Microsoft Teams: Was MS Teams mit der Wirtschaft vorhat

An bzw. mit Corona ist das alte Büro­leben gestorben. Doch massen­haft Home­office hat Micro­soft wieder stärker zu­rück ins Ge­schäft ge­bracht, speziell mit Micro­soft Teams. Der gesamte Markt für Messaging, Zusammen­arbeit und Kom­mu­ni­ka­tion startet neu durch. Es gibt viele Chancen, aber noch mehr Risiken.

Erst Covid-19, jetzt auch noch Teams

Von Axel Oppermann

Wie passen 33 Milliarden Minuten oder, falls das einfacher zu begreifen ist, ca. 57.000 Jahre in einen einzigen Tag? Ganz einfach: Indem man die Zeit addiert, die rund 150 Millionen Nutzer von Microsoft Teams an einem einzigen Tag mit Zusammenarbeit, also Besprechungen, Anrufen, Chats, inhaltlicher Gemeinschaftsarbeit, eben mit diesem Microsoft Teams verbringen. Zum Vergleich: Jeden Tag wird über 1 Milliarde Stunden an YouTube-Inhalten angeschaut, bei Netflix werden etwas mehr als 170 Millionen Stunden am Tag gestreamt und bei Pornhub werden pro Minute 11.000 Stunden Video unaufgeregt ausgespielt.

Leicht gerundet beutet das: Jeder aktive Teams-Nutzer verbringt damit täglich durchschnittlich etwa 200 Minuten. Bei rund 1642 Stunden durchschnittlicher Jahresarbeitszeit eines Vollzeiterwerbstätigen in Deutschland sind das immerhin um die 40 % der Gesamtarbeitszeit. Wichtig bei der Beurteilung: Betrachtet wird hier nicht nur die Zeit für transaktionale Besprechungen, Chats etc., sondern der gesamte Arbeitsfluss im Geschäftskontext, also zum Beispiel auch das Vor- und Nachbereiten von Besprechungen in Teams (mit anderen Applikationen). Die Fragen, die gestellt werden müssen: Wie konnte es so weit kommen? Warum? Und geht das nicht auch besser? Aber der Reihe nach …

Was bisher geschah

Microsoft hat Teams im Jahr 2017 als halb fertigen Schnellschuss auf den Markt gebracht. Ziel war es, im Markt für „Team Collaborative Applications“ eine Alternative zu Slack anzubieten und diesen Markt nachhaltig zu prägen. Microsoft erkannte seinerzeit den Trend weg von der E-Mail hin zu Channel-based Messaging. Auch wurden der Bedarf und insbesondere die Möglichkeiten eines Services mit Plattformeffekt auf Anwendungsebene identifiziert. Diese Plattform adressiert nicht nur die Bedürfnisse hinsichtlich Meetings, Chat und Zusammenarbeit, sondern – und das ist der Clou, der noch immer von einer Mehrheit nicht gewürdigt, genutzt und kritisch hinterfragt wird – unterstützt auch Geschäftsanwendungen.

Ziel war es seinerzeit auch, die Relevanz und den Umsatz von Office 365 nachhaltig zu sichern. Durch die installierte Basis von Office 365 wurde schnell eine hohe Reichweite erzielt. Und durch einen Strategiewechsel von Skype for Business hin zu Teams wurde schnell eine einschneidende Bedeutung und insbesondere „Consumption“ erreicht – also „Verbrauch“ (im Sinne des Abomodells) bzw. „Gebrauch“. Mit der Integrationsfähigkeit zahlreicher Business-Apps wurde durch die (potenzielle) „Consumption Rate“ direkt und indirekt Nutzen gesteigert und so die Relevanz abermals erhöht. Für Unternehmen mit einer klaren Microsoft-Strategie bei Client bzw. Office-Produktivitätslösungen war (und ist heute noch immer) Teams das zentrale Tool für Zusammenarbeit und Kommunikation. Für alle anderen war und ist es nicht mehr als eine Option.

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Teams: In drei Jahren vom Chat-basierten Workspace in Office 365 zur zentralen Drehscheibe in den Unternehmen. (Bild: Microsoft)

Heute ist Teams eine relevante Lösung mit klar sichtbaren Schwächen. Microsoft arbeitet eine definierte Roadmap konsequent ab, um die Lösung permanent zu verbessern. Dies geschieht bereits schneller, als die Mehrzahl der Anwender(-Unternehmen) die neuen Funktionen und Möglichkeiten in ihren Arbeitsalltag und in ihre Organisation integrieren kann. Es ist eigentlich wie bei allem, was Microsoft macht: Es ist wie Vanille. Für 80 % der Leute passt es schon.

Doch auch wenn diese Aussage zutrifft, greift sie zu kurz. Den größten Fehler, den Entscheider und IT-Verantwortliche in Bezug auf Microsoft Teams machen können, liegt in der puren Einschätzung, Teams sei (nur) eine primäre Applikation für Zusammenarbeit, Meetings oder Chats.

Teams heute und morgen

Das Ziel, das Microsoft mit Teams verfolgt, geht weit über das Beglücken der Anwender mit fancy Services für Meetings, Chat, Telefonie, inhaltlicher Zusammenarbeit an Dokumenten und dergleichen hinaus. Im Fokus liegen vielmehr die Bereiche Geschäftsprozess-Workflow-Plattform und qualifizierte App-Umgebung.

Das alles liegt für Microsoft selbst in einem operativ und strategisch wichtigen, wertvollen Marktfeld. Die relevanten Kulissen dieser Szene sind:

  1. der Kontext des erweiterten Wettbewerbs mit Google – hier insbesondere über die Relevanz im Bereich Apps (Stichwort: browserbasierte Bereitstellung von Apps vs. Teams);
  2. der Bedarf an plattformübergreifenden, OS-unabhängigen Lösungen, die (auch) auf mobile Anwendungen bzw. Anwendungsszenarien ausgerichtet sind;
  3. die Wettbewerbssituation gegenüber Salesforce und Slack.

Ziel ist es, dass der Anwender in möglichst großem Umfang im Teams-Client interagiert, losgelöst von Endgerät oder Standort. Also dass die heutigen, oftmals in und mit Teams verbrachten ca. 40 % der Arbeitszeit in Richtung 100 % gehen.

Und wer jetzt vielleicht staunt oder auch nur eher ungläubig diese Zeilen liest: Das Ziel ist nicht abwegig. Es ist nicht unrealistisch. Es ist nicht weit entfernt. Warum?

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Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Heise-Beilage „IT- und Technologie­unternehmen stellen sich vor“. Einen Über­blick mit freien Downl­oad-Links zu sämt­lichen Einzel­heften be­kommen Sie online im Presse­zentrum des MittelstandsWiki.

Auf der einen Seite gibt es viele Erfüllungsgehilfen. Das sind die Tier-1-Software-Anbieter wie Adobe oder SAP und die Tier-2-Software-Entwickler aus dem Microsoft-Partner-Netzwerk. Auf der anderen Seite hat Microsoft mit der Power Platform, also zurzeit mit Power Apps, Power Automate, Power Virtual Agents und Power BI, selbst einen starken Hebel zur Zielerreichung im eigenen Portfolio. Die Plattform ist eine Low-Code-/No-Code-Lösung, mit der quasi jedermann in einem Unternehmen schnell eine Anwendung erstellen, einen virtuellen Agenten anfertigen, einen Workflow automatisieren oder Daten analysieren kann.

Die Power-Plattform hat Stand Oktober 2020 weltweit monatlich mehr als 10 Millionen aktive Nutzer. Und dies in mehr als 500.000 Unternehmen. Von Ikea bis Toyota reichen die Anwender der ersten Stunde. PayPal beispielsweise nutzt Power BI innerhalb von Teams, um den Datenzugriff zu erweitern, Analysen und Erkenntnisse besser bereitzustellen.

Kurzum: Die Sweet Spots von Teams liegen sowohl für die Anwenderunternehmen als auch für Microsoft nicht in einer besseren „Collaboration“ oder Kommunikation der Mitarbeiter. Sie liegen vielmehr

  • mittelfristig in der maximalen Automatisierung und einer Verdrängung des Produktionsfaktors Arbeit sowie
  • in einer sicheren, ortsungebundenen und plattformunabhängigen Bereitstellung aller relevanten Applikationen und Workflows.

Betrachtung im Marktumfeld

Microsoft agiert nicht im luftleeren Raum, sondern in komplexen Markt- und Wettbewerbssituationen. Noch haben Anwenderunternehmen die Qual der Wahl – oder besser: die Chance zur Wahl. Sie haben die Option, die Art und Weise zu bestimmen, wie sie Arbeitsabläufe gestalten. Und sie haben die Gelegenheit, Anbieter auszusuchen. Slack, Salesforce, ServiceNow, Cisco, Citrix, Zoom und viele mehr bieten Alternativen. Doch es ist festzuhalten, dass keiner dieser Anbieter den Markt so perfekt erschließt wie Microsoft. Das keiner aus sich heraus die für ein Anwenderunternehmen relevanten, bekannten und nicht bekannten, die latenten und die sichtbaren Anforderungen umfassend abbildet.

Es kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass sich der gesamte IT-Markt, insbesondere der Markt für Cloud-Lösungen und hier wiederum der Teilmarkt für Software as a Service (SaaS), durch die Corona-Situation massiv verschoben bzw. entwickelt hat.

Anbieter für Meeting- und Videokonferenzlösungen haben während der weltweiten Corona-Lockdowns ihre Nutzerzahlen massiv ausbauen können. Diese Anbieter kombinieren regelmäßig Services für Kommunikation, Zusammenarbeit und die gemeinsame Nutzung von Inhalten und ermöglichen damit virtuelle Besprechungsszenarien für eine Vielzahl von unterschiedlichen Anwendungsfällen. Die Ausgaben für diese Art von Lösungen werden laut Gartner mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate (CAGR) von 11 % (2019–2024) wachsen. Dann, im Jahr 2024, werden nur noch 25 % der Meetings persönlich stattfinden (gegenüber 60 % vor der Pandemie).

Der erste Grund hierfür ist die Zunahme von Remote-Arbeit. 74 % der Unternehmen planen, aufgrund ihrer Erfahrungen während der erzwungenen Lockdowns durch Covid-19, dauerhaft zu mehr Fernarbeit überzugehen. Ein weiter Grund für die Verschiebung ist Gartner zufolge die sich ändernde demografische Zusammensetzung der Belegschaft. Laut Fortune Business Insights wächst der Markt für Meeting- und Videokonferenzlösungen bis zum Jahr 2027 auf knapp 11 Milliarden US-Dollar. Zu den führenden Anbietern zählen unter anderem Cisco, Microsoft, BlueJeans Network, Zoom, Google, LogMeIn oder auch Adobe.

Moderne Collaboration-Lösungen ermöglichen es Anwendern, sich losgelöst von der Unternehmensorganisationsstruktur in Echtzeit in Gruppen zu unterhalten, „zu treffen“ und zu arbeiten. Laut IDC beschleunigte sich in den ersten sechs Monaten des Jahres 2020 die Nutzung von Kollaborationstechnologien um fast fünf Jahre. Trotz dieses enormen Anstiegs geht IDC davon aus, dass der Markt einen fünfjährigen CAGR von etwa 25 % haben wird. Begründet wird dies mit der Notwendigkeit, jeden Arbeitnehmer sicher und effektiv mit anderen und mit seiner Arbeit zu verbinden.

Betrachtet auf den Collaboration-Gesamtmarkt, ist Microsoft als führender Anbieter zu nennen. Klassiker wie Exchange und SharePoint, gepaart mit modernen Services wie Teams, sind ein bedeutsames Portfolio. Als weitere maßgebende Anbieter und Lösungen können Confluence (Atlassian) oder Citrix genannt werden. Und natürlich Slack. Slack ist ein relevanter Anbieter im gesamten Markt und ein überragender Anbieter im Subsegment für Channel-based Messaging im Business-Umfeld.

Weil die Ressource „Entwickler“ Mangelware ist und viele Anwenderunternehmen den steigenden Bedarf an Geschäftsautomatisierung nicht selbst schnell und zuverlässig bereitstellen können, wächst außerdem der Bedarf an Low-Code-Plattformen. Bei diesen Plattformen handelt es sich regelmäßig um Services, die auf modellgetriebenen oder visuellen Entwicklungsparadigmen aufbauen. Ziel ist es, Geschäftsprozesse und Anwendungen bereitzustellen, und zwar bei geringeren bzw. geringsten Anforderungen an die Fähigkeiten der Anwender (der Entwickler). Analysten gehen davon aus, dass bis 2025 etwa 50 % der mittelständischen und großen Unternehmen eine entsprechende Plattform strategisch eingeführt haben. Zu den führenden Anbietern zählt neben ServiceNow, Salesforce, Appian und Oracle auch Microsoft.

Betrachtung im Kontext

Auch wenn die Marktsegmente in diesem Rahmen nur recht rudimentär betrachtet werden und nicht alle relevanten Segmente und Zusammenhänge vorgestellt werden konnten, wird sichtbar: Es gibt nur wenige Anbieter, die in allen Teilsegmenten vertreten sind, die für eine Modernisierung der Arbeitsweise im Bereich Office-Produktivität wichtig sind. Und es gibt quasi nur einen einzigen Anbieter, der in allen bedeutsamen Marktfeldern eine zentrale Position einnimmt. Und das ist Microsoft.

Entscheider müssen sich dieser Gefahr gewahr sein. Die Frage lautet: Best-of-Breed oder Best-of-Suite? Die Frage lautet aber auch, ob die eigene Transformation am Lizenz- und Geschäftsmodell ausgerichtet werden sollte. Momentan sieht es so aus, als fielen viele Anwenderunternehmen blind in den von Microsoft aufgestellten Honigtopf. Hierbei werden klassische Austauschverhältnisse zwischen Lieferanten und Kunden zu Abhängigkeitsverhältnissen. Die scheinbare Corona-Soforthilfe namens Teams, die dazu dienen soll, das Tagesgeschäft zu ermöglichen, wird sich in vielen Unternehmen als hartnäckige Droge festsetzen und diese Unternehmen verändern, verschlucken.

Microsoft dringt mit Teams tief in die Geschäftsprozesse ein. Als neuer Applikation Layer und zentrale Schnittstelle zum Anwender wird Teams allgegenwärtig. Als Grundlage für Automatisierung und Workflow-Redesign wird Teams unverzichtbar. Jeder Entscheider, der Teams einführt und dessen Möglichkeiten hebt, der Anwendern „erlaubt“ (ermöglicht), eigene Workflows zu gestalten oder Automatisierung eigenständig und nicht organisatorisch getrieben zu forcieren, sollte an diese aparten Details denken.

Nicht nur die Corona-Situation hat Entscheider und Verantwortliche in Unternehmen in den vergangenen neun Monaten in einen enormen Umsetzungsdruck gezwungen. In eine Situation, in der ein sorgfältiges Überlegen und strategisch angemessenes Verhalten kaum möglich war. Trotz dieses enormen Drucks, trotz der großen Belastung in den IT-Abteilungen, „den Laden am Laufen zu halten“, muss jetzt eine grundlegende Strategie für die Kommunikation und Zusammenarbeit in hybriden Arbeitsmodellen gefunden werden, namentlich im Spannungsdreieck aus Homeoffice, Mobile und klassischer Büroarbeit. Beziehungsweise neu überarbeitet werden. Eine schleichende Unterwanderung muss vermieden werden. Gleichzeitig gilt es, Möglichkeiten zu erschließen.

Zu wichtig für Kurzentschlossene

Vordergründung ist die Corona-Situation ein Treiber für Microsoft Teams, Slack, Zoom und artverwandte Services. Unternehmen, die sich vor zwölf Monaten aus guten oder falschen Gründen gegen eine entsprechende Lösung ausgesprochen haben, kommen heute mit der internen Bedarfsdeckung oft nicht mehr nach. Und richten ihr Unternehmen, speziell ihre Arbeitsweise, im Bereich Office-Produktivität, an den Angeboten und Lizenzmodellen einiger weniger Anbieter aus. Dabei gibt es gute Gründe die Sache gründlich anzugehen. Tatsächlich stellen die derzeitigen Rahmenparameter nur einen (Brand-)Beschleuniger für die Einführung der erwähnten Lösungen dar. Der Bedarf, die Arbeitsweisen in den Unternehmen zu modernisieren, ist der eigentliche Treiber.

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Axel Oppermann berät seit über 17 Jahren als IT-Markt­analyst Technologie­unternehmen in Strategie- und Marketing-Fragen. Er arbeitet beim Beratungs- und Analysten­haus Avispador, schreibt für diverse Blogs, Portale, Fach­zeitschriften und kommentiert in diversen Bewegt­bild­formaten aktuelle Themen sowie den Markt. Als Gesprächs­partner für Journalisten und Innovatoren bringt Axel erfrischend neue Ansichten über das Geschehen der digITal-Industrie in die Diskussion ein. Seine viel­fältigen Erkenntnisse gibt Axel in seinen kontroversen, aber immer humor­vollen Vorträgen, Seminaren, Work­shops und Trainings weiter. Seine Themen: Digital & darüber hinaus.

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