Durchsetzung von Forderungen künftig nach EU-Recht

Neben der Reform des Erbrechts beschloss das Bundeskabinett heute ein weiteres Gesetz. Der „Gesetzentwurf zur Verbesserung der grenzüberschreitenden Forderungsdurchsetzung und Zustellung“ setzt eine EG-Verordnung zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens und eine weitere zur Einführung eines Europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen in nationales Recht um. Beide Verordnungen haben daher direkten Einfluss darauf, wie EU-Ausländer Forderungen gegenüber deutschen Unternehmen geltend machen können, bzw. diese ihrerseits Forderungen innerhalb der EU eintreiben können.

Der heute vom Bundeskabinett beschlossene Gesetzentwurf enthält die erforderlichen nationalen Durchführungsvorschriften für die genannten EG-Verordnungen. Diese Verordnungen gelten zwar unmittelbar. An einigen Stellen verweisen sie aber ausdrücklich auf das nationale Recht oder geben dem nationalen Gesetzgeber Spielraum. Diese Schnittstellen füllt der Gesetzentwurf nun für Deutschland aus.

Nach dem Entwurf ist in Deutschland für die Bearbeitung von Anträgen im Europäischen Mahnverfahren allein das Amtsgericht Berlin-Wedding zuständig, soweit es nicht um arbeitsrechtliche Ansprüche geht. Die Zuständigkeitskonzentration erleichtert es dem Antragsteller – der in der Regel im EU-Ausland ansässig ist – außerdem erheblich, seinen Antrag beim zuständigen Gericht einzureichen.

Zum Europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen enthält der heute beschlossene Gesetzentwurf einige Anpassungen und Klarstellungen sowohl für das Verfahren bis zum Urteil als auch für die Zwangsvollstreckung. Sie betreffen insbesondere die Regelungen über die Beweisaufnahme und zum Gang des Verfahrens. Die Durchführung des Verfahrens wird dadurch für den EU-Ausländer einfacher. Zugleich wird die Geltendmachung grenzüberschreitender Forderungen bis 2000 Euro nach dem europäischen Verfahren in den deutschen Zivilprozess eingebettet.

Neben den Ausführungsvorschriften für das Europäische Mahnverfahren und das Europäische Verfahren für geringfügige Forderungen enthält der heute beschlossene Gesetzentwurf einige für Zivilprozesse wichtige Bestimmungen zur Vereinfachung und Beschleunigung von Zustellungen in EU-Mitgliedstaaten und Nicht-Mitgliedstaaten.

Die Texte der EG-Verordnungen zum Europäischen Mahnverfahren und zum Europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen sind über das Portal „EUR-Lex“ abrufbar. Der beschlossene Gesetzentwurf steht ebenfalls im Internet per Download zur Verfügung.

Mit Ausnahme der Ausführungsbestimmungen für das Europäische Mahnverfahren, die bereits ab dem 12. Dezember 2008 gelten, soll das Gesetz am 1. Januar 2009 in Kraft treten. (BMJ/ml)

Erläuterungen zu den Regelungen

(Anm. d. Red.:Die hier im Wortlaut zitierten Erläuterungen des Bundesjustizministeriums beziehen sich allerdings vor allem auf die Situation von Konsumenten und nicht auf Unternehmensinteressen.)

1. Europäisches Mahnverfahren

Das Europäische Mahnverfahren nach der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 bietet einem Gläubiger die Möglichkeit, schnell und kostengünstig einen Titel zu bekommen, wenn der Schuldner die Forderung voraussichtlich nicht bestreiten wird. Anwendbar ist die Verordnung bei Geldforderungen. Es muss außerdem ein grenzüberschreitender Fall vorliegen, d.h. die Parteien müssen grundsätzlich in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässig sein.

Beispiel: Eine Studentin bestellt von München aus über das Internet bei einem Computerhändler in London ein Notebook. Bei der ersten Nutzung stellt sich heraus, dass der Prozessor langsamer ist, als im Internet angepriesen. Die Studentin widerruft sogleich den Kaufvertrag und sendet das Notebook nach London zurück. Trotz mehrerer Aufforderungen erstattet der Händler ihr den im Voraus gezahlten Kaufpreis nicht zurück.

Künftig kann die Studentin nach dem Europäischen Mahnverfahren vorgehen und auf einem Standardformular beim zuständigen englischen Gericht den Erlass eines Zahlungsbefehls beantragen. Das ist eine große Erleichterung, denn die Studentin kann ein europaweit einheitliches und einfaches Verfahren wählen und muss nicht nach der jeweiligen einzelstaatlichen Verfahrensordnung vorgehen. Das Formular des Europäischen Mahnverfahrens ist anwenderfreundlich gestaltet: Durch Ankreuzfelder werden sprachliche Schwierigkeiten beim Ausfüllen weitgehend vermieden. Ist der Antrag der Studentin im Ausgangsfall nicht offensichtlich unbegründet, erlässt das Gericht den Zahlungsbefehl. Diesen Zahlungstitel stellt das Gericht dem Antragsgegner – hier dem Computerhändler – zu. Er hat dann die Möglichkeit, den Zahlungsbefehl entweder zu akzeptieren oder Einspruch einzulegen.

Legt der Computerhändler innerhalb von 30 Tagen keinen Einspruch ein, erklärt das Gericht den Zahlungsbefehl automatisch für vollstreckbar. Die Studentin kann den Zahlungstitel dann in jedem EU-Mitgliedstaat zwangsweise durchsetzen. Im Fall eines Einspruchs des Computerhändlers beginnt ein gewöhnlicher Zivilprozess. Die Studentin müsste dann genau begründen und notfalls beweisen, warum sie ihr Geld zurück möchte.

Der Antragsgegner hat also – anders als im deutschen Mahnverfahren – grundsätzlich nur eine Chance, Einwendungen gegen den Zahlungsbefehl zu erheben (sogenanntes einstufiges Verfahren). Die Bundesregierung hat sich bei den Verhandlungen innerhalb der EU dafür eingesetzt, den Antragsgegner ausreichend zu schützen. Dieser Schutz wird u.a. dadurch erreicht, dass das Europäische Mahnverfahren grundsätzlich bei dem Gericht stattfindet, in dessen Bezirk der Antragsgegner seinen Aufenthalt hat. Das bedeutet: Wer in Deutschland wohnt, muss nicht befürchten, mit einem Zahlungsbefehl eines ausländischen Gerichts konfrontiert zu werden.

2. Europäisches Verfahren für geringfügige Forderungen

Die Verordnung (EG) Nr. 861/2007 schafft ein einheitliches europäisches Zivilverfahren, das vor den Gerichten der Mitgliedstaten der EU – mit Ausnahme Dänemarks – Anwendung findet. Forderungen bis 2.000 Euro können damit leichter durchgesetzt werden. Die Verordnung gilt – wie das Europäische Mahnverfahren – nur für grenzüberschreitende Fälle.

Beispiel: Peter Müller aus Deutschland hat während seines Urlaubs in Spanien einen Verkehrsunfall mit dem dort lebenden José Sánchez. Seine Werkstatt schätzt die Reparaturkosten am Auto von Peter Müller auf 1500 Euro.

Wenn José Sánchez die Zahlung von 1500 Euro endgültig verweigert, kann Peter Müller seinen Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten in Zukunft vor dem zuständigen spanischen Gericht nach den neuen europäischen Regeln durchsetzen. Das Europäische Verfahren für geringfügige Forderungen ist einfach, effizient und kostengünstig. Für die Verfahrenseinleitung durch den Kläger und die Erwiderung des Beklagten stehen standardisierte Formulare zur Verfügung. Ausfüllhinweise erleichtern die Nutzung in der Praxis. Weder Peter Müller noch José Sánchez müssen sich durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen. Das Verfahren wird grundsätzlich schriftlich geführt. Eine mündliche Verhandlung findet nur statt, wenn das Gericht sie für notwendig erachtet. Dadurch werden Reisekosten der Parteien vermieden.