Web 2.0

Das entfesselte Netz

Von Loredana Covaci/Peter Riedlberger

Will man es genau wissen, so ist es gar nicht so leicht, Web 2.0 zu definieren. Ursprünglich wurde der Ausdruck als Marketing-Phrase für eine Kongressreihe geprägt, die im Oktober 2004 begann. Die Erfinder scherten sich wenig um eine präzise Definition. Sie waren eben der Ansicht, dass das Web in eine neue Phase eingetreten sei; also notierten sie ältere Angebote (was sie dann Web 1.0 nannten) neben den neuen, innovativen Diensten (ihr Web 2.0).

Die Liste war eben ein Marketingprodukt – und dementsprechend undurchdacht. Da wurde MP3.com mit Napster parallelisiert (Letzeres definitiv kein Webprodukt) und in Bittorrent die Aktualisierung von Akamai gesehen (hier setzte man also Filesharing und Load-Balancing gleich). Auf den ersten Blick besonders unerklärlich erscheint das „.0“. Warum nicht einfach „Web 2“? Vermutlich wollte man bewusst ein „dot“ im Namen, um an die marketingtechnisch ruhmreichen Dotcom-Zeiten anzuknüpfen.

Demonstrativ doppeldeutig

Letztlich klappte das auch: Journalisten, Blogger und Marketing-Leute machten sich das Schlagwort „Web 2.0“ zu eigen, nicht zuletzt deswegen, weil man praktisch alles „Web 2.0“ nennen und so mit einem Flair von Innovation ausstatten kann. Die logische Folge: Ganz unterschiedliche Dinge werden als „Web 2.0“ bezeichnet. Immerhin hat sich mittlerweile mehr und mehr herauskristallisiert, dass vor allem zwei (im Übrigen sehr unterschiedliche) Phänomene das Etikett „Web 2.0“ erhalten:

  1. eine bestimmte, neuartige Softwaretechnologie namens AJAX und
  2. das Phänomen der sozialen Kooperation.

AJAX

Die Softwaretechnologie erkundet man besser, als dass man sie beschreibt: Sehen Sie sich eine Webseite wie www.ajaxwrite.com an. Sie finden dort eine komplette Textverarbeitung im Browserfenster, mit kaskadierenden Menüs, Werkzeugleiste, DOC-Importfunktionalität – praktisch allem außer dem Rechtsklickkontextmenü, denn das gehört nach wie vor dem Browser. Ajaxwrite (ebenso wie andere faszinierende Sites à la www.meebo.com, www.numsum.com, www.protopage.com oder www.eyeos.info) basiert auf der Browsertechnologie AJAX. Ehe die zur Verfügung stand, wurde solche Interaktivität mit Java und später Flash realisiert, aber AJAX bietet wesentlich mehr Möglichkeiten. Kurz: Wenn jemand von einer Web-2.0-Website spricht, könnte er Journalist oder Marketing-Mensch sein und eine AJAX-Website meinen.

Social Net

Der andere, große Bereich, der als Web 2.0 bezeichnet wird und der überhaupt nichts mit AJAX zu tun hat, ist das Phänomen der sozialen Kooperation in Kombination mit der vereinfachten Content-Erstellung.

Das bedeutet: Wer vor einigen Jahren Text ins Internet stellen wollte, musste erst einen kostenlosen Webhoster finden. Dann musste er irgendwie seine Webseiten gestalten und hochladen. Heute meldet er sich bei einem der zahlreichen Blog-Anbieter an und schreibt seine Texte, die dann automatisch ein Datum erhalten, durchsuchbar sind, kommentiert werden können usw. Mit anderen Worten: Wer einen Browser bedienen kann, kann heute Content generieren. Das gilt nicht nur für Blogs, sondern z.B. auch für Wikis, wo jeder an statischen Webseiten mitschreiben kann, oder für spezielle Unternehmensportale.

Hier kommt auch die soziale Komponente ins Spiel: Bei Wikis kann jeder (jedenfalls theoretisch) Texte auch der anderen ändern, bei Blogs wird aufeinander Bezug genommen (Blogrolls, Trackbacks usw.). Eine Web-2.0-Site kann daher also auch eine Website meinen, die massiv mit benutzergenerierten Inhalten arbeitet. Die klassischen Beispiele sind Wikipedia und YouTube.

Mittel und Möglichkeiten

Eine normale Firmenpräsentation kommt wohl gut ohne AJAX aus. Gibt es aber gute Gründe – z.B. bei einer Visitenkartendruckerei, die die interaktive Online-Gestaltung der Karten erlauben will – dann kann der Einsatz von AJAX (aber auch von anderen Technologien wie Flash) lohnen. Ärgerlich ist nur, dass die Technologie Datendieben neue Angriffsflächen bietet. Weil der PC des Surfers bei AJAX-Seiten aktiv mitspielen muss, können böswillige Hacker diesen offenen Code in aller Ruhe auf Schwachstellen durchleuchten. Das stellt die IT-Sicherheit vor neue Herausforderungen.

User-generierten Inhalt dürfte eine Firmenwebsite dagegen in den seltensten Fällen wünschen – vermutlich würden schnell Konkurrenten oder andere Störenfriede die eigene Website füllen. Ausnahmen bestätigen aber die Regel. So könnte etwa ein Expeditionsreiseveranstalter (registrierten) Kunden die Möglichkeit geben, eigene Reiseberichte und/oder Tipps zu publizieren. Dieser kostenlos entstandene Content würde dann von den Suchmaschinen erfasst und weitere Interessenten auf die Veranstalterwebsite locken.

Fazit: Vorsicht vor Schwätzern

Was heißt das alles für den Unternehmer? Es muss erstens klar sein, dass jemand, der den Ausdruck „Web 2.0“ verwendet, kein Techniker, sondern Vertriebler ist. Zweitens muss man stets rückfragen, ob damit AJAX-Technologien oder aber benutzergenerierte Inhalte gemeint sind. Und drittens: Je nachdem, was gemeint ist, und je nach den Erwartungen kann sich „Web 2.0“ dann lohnen – oder auch nicht.

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