Life Sciences in Österreich: Wer in Österreich gegen das Virus forscht

Lebenswissenschaften, Bio­technologie und Nach­haltig­keit – Öster­reich hat in diesen Disziplinen enormen Ehr­geiz ent­wickelt. Die Life-Sciences-Forschung in Wien ist Welt­klasse, und selbst in der Krise gibt es Recycling-Innovationen. Parallel dazu läuft der Um­bau auf eine klima­neutrale Energieversorgung.

Zellenwärter und Hoffnungsträger

Von Friedrich List

Ein großer Teil der österreichischen Gesundheits- und Biotech-Branche konzentriert sich auf den Raum Wien. Insgesamt umfasst sie über 200 Betriebe, für die ca. 11.500 Menschen arbeiten. Neun von zehn Unternehmen sind kleine oder mittelständische Firmen. Hinzu kommen etwa 600 Unternehmen, die als Zulieferer tätig sind oder Dienstleistungen erbringen.

Viele dieser Firmen sind selbst führend in ihrem Marktsegment oder genießen in Branchenkreisen zumindest einen exzellenten Ruf. Aber auch internationale Konzerne suchen qualifizierte Mitarbeiter und haben Niederlassungen im Land. Takeda Pharmaceutical, ein japanischer Konzern, ist sogar Österreichs größter Arbeitgeber im Pharmabereich. Zu den akademischen Instituten, die im Bereich der Lebenswissenschaften forschen, gehören die Wiener Universität für Bodenkultur und die Technische Universität Wien, die Fakultät für Life Sciences und die TU Graz. Zudem haben internationale Unternehmen eigene Forschungseinrichtungen. In der Summe ergibt das einen stetigen Strom von Innovationen, die nicht zuletzt in Zeiten von Covid-19 eine große Rolle spielen.

Konsortialforschung gegen Covid-19

Takeda Pharmaceutical Sciences hat neben Produktionsstätten auch seinen Entwicklungsbereich für Biologika und Gentherapie in Wien angesiedelt. Daneben unterhält der Konzern Produktionsstätten in Linz und im niederösterreichischen Orth an der Donau. Ein Team aus Wien arbeitet in einer internationalen Blutplasma-Allianz an der Entwicklung einer Hyperimmunglobulin-Therapie („Passivimpfung“) gegen Covid-19 mit.

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Anfang Oktober 2020 kam Altbürgermeister Dr. Michael Häupl (Bildmitte), der Präsident des Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF), auf Besuch zu Takeda Pharmaceutical Sciences. Die globale Produktentwicklungsorganisation des japanischen Konzerns hat ihren Europastandort in der Bundeshauptstadt. Forschungsschwerpunkte: Biologika und Gentherapie. (Bild: Lisi Specht – Takeda Austria)

Diese Allianz ist nicht die einzige ihrer Art. Das ebenfalls in Wien ansässige Unternehmen JLP Health etwa ist Teil eines Konsortiums, das antivirale Medikamente gegen die Pandemie entwickelt. Das Projekt MAD-CoV-2 soll verwundbare Partien des Virus ausfindig machen, die dann von eigens entwickelten Wirkstoffen angegriffen werden können. JLP Health bringt dabei seine Expertise im Bereich der Genbiologie ein. „Wir verwenden Gentechnologien, um zelluläre Zielstrukturen zu finden und sogar spezifische Aminosäuren zu identifizieren, die für die Virusreplikation erforderlich sind“, sagte Dr. Moritz Horn von JLP Health der Presse.

Auf lange Sicht ist das Verfahren nicht nur dazu gedacht, Covid-19 zu bekämpfen, sondern auch andere Virenstämme, für die es bislang keine wirksamen Gegenmittel gibt. JLP Health wurde in Wien von einem Team um Prof. Josef Penninger sowie von Wissenschaftlern der deutschen Max-Planck-Gesellschaft gegründet, die als Acus Laboratories mit im Boot sind, ebenso wie die 2019 gestartete österreichisch-chinesische Angal Biotechnology unter der Leitung von Prof. Liqun Zhang.

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Spitzenforschung aus dem Innviertel in Kanada: Seit 2018 ist Prof. Josef Penninger Leiter des Life-Sciences-Instituts an der University of British Columbia. Dort arbeitet er mit einem internationalen Team an einem Wirkstoff, der Corona-Infektionen verhindern könnte. (Bild: Paul Joseph – University of British Columbia)

Preisgekrönte Wissenschaft

Ein anderes Wiener Unternehmen hat jüngst den österreichischen Staatspreis Digitalisierung 2020 in der Kategorie „Digitale Produkte und Lösungen“ mit einer Lösung aus der Medizininformatik gewonnen: Ares Genetics, eine Tochter des US-Unternehmens OpGen, hat eine KI-gestützte Anwendung zur Vorhersage von Antibiotikaresistenzen entwickelt. Dabei nutzt das Unternehmen Daten aus hochauflösender DNA-Sequenzierung von Erregern, die dann mit Daten aus der Behandlung von Infektionen mit Antibiotika abgeglichen werden. Die ares-genetics.cloud beruht auf einer ständig wachsenden Datenbank, mit der Mediziner Prognosen dazu erhalten, wie wirksam ein experimenteller Wirkstoff ist. So lassen sich bei der Impfstoffentwicklung Zeit und Kosten sparen.

Die Biochemikerin Prof. Emmanuelle Charpentier, die 2020 zusammen mit Prof. Jennifer A. Doudna den Nobelpreis für Chemie bekam, arbeitete sieben Jahre als Forschungsgruppenleiterin in Wien an den Max F. Perutz Laboratories der Universität Wien. Dort erforschte sie mit Dr. habil. Tim Clausen vom Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie zwischen 2006 und 2010 einen neuen DNA-Modifikationssignalweg in Bakterien. Die Ergebnisse wurden 2009 in der Fachzeitschrift „Science“ veröffentlicht. Dieses Projekt gehörte zu den Vorarbeiten, die schließlich zu ihrem Nobelpreis führten.

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Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Heise-Beilagenreihe „IT-Unternehmen aus Österreich stellen sich vor“. Einen Überblick mit freien Download-Links zu sämtlichen Einzelheften bekommen Sie online im Pressezentrum des MittelstandsWiki.

11,5 MW vom Schafflerhof

Auch auf dem Feld der erneuerbaren Energien und der Recycling-Lösungen geht Österreich voran. Der Ausbau erneuerbarer Energien soll Gesetzeskraft bekommen und staatlicherseits mit jährlich bis zu 1 Milliarde Euro gefördert werden. Bis 2030 sollen zumindest bilanziell 100 % des Stroms aus erneuerbaren Energiequellen kommen, und bis 2040 will Österreich völlige Klimaneutralität erreicht haben. Dazu muss die Fotovoltaik massiv ausgebaut werden. Bis 2030 soll deren Gesamtleistung 11 GW erreichen, auch wenn es laut dem Branchenverband PV Austria mindestens 14 GW sein müssten.

Das Regierungsprogramm sieht hier zahlreiche Fördermaßnahmen vor. So sollen die Bundesländer klimarelevante Maßnahmen in ihre Bauordnungen aufnehmen. Der Bund selbst will Flächen in seinem direkten und indirekten Eigentum für die Gewinnung erneuerbarer Energien bereitstellen. Neubauten sollen von vornherein Fotovoltaikanlagen erhalten. Auch das Wohneigentumsgesetz soll novelliert werden, um den Einbau von PV-Anlagen und Stromtankstellen für E-Autos zu erleichtern.

Bereits seit Januar 2020 fördert Österreich den in das Stromnetz eingespeisten Strom aus PV-Anlagen. Seit dem 11. März 2020 werden auch größere PV-Projekte, deren Zweck die eigenständige Versorgung ist, mit bis zu 250 Euro pro Kilowattstunde gefördert.

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Agrar-Photovoltaik im 22. Bezirk: Seit März 2021 ist Österreichs größte Fotovoltaikanlage am Netz. Sie versorgt rund 4900 Haushalte mit Strom. Zwischen den 25.626 PV-Modulen weiden 150 Juraschafe. (Bild: Johannes Zinner – Maxsolar)

Ein Meilenstein auf dem Weg in diese grüne Energiezukunft ist die auf einer ehemaligen Schotterdeponie bei Wien entstehende Fotovoltaikgroßanlage. Hier arbeiten der Energieversorger Wien Energie und das Traunsteiner Unternehmen Maxsolar zusammen. Die PV-Anlage des Landes soll 11,5 MW liefern und 5200 Wiener Haushalte mit Strom versorgen; damit wäre sie Österreichs größter Solarstromsammler. Von März bis Oktober werden zwischen den PV-Modulen um die 150 Juraschafe weiden, die das Gras kurz halten, das sonst konventionell gemäht werden müsste. Dann bestünde aber das Risiko, dass Steinschlag und Staub einzelne Module beschädigen.

Thema: Life Sciences
Ein erster Einstieg beginnt am Rhein in Ludwigshafen, er berichtet vom 5-HT Digital Hub Chemistry & Health und vom Digital Health Hub Nürnberg/Erlangen. Parallel dazu gibt es einen Report aus Österreich, der die Themenfelder Lebenswissenschaften, Biotechnologie und Nachhaltigkeit verbindet.

Letzte Hürde: Kunststoff-Recycling

Leider wirkt sich die Corona-Krise negativ auf die bereits gut etablierte Kreislaufwirtschaft aus. Das Verpackungsrecycling des Marktführers Altstoff Recycling Austria (ARA) liefert jährlich rund 900.000 t Rohstoffe aus Recycling und entlastet das Klima damit um 700.000 t CO₂-Äquivalente. Pandemiebedingt stehen derzeit aber viele Anlagen still und bremsen die eigentlich positive Entwicklung der letzten Jahre. 2019 sammelte ARA 1,09 Millionen t Verpackungen und Altpapier.

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Auf der K 2019 stellte EREMA erstmals seine neue Inhouse-Recyclinganlage Intarema ZeroWastePro vor. Sie ist speziell für PE- und PP-Folienproduktionsabfälle konzipiert – bis zu 100 % des Materials können damit recycelt werden. (Bild: EREMA)

Die Kärntner EREMA-Gruppe schloss 2019 ebenfalls gut ab. Das auf Kunststoffwiederverwertung spezialisierte Unternehmen und Marktführer im Bottle-to-Bottle-Recycling von PET-Verpackungen erreichte einen Gesamtumsatz von über 200 Millionen Euro. Trotz Krise ging EREMA mit neuen Lösungen auf den Markt, darunter die Anlage Intarema ZeroWastePro, die Folienabfälle bei der Produktion gleich wieder zu hochwertigem Regranulat verarbeitet. Das Thema Nachhaltigkeit sieht man bei EREMA allenfalls pausiert, eher werde es „durch die Lehren, die aus dieser Krise gezogen werden, sogar noch an Bedeutung gewinnen.“

Österreichs Recycling-Branche erreicht bereits heute die Zielvorgaben des EU-Kreislaufwirtschaftspakets 2025 für Verpackungen aus Papier, Glas und Metall. allerings die vorgegebene Recycling-Quote von 50 % bei Kunststoffen bis 2025 zu erreichen, muss die Wiederverwertung in den nächsten vier Jahren jedoch auf 150.000 t verdoppelt werden. Das ist laut ARA ohne staatliche Hilfen wahrscheinlich kaum erreichbar.

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Friedrich List ist Journalist und Buch­autor in Hamburg. Seit Anfang des Jahr­hunderts schreibt er über Themen aus Computer­welt und IT, aber auch aus Forschung, Fliegerei und Raum­fahrt, u.a. für Heise-Print- und Online-Publikationen. Für ihn ist SEO genauso interessant wie Alexander Gersts nächster Flug zur Inter­nationalen Raum­station. Außerdem erzählt er auch gerne Geschichten aus seiner Heimatstadt.

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