nicht zu einer längerfristig ungenutzten Investitionsruine führt, wurde entschieden, noch vor der Ausschreibung für den Tiefbau und die Leerrohrverlegung nach späteren Nutzern zu suchen. Hierfür wurde eine öffentliche Ausschreibung durchgeführt, die der Suche des aus wirtschaftlicher Sicht für die Stadt attraktivsten Betreibers diente. Neben den wirtschaftlichen Aspekten wurden Kriterien für die Angebotsauswahl aufgestellt, die helfen sollten, das technische und betriebliche Konzept des Betreibers sowie die Nachhaltigkeit der Lösung im Vergleich zu bewerten.

Neben attraktiven FTTB-Konzepten zum Ausbau mit Glasfaser bis zum Hausanschluss (Fiber to the Building) wurde die Verlegung von Koaxialkabeln durch die Leerrohre vorgeschlagen. Im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit war dieses Konzept für die Stadt Arnsberg das günstigste, und auch für die Unternehmen stellt die Preisstellung eine attraktive Alternative zu anderen Geschäftskundenprodukten dar.

Thema: Breitbandausbau

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Dr. Jürgen Kaack hat eine Reihe von Projekten als Berater begleitet. Einige aus der Region Nordrhein-Westfalen stellt er ausführlicher als Best-Practice-Beispiele vor: Arnsberg, Ennepetal, Erftstadt, Erkelenz und Wegberg sowie die Lage im gesamten Kreis Heinsberg, ferner Geilenkirchen, Haltern am See, Kaarst, Nettetal und Rheurdt. Außerdem berichtet er von der T-City Friedrichshafen, erläutert die möglichen Geschäftsmodelle im kommunalen Breitbandausbau sowie die Optionen der NGA-Rahmenregelung und setzt auseinander, wo Vectoring seine Haken hat. Nicht zuletzt skizziert er die Prinzipien einer Breitbandstrategie NRW und macht handfeste Vorschläge für eine umfassende Breitbandstrategie.
Seine gesammelten Erfahrungen sind 2016 in der Reihe MittelstandsWiki bei Books on Demand erschienen: „Schnelles Internet in Deutschland“ (Paperback, 220 Seiten, ISBN 978-3-946487-00-5, 9,99 Euro).

Nach der Bewertung der Angebote fiel die Entscheidung der Stadt zugunsten des Koaxialkabelangebots von Unitymedia. Die Nutzung von DOCSIS 3.0 für Geschäftskundenprodukte stellte ein Novum für beide Seiten dar – bislang gibt es keine Erfahrungen zur Akzeptanz von DOCSIS-Diensten bei Unternehmen. Hohe Bandbreiten im Downstream (128 MBit/s) und im Upstream (5 MBit/s) in Verbindung mit vergleichsweise niedrigen Preisen lassen insbesondere bei Gewerbebetrieben und mittelständischen Unternehmen eine hohe Akzeptanz erwarten. Die Nachteile fehlender symmetrischer Bandbreiten und der noch nicht verfügbaren festen IP-Adressen trifft in erster Linie größere Unternehmen (die Mehrzahl von diesen hat allerdings bereits einen Glasfaserdirektanschluss). Der Pilotversuch und sein Ergebnis werden Auswirkungen auf die Weiterentwicklung von Geschäftskundenprodukten haben.

Ausbau nach Kooperationsvertrag

Nach der Entscheidung für einen Nutzer der Leerrohre konnten im nächsten Schritt die Tiefbauarbeiten und die Verlegung der Leerrohre ausgeschrieben werden. Rechtzeitig vor dem 31. Dezember 2010 konnte somit sowohl die Nutzung der Leerrohre als auch die Verlegung vergeben werden. Bei rechtzeitiger Fertigstellung sind somit auch die Voraussetzungen einer Förderung nach dem Zukunftsinvestitionsgesetz erfüllt.

Auch auf die Ausschreibungen der beiden unterversorgten Wohnviertel und dreier Gewerbegebiete für einen Ausbau gegen Ausgleich einer Wirtschaftlichkeitslücke stießen auf Interesse bei Betreibern, wenn auch in geringerem Ausmaß als bei der Ausschreibung der NGA-Netze. Auch in diesem Fall erhielt Unitymedia den Zuschlag für alle Losgebiete. Die erforderlichen Tiefbaumaßnahmen erfolgen in diesem Fall im Rahmen der Wirtschaftlichkeitslücke durch den Betreiber. Als Ergebnis ergibt sich eine fast flächendeckende Versorgung in Arnsberg durch Unitymedia.

800 MBit/s für die Krankenhäuser

Neben dem Ausbau der Wohn- und Gewerbegebiete wurde bei der Konzeption auch die Vernetzung der drei Standorte des Klinikums Arnsberg als eine Maßnahme identifiziert. Die Intensivierung der Zusammenarbeit und eine Ausweitung der Arbeitsteilung machten eine breitbandige und symmetrische Vernetzung der Krankenhäuser im Bereich von mindestens 800 MBit/s erforderlich.

Da die drei Standorte relativ weit verteilt im Stadtgebiet liegen, wäre eine direkte Vernetzung nicht unkompliziert. Als Übertragungstechnologien kommen in diesem Bandbreitenbereich nur eine Glasfaserverbindung oder Richtfunk in Betracht. Allerdings gibt es keine durchgehende Leerrohrstrecke zwischen den Krankenhäusern, die zum Einziehen von Lichtwellenleitern geeignet wären. Auch eine direkte Sichtverbindung ist aufgrund der Topografie nicht gegeben, sodass auf jeden Fall Relais-Stationen erforderlich sind.

Doppelrichtfunk mit Backup-Hälfte

Da die Breitbandverbindung für den laufenden Betrieb genutzt werden soll, wurde neben der Primärvernetzung eine ergänzende, physikalisch getrennte Backup-Lösung mit mindestens 100 MBit/s angestrebt. Der Betreiber sollte über eine öffentliche Ausschreibung eruiert werden und die Finanzierung einer Deckungslücke über das Zukunftsinvestitionsgesetz erfolgen. Die entsprechend durchgeführte Ausschreibung stieß auf vergleichsweise großes Interesse, und es wurden Angebote für eine Umsetzung mittels Richtfunk und Glasfaser abgegeben. Die eingereichten Konzepte waren durchwegs gut ausgearbeitet und hochwertig.

Die Auswertung der Angebote ergab nicht zuletzt unter Würdigung der sehr unterschiedlichen Investitions- und Betriebskosten eine Entscheidung zugunsten des Angebots von Innofactory. Da die vorhandenen Budgetmittel nicht für die Beauftragung von physikalisch getrennten Lösungen ausreichten, wurde nur die Richtfunklösung beauftragt. Immerhin: Mit der Lösung von Innofactory wird durch die Verwendung von unterschiedlichen Polarisationen für die Übertragung in zwei unabhängigen Systemen eine erhebliche Steigerung der Verfügbarkeit erreicht. Im Normalbetrieb arbeiten beide Systeme ergänzend. Fällt eines der Systeme aus, verbleibt immerhin noch die Hälfte der Bandbreite für einen Notbetrieb.

Fazit: Vorausschauend investieren

Die für Arnsberg umgesetzten Maßnahmen sind ein gutes Beispiel dafür, was im Rahmen des Konjunkturpakets zur Verbesserung der Breitbandinfrastruktur möglich war. Dank der Umsicht des Bürgermeisters von Arnsberg konnten in vorbildlicher Weise Maßnahmen umgesetzt werden, die insbesondere die Attraktivität von Arnsberg als Wohn- und Wirtschaftsstandorts nachhaltig absichert.

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