Krankheitsbedingte Kündigung, Teil 1

Dauerkranke dürfen draußen bleiben

Von der Fachredaktion anwalt.de

Ein Unternehmer, der einem Arbeitnehmer kündigt, weil er wegen dessen andauernder Krankheit den Fortbestand des Betriebs gefährdet sieht, sollte sich zuvor mit einigen Besonderheiten des Kündigungsschutzes vertraut machen. Denn eine krankheitsbedingte Kündigung ist in Deutschland nur unter recht engen rechtlichen Bedingungen möglich. Aber sie ist möglich.

Relevant sind vor allem die Bestimmungen zu sozial ungerechtfertigten Kündigungen (§ 1 Kündigungsschutzgesetz). Ein Kündigung ist prinzipiell möglich, wenn

  • eine negative Gesundheitsprognose vorliegt,
  • die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit betriebliche Interessen erheblich beeinträchtigt und wenn außerdem
  • sich unter Abwägung aller Interessen ergibt, dass dies für den Arbeitgeber eine nicht mehr hinzunehmende Belastung darstellt.

Unter drei Bedingungen

Mit „erheblicher Beeinträchtigung“ ist in der Praxis meist gemeint, dass die Fehlzeiten die Betriebsabläufe ernsthaft behindern. Es kann aber auch bedeuten – das gilt besonders bei häufigen Kurzerkrankungen, jeweils mit Lohnfortzahlung –, dass die finanzielle Belastung für den Unternehmer nicht zumutbar ist. Die Einzelfallabwägung soll sicherstellen, dass nicht alle über denselben Kamm geschoren werden, sondern genau berücksichtigt wird, wie die Interessen im Besonderen gelagert sind.

Interessant ist die „negative Gesundheitsprognose“. Hier gilt eine 24-Monate-Regel: Falls innerhalb von zwei Jahren keine Besserung zu erwarten ist, kann der Unternehmer kündigen. Diese Frist müssen Unternehmer jedoch keineswegs grollend abwarten, wie ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein deutlich macht.

Tipp
Eine Abmahnung ist bei per­sonen­bedingten Kündi­gungen übri­gens nicht nötig. Man geht lo­gischer­weise davon aus, dass es gar nicht in der Macht des Arbeit­nehmers liegt, das De­fizit zu beheben. Ein noch so ein­dring­licher Ap­pell an die gute Ge­sund­heit bringt nichts. Man­che Fälle lie­gen aller­dings an der Grenze zu ver­haltens­bedingten Kündi­gungen, z.B. wenn es um Alkohol o.Ä. geht. Wieder andere Regelungen greifen bei Behinderten.

Beispielfall: Gesundheitsprognose

Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein musste z.B. über die Rechtmäßigkeit einer krankheitsbedingten Kündigung entscheiden. Im Fall ging es um einen Arbeitnehmer, der bereits 14 Monate arbeitsunfähig war. Auf einem Meeting war er kritisiert worden und meldete sich unmittelbar im Anschluss an das Geschäftstreffen arbeitsunfähig krank. In der Folgezeit erhob er Vorwürfe wegen Mobbing, die er allerdings nicht nachweisen konnte.

Nachdem ein mehrwöchiger Reha-Aufenthalt keinen Erfolg gebracht hatte, machte der Arbeitgeber ihm mehrere Angebote zu betrieblichem Eingliederungsmanagement. Als der Mitarbeiter darauf nicht reagierte, folgte prompt die ordentliche krankheitsbedingte Kündigung. Dagegen zog der Arbeitnehmer bis vor das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein.

Die Arbeitsrichter wiesen die Klage ab. Denn die krankheitsbedingte Kündigung ist sozial gerechtfertigt. Die Arbeitsunfähigkeit muss bei einer krankheitsbedingten Kündigung nicht zwangsläufig bereits 24 Monate bestehen. Dieser Zeitraum ist allein für die Prognose entscheidend. Sie muss ergeben, dass mit einer Verbesserung des Gesundheitszustandes in den 24 auf die Kündigung folgenden Monaten nicht zu rechnen ist. Diesen Nachweis hat der Arbeitgeber umfassend und hinreichend belegt. Als Indiz wertete das Gericht auch die bereits 14 Monate anhaltende Arbeitsunfähigkeit.

Nun hätte der Arbeitnehmer dies mittels Beweisen widerlegen müssen. Doch der Nachweis einer früheren Genesung ist ihm nicht gelungen. Allein das Entbinden seines Arztes von der Schweigepflicht erachteten die Kieler Arbeitsrichter nicht als ausreichenden Nachweis. Nach ihrer Ansicht hätte der Arbeitnehmer ganz konkret belegen müssen, warum sein Arzt von einer positiveren Prognose ausgeht und dazu die Diagnose, seine Behandlungsmöglichkeiten und die künftige Entwicklung darlegen müssen.

Darüber hinaus beeinträchtigt die dauerhafte Arbeitsunfähigkeit freilich auch die betrieblichen Interessen. Diese sind allein schon deshalb beeinträchtigt, weil das Austauschverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, auf dem das Arbeitsverhältnis basiert, durch die Arbeitsunfähigkeit auf unbestimmte Zeit gestört wird.

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Fazit: Zweifelsfälle klären lassen

Dass es im Arbeitsrecht oft heikel zugeht, ist bekannt. Das liegt oft daran, dass so viele „weiche“ Faktoren mitspielen, die man als Unternehmer nicht selbst in der Hand hat und die oft erst vor Gericht eindeutig bestimmbar sind. Was ist „erheblich“, wer sagt, was „voraussichtlich“ sein wird, und wie sieht eine „Interessenabwägung“ genau aus? Das Beispiel hat gezeigt, dass namentlich bei der Gesundheitsprognose der Arbeitnehmer mehr in der Pflicht steht, als meist angenommen wird. Und es macht einmal mehr deutlich, dass es sich lohnt, auf der Höhe der aktuellen Rechtssprechung zu bleiben und im Zweifelsfall fachkundigen Rat einzuholen.

Welches Gewicht insbesondere die Dauer der Betriebszugehörigkeit bei der Interessenabwägung hat, erläutert Sabine Wagner in Teil 2 dieser Serie.

Nützliche Links

Das Urteil (Az.: 2 Sa 11/08) gibt es bei der Entscheidungssammlung der Arbeitsgerichtsbarkeit Schleswig-Holstein als PDF zum Download.