Einig in der Kritik der Erbschaftssteuerreform

Weder die Vertreter von Familienunternehmen noch die Wissenschaftler sind mit dem Regierungsentwurf für eine Reform des Erbschaftsteuer– und Bewertungsrechts richtig zufrieden. Das zeigte sich bei der öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags, die am Mittwochnachmittag in Berlin stattfand.

Gegenstand waren neben dem Regierungsentwurf auch ein Gesetzentwurf der FDP, ein Antrag der Liberalen, der fordert, dass die Reform nicht mit einer Steuererhöhung verbunden sein dürfe, sowie Anträge der Linksfraktion und der Bündnisgrünen für eine „gerechte Reform“ der Erbschaftsbesteuerung.

Mehrere Sachverständige in der Anhörungsrunde bezeichneten den Zeitraum von 15 Jahren, um den Betriebsübergang mit Hilfe der Verschonungsregelung erbschaftsteuerfrei zu gestalten, als zu lang. Wird der Betrieb von den Erben 15 Jahre lang weitergeführt und unterschreitet die Lohnsumme in den ersten zehn Jahren nicht 70% des Durchschnittswerts der letzten fünf Jahre davor, dann wird nach den Regierungsplänen die Erbschaftsteuer nicht erhoben.

Diese Begünstigung ist nach Aussage von Sabina Gerhart vom Deutschen UnternehmensverbandDie Familienunternehmer – ASU ausführte. Bei einem Verstoß innerhalb dieser 15 Jahre solle die Steuerschuld nicht in voller Höhe fällig werden, sondern lediglich zeitanteilig.

Misslich nannte Paulus die Regelung zum Verwaltungsvermögen. Danach ist vorgesehen, dass die Verschonungsregelung nur dann gewählt werden kann, wenn das Verwaltungsvermögen nicht mehr als die Hälfte des Gesamtbetriebsvermögens ausmacht. Davon wäre etwa der ARAG-Versicherungskonzern als größtes deutsches Versicherungsunternehmen im Familienbesitz betroffen, wie der Vorstandsvorsitzende Paul-Otto Fassbender deutlich machte. Weil bei Versicherungen wie bei Finanzdienstleistern das Verwaltungsvermögen mehr als die Hälfte des Betriebsvermögens ausmache, käme die ARAG nicht in den Genuss der Verschonungsregelung. „Wir sind dann in einer existenziellen Bedrohung“, sagte Fassbender, es bliebe nur der Verkauf an „fremde Investoren“.

Alfons Kühn vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag kritisierte den hohen Überwachungsaufwand der Verschonungsregelung für eine Steuer, die „bestenfalls gar nicht erhoben werden kann“, und stellte deren Verhältnismäßigkeit in Frage. Thomas Lindner vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) plädierte dafür, die Fristen drastisch zu reduzieren und gesetzliche Öffnungsklauseln zu schaffen, wenn nachgewiesen werden könne, dass ein Arbeitsplatzabbau betriebsnotwendig ist und nicht allein der Renditesteigerung dient.

Reinhold Borgdorf vom Bund Deutscher Finanzrichterinnen und Finanzrichter bezeichnete die Verschonungsregelung als „wenig zielgenau“. Es gebe Unternehmen, die die geforderte Lohnsumme nicht einhalten könnten und dafür noch mit der Erbschaftsteuerschuld belastet würden. Andererseits könnten florierende Unternehmen die Regelung in Anspruch nehmen, obwohl sie diese „Subvention“ nicht nötig hätten.

Der Rechtswissenschaftler Professor Joachim Wieland aus Speyer unterstrich, wenn die Erbschaftsteuer erhalten bleiben solle, müsse es überzeugende Gründe für eine Verschonungsregelung geben. Der Bremer Ökonom Professor Rudolf Hickel bezeichnete die Verschonungsregelung als „insgesamt problematisch“ und riet dazu, einen anderen Weg zu finden. Die Regelung sei missbrauchsanfällig und führe zu Verunsicherung, so Hickel.

(Deutscher Bundestag/ml)

MittelstandsWiki: Es wird abzuwarten sein, ob und in welchem Umfang die Politik den sachlichen Argumenten der Kritiker aus Wissenschaft und Wirtschaft folgen und die Reform nachbessern wird. Wie dringend eine solche Nachbesserung ist, sollte nach dieser Anhörung auch den hintersten Bänken in Berlin klar geworden sein. (ml)