Open Web Index: Warum ein Open Web Index wirt­schaft­lich wichtig wäre

Google hat auf dem Such­maschinen­markt in weiten Teilen der Welt eine erdrückende Über­macht. Gegen­steuern ließe sich unter anderem mit einem eigenen, euro­päischen Web-Index: Open Data aus dem Internet sozusagen. Ein solcher Vor­schlag steht derzeit im Raum und würde zahl­reiche neue Anwen­dungen ermöglichen.

Internet-Geschäftsmodelle mit offenem Index

Von Roland Freist

Der weltweite Marktanteil von Google liegt derzeit bei 91,6 %, in Deutschland sind es sogar 93,3 %. Das gibt der Firma aus dem kalifornischen Mountain View eine ungeheure Macht, und zwar gleich auf mehreren Ebenen. Erstens bestimmen die Algorithmen, die für die Reihenfolge der Suchergebnisse verantwortlich sind, darüber, welche Unternehmen im Internet Erfolg haben und welche Sites wahrgenommen werden. Da üblicherweise nur die Treffer auf den ersten Ergebnisseiten angeklickt werden, konzentrieren sich die Besuche auf die Sites, die ohnehin schon populär sind.

Zweitens: Über die Suchmaschine hat Google sehr erfolgreich seine Werbeaktivitäten gefördert. Die über Google geschalteten Anzeigen decken heute das Internet zu 98 % ab, weltweit gibt es nur die Kooperation zwischen Microsoft Bing und Yahoo als Konkurrenz. Dabei ist nach dem Verkauf von Yahoo nicht nur unklar, wie es mit dem Unternehmen weitergehen wird, die gemeinsame Such-Engine der beiden Firmen liegt auch weit abgeschlagen hinter Google. Entsprechend sieht es bei den Werbeeinnahmen aus. Lediglich Facebook ist es gelungen, in seinem sozialen Netzwerk ohne Google auszukommen und dennoch weltweit hohe Anzeigenumsätze zu generieren. Drittens verschafft die Monopolstellung, die Google in weiten Teilen der Welt quasi innehat, der Firma Zugriff auf die Daten von Milliarden von Benutzern.

Hebel gegen das Google-Monopol

Dr. Wolfgang Sander-Beuermann, Geschäftsführer und Vorstandsmitglied des Vereins SUMA-EV, der die Suchmaschine MetaGer betreibt, beschäftigt sich bereits seit vielen Jahren mit der Entwicklung von Suchmaschinen und speziell mit Google. Er sieht drei Möglichkeiten, um gegen die Vormachtstellung von Google anzugehen und Chancen für neue Wettbewerber zu schaffen:

  • Regulatorisch: Bereits seit 2010 laufen in der EU drei Kartellverfahren gegen Google. Zusätzlich hält Dr. Sander-Beuermann jedoch die Einrichtung einer Institution nach dem Vorbild der KEK (Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich) für erforderlich, welche die Marktanteile der Suchmaschinenbetreiber laufend kontrolliert und ab einem gewissen Wert Gegenmaßnahmen ergreift. Weitere Möglichkeiten wären etwa die Offenlegung der Geschäftsberichte der Betreiber nach dem Open-Data-Prinzip oder eine Steuergestaltung, die der Monopolbildung entgegenwirkt.
  • Politisch: Hier ist vor allem die EU gefragt. Vor einigen Jahren zeigte sie in zwei Kartellverfahren Härte gegen Microsoft, beide Male ging es um das Bundling von Microsoft-Anwendungen mit dem Betriebssystem Windows. Insgesamt zahlte der Konzern Bußgelder in Höhe von rund 2 Milliarden Euro, musste den Benutzern eine Windows-Version ohne Media Player anbieten und die Auswahl unter verschiedenen Browsern gestatten. Zudem war Microsoft gezwungen, anderen, teilweise konkurrierenden Firmen, die Schnittstellen zum Windows-Server offenzulegen.

Dr. Sander-Beuermann verweist zudem darauf, dass Europa derzeit die einzige führende Weltregion ohne eigenen Web-Index ist. In den USA führen sowohl Google wie auch Microsoft eigene, globale Indexe für ihre Suchmaschinen. In Russland und den russischsprachigen Ländern hält die Suchmaschine Yandex dagegen, auch sie führt einen eigenen Index. Im asiatischen Raum gibt es die Indexe der chinesischen Firma Baidu sowie der beiden südkoreanischen Anbieter Naver und Daum. In Europa kommt lediglich die lokale tschechische Suchmaschine Seznam auf nennenswerte Marktanteile – und das auch nur in ihrem Heimatland. Von daher gibt es noch einen dritten Hebel:

  • Technisch: Um die Dominanz von Google zu durchbrechen, entwickelt eine Gruppe von Wissenschaftlern einen europäischen Open Web Index. Die Macher verweisen explizit darauf, dass es sich nicht um eine neue Suchmaschine handelt. Denn Google ist zwar aufgrund seiner Größe eine Bedrohung, allerdings genießt die Suchmaschine des Konzerns bei den Anwendern auch hohes Ansehen. Für die Mehrheit von ihnen gebe es daher kaum einen Grund, einen anderen, konkurrierenden Anbieter zu wählen. Außerdem spielten bei dieser Entscheidung auch die Erfahrungen mit dem Mitte der 2000er Jahre gestarteten Projekt Quaero eine Rolle.

Web-Index nach dem B2B-Modell

Stattdessen schwebt den Initiatoren die Bildung eines Index vor, auf den interessierte Firmen und Entwickler in einem B2B-Modell gegen eine Gebühr zugreifen können. Sie könnten die Daten für ihre eigenen Anwendungen nutzen und neue, innovative Geschäftsmodelle aufbauen. Dabei ist ein großes Spektrum von Möglichkeiten denkbar, von allgemeinen oder auch speziellen, themengebundenen Kartendiensten und Preisvergleichsportalen über die Analyse von Linkstrukturen bis hin zu Trendbarometern und KI-Programmen. Gleichzeitig könnten sich aber auch ganz neue Kategorien von Anwendungen entwickeln.

Ein solcher Index würde eine staatliche Anschubfinanzierung benötigen, am besten durch die EU oder eine Kooperation mehrerer europäischer Länder. Eine einzelne Organisation oder ein einzelner Staat könnte ein solches Projekt kaum finanzieren, denn die Kosten gehen vermutlich in die Milliarden: Zigtausende von Rechnern wären nötig, um die Indexdaten zu speichern, es müssten Rechenzentren gebaut, es müsste Software entwickelt und es müssten die organisatorischen Strukturen geschaffen werden. Immerhin würde durch die Vermarktung nach einiger Zeit auch ein Return on Investment beginnen. Doch rechnen die Initiatoren damit, dass das Projekt zumindest die ersten fünf Jahre auf staatliche Fördergelder angewiesen wäre.

Bei einer staatlichen Finanzierung besteht natürlich die Gefahr, dass die geldgebenden Länder versuchen, die Suchergebnisse oder ihr Ranking in ihrem Sinne zu beeinflussen. Um das zu verhindern, müsste der Index unabhängig und staatsfern organisiert werden. Möglich wäre das beispielsweise über das Modell einer Stiftung, vergleichbar etwa der deutschen Stiftung Warentest. Um andererseits den Schutz der Benutzerdaten zu sichern, sollten für den Open Web Index entsprechende AGB formuliert werden. Alle Firmen und Organisationen, die den Index nutzen wollen, müssen diese AGB unterschreiben und sich damit zum Schutz der Benutzerdaten verpflichten.

Das alte Internet – ein neuer Markt

Ein europäischer Web-Index könnte nicht nur zu einer ernst zu nehmenden Konkurrenz für Google werden, sondern würde den europäischen Ländern auch ein eigenes Verzeichnis für das World Wide Web bescheren. Durch die offene Struktur würde nicht nur ein einziger Konzern von den Daten profitieren, stattdessen böte sich jungen Unternehmensgründern die Möglichkeit, auf Basis eines Datenbestands, der das gesamte Internet umfasst, eigene Ideen und Geschäftsmodelle zu entwickeln und umzusetzen. Ein Open Web Index würde damit nicht nur mehr Unabhängigkeit von den bestehenden, unternehmenseigenen Angeboten bedeuten, sondern wäre auch praktizierte Wirtschaftsförderung.

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