LiMux 2014: Wer LiMux lieber wieder loswerden will

Seit etlichen Wochen schon schwelt ein Streit um die IT-Strategie der Stadt München, den ausgerechnet die beiden obersten Bürgermeister angefacht haben. Seither wird leidenschaftlich über das Für und Wider von Open Source in der Verwaltung diskutiert. Die Anwender in den Büros bleiben dabei außen vor.

Das Rathaus macht Open Source zum Zankapfel

Von Roland Freist

Es ist ein groteskes Schauspiel, das sich seit Sommer 2014 rund um die IT in der bayerischen Hauptstadt abspielt: Noch am 12. Dezember 2013 hatte die „Rathaus Umschau“ vermeldet, dass der Münchener Umstieg auf LiMux erfolgreich abgeschlossen sei. Das weltweit beachtete Migrationsprojekt nahm insgesamt zehn Jahre in Anspruch, verursachte Kosten im zweistelligen Millionenbereich und brachte enorme Herausforderungen für die IT-Abteilung und die Anwender mit sich. Doch bereits wenige Monate nach dem Personalwechsel im Münchner Rathaus könnte die hart erarbeitete Umstellung auf freie Software wieder rückgängig gemacht werden.

Ausbruch aus Microsoft

Die Vorgeschichte: Im Jahr 2003 hatte sich die damalige rot-grüne Regierung im Münchener Rathaus unter Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) entschieden, von einer IT-Infrastruktur mit Windows als Desktop-Betriebssystem und MS Office als Bürosoftware auf eine Open-Source-Plattform mit Linux und OpenOffice umzusteigen. Grund waren die Lizenzgebühren, die die Stadt jährlich einen Millionenbetrag kosteten. Die Berechnungen der IT-Abteilung hatten ergeben, dass sich der Aufwand trotz der notwendigen, hohen Investitionen in die Migration finanziell lohnen würde. Zudem würde man sich aus der Abhängigkeit von einem einzigen Hersteller befreien.

In den folgenden Jahren musste die IT-Abteilung einige schwierige Aufgaben meistern. Sie musste einen bedarfsgerechten Linux-Client (LiMux) entwickeln und ihn auf mehr als 15.000 Desktop-Arbeitsplätzen verteilen. In den Behörden und Abteilungen mussten Hunderte von Fachanwendungen identifiziert und auf LiMux portiert oder ersetzt werden; zudem war eine Neuorganisation der Bereitstellung von Software erforderlich. Um die Arbeit mit Vorlagen, Formularen und Briefköpfen zu zentralisieren und zu vereinfachen, wurde außerdem eigens WollMux programmiert, eine Erweiterung für Open- und LibreOffice.

Nicht alles funktionierte so, wie man es sich vorgestellt hatte. So wurde 2009 das ursprünglich verwendete Debian-Linux durch Ubuntu ersetzt, 2015 soll OpenOffice dem Konkurrenten LibreOffice weichen.

Neue Bürgermeister, neuer Kurs

Am 16. März 2014 fanden in Bayern Kommunalwahlen statt. Christian Ude durfte aus Altersgründen nicht mehr antreten. Sein Nachfolger als OB wurde Dieter Reiter (SPD), der eine Koalition mit der CSU einging. Deren Fraktionsvorsitzender ist Josef Schmid; er wurde als zweiter Bürgermeister der Stellvertreter von Reiter.

Anfang Juli 2014, also rund ein halbes Jahr, nachdem die Umstellung auf LiMux beendet war, erklärte Reiter in einem Interview mit dem Behördenmagazin „Stadtbild“, er sei „Microsoft-Fan“ und über den Wechsel zu Linux „überrascht gewesen“, da das Open-Source-Betriebssystem „gelegentlich den Microsoft-Anwendungen hinterherhinke“. Wenige Tage später äußerte sich Schmid im gleichen Tonfall und wurde sogar noch konkreter: In einem Gespräch mit der „Abendzeitung“ beklagte er das Fehlen eines zentralen Programms für Mails, Kontakte und Termine und erklärte, dass den Anwenderprogrammen „zahlreiche Funktionen, die sonst gängig sind“ fehlen. Außerdem sei vieles „nicht kompatibel mit den Systemen außerhalb der Verwaltung“.

Das löste aufgeregte Nachfragen aus. Am 16. August legte Schmid in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ noch einmal nach und sprach von „Beschwerden“ der städtischen Mitarbeiter, die mit der Bedienung der LiMux-Software unzufrieden seien. Die 2003er-Entscheidung für Linux und OpenOffice sei rein politisch motiviert gewesen, man habe damals einem Monopolisten Grenzen aufzeigen wollen. Gegenüber Heise Online äußerte er Mitte September, dass „die städtische IT den Anwendungen in Wirtschaft und auch Gesellschaft um Jahre“ hinterherhinke. Zur gleichen Zeit richteten die Fraktionen der Grünen und der Rosa Liste eine offizielle Anfrage an den Oberbürgermeister und wollten u.a. wissen, ob die Stadt tatsächlich zurück zu Microsoft wolle, worauf die genannten Beschwerden zurückzuführen seien und wie hoch die bisherigen Einsparungen gewesen seien. Die Grünen, aber auch Vertreter der Fraktionen von SPD und CSU sprachen sich gegenüber Heise Online gegen eine Wechsel zu Windows und MS Office aus. Der städtische IT-Leiter Robert Kotulek schließlich verteidigte LiMux und die IT-Strategie der Stadt und wies die Kritik von Schmid und Reiter mit dem Hinweis zurück, dass die genannten Probleme nicht ursächlich mit LiMux oder Microsoft zu tun hätten.

Oberbürgermeister Dieter Reiter hat seiner Verwaltung mittlerweile den Auftrag erteilt, für die Klärung der weiteren IT-Strategie ein externes Beratungsunternehmen zu finden. Es soll untersuchen, ob die städtische IT ihre Aufgaben mit den vorhandenen Mitteln effizient erfüllen kann und dabei auch die Bedürfnisse der Nutzer abdeckt. Die Entscheidung zwischen LiMux und Windows ist damit zunächst vertagt. Denn bis die Ergebnisse vorliegen, werden noch etliche Monate vergehen.

Fazit: Sachlich bleiben

Die Entscheidung für LiMux aufgrund der erhofften Einsparungen war und ist nachvollziehbar und pragmatisch. Auch wenn eine von Microsoft in Auftrag gegebene (und nie veröffentlichte) Studie angeblich zu einem anderen Ergebnis kommt: Trotz der hohen Projektkosten ist LiMux für die Stadt München wohl billiger als eine Windows-Umgebung. Das zweite große Argument, die Verringerung der Abhängigkeit von einem Monopolisten, ist hingegen politischer Natur.

Die beiden neuen Bürgermeister Reiter und Schmid sind offensichtlich unzufrieden mit der IT-Ausstattung, die ihnen die Stadt zur Verfügung stellt. Reiter, weil er „Microsoft-Fan“ ist, weil er nach Amtsantritt wochenlang auf sein Diensthandy warten musste und die IT-Abteilung dazu für ihn und Schmid zunächst einen externen Mailserver einrichten musste – und vielleicht auch, weil Microsoft demnächst nach München zieht und dort Gewerbesteuern zahlen wird. Schmid hingegen ärgert sich auch über die politische Entscheidung der damaligen rot-grünen Stadtregierung zugunsten von Open Source und möchte sie rückgängig machen. Hintergedanke mag sein, dass die CSU sich als der wirtschaftsfreundliche Zweig der Rathauskoalition positionieren will. Hier soll mit der Diskussion über eine IT-Umgebung Politik gemacht werden. Für die Stadt und ihre Verwaltung wäre es jedoch besser, wenn nüchterne Sachargumente über die weitere Strategie entscheiden würden.

Ohnehin ist abzusehen, dass sich zumindest ein Teil der Diskussion in den nächsten Jahren erledigen wird. Im Zuge des Trends zum Cloud Computing bieten die Softwarehersteller ihre Produkte zunehmend in Varianten an, die nur noch per Browser übers Netz aufgerufen und nicht mehr lokal installiert werden. Welches Betriebssystem dabei auf dem Desktop-PC des Anwenders läuft, ist dann weitgehend unerheblich.

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Roland Freist, Jahrgang 1962, begann nach einem Studium der Kommunikations­­wissenschaft ein Volontariat beim IWT Verlag in Vater­­stetten bei München. Anschließend wechselte er zur Zeitschrift WIN aus dem Vogel Verlag, wo er zum stell­­vertretenden Chef­­redakteur aufstieg. Seit 1999 arbeitet er als freier Autor für Computer­­zeitschriften und PR-Agenturen. Seine Spezial­­gebiete sind Security, Mobile, Internet-Technologien und Netz­­werke, mit Fokus auf Endanwender und KMU.


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