Fremdeln Frauen mit der IT?
Von Michael Praschma
„Frauen und Technik“ – mit diesem diskriminierend-spöttischen Spruch würden vielleicht sogar heute noch einige Vorgestrige gerne die Statistiken kommentieren. Statistiken, wonach die IT-Branche immer noch zumindest in Teilen eine Männerdomäne ist. Offizielle Eurostat-Daten belegen: Mit den 19 % Frauenanteil in IT-Berufen im Jahr 2021 liegt Deutschland im hinteren Mittelfeld. Aber selbst der (erstaunliche) Spitzenreiter Bulgarien weist nur 28 % auf. Und von den Studierenden in den MINT-Fächern in Deutschland waren 2020 längst nicht einmal ein Drittel Frauen, weiß das Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit e. V.
Grob erklärt, geht es beim sogenannten Digital Gender Gap darum: Frauen kommen in Berufen, die zentral mit Digitalisierung zu tun haben, zu wenig vor, ganz abgesehen davon, dass sie auch hier im Schnitt weniger verdienen als Männer (Gender Pay Gap).
Warum IT weiblicher werden müsste
Das Thema ist jedenfalls nicht unzureichend beforscht. Ministerielle Gleichstellungsberichte, wissenschaftliche Studien und Statistiken belegen den Digital Gender Gap als Tatsache und weisen auch auf eine Reihe von Ursachen hin. Probleme macht das Ganze unter drei ganz verschiedenen Gesichtspunkten, wo sich aber auch Lösungen auftun:
- Die in Deutschland viel zu langsame Digitalisierung im öffentlichen Sektor wie in der Wirtschaft lähmt die Entwicklung in zahllosen Bereichen. Eine zentrale Ursache ist hier der Fachkräftemangel. Mehr Frauen in IT-Berufen, dann würde sich schon einiges ändern.
- Offenbar gibt es für Frauen benachteiligende Faktoren, wenn es darum geht, Berufe in der IT zu ergreifen. Hier eine Gleichstellung zu erreichen, wäre nicht nur gerecht, sondern es würde auch mehr Frauen ermöglichen, durch die tendenziell bessere Bezahlung im Vergleich zu anderen Bereichen eine solidere soziale Absicherung zu erlangen – Stichwort: Prävention von Altersarmut.
- Die Arbeit im IT-Bereich basiert heute immer mehr auf gut vernetzten Teams. Und gerade Teams, die (auch gendermäßig) divers zusammengesetzt sind, weisen bessere Arbeitsergebnisse auf und tragen außerdem zum Ansehen einer Organisation bei.
Die Frage, wie Organisationen hier aufholen können, stellt sich nicht erst heute. Aber eine wirksame Antwort darauf zu geben, wird jedenfalls dringlicher.
Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag ist zuerst in unserer Magazinreihe „IT & Karriere“ erschienen. Einen Überblick mit freien Download-Links zu sämtlichen Einzelheften bekommen Sie online im Pressezentrum des MittelstandsWiki.
Es fängt schon in der Schule an
Bereits bei der Fächerwahl in der Oberstufe und dann wieder bei der Studienfachwahl spielen vorherrschende Berufsbilder eine große Rolle. Bei technischen Berufen steht vom Image her der Kontakt mit anderen Menschen eher im Hintergrund. Dieser Aspekt ist aber für Mädchen und Frauen offenbar wichtiger als für ihre männlichen Kollegen. Berufsbezeichnungen und das ganze öffentliche Bild der Tätigkeiten vermitteln: Hier geht es vor allem um „Dinge“; der soziale Aspekt kommt kaum vor. Solche Klischees werden im schulischen Bereich, aber auch im familiären Umfeld immer noch vermittelt.
In 20 Jahren blieb der Frauenanteil bei den Studierenden in MINT-Fächern nahezu unverändert bei etwas über 25 %. (Bild: Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit e. V.)
Der Effekt der weitgehend fehlenden weiblichen Role Models kommt erschwerend hinzu. Mediale Dauerpräsenz genießen prominente Männer wie Mark Zuckerberg, neuerdings Elon Musk und lange Zeit, teils bis heute, Steve Jobs oder Larry Page. Frauen mit hervorragenden Leistungen, etwa im Programmieren, werden nicht selten als Kuriosität gehandelt, wie etwa Margaret Hamilton. Sie war bei der NASA dafür verantwortlich, die On-board-Software für die erste bemannte Mondmission zu entwickeln. Ohne ihre bahnbrechenden Innovationen wäre die Mondfähre der Apollo 11 überhaupt nicht auf dem Mond gelandet.
Einen handfesten Beitrag zum Image der IT als Männerdomäne leistet aber auch der Umstand, dass Frauen generell in Führungspositionen weniger vertreten sind als Männer, und zwar in IT-Berufen besonders ausgeprägt: Gartner hat erhoben, dass kaum 15 % der CIOs weiblich sind. Frauen in MINT-Berufen sind insgesamt einfach weniger präsent, im Fernsehen ebenso wie in Printmedien oder auch in Schulbüchern.
Manche IT-Unternehmen machen es sich leicht: Sie behaupten einfach, es gebe nicht genügend Bewerberinnen. (Bild: Bitkom Research)
Fünf Frauenkarrieren in der IT von heute
Höchste Zeit also, nicht nur die weiblichen Ikonen der IT-Historie abzufeiern: Grace Hopper, Hedy Lamarr, Radia Perlman und viele andere, sondern auch bekannte und weniger bekannte Frauen in der Gegenwart vor den Vorhang zu holen, die eben nicht ihren sprichwörtlichen „Mann stehen“, sondern eigenwillig und individuell ihre Rolle als Informatikerin, Programmiererin oder Expertin für IT-Security ausfüllen.
- Constanze Kurz: Die 39-jährige gebürtige Ostberlinerin hat sich ihren Namen vor allem als Kämpferin für den Datenschutz gemacht. Ihr Informatikstudium war Grundlage für die Beschäftigung mit Datensicherheit und Überwachungstechnologie. Sie promovierte zum Thema Wahlcomputer und war unter anderem dazu auch Fachberaterin des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe bei entsprechenden Beschwerden. Ihre vielen Veröffentlichungen kreisen etwa um Überwachung, Ethik in der Informatik, den Datenhunger großer Unternehmen und Gefahren bei der Internet-Nutzung. Ihr gesellschaftliches Engagement auf diesen Gebieten trug ihr eine Reihe von Auszeichnungen ein, beispielsweise die Theodor-Heuss-Medaille und den Toleranzpreis der Evangelischen Akademie Tutzing in der Kategorie Zivilcourage. In der (White-Hat-)Hackervereinigung Chaos Computer Club ist sie als eine der ehrenamtlichen Sprecherinnen tätig.
- Marissa Ann Mayer: Die US-amerikanische Informatikerin hat eine steile Spitzenkarriere in den prominentesten Unternehmen der IT-Branche hingelegt. Weibliche Vorreiterin war sie bereits in ihrer Anstellung als erste Technikerin überhaupt bei Google, wo sie bald das Team für Webserver leitete. Als Mitverantwortliche für das Design der Hauptseite sowie – neben anderen Bereichen – von Google News und Gmail arbeitete sie sich bis zur Position eines Vice President hoch – einschließlich einer mehrjährigen privaten Beziehung zu Googles CEO Larry Page. Gleichzeitig lehrte sie Programmierung an der Stanford University. Später war sie CEO bei Yahoo bis zum Jahr 2017, danach Teilhaberin beim Software-Start-up-Unternehmen Sunshine.
- Kris Corbus: Als Entwicklerin, Software-Testerin und Coach von Jena aus tätig, arbeitet Corbus seit über zwei Jahrzehnten selbstständig und bei verschiedenen Firmen in der IT-Branche. Studiert hat sie Computerwissenschaften an der Technischen Universität Riga.Über speziell weibliche Erfahrungen in ihrem Beruf berichtet Kris Corbus ausführlich in einem Interview mit WeAreDevelopers: Nach erfolglosen Versuchen, ihr Frausein im Job unsichtbar zu machen, geht sie inzwischen offensiv damit um. Erfahrungen mit typischen Diskriminierungen kennt sie selbst ebenso wie von Kolleginnen. Mehr Diversität zu fördern, das passiert nach ihrer Beobachtung erst langsam und eher bei großen Unternehmen. Frauennetzwerke fehlen weitgehend; bei Gehaltsverhandlungen wird die Zurückhaltung weiblicher Beschäftigter ausgenutzt. Sie rät Frauen in IT-Berufen, neben den ohnehin meist guten fachlichen Qualifikationen etwas genauso Wichtiges zu entwickeln, nämlich „Power Skills: Verhandlungsgeschick, Selbstbewusstsein und die Fähigkeit, Grenzen zu setzen und auch mal Nein zu sagen“.
- Astrid Wieland und Doris Schlaffer: Die beiden Österreicherinnen, von der Ausbildung her eigentlich vor allem im Business- bzw. Managementbereich qualifiziert, aber in der IT-Branche tätig, haben die Initiative #TheNewITGirls gegründet. Der Verein motiviert Frauen, eine Laufbahn in der männlich dominierten Branche einzuschlagen, und setzt sich dafür ein, „die Branche für Frauen attraktiver zu gestalten, gesellschaftlich geprägte Vorurteile abzubauen, Diversität zu fördern und Frauen und Berufsbilder in der IT in Österreich und über die Grenzen hinaus sichtbar zu machen“.
- Agathe Engelmann: Die als IT Lead der deutschen ING-Bank tätige Fachfrau bezeichnet sich in ihrem LinkedIn-Profil selbst als „Ausnahme unter meinen meist männlichen Kollegen“. Als Mentorin im „Confare Female IT-Mentoring“ trägt sie selbst dazu bei, weibliche IT-Laufbahnen zu unterstützen.Im Interview mit Confare sagt Engelmann: „Viele denken jedoch, dass im IT-Sektor nur Nerds zu finden sind, die am liebsten im Keller sitzen und wenig Tageslicht brauchen. Das ist aber überhaupt nicht (mehr) so. Neben den klassischen Entwicklerjobs gibt es z. B. ArchitektInnen, Feature Engineer oder auch Koordinationsjobs. Außerdem ist der IT-Sektor als Vorreiter von Benefits für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bekannt. Das heißt, hier gibt es sehr oft die Möglichkeit hybrid – also im Büro als auch von zu Hause aus zu arbeiten – aber auch seine Arbeitszeit frei einzuteilen, so wie es einem am besten in den Berufsalltag zwischen Kita und Co. passt. Das kommt auch mir als Mama von einem 10-jährigen Sohn sehr zugute!“
Auf diese Liste will ich
Die Liste von Frauen, die in ganz unterschiedlichen Rollen und Tätigkeiten schon heute erfolgreich im Bereich der IT arbeiten, ließe sich beinahe beliebig fortsetzen. Dass sie nicht viel bekannter sind, liegt also nicht daran, dass es sie nicht gäbe. Tatsächlich ist es aber selbst mit einigermaßen akribischer Suche im Internet gar nicht einfach, sie zu finden. Es mangelt eher an der durchaus ausbaufähigen medialen Aufmerksamkeit als an guten Chancen für Frauen in diesem Bereich. Denn die gibt es allemal.