Mittelstand: Der Mittelstand kann sich sehen lassen

Börsenkurse und Skandale trügen. In Wahrheit sind es Mittelständler, die ausbilden, gründen, exportieren, sich Neues einfallen lassen und Know-how im Land halten. Wie groß Deutschlands kleine und mittlere Unternehmen sind, beweist dieser Schwerpunktbeitrag.

Aus Tradition erfinderisch

Von Sabine Philipp/Jutta Gröschl, IfM Bonn

Rund 3,65 Mio. Unter­nehmen gehören zum deutschen Mittelstand – das sind 99,6 % aller Unter­nehmen der Privat­wirtschaft in Deutsch­land. In den kleinen und mittleren Unter­nehmen arbeiten etwa 15,71 Mio. Mitarbeiter – das sind 59,4 % aller sozial­versicherungs­pflichtig Beschäftigten. Insgesamt steuert der deutsche Mittel­stand knapp 55 % zur gesamten Wirtschafts­leistung aller deutschen Unter­nehmen bei.

Was genau ist aber der Mittelstand? „Der deutsche Mittelstand wird in der Öffentlichkeit gerne auf die mittelgroßen Industrieunternehmen reduziert. Tatsächlich ein Konglomerat von ganz verschiedenartigen Unternehmen: Das Start-up und die Arztpraxis gehören ebenso dazu wie der Handwerksbetrieb und die großen Familienunternehmen“, berichtet die Präsidentin des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) Prof. Dr. Friederike Welter. „Nicht die Größe charakterisiert daher nach unserer Definition den Mittelstand, sondern die Einheit von Eigentum und Leitung sowie die Unabhängigkeit.“ Das IfM erforscht die Lage, die Entwicklung und die Probleme des Mittelstandes.

Nach Zahlen bemessen

Um die verschiedenen Unternehmen auf einen Nenner zu bringen, hat das IfM eine quantitative Definition aufgestellt: Es grenzt mithilfe von Jahresumsatz (< 50 Mio. Euro) und Beschäftigtenzahl (< 500 Mitarbeiter) alle kleinen und mittleren unabhängigen Unternehmen (KMU) von den Großunternehmen ab.

Mittelstand und KMU
Nicht nur das IfM interessiert sich für den Mittelstand. Wenn es um Fördermittel oder KfW-Programme geht, gilt die EU-Definition für KMU, an der sich u.a. auch das Statistische Bundesamt orientiert.

„Daneben werden die mittelständischen Unternehmen in Deutschland auch durch qualitative Kriterien bestimmt: Als solches gilt ein Unternehmen, wenn Leitung, Haftung und Risiko beim Inhaber liegen – was in der Regel bei Familienunternehmen der Fall ist. Infolgedessen fallen unter die Mittelstandsdefinition auch Familienunternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten oder mehr als 50 Mio. Euro Jahresumsatz“, erläutert die IfM-Präsidentin.

Die Eigentümerführung wird als gegeben angesehen, wenn bis zu zwei natürliche Personen oder ihre Familienangehörigen nicht nur mindestens 50 % der Anteile halten, sondern auch der Geschäftsführung angehören. So kommt es, dass sich auch Dr. Oetker als Mittelständler bezeichnet, obwohl Umsatz und Mitarbeiterzahl (allein in Deutschland um die 3600) die quantitative Grenze sprengen.

Von allen der beste
Bereits vor über 2300 Jahren sprach der griechische Philosoph Aristoteles, dessen Gedanken unsere Welt bis heute prägen, vom Mittelstand und seiner tragenden Rolle: Ein Staat, in dem der Mittelstand herrsche, sei der glücklichste, beste und sittlichste. Der Grund: „Ein solcher Vermögensstand gehorcht am leichtesten der Vernunft.“

Im Wandel in der Geschichte

Im Vergleich zu anderen Industriestaaten kommt den mittelständischen Unternehmen spätestens seit Ludwig Erhard eine besondere Bedeutung zu. Historisch betrachtet geht der begriffliche Ursprung deutlich weiter zurück, denn das Wort „Mittelstand“ wurde im Jahre 1695 zum ersten Mal in Schlesien nachweislich in einer Klageschrift der Königlichen Erbfürstentümer und Städte in Bezug auf die Steuerbelastungen verwandt.

Ab Anfang des 19. Jh. kam der Begriff dann als Abgrenzung zum bäuerlichen Stand zum Einsatz. So zählte Johann Wolfgang von Goethe 1816 die „Bewohner kleiner Städte“ zum Mittelstand, „deren Deutschland so viele wohlgelegene, wohlbestellte zählt, alle Beamte und Unterbeamte daselbst, Handelsleute, Fabrikanten, vorzüglich Frauen und Töchter solcher Familien, auch Landgeistliche, insofern sie Erzieher sind.“ Anfang des 20. Jh. setzte sich der Begriff „Mittelstand“ dann als Bezeichnung für eine ökonomische Einheit durch, als er im Jahre 1919 gesetzliche Verankerung im Artikel 164 der deutschen Reichsverfassung fand. Darin wurde festgelegt, dass der selbstständige „Mittelstand in Landwirtschaft, Gewerbe und Handel, in Gesetzgebung und Verwaltung gefördert und gegen Überlastung und Aufsaugung zu schützen“ sei.

Mittelstand heute
Zwei Publikationen des IfM Bonn, Mittelstand im Wandel und Mittelstand zwischen Fakten und Gefühl, untersuchen, was „Mittelstand“ aus Sicht der Wirtschaft heute ausmacht. Sie belegen die breite Aufstellung der mittelständischen Wirtschaft vom Solo-Selbstständigen über IT-Start-ups bis hin zu klassischen Familienunternehmen.

Fazit: Weit mehr als die Mitte

Die Aufregerdebatten um Heuschrecken und Konzernskandale verstellen den Blick auf diejenigen, die Deutschland in der Welt groß gemacht haben und weiter groß machen. Der Mittelstand, das sind die Menschen, die anpacken, etwas schaffen und ihr Land positiv verändern. Es sind die Betriebe mit Tradition und Stolz. Es sind die Freiberufler, die Handwerker, die ortsbekannten Unternehmer, die sich mit ihrem Land, ihren Produkten und ihren Mitarbeitern identifizieren. Es sind die jährlich etwa 425.000 Existenzgründer, die durch ihren Mut und ihre Innovationskraft die Volkswirtschaft immer wieder neu beleben. Die dafür sorgen, dass Made in Germany selbst im fernen China einen guten Klang hat. Kurz: Es sind die Menschen, die Deutschland zu dem machen, was es ist.

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