The DAO: Wer hinter den Smart Contracts der DAO steckt

Ohne Firmensitz, ohne Entscheider und Geschäfts­führung und ohne Mitarbeiter – mit The DAO ist ein Geschäfts- und Finanzierungs­modell angetreten, das (fast) allem widerspricht, was als normal gilt. Einzig der Daseins­zweck ist vertraut: Return on Investment. Neu sind sogar die ganz eigenen Risiken.

Die im freien Raum schwebende Firma

Von Roland Freist

In den vergangenen Wochen ist The DAO ins Licht der Öffentlich­keit gerückt. Große, über­regionale Medien wie die Süddeutsche Zeitung, die Zeit oder die New York Times berichteten von dem unglaublich erfolgreichen Crowdfunding-Projekt, aber auch über die Aktion eines Unbekannten, der Millionen US-Dollar an Investoren­geld beiseite­geschafft hatte. Um zu verstehen, was es damit auf sich hat, muss man jedoch zunächst wissen, was die DAO eigentlich ist.

Die Vorgeschichte der Gründung

Die Abkürzung DAO steht für „Dezentrale Autonome Organisation“ (Decentralized Autonomous Organization) und ist der Name einer im April 2016 gegründeten virtuellen Firma, die sich auf die Kryptowährung Ethereum stützt. Gegründet haben das Unternehmen die Brüder Christoph und Simon Jentzsch, zwei Programmierer aus Mittweida in Sachsen. Christoph ist Assistent am Leibniz-Institut für Polymerforschung in Dresden und freier Entwickler; er war zuvor als Cheftester für Ethereum tätig. Simon hatte als IT-Consultant an mehreren großen Softwareprojekten mitgearbeitet. Zusammen mit Stephan Tual, der unter anderem für Visa und BP tätig gewesen war, gründeten sie die Firma Slock.it, die eine universelle Plattform für die Sharing Economy entwickeln will. Dazu brauchten sie Geld.

In den USA wenden sich Start-ups in einem solchen Fall gerne an Risikokapitalgeber, die in Deutschland jedoch dünn gesät sind und auch bei Weitem nicht so finanzkräftig. Außerdem wollten die Jentzsch-Brüder vermeiden, dass fremde Investoren die Kontrolle über ihr Unternehmen bekommen. Christoph Jentzsch erklärte dazu in einem Zeit-Interview, dass zentrale Entscheidungsprozesse seiner politischen Einstellung widersprächen. Also beschlossen die drei, eine eigene Investmentfirma zu gründen, eben die DAO. Allerdings entschieden sie sich dabei für eine völlig neue Form.

Eine virtuelle Firma ohne Mitarbeiter

Die DAO ist eine Firma ohne Angestellte und ohne Management. Sie existiert lediglich in Form einer Software, die laut Manifest nur den einen Zweck verfolgt, einen Return on Investment für die DAO und ihre Mitglieder zu erzielen. Der Sourcecode des Programms ist offen einsehbar und steht auf GitHub bereit. Auch eine Anleitung für Reviews ist dort zu finden. Es handelt sich allerdings nicht um Open Source, denn der Code sollte nach dem Willen der Gründer nicht verändert werden können – eine Einschränkung, die im weiteren Verlauf der DAO-Geschichte noch wichtig werden sollte.

Ihrem Wesen nach ist die DAO eine Art Crowdfunding-Unternehmen, das sich jedoch insofern von Firmen wie Kickstarter oder Indiegogo unterscheidet, als die Mitglieder über die zu finanzierenden Projekte abstimmen. Die DAO ist in die Infrastruktur von Ethereum eingebunden, Investitionen sind nur in Form von Ether möglich, der Währungseinheit der Kryptowährung. Dafür erhalten die Investoren Anteile in Form von Daos. Je höher die Summe ist, mit der sie sich beteiligen, desto mehr Daos und damit Stimmrechte bekommen sie. Abstimmungen über Investitionsprojekte erfolgen komplett softwaregesteuert, die Ergebnisse sind transparent.

Die Gründer der DAO bezeichnen das Projekt als ein „soziales Experiment“. Tatsächlich ist es eher ein ökonomisches Experiment: eine Firma, die außerhalb der Grenzen der Nationalstaaten agiert und sich keiner bestimmten Person oder Personengruppe zuordnen lässt. Gleichzeitig ist auch die Offenheit des Codes ein wichtiger Faktor, der bei potenziellen Investoren Vertrauen schaffen soll. Der Verzicht auf menschliches Personal und die Entscheidungsfindung über Abstimmungen bedeuten zudem, dass der Kurs des Unternehmens nicht durch einzelne Manager und ihre persönlichen Vorstellungen und Visionen bestimmt wird.

Smart Contracts und Kuratoren

Das Konzept hinter solchen virtuellen Firmen wurde in der Vergangenheit bereits mehrfach beschrieben. Es basiert auf der Idee von Smart Contracts: in Software umgesetzten Verträgen, welche die Beziehungen zwischen den Mitarbeitern eines Unternehmens, aber auch die Ziele und Grundsätze der Firma selbst regeln. Da sie nicht von menschlichen Beziehungen abhängig sind, gelten sie als deutlich verlässlicher.

Aber wer entscheidet nun, welche Investitionsprojekte den DAO-Mitgliedern zur Abstimmung vorgelegt werden? Das sind die Kuratoren, die laut Website eingeführt wurden, um zu verhindern, dass Einzelpersonen mehr als 50 % der Anteile an der Firma übernehmen und die verfügbare Investitionssumme anschließend in ihre eigenen Projekte lenken. Hier wird es etwas heikel, denn die Mehrheit der dort aufgeführten Personen ist entweder mit Ethereum oder Slock.it verbandelt. Es taucht dort beispielsweise Vitalik Buterin auf, der russische Entwickler, der die Kryptowährung ins Leben gerufen hat. Griff Green hingegen gehört zum Team von Slock.it. Da verwundert es nicht, dass Slock.it zu den ersten beiden Projekten gehörte, über welche die DAO abstimmen ließ. Das zweite heißt Mobotiq und arbeitet an einem autonom fahrenden Elektroauto. Beide bekamen mittlerweile die Zustimmung der Mehrheit der Anteilseigner.

Der 150-Millionen-Bug im Programm

Seit der Gründung der DAO haben sich die Ereignisse überschlagen. Nachdem die Software aktiviert worden war, sammelte das Unternehmen bis Ende Mai die unglaubliche Summe von mehr als 150 Mio. US$ ein und wurde dadurch zur erfolgreichsten Crowdfunding-Kampagne aller Zeiten. Den Anlegern gefiel offensichtlich die Vorstellung von einem Investment-Unternehmen, das keinen physischen Sitz hat und in keinem bestimmten Land verortet werden kann. Die DAO ist daher keinen staatlichen Regularien unterworfen und wird vermutlich auch keine Steuern zahlen – an wen auch? Hinzu kommt, dass aufgrund der Verwendung der Kryptowährung Ethereum die Investoren anonym bleiben können.

Doch das System der Smart Contracts, auf dem die DAO aufbaut, hat auch seine Tücken. Ein bislang unbekannter Anteilseigner las sich den Code aufmerksam durch und entdeckte, dass er über eine zuvor nicht genutzte Funktion eine Art Tochtergesellschaft anlegen konnte. Zudem fand er eine Lücke im Programm, die es ihm erlaubte, Ethers im Wert von mehr als 50 Mio. US$ dorthin zu transferieren. Allerdings sorgte der Programmcode auch dafür, dass er vier Wochen lang nicht an das Geld herankam. Dann jedoch hätte er freien Zugriff darauf gehabt.

Der Vorschlag zur Krisenlösung

Das stürzte die aktiven Mitglieder der DAO in einen Gewissenskonflikt. Denn einerseits sollte der Programmcode gemäß der Philosophie der Smart Contracts nicht veränderbar sein, um menschliche Einflussnahmen zu unterbinden. Smart Contracts sind die elektronische Entsprechung zu normalen Verträgen, die nicht gebrochen werden dürfen. Andererseits wollte man aber natürlich das Geld zurück.

In der Diskussion war zunächst eine Änderung des Codes, ein sogenannter Soft Fork, der das Geld auf dem Konto der Tochtergesellschaft dauerhaft gesperrt hätte. Aufgrund eines weiteren Bugs im Programm hat man diese Möglichkeit jedoch bald wieder verworfen.

Auf Vorschlag von Vitalik Buterin wurde stattdessen ein Hard Fork durchgeführt: Um das verbleibende Kapital zu schützen, überführten es die DAO-Entwickler unter Ausnutzung der gleichen Programmlücke zunächst ebenfalls in Tochtergesellschaften, wo es mehrere Wochen unerreichbar war. Während dieser Frist unterbreitete man den Anteilseignern den Vorschlag, sämtliches Kapital von allen Tochtergesellschaften auf eine neue Adresse in der Ethereum-Blockchain zu übertragen.

Da es sich bei der DAO eben um eine dezentrale Organisation handelt, musste jedoch die Mehrheit der Mitglieder diesem Vorhaben zustimmen. Es wurden Stimmen laut, die darauf hinwiesen, dass der Programmcode genau wie ein Vertragstext rechtlich bindend ist; Lücken im Programm seien daher genauso zu akzeptieren wie die Klauseln in einem Vertrag. Letztlich hat sich jedoch offenbar die Mehrheit der Anteilseigner zum Stichtag am 19. Juli für die von den Gründern vorgeschlagenen Änderungen entschieden.

Fazit: Ein Experiment am offenen Geldbeutel

Es wird spannend sein, die weitere Entwicklung der DAO zu beobachten. Die Firma verwaltet ein großes Vermögen. Das weckt Begehrlichkeiten, nicht nur bei Investoren und Firmen mit Kapitalbedarf, sondern auch von staatlicher Seite. Gleichzeitig haben sich schon im Juni 2016 auch die Nachteile der Smart Contracts gezeigt. Und es ist wahrscheinlich, dass es noch weitere Sicherheitslücken im Programmcode gibt. Ob die Anteilseigner und die Ethereum-Community dann weiteren Änderungen zustimmen werden, ist mehr als ungewiss. Die DAO basiert auf offenen Regeln – das ist zu begrüßen. Doch damit allein wird sie nicht überleben können.

Roland-Freist.jpg

Roland Freist, Jahrgang 1962, begann nach einem Studium der Kommunikations­­wissenschaft ein Volontariat beim IWT Verlag in Vater­­stetten bei München. Anschließend wechselte er zur Zeitschrift WIN aus dem Vogel Verlag, wo er zum stell­­vertretenden Chef­­redakteur aufstieg. Seit 1999 arbeitet er als freier Autor für Computer­­zeitschriften und PR-Agenturen. Seine Spezial­­gebiete sind Security, Mobile, Internet-Technologien und Netz­­werke, mit Fokus auf Endanwender und KMU.


Redaktionsbüro Roland Freist, Fritz-Winter-Str. 3, 80807 München, Tel.: (089) 62 14 65 84, roland@freist.de

Nützliche Links