Multisensorik und Haptik: Warum Kunden kaufen, was sie anfassen dürfen

Allein die Berührung eines Objekts erhöht die Bereit­schaft, es auch zu kaufen. Und je mehr die Finger­spitzen zu tasten bekommen, desto wertvoller wirkt das Produkt. Die Haptik zu optimieren und dem Tastsinn etwas zu tun zu geben, kann für Unternehmen überaus umsatz­förderlich sein.

Was Kunden anfassen, lässt sie nicht mehr los

Von Anne M. Schüller, Anne M. Schüller Management Consulting

Um die Haptik oder den Tastsinn geht es immer dann, wenn man etwas berührt, um ein Objekt zu erspüren. Oder wenn man berührt wird, zum Beispiel von einem weichen oder kratzigen Stoff. Die haptische Wahrnehmung umfasst die Textur eines Materials (rau, glatt, metallisch usw.), die Form eines Objekts (rund, eckig, spitz usw.), den Aggregatszustand (fest, flüssig, dampfig usw.), das Temperaturempfinden (kalt, lauwarm, heiß usw.) und das Gewichtsempfinden (leicht, schwer usw.).

Zum Beispiel vermittelt Schweres den Eindruck von Güte. So lassen sich Objekte mit zusätzlichen Gewichten bestücken, um die Qualitätsanmutung zu erhöhen. Wer in einem weichen Sessel statt auf einem harten Stuhl sitzt, bleibt nicht nur länger, er wird auch „weicher“ beim Verhandeln und im Preisgespräch. Das Trinken eines warmen Getränks hat einen ähnlichen Effekt. Es stimmt uns wohlgesonnen.

Apple macht, dass Menschen mögen

Ein Hauptgrund für den immensen iPhone-Erfolg? Es war das erste Telefon, das wir streicheln konnten. Es ist verspielt, bringt Spaß und macht unsere Fingerspitzen zu kleinen Schöpfern. Die intuitive Bedienung verschafft uns schnelle Erfolgserlebnisse und schenkt uns den Zustand des Flow, was unser Hirn in einen Glücksrausch versetzt.

Zudem erzeugen die streichelnden Bewegungen Intimität und Verbundenheit. So sind alle Voraussetzungen dafür geschaffen, dass viele sich in das Gerät ein wenig „verlieben“. Demzufolge sind die Apple-Stores konsequent darauf ausgelegt, dass Besucher die Geräte in die Hand nehmen, sie ausgiebig erforschen, alles Mögliche ausprobieren und sich so mit ihnen vertraut machen können.

Und siehe da: Der Neurowissenschaftler Prof. Dr. Jürgen Gallinat aus Berlin hat mithilfe von Magnetresonanztomographie bewiesen: Apple-Geräte aktivieren Bereiche im Hirn, die für „Menschen mögen“ zuständig sind. Zu ihnen lässt sich also eine Beziehung aufbauen. Andere Handys hingegen wurden nur in der Region für Objekterkennung verortet.

So ist es kein Wunder, dass die Management-Entscheidung, bei Tasten zu bleiben, dem eckigen, kantigen BlackBerry beinahe den Todesstoß gegeben hat. Für unser Hirn macht es eben einen Riesenunterschied, ob wir wo in die Tasten hauen oder etwas zum Streicheln haben. Selbst knallharte Business-Leute spielen ganz gerne rum.

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Anne M. Schüller ist Managementdenker, Keynote-Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach. Die Diplom-Betriebswirtin gilt als führende Expertin für das Touchpoint Management und eine kundenfokussierte Unternehmensführung. Zu diesen Themen hält sie Impulsvorträge auf Veranstaltungen und Fachkongressen. 2015 wurde sie für ihr Lebenswerk in die Hall of Fame der German Speakers Association aufgenommen. Vom Business-Netzwerk LinkedIn wurde sie zur Top-Voice 2017/2018 und vom Business-Netzwerk Xing zum Xing-Spitzenwriter 2018 gekürt. Ihr Touchpoint Institut bildet zertifizierte Touchpoint Manager sowie zertifizierte Orbit-Organisationsentwickler aus.


Anne M. Schüller Marketing Consulting, Harthauser Str. 54, 81545 München, 089-6423208, info@anneschueller.de, www.anneschueller.de, www.touchpoint-management.de

Wir lieben, was wir streicheln dürfen

Haptik funktioniert auch im Web. „Eine Studie belegt, dass es einen Unterschied macht, ob ich per Touchscreen oder per Mausklick einkaufe“, sagt Multisense-Experte Olaf Hartmann. „Die Wertschätzung gegenüber einem Produkt steigt über 40 % mit dem Touchscreen. Der ist stärker interaktiv, der Kunde kann das Produkt mit Gesten bewegen, vergrößern oder verkleinern. Durch die Berührung des Produkts auf dem Bildschirm entsteht eine psychologische Inbesitznahme, die normalerweise so stark nur beim realen Berühren zu beobachten ist.“

Dieser psychologische Inbesitznahmefaktor wurde sogar gemessen. Auf einer Skala von 0 bis 7 betrug er für den Desktop-Computer 4,3 und für den Tablet-Computer 5,6. Der Multitouch-Effekt bei Tablet und Handy erzeugte auch eine höhere Preisbereitschaft, vor allem dann, wenn man sich Leistungspakete per Fingerwisch zusammenstellen konnte und besonders viel Spaß dabei hatte, wie etwa bei einem Konfigurator. Die Konsequenz für Anbieter und Betreiber? Möglichst viele Aktivitäten auf Tablet und Smartphone verlagern. „Mobile first“ heißt der Schlachtruf.

Beim haptischen Design geht es zum einen darum, den Dingen eine einzigartige und unverwechselbare Form zu geben, die man sofort wiedererkennt. Zum anderen können vorhandene Strukturen, wie etwa die Textur (und der Geruch) von Metall, Holz oder Leder in einem Prospekt wiedergegeben werden. Schließlich geht es auch darum, Strukturen zu erschaffen, die den Tastsinn erfreuen. So hat ein Bäcker seine Theke mit einem beheizbaren Stein bestückt. So wird die Übergabe der gekauften Ware zelebriert.

Serie: Multisensorik
Die Einführung gibt einen ersten Überblick und erklärt, warum Unternehmen möglichst viele Sinne ansprechen sollten. Im zweiten Teil geht es ums Anfassen, also darum, welch starke Beziehung die Berührung von Produkten mit der Hand stiftet. Danach gibt es was auf die Ohren: Sounddesigner entwerfen den Klang von Autotüren und Knusperkeksen – und sorgen dadurch für Umsatz. Als Nächstes sind die Augen an der Reihe: Farben, Formen und Gesichter prägen unser gesamtes Erleben. Der letzte Beitrag widmet sich dem Duftmarketing und führt die Kunden an der Nase zur Kasse.

Markenabstimmung per Handentscheid

Kleinkinder erschließen sich die Welt mit allen Sinnen, vor allem aber haptisch. So wollen sie erforschen, wie die materielle Welt beschaffen ist und welche Gesetzmäßigkeiten darin herrschen. In dieser frühen Prägungsphase wird der Grundstock für ein „haptisches Gedächtnis“ gelegt. Mit dem Einzug von digitalen Geräten in die Kinderzimmer haben sich die Tasterfahrungen stark verändert.

Sicher kennen Sie den Film mit dem Baby, das eine Zeitschrift wie ein iPad befingert. Mittlerweile bestimmen Tastaturen, Joysticks und Touchscreens die kindliche Spielwelt. Die dabei gelernten Wirkmechanismen werden quasi ins Gehirn eingebaut und später im Leben intuitiv abgerufen. Auch dies wird den digitalen Wandel beschleunigen und das Zusammenwachsen von Mensch und Maschine verstärken.

Im Alter lassen die Bewegungsfähigkeit sowie die Hör- und Sehkraft nach. Auch die Geschicklichkeit und die Greifkraft sind stark betroffen. Alles Kleinteilige ist schwierig zu umfassen und rutscht schnell aus den Fingern. Eine einfache Handhabung ist demnach für ältere Menschen ein ganz entscheidender Kauffaktor. Und leichte Lesbarkeit auch. Kleine Schriften, egal ob in Gebrauchsanweisungen und Prospekten oder auf Etiketten und Hinweisschildern sind kommerzieller Selbstmord.

Und: Erzeugnisse, die explizit als Seniorenprodukte bezeichnet werden, lassen die Kauffreude umgehend verschwinden. Am besten macht man sich stillschweigend und unauffällig an die notwendigen altersfreundlichen Optimierungen heran. Oft handelt es sich um Kleinigkeiten, die die Lebensqualität dieser kaufkraftstarken Zielgruppe steigern. Von daher werden sie dankbar aufgenommen und reichlich mit „Stimmzetteln“, also mit Geldscheinen belohnt.

Ein Vorgefühl digitalisierter Haptik

Was die haptische Zukunft uns bringt? Sensorhandschuhe und Fingerclips können die Texturen von Objekten längst simulieren. Die Robotik arbeitet schon seit vielen Jahren daran, die visuelle und auditive Informationsverarbeitung in Maschinen zu integrieren. Nun steht eine viel größere Herausforderung an: einen kompletten Tastsinn für die technologischen Helfer zu entwickeln und zu implementieren.

In Ansätzen gelingt das auch bereits schon. So hat das Münchner Start-up Tacterion mit Sensor Skin eine Art Hightech-Haut entwickelt, die Geräte mit Sensormodulen berührungsempfindlich macht. Sobald die kraftstrotzenden Industrieroboter einen solchen Überzug bekommen, mit dem sie zu fühlen in der Lage sind, können wir sie aus ihren Käfigen entlassen und mobilisieren. Denn das ist ein ehernes Gesetz: Ein Roboter darf keinen Menschen verletzen.

Im folgenden Teil dieser Serie geht es um die Rolle, die Geräusche, Klänge und Töne in der Kundenwahrnehmung spielen.

Nützliche Links

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Das Buch zum Thema ist Anne M. Schüller: Touch.Point.Sieg. Kommunikation in Zeiten der digitalen Transformation. Offenbach: GABAL 2016. 380 S., ISBN 978-3-86936-694-4, € 29,90 (D), € 30,80 (A). – Von ihr gibt es außerdem: Das Touchpoint-Unternehmen. Mitarbeiterführung in unserer neuen Businesswelt. Offenbach: Gabal 2014. 368 S., 29,90 Euro, ISBN: 978-3-86936-550-3, das auf der Frankfurter Buchmesse 2014 zum Managementbuch des Jahres gekürt wurde.