Best-Practice-Breitband Ennepetal

Leerrohre finanzieren den Breitbandausbau

Von Dr. rer. nat. Jürgen Kaack, STZ-Consulting Group

3000 Einwohner in den Stadtteilen Oberbauer und Rüggeberg von Ennepetal mit einer Internet-Verbindung unter 0,4 MBit/s (DSL light) mitten in Deutschland? Auch 2012 gibt es das noch. Es ist nicht verwunderlich, dass die Bevölkerung mit der Situation unzufrieden ist und sich eine Bürgerinitiative gebildet hat. Nur ist für keinen Netzbetreiber der Ausbau in den beiden Stadtteilen wirtschaftlich. Also wurden im August 2011 die Breitbandexperten der STZ-Consulting Group damit beauftragt, eine Lösung zu finden.

Von 0,4 auf 16 MBit/s

Die Voraussetzungen für ein Förderprojekt konnten schnell geklärt werden. Nur die in den Gesprächen mit den Netzbetreibern ermittelten Wirtschaftlichkeitslücken für einen nachhaltigen Ausbau nach dem Fiber-to-the-Curb-Konzept lagen so hoch, dass ein Ausbau selbst bei einer Förderbewilligung zu teuer gekommen wäre. Musste man also auf eine Überbrückungslösung umsteigen, mit niedrigeren Investitionskosten und schlechteren Leistungen?

Bei den intensiven Analysen und Gesprächen u.a. mit dem Versorgungsunternehmen AVU ergaben sich Alternativen, die eine investitionssparende Breitbandzuführung in die Stadtteile ermöglichten. Ein gutes Beispiel ist Ennepetal insofern, als die Neukalkulation des Ausbaus bewiesen hat, welchen entscheidenden Einfluss vorhandene Leerrohrinfrastrukturen auf die Kosten haben.

Nach den Analysen und Vorarbeiten konnte der weitere Prozess in erstaunlich kurzer Zeit durchgeführt werden, ein transparentes Auswahlverfahren kam erfolgreich zum Abschluss und es erfolgte eine Vergabe an die Deutsche Telekom. Vier Monate nach Projektstart lag bereits kurz vor Weihnachten 2011 der Bewilligungsbescheid der Bezirksregierung vor. Bis Ende 2012 werden die 3000 Einwohner von Oberbauer und Rüggeberg aus der Internet-Steinzeit heraus sein und – sofern der weitere Ausbau planmäßig vorangeht – mehrheitlich mehr als 16 MBit/s für ihre Aktivitäten im Internet nutzen können.

Breitband ist Standortqualität

Die Möglichkeit zur Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien ist ein zunehmend wichtiger Standortfaktor, auch für ländliche Regionen als attraktive Lebens- und Wirtschaftsräume. DSL- und Breitbandanschlüsse sind heute so wichtig wie ein gut ausgebautes Straßennetz bzw. der Anschluss an ein öffentliches Ver- und Entsorgungsnetz.

Gebiete ohne Breitbandzugang oder mit einem nicht den Anforderungen entsprechenden Zugang werden im Wettbewerb der Wirtschaftsstandorte zunehmend das Nachsehen haben. Durch den Einsatz breitbandiger Datenkommunikation können Unternehmen die Zusammenarbeit mit Kunden und Lieferanten erheblich verbessern. Kommunikation und Datenaustausch etwa im Rahmen der Auftragsbestellung und -Abwicklung bis hin zum Vertrieb werden über eine breitbandige Kommunikationsinfrastruktur effektiver abgewickelt.

Eine Breitbandanbindung ermöglicht vielen Unternehmen zugleich eine deutliche Kosteneinsparung. Unternehmen, die im Datenaustausch nicht mehr auf DSL und Breitband verzichten können, werden kurz- bis mittelfristig eine Umsiedlung in Erwägung ziehen und realisieren. Der damit verbundene Wegfall von Arbeitsplätzen führt zu einer Schwächung der betroffenen Regionen.

Thema: Breitbandausbau

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Dr. Jürgen Kaack hat eine Reihe von Projekten als Berater begleitet. Einige aus der Region Nordrhein-Westfalen stellt er ausführlicher als Best-Practice-Beispiele vor: Arnsberg, Ennepetal, Erftstadt, Erkelenz und Wegberg sowie die Lage im gesamten Kreis Heinsberg, ferner Geilenkirchen, Haltern am See, Kaarst, Nettetal und Rheurdt. Außerdem berichtet er von der T-City Friedrichshafen, erläutert die möglichen Geschäftsmodelle im kommunalen Breitbandausbau sowie die Optionen der NGA-Rahmenregelung und setzt auseinander, wo Vectoring seine Haken hat. Nicht zuletzt skizziert er die Prinzipien einer Breitbandstrategie NRW und macht handfeste Vorschläge für eine umfassende Breitbandstrategie.
Seine gesammelten Erfahrungen sind 2016 in der Reihe MittelstandsWiki bei Books on Demand erschienen: „Schnelles Internet in Deutschland“ (Paperback, 220 Seiten, ISBN 978-3-946487-00-5, 9,99 Euro).

Hinzu kommt, dass im Zuge einer Veränderung der Arbeitswelt bei vielen Unternehmen Heimarbeitsplätze von den Mitarbeitern gefordert werden, welche ohne Breitbandanbindung mit IT-Lösungen im Unternehmen nur bedingt kommunizieren können.

Konkret hat die Verfügbarkeit von schnellen Datenverbindungen nicht nur für den Wirtschaftsstandort Ennepetal eine wichtige Bedeutung, sondern auch für den Wohnstandort und die Lebensqualität der Menschen. Die meisten Familien entscheiden sich bei der Wohnortwahl oder dem Kauf eines Wohnbaugrundstücks nicht zuletzt aufgrund der örtlichen DSL- und Breitbandverfügbarkeit.

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Neben privater und gewerblicher Nutzung gewinnt die Home-Office-Anwendung mit über 30 % an Bedeutung. (Bild: STZ-Consulting)

Oberbauer und Rüggeberg unterversorgt

Die Stadt Ennepetal hat 31.301 Einwohner, von denen 1523 in Oberbauer leben und 1544 in Rüggeberg. Nach einer Reihe von Beschwerden zur schlechten Breitbandversorgung hat die Stadt Ennepetal im Sommer 2010 gemeinsam mit der Bürgerinitiative eine schriftliche Befragungsaktion bei allen Haushalten und Unternehmen in Oberbauer und Rüggeberg durchgeführt. Die Ergebnisse bestätigen insgesamt die Beschwerden von Bürgern und Unternehmen.

Bis zu 30 % der Nutzer in den Haushalten müssen als Selbständige oder Angestellte neben privaten Anwendungen von zu Hause aus berufsbedingte Arbeiten erledigen, können dies mit den zur Verfügung stehenden Bandbreiten aber nicht zufriedenstellend. Auch die Bedürfnisse von Schülern und Studierenden führen bei der unzureichenden Versorgung zu Problemen.

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Fast alle unterversorgten Befragten wünschen sich höhere Bandbreiten; 80 % sind bereit, den Anbieter zu wechseln. (Bild: STZ-Consulting)

Die verfügbare Bandbreite lag auf der Basis der Antworten bei durchschnittlich 0,284 MBit/s in Oberbauer und bei 0,426 MBit/s in Rüggeberg (dies stimmt mit den Versorgungsangaben der Deutschen Telekom überein). Die miserable Versorgungslage dokumentiert sich auch in der hohen Unzufriedenheit mit der derzeitigen Versorgung und in einer signifikanten Wechselbereitschaft von 80 % zu einem Anbieter mit einem besseren Angebot.

Der Bandbreitenbedarf bleibt bescheiden

Über 90 % der Befragten gaben an, dass sie eine höhere Bandbreite benötigen. Die Wunschvorstellungen lagen zwischen 2 und über 20 MBit/s. Vermutlich aufgrund mangelnder eigener Erfahrungen ist die Nachfrage nach hohen Bandbreiten (> 20 MBit/s) mit unter 10 % noch gering. Es ist zu vermuten, dass die Nachfrage nach höheren Bandbreiten deutlich steigt, sobald die Menschen eine bessere Versorgung erst einmal selbst erlebt haben. Dies entspricht jedenfalls der Erfahrung in „entwickelten“ Breitbandmärkten, z.B. in Skandinavien oder in Ballungsgebieten.

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Die Mehrheit wünscht sich einen Internet-Zugang mit 7,8 MBit/s. (Bild: STZ-Consulting)

So ist es nicht erstaunlich, dass ein recht hoher Anteil der Antwortenden von über 30 % sich eine Bandbreite von „nur“ 2 MBit/s wünscht. In Oberbauer stellt die Nennung 2 MBit/s sogar die größte Einzelgruppe unter den Antwortenden.

Allerdings liegt die heutige Versorgung mit 0,3 MBit/s wirklich extrem niedrig. In Rüggeberg wünscht die größte Gruppe (über 45 %) 4–7 MBit/s, in Oberbauer wird diese Bandbreite von über 30 % gefordert. Eine signifikante Anzahl (rund 15 %) wünscht sich eine Bandbreite von 16 MBit/s, wie sie in größeren Städten und Ballungsgebieten heute Standard ist.

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Die Wunschbandbreite liegt in einem für Deutschland üblichen Rahmen bei realistischen Preisvorstellungen. (Bild: STZ-Consulting)

Die Wunschbandbreite beträgt im Durchschnitt 8,3 MBit/s in Oberbauer und 7,2 MBit/s in Rüggeberg. Die Angaben zur durchschnittlichen monatlichen Zahlungsbereitschaft spiegeln mit durchschnittlich 35 Euro (Oberbauer) und 42 Euro (Rüggeberg) eine realistische Einschätzung des Marktpreises.

Kostensenkung durch nutzbare Infrastrukturen

Die zu Beginn des Projektes vollständig unterversorgten Stadtteile Oberbauer und Rüggeberg sollten also möglichst schnell im Sinne der Daseinsvorsorge mit einer besseren Breitbandanbindung bedient werden. Idealerweise wünscht sich die Verwaltung für alle Einwohner und Unternehmen einen Breitbandanschluss mit 16 MBit/s, mindestens aber die als Grundversorgung definierte Bandbreite von 2 MBit/s.

Die Stadt selber betreibt im Stadtgebiet keine eigenen Leerrohre, die für die Verlegung von Glasfaserleitungen geeignet wären. Doch die Gespräche mit der für die Versorgung mit Strom zuständigen AVU in Gevelsberg haben erreicht, dass ein von Breckerfeld zu verlegendes Schutzrohr so durch Oberbauer verlegt wurde, dass es für die Anbindung des Ortsteils mit Glasfaser genutzt werden kann. Die Stadt hat zudem an zwei Stellen Leerrohre zur Querung von Straßenkreuzungen, die für den Durchzug von Leitungen verwendet werden können.

Beide Infrastrukturen haben die Deckungslücke der Deutschen Telekom für den Ausbau nach dem Fiber-to-the-Curb-Konzept in Oberbauer erheblich gesenkt. Da die Tiefbaukosten ca. 75 % der gesamten Investitionskosten umfassen und eine Förderung nur bis zu Deckungslücken von maximal 200.000 Euro gewährt wird, konnten erst durch die Nutzung des Leerrohrs der AVU Kostensenkungen erreicht werden, die eine Finanzierung des bei einer Förderung verbleibenden Eigenanteils aus dem städtischen Haushalt ermöglichten.

In Rüggeberg drohten die Kosten durch die Längen bis zum Netzknoten ebenfalls zu hoch zu werden, so dass alternative Zuführungen anstatt einer Glasfaserstrecke geprüft werden mussten. Eine mögliche Umsetzung wäre eine Richtfunkverbindung nach Oberbauer. Allerdings entdeckten aufmerksame Mitarbeiter des Tiefbauamts bei verschiedenen Straßenarbeiten an der Rüggeberger Straße ein nicht benutztes Leerrohr, das der Stadt nicht gehört. Nach verschiedenen Recherchen konnte der Eigentümer identifiziert werden. Auch hier war eine Finanzierung des Eigenanteils nur durch die Nutzung dieses Leerrohrs darstellbar.

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Die STZ-Consulting Group ist eine Unternehmens­beratung, die Unternehmen und Kommunen bei der Bewältigung von Veränderungs­prozessen unterstützt, von der Entwicklung trag­fähiger Konzepte bis zur Um­setzung. Die Partner der STZ-Consulting Group haben lang­jährige Erfah­rungen aus eigener operativer Führungs­tätigkeit in Unter­nehmen, aus der Gründung und dem Aufbau von Unter­nehmen sowie in der Beratung. Ein Branchen­schwerpunkt liegt in der Tele­kommunikation.


Dr. Jürgen Kaack – STZ-Consulting Group, Kolibristr. 37, 50374 Erftstadt, Tel. 02235-988776, info@stz-consulting.de, www.stz-consulting.de.

Fazit: Projektabschluss in Rekordqualität

Nach Durchführung des Auswahlverfahrens lag ein Angebot der Deutschen Telekom vor, das den Ausbau in beiden Stadtteilen ermöglicht. Mit den notwendigen umfangreichen Unterlagen wurde noch im Dezember 2011 eine Förderbewilligung der Bezirksregierung in Arnsberg erreicht, so dass der Ausbau im Laufe des Jahres 2012 abgeschlossen sein dürfte. Dann endet für die Haushalte in Oberbauer und Rüggeberg die Zeit ohne schnelle Internet-Anbindung. Es wird nicht nur eine Bandbreite von 2 MBit/s zur Verfügung stehen, die Mehrzahl wird mit VDSL auch Bandbreiten oberhalb von 25 MBit/s nutzen können. Das dürfte für die nächsten zehn Jahre (!) ausreichen.

Die Dauer des Projektes war mit weniger als vier Monaten nach Beauftragung der STZ-Consulting Group Mitte August 2011 bis zur Bewilligung im Dezember äußerst kurz. Eine so kurze Laufzeit ist wohl die neue Benchmark für Breitbandförderprojekte. Insgesamt kann Ennepetal als vorbildlich für ein Breitbandförderprojekt gelten. Ohne das enge und zielorientierte Zusammenwirken von Verwaltung, AVU, Netzbetreiber und den Zuständigen bei der Bezirksregierung wäre dieser Erfolg nicht möglich gewesen.

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