Energiekonzept Deutschland: Szenarien liefern Entscheidungsgrundlagen

Mit dem Energiekonzept der Regierungskoalition sollen in knapp einem Monat die Weichen für ein Deutschland mit wettbewerbs­fä­hi­gen Energiepreisen und hohem Wohlstandsniveau bei hohem Um­welt­stan­dard gestellt werden. Darüber hinaus sollen die dafür ent­wickel­ten Technologien die deutsche Wirtschaft am Weltmarkt zu Toppositionen verhelfen und die – geopolitisch sinnvolle – Rolle Deutsch­lands als Ener­gie­dreh­scheibe Europas stärken. Ein gigan­ti­sches Vorhaben, das nur gelingen kann, wenn die Akteure wissen, welche Auswirkungen ihre Entscheidungen auf die Entwicklung haben werden. Dem sollen von der Bundesregierung in Auftrag ge­ge­bene Szenarien dienen. Im Vor­feld bereits heftig diskutiert und kri­ti­siert, liegen diese nun vor.

Erarbeitet wurden die Szenarien von prognos in Basel, dem Energiewirtschaftlichen Institut an der Universität zu Köln (ewi) und der Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung (gws) in Münster. Die Szenarien betrachten nicht nur den Strommarkt, sondern richten das Augenmerk gleichzeitig auch auf den Wärmemarkt und den Verkehr, die zusammen mit 60 % den Hauptanteil der Energieversorgung in Deutschland darstellen.

Dennoch steht die Rolle der Kernkraft als Brückentechnologie im Zentrum der neun Szenarien der Studie. Geschickt verweisen die beteiligten Gutachter in ihren Arbeiten allerdings darauf, dass sie zwar Aussagen zu den Auswirkungen verschiedener Varianten einer Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke treffen können, die Schlussfolgerungen für eine Umsetzung aber Aufgabe der Politik sei.

Überhaupt stellen die Ergebnisse lediglich eine von mehreren Grundlagen für die Gestaltung des Energiekonzepts der Bundesregierung dar, wenn auch die vielleicht wichtigste aus fachlicher Sicht.

Kernannahmen und Kernaussagen der Studie

Das Referenzszenario beschreibt die deutsche Energiezukunft bei Fortsetzung der gegenwärtigen Trends. In diesem Szenario bleibt es bei den bestehenden gesetzlichen Regelungen, nach denen die Kernkraftwerke noch bis 2022 betrieben werden. Die Energieeffizienz steigt moderat an und technologische Umbrüche werden nicht erwartet. Die Treibhausgasemissionen sinken in diesem Referenzszenario bis 2050 um 62 % gegenüber 1990. Damit werden die Ziele der Bundesregierung (minus 40 % bis 2020 und mindestens minus 80 % bis 2050) ohne weitere Maßnahmen verfehlt.

Acht Zielszenarien skizzieren demgegenüber eine andere energiewirtschaftliche Zukunft, die von den erneuerbaren Energien und der Ausschöpfung der immensen Effizienzpotentiale geprägt wird. Außerdem untersuchen sie die Effekte unterschiedlicher Laufzeiten bestehender Kernkraftwerke. Die Szenarien unterscheiden sich in ihren Annahmen, insbesondere zur Dauer der Laufzeitverlängerung. Als Ergebnis zeigen sie die voraussichtlichen technisch-wirtschaftlichen Entwicklungen sowie die Herausforderungen und politischen Gestaltungsspielräume auf.

Wie die Rolle der Kernenergie als Brückentechnologie sein könnte, wird durch verschiedene Annahmen modelliert. So werden Laufzeitverlängerungen zwischen 4 und 28 Jahren variiert und unterschiedliche Kosten für die unabdingbare Nachrüstung aller 17 derzeit arbeitenden Kernkraftwerke angenommen.

Die Gutachter bestätigen, dass der Weg in das Zeitalter der Erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2050 möglich und gangbar ist, weisen aber deutlich darauf hin, dass dazu erhebliche private und öffentliche Investitionen notwendig sind.

Dabei werden die ambitionierten Klimaschutzziele der Bundesregierung, nämlich die Minderung der Treibhausgasemissionen um 40 % bis 2020 und um mindestens 80 % bis 2050 (jeweils gegenüber 1990), in allen Szenarien erreicht. In einzelnen Szenarien wird sogar mehr erreicht. Nach Auffassung der Gutachter führt dies im Verbund mit längeren Laufzeiten in einer Gesamtbetrachtung zu volkswirtschaftlichen Vorteilen und wirkt sich mittelfristig tendenziell dämpfend auf die Strompreise aus: Gegenüber dem Referenzfall ist in allen Zielszenarien das Wirtschaftswachstum höher (bis 2050 im Schnitt um 0,6 Prozentpunkte). Die Zahl der Beschäftigten nimmt um 100.000 bis zum Jahr 2050 zu.

Die Energieeffizienz ist dabei der Schlüssel zum Erfolg: Eine effiziente Nutzung halbiert den gesamten Energieverbrauch bis 2050. Dabei entfällt auf eine Modernisierungsoffensive im Gebäudebereich der größte Beitrag. In den verschiedenen Szenarien gehen die Gutachter davon aus, dass mit einer grundlegenden energetischen Sanierung des gesamten Gebäudebestandes der Energieverbrauch Mitte des Jahrhunderts um 80 % reduziert werden kann.

Kohle, Erdöl und Erdgas werden zukünftig immer weniger gebraucht. Dadurch wird die Abhängigkeit Deutschlands vom Import fossiler Brennstoffe massiv vermindert.

Der Stromverbrauch sinkt durch verbesserte Effizienz bei den Verbrauchern und in der produzierenden Wirtschaft um 25 bis 28 %. Das ist ein entscheidender Beitrag zum Klimaschutz.

Ein solcher fundamentaler Umstrukturierungsprozess braucht Zeit, Geld, Kreativität und neue Technologien. Notwendig sind zudem Investitionen in den Umbau der heutigen Infrastruktur. Neue Stromnetze, Energiespeicher und Gaspipelines müssen geplant und installiert werden. Die Modernisierung der Infrastruktur ist der Schlüssel, um die Effizienzgewinne zu realisieren.

Für die erforderliche Modernisierung entstehen in allen Bereichen erhebliche Investitionskosten. Diesen Kosten stehen aber auch deutliche Entlastungseffekte entgegen, da der Energieverbrauch durch den Einsatz effizienter Technologien deutlich zurückgeht.

Sowohl für Haushaltskunden als auch für Großhandelskunden sinken die Strompreise kontinuierlich. In den am Klimaschutz orientierten Zielszenarien, die auch eine längere Nutzung der Kernenergie unterstellen, liegen sie stets unter dem Niveau des Referenzszenarios, das keine weiteren Maßnahmen vorsieht

Stromimporte und Stromexporte werden für Deutschland im Herzen Europas nach Auffassung der Gutachter im Zeitablauf bedeutsamer. Im Ergebnis wird Deutschland in immer stärkerem Maße zum Nettoimporteur beim Strom, bedingt durch günstigere Erzeugungsoptionen im europäischen Ausland. 2050 werden je nach Szenario zwischen 94 TWh (Terawattstunden) und 143 TWh (21 bis 31 % des Strombedarfs) importiert. Mehr Energieeffizienz und der Ausbau erneuerbarer Energien im Inland reduzieren aber die Importabhängigkeit der Energieversorgung insgesamt spürbar.

(Weitgehend wörtliches Zitat aus der Pressemitteilung des Bundesumweltministeriums)

Das Energiekonzept soll am 28. September 2010 im Kabinett verabschiedet werden. Der umfangreiche, knapp 270 Seiten umfassende Bericht mit den neun Szenarien steht als kostenloser Download online zur Verfügung.

(BMU / ml)