Christian Schaaf

Eigene Mitarbeiter sind oft die fleißigsten Spione

Christian Schaaf ist Geschäftsführer und Mitgründer der Münchener Firma Corporate Trust. Das Beratungsunternehmen für Sicherheitsdienstleistungen ist u.a. spezialisiert auf Risiko- und Krisenmanagement für den Mittelstand und veröffentlicht regelmäßig Studien zum Thema Wirtschaftskriminalität. Schaaf arbeitete 19 Jahre im Polizeidienst – u.a. beim Kommissariat für Wirtschaftskriminalität – und war danach als Prokurist und Leiter eines Business-Risk-Consulting-Unternehmens tätig. Dabei musste der Diplomverwaltungswirt und Autor des Buchs „Industriespionage. Der große Angriff auf den Mittelstand“, immer wieder feststellen, dass die Täter häufig „hinter der Firewall sitzen“.

MittelstandsWiki: In Ihrer Studie „Industriespionage. Die Schäden durch Spionage in der Deutschen Wirtschaft“ haben Sie herausgefunden, dass Vertriebsergebnisse noch gefragter als Forschungsergebnisse waren. Wie kommt das denn?

Christian Schaaf: Wissen Sie, viele Unternehmen vertreiben keine Eigenentwicklungen, sondern arbeiten mit Massenware, mit der auch andere Unternehmen handeln. Hier ist nicht das Produkt interessant, sondern der Vertriebsweg und das Vertriebswissen. Die Konkurrenz interessiert sich dabei besonders, wer die Vertriebspartner sind und mit welchen Margen sie arbeiten. Dann gehören die Kundenliste zum Vertriebswissen und der Grund, wo und warum Sie so viel verkaufen. Wenn der Umsatz z.B. in einer bestimmten Region brummt, dann liegt das mit hoher Wahrscheinlichkeit am Verkäufer. Auf den wird dann ein Headhunter angesetzt. Die Telefonnummern der Mitarbeiter sind ja meist im Internet veröffentlicht. Am interessantesten sind aber die Preislisten. Wenn die Konkurrenz weiß, was Sie verlangen, kann sie Ihre Preise haargenau unterbieten. Teilweise werden die Verkaufslisten den Vertrieblern sogar abgekauft. Wir haben festgestellt, dass in 60 bis 70 % der Fälle die Mitarbeiter an dem Vergehen beteiligt sind. Wenn auch nicht immer böswillig. Manche lassen die Listen aus Versehen beim Kunden liegen. Aber leider stecken ganz viele Mitarbeiter mit den Tätern unter einer Decke. Gerade die Krise macht sie offener für die Verlockungen.

MittelstandsWiki: Weil der Arbeitsplatz bedroht ist?

Christian Schaaf: Genau, durch die Krise gibt es Umstrukturierungen, und das führt zu Stellenabbau. Der entlassene Mitarbeiter gerät dann in eine finanzielle Notlage, weil er z.B. sein Haus nicht mehr abbezahlen kann. Und dann sieht er den Unternehmer, der mit seinem dicken Benz vorfährt. Leute, die ihr Leben lang anständig waren, verhalten sich dann auf einmal ganz anders. Deshalb sollte man ganz besonders vorsichtig sein, wenn Entlassungen im Gespräch sind. Oft planen die Mitarbeiter die Aktion schon Monate im Voraus und kopieren sich systematisch die Kundendaten herunter. Viele Firmen geben viel Geld für eine Firewall aus, vergessen aber, dass die Täter häufig hinter der Firewall sitzen.

MittelstandsWiki: Und wie werden die untreuen Mitarbeiter kontaktiert?

Christian Schaaf: In der Regel per Mail oder per Telefon am Arbeitsplatz.

MittelstandsWiki: Ist das nicht ein bisschen dreist? Dagegen muss man doch vorgehen können?

Christian Schaaf: Die Absenderadresse bei E-Mails können Sie ganz leicht fälschen und die Telefonnummer wird einfach unterdrückt. Das größte Problem ist, dass die Täter in der Regel nicht in Deutschland sitzen. Wir hatten mal den Fall, dass eine amerikanische Firma, die sich als Research-Unternehmen ausgegeben hat, bei 20 Leuten in einer Firma angerufen hat. Nur einer hat den Vorfall gemeldet, weil ihm das Ganze komisch vorkam. Im Gegenzug hat man dann geprüft, wer alles von dieser Firma angerufen wurde, und wer zurückgerufen hat. Die Mitarbeiter, die zurückgerufen haben, haben sich damit herausgeredet, dass sie einfach noch mal nachfragen wollten, worum es geht. Beweisen Sie erst mal das Gegenteil! An das Unternehmen selbst kommen Sie im Ausland nur schwer heran. Wenn doch, dann steht immer noch Aussage gegen Aussage. Sie können ja nicht beweisen, was am Telefon gesagt wurde.

MittelstandsWiki: Und warum haben die Mitarbeiter den Typen keine Falle gestellt?

Christian Schaaf: Dazu müssen Sie die Leute erst einmal sensibilisieren. Die meisten wissen doch überhaupt nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Deshalb sagen wir immer, dass man die Mitarbeiter aufklären soll. Wenn die sich auskennen, dann merken sie, dass da etwas nicht stimmt und reagieren entsprechend. Aber leider fehlt da oft das Bewusstsein. Deshalb haben die Täter meist ein leichtes Spiel. Besonders wenn sie sich als Kollegen ausgegeben, z.B. aus der IT-Abteilung und sagen „Es gibt einen Notfall. Ich brauche mal ganz schnell das Passwort“. Das passiert aber häufiger bei größeren Unternehmen, wo es mehrere Filialen gibt und die Leute einander nicht kennen.

MittelstandsWiki: Kleinere Unternehmen sind also sicherer?

Christian Schaaf: Nein. Absolut nicht. Die sind noch viel gefährdeter, weil sie glauben, dass sie nicht gefährdet sind. Viele Mittelständler sagen: „Ich habe doch keine Forschungsabteilung. Was sollte man bei mir denn schon ausspionieren können!“ Aber das ist ein Trugschluss, denn am interessantesten sind ja die Vertriebsdaten, wie wir gesehen haben. Weil die Leute das aber nicht wissen, gehen sie unvorsichtig mit den Daten um. Die Leitung lebt das vor und in den Köpfen der Mitarbeiter führt sich die Sorglosigkeit fort.

MittelstandsWiki: Gibt es sonst noch etwas, was ein Mittelständler beachten sollte?

Christian Schaaf: In unserer Studie „Gefahrenbarometer 2010“ haben wir die Unternehmen gefragt, wo sie denn in Zukunft ihre größte Risiken sehen. Da kommen auch Themen wie Bedrohung des Eigentümers auf – auch durch frustrierte Mitarbeiter. Auch das Entführungsrisiko steigt. Glücklicherweise nicht in Deutschland. Im Ausland kann es aber passieren, dass Mitarbeiter oder Familienangehörige entführt und erst gegen ein Lösegeld oder Betriebsgeheimnisse freigelassen werden. Produktionen im Ausland sehen wir ohnehin als problematisch an. Besonders in Asien sollte man vorsichtig sein. Hier ist der Informationsabfluss das größte Problem.

MittelstandsWiki: Und was kann man dagegen tun? Patente anmelden?

Christian Schaaf: Nicht unbedingt. Es gibt ja verschiedene Produkte, die sich nicht so leicht nachbauen lassen. Bei einigen liegt das am Fertigungsweg. Wenn Sie den aber durch ein Patent offen legen, kann es leichter nachgebaut werden. Deswegen führen viele Unternehmen kein Patent ein.

MittelstandsWiki: Aber gegen einen Patentrechtsverstoß kann man sich doch wehren?

Christian Schaaf: Theoretisch schon. Juristisch ist es aber schwer, Recht zu bekommen. Vor allem wenn der Gegner im Ausland sitzt. Bis der Fall geklärt ist, produziert der Konkurrent lustig weiter und macht Gewinne auf Ihre Kosten.

Das Interview führte Sabine Philipp.