Frauen in der IT: Was Frauen in die IT zieht

Zahlreiche Projekte und Initiativen möchten junge Frauen die Welt der IT-Berufe schmackhaft machen. Auch Unternehmen können sich anstrengen, um dieses Potenzial für sich zu gewinnen. Und der Handlungsdruck wächst mit jeder weiteren Stelle, die wegen des Fachkräftemangels nicht besetzt werden kann.

Digitale Frauenpower für Deutschland

Von David Schahinian

Ist das nicht komisch? Die Mathematikerin Ada Lovelace gilt als Erfinderin des Programmierens, Grace Hopper hat den ersten Compiler entwickelt. Und doch finden sie heute nur wenige Nachahmerinnen. Seit Jahren liegt die Frauenquote bei IT-Fachkräften unter 20 %. Das ist wohl mit ein Grund, warum das Klischee von der Nerd-dominierten Männerdomäne nicht ausstirbt, obwohl es mit der Realität schon lange nichts mehr zu tun hat. Gleichwohl hatten bislang viele gutgemeinte Ansätze, mehr Frauen für die IT zu gewinnen, nicht den gewünschten Erfolg.

Das Thema an sich ist ein alter Hut, wird aber immer drängender. Was früher mancherorts ein nice to have war, ist für Unternehmen heute zu einer Notwendigkeit geworden. Angesichts der weiterhin wachsenden Bedeutung der Branche und des leergefegten Arbeitsmarkts können sich Unternehmen mittlerweile gar nicht mehr erlauben, das Potenzial weiblicher IT-Fachkräfte zu vernachlässigen. Dafür müssen sie sich aber, von einigen positiven Beispielen abgesehen, noch mehr anstrengen.

Mit dem C64 kam der Knick

Um zu lernen, wie man es besser macht, sollte man zunächst wissen, was viele Frauen bislang davon abhielt, ihre berufliche Perspektive in der IT zu suchen – trotz bester Anstellungschancen und guter Bezahlung. Und dafür gibt es viele Gründe. So fehlt es an weiblichen Vorbildern. Ada Lovelace ist seit rund 170 Jahren tot und Grace Hopper lebt auch nicht mehr. Ira Diethelm, Professorin für Informatik-Didaktik an der Universität Oldenburg, nennt im Interview mit der Süddeutschen Zeitung Schule, Eltern und die Werbung als weitere Hemmschwellen. Sie kann das mit spannendem historischem Hintergrundwissen belegen: Bis Mitte der 1980er Jahre habe es nämlich genauso viele Frauen in den naturwissenschaftlichen Studiengängen gegeben wie in der Informatik.

Auch weibliche Programmiererinnen gab es in den Jahrzehnten zuvor viele. Einigen von ihnen wurde mit dem Spielfilm „Hidden Figures“ ein Denkmal gesetzt, der erzählt, welchen Anteil sie an der Mondlandung hatten. Vieles davon ist heute vergessen, denn vor allem mit dem C64 kam ein Knick. Der Heimcomputer brachte die Technologie in die Wohnzimmer, doch richtete sich die Werbung dafür nur an Jungen und Männer. Das habe Wirkung gezeigt, so Diethelm. Vor allem, weil es zunächst hauptsächlich um Computerspiele ging, die „von Männern für Männer“ programmiert wurden, ergänzt der österreichische Standard.

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Im internationalen Vergleich rangiert Deutschland beim Thema „Frauen in der IT“ weit hinten. (Bild: Statista)

Traditionelle Rollenbilder sind schwer totzukriegen und werden durch die Kultur weiter verfestigt. Davon weiß auch Vivien Schiller in der FAZ zu berichten: „Egal, welche Serie oder welchen Film ich mir anschaue: Es ist immer der Nerd, der im Keller sitzt, der als ITler vorgestellt wird. Damit kann man sich als Frau überhaupt nicht identifizieren.“ Sie selbst ließ sich nicht beirren und ist mittlerweile leitende Software-Ingenieurin bei der IT-Beratung Adesso. Dort betreibt sie mit weiteren Frauen – und einem Mann – auch einen Podcast namens „She for IT“.

Frauen den Einstieg erleichtern

Solange sich an den grundlegenden Hürden nichts ändert, dürften viele Projekte für Frauen in der IT aber weiter ins Leere laufen. Eine verbindliche Quote erst recht: Sie nützt wenig, wenn nicht genug weibliches IT-Personal vorhanden ist. Ein Schritt, um mehr Frauen zu gewinnen, sei eine gendergerechte Personalpolitik, heißt es beim Digitalverband Bitkom. Dazu zählten in erster Linie flexiblere Arbeitszeitmodelle, die eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Karriere ermöglichten. Tatsächlich stammt die Mitteilung aus dem Jahr 2012, doch ist sie nach wie vor aktuell. In den letzten Jahren hat sich immerhin schon einiges in dieser Richtung getan.

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Quer durch alle Berufssegmente ist der IT-Bereich nach wie vor männerdominiert. (Bild: Statistisches Bundesamt)

Es gibt außerdem viele weitere Möglichkeiten, Frauen einen leichteren Zugang in die Branche zu bereiten. Dazu gehören „Klassiker“ wie das Bilden von Netzwerken, Schnupperpraktika und die Präsenz auf Karrieremessen. Die Jobbörse Monster empfiehlt des Weiteren Nachwuchsprogramme, die praktisch vermitteln, wie spannend der Job von Data Scientists, IT-Security-Experten oder auch Webdesignern sein kann. Sinnvoll ist es auch, die Männer mit einzubinden. Mentoren-Programme helfen nicht nur während der Einarbeitungsphase, sondern bieten auch Unterstützung bei spezifischen Fachfragen. Nicht zuletzt sind sie eine prima Chance, einmal mehr zu beweisen, dass männliche IT-Experten eben keine Nerds mit schwach ausgeprägten sozialen Kompetenzen sind.

Wenn es stimmt, dass Mädchen ein IT-Beruf von vielen Seiten immer noch schon in jungen Jahren ausgeredet wird, kann man als Arbeitgeber auch an dieser Stelle ansetzen. Und zwar mit sogenanntem Active Recruiting, indem man sie konkret anspricht und ihnen die Chancen im Unternehmen verdeutlicht. Gegen das Problem fehlender Vorbilder ist ebenfalls ein Kraut gewachsen. Monster rät dazu, eigene IT-Mitarbeiterinnen – sofern schon vorhanden – im Rahmen der unternehmenseigenen Öffentlichkeitsarbeit oder mittels Kampagnen zu präsentieren.

Oma Gertrud im Recruiting-Einsatz

Einige beherzigen das schon. Der Dienstleister Ianeo beispielsweise „pfeift“ nach eigener Aussage „auf klassische Rollenbilder“ und stellt die Frauen im Betrieb groß in Wort und Bild auf seiner Website vor. Als Testimonials erklären sie, warum sie in dem Unternehmen arbeiten. Das Ganze wird abgerundet durch die – fiktive – „Oma Gertrud“, die in die Rolle des Models für die Arbeitgebermarke schlüpft. „Man schaut hin, wenn sie für uns unterwegs ist, um neue IANEOs in ihre Handtasche zu stecken“, heißt es dort weiter. IT, Humor und der Flair von Stricklieseln schließen sich nicht aus, wenn es um das Erreichen neuer Bewerbergruppen geht. Tue Gutes und rede darüber, nach diesem Motto verfährt indes Krämer IT. Das Unternehmen wirbt damit, dass bereits 25 bis 30 % aller Mitarbeitenden Frauen sind und Führungspositionen auch in Teilzeit bewältigt werden.

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Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag ist zuerst in unserer Magazin­reihe „IT & Karriere“ erschienen. Einen Über­blick mit freien Down­load-Links zu sämt­lichen Einzel­heften be­kommen Sie online im Presse­zentrum des MittelstandsWiki.

Oftmals ist es allerdings erforderlich, noch viel stärker vor der eigenen Haustüre zu kehren. Die Personalmarketing-Experten von Wollmilchsau haben dazu einige erhellende Fragen gesammelt, die sich Arbeitgeber stellen sollten: „Welche Zuschreibungen habt ihr in Bezug auf Geschlecht? Wem traut ihr was zu und wem eher nicht? Welche Vorurteile habt ihr und was lebt ihr Mädchen und jungen Frauen vor?“ Wer Diversität lediglich in theoretischen Leitlinien oder Handlungsempfehlungen abheftet, kann damit in der Praxis keine festgefahrenen Muster auflösen. Neue Ziele müssen formuliert und gelebt werden. Alles andere würde auch schnell auffallen. Monster zufolge hat fast die Hälfte der IT-Expertinnen schon einmal ein Jobangebot abgelehnt, weil sie gemerkt haben, dass die versprochenen Arbeitskonditionen nicht mit den nach außen geworbenen Werten des Unternehmens übereinstimmten.

Aufseiten der Arbeitgeber ist vielmehr eine Offenheit und Bereitschaft gefragt, vorwiegend an klassischen männlichen Berufsbiografien orientierte Unternehmensorganisationen zu hinterfragen und umzugestalten. Das sagen Vivien Schiller, von der bereits die Rede war, und Angela Carell. Für die Arbeitsgemeinschaft für wirtschaftliche Verwaltung (AVW) haben sie weitere Vorschläge erarbeitet, wie IT-Unternehmen ihren Frauenanteil erhöhen können. Zum Beispiel mit einer Employee Journey, in der die wesentlichen beruflichen Etappen identifiziert werden, vom Recruiting- und Onboarding-Prozess über Familienauszeiten bis hin zu Karrieremöglichkeiten innerhalb des Unternehmens. Anhand von unterschiedlichen Frauenbiografien und -typen (Personas) könne so aufgezeigt werden, was für sie in den einzelnen Phasen wichtig ist, was das Unternehmen diesbezüglich bereits anbietet und wo noch Nachholbedarf besteht.

Darüber hinaus empfehlen sie, die sogenannte Unconscious Bias auszutreiben. Oftmals sind Menschen ihre Vorurteile nämlich gar nicht bewusst. So wird es Männern beispielsweise meist immer noch positiv ausgelegt, wenn sie sich im beruflichen Kontext mit bisweilen harten Bandagen durchsetzen können. Frauen werden in solchen Fällen dagegen schnell Haare auf den Zähnen angedichtet oder sie sehen sich mit dem Vorwurf der Rechthaberei konfrontiert. Nicht mehr immer und überall, aber dennoch nach wie vor häufig. Dagegen kann man mit Trainings zu gendersensiblen Verhaltens- und Denkmustern in der Karriereentwicklung angehen, erklären Schiller und Carell.

Fördern und sich fördern lassen

Es gibt weitere Anstrengungen: Vor rund einem Jahr hat sich die Initiative #SheTransformsIT gegründet. Noch eine der vielen wirkungsarmen Initiativen? Diese verspricht mehr Erfolg, denn ihr ist es gelungen, ein breites Bündnis aus Wirtschaft, Politik, Zivilgesellschaft, Medien und Wissenschaft zu schmieden. Es will den Kulturwandel in Tech-Unternehmen und IT-Abteilungen fördern, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie stärken sowie Digitalgründerinnen unterstützen und sichtbar machen. Mit an Bord sind unter anderem SAP, die Deutsche Bahn und Bosch. Direkte Kontakte und Vernetzung sind erwünscht: Mittlerweile hat die zugehörige LinkedIn-Gruppe mehr als 2000 Mitglieder.

Digitaler Frauenpakt für ein zukunftsfähiges Deutschland

Um mehr Frauen in die Digitalisierung zu bringen, hat das Bündnis #SheTransformsIT einen 10-Punkte-Plan aufgestellt:

  1. Frühkindliche digitale Förderung und Lehre, die Kinder nachhaltig begeistert
  2. Bildungsinhalte und -materialien an Digitalisierungsbedarfe anpassen und gendersensibel gestalten
  3. Digitale Ausbildungen und Jobs für Frauen attraktiv machen
  4. Frauen in der digitalen Wissenschaft fördern
  5. Frauen in Digitaljobs erfolgreich verstetigen
  6. Digitalgründerinnen stärken
  7. Frauen in allen Lebenslagen zu digitalen Expertinnen weiterentwickeln und fördern
  8. Frauen aus der Digitalisierung in die Öffentlichkeit bringen und mediale Genderdiskriminierung bekämpfen
  9. Mehr Diversität in der Vergabepraxis
  10. Digitalpolitik durch Frauen – daher feste Verzahnung von (digital-)politischen Maßnahmen in allen Ressorts und Themenfeldern

Das nützt natürlich alles wenig, wenn nicht auch bei der Qualifizierung angesetzt wird. Das hat das Bundesbildungsministerium erkannt und im Juli eine Förderrichtlinie veröffentlicht. Sie hat zum Ziel, den Frauenanteil in den MINT-Studiengängen zu erhöhen und den akademischen Berufseinstieg von Frauen sowie deren Übernahme von Spitzenpositionen zu erleichtern. Gefördert werden entsprechende Praxismaßnahmen und vor allem nicht nur Forschungseinrichtungen, sondern auch die Zusammenarbeit mit Projektpartnern aus der Wirtschaft. Unternehmen sowie Arbeitgeber-, Arbeitnehmer- und Fachverbände werden ausdrücklich aufgefordert, sich zu beteiligen.

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Wenig Veränderung: Die deutliche Mehrheit der MINT-Studierenden sind immer noch Männer. (Bild: Statista – Statistisches Bundesamt)

Mein Durchbruch als IT-Frau

Fassen wir zusammen: Die IT-Branche sucht händeringend nach Fachkräften. Dennoch hat sich der Frauenanteil sowohl in den MINT-Studiengängen als auch bei den Jobs in der Informationstechnologie in den letzten Jahren auf einem viel zu niedrigen Niveau festgefahren. Um mehr Frauen für einen Job in der IT zu begeistern, bedarf es einer gemeinsamen Kraftanstrengung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft, die über die bisherigen Initiativen hinausgeht. Denn Deutschland kann es sich nicht leisten, das riesige Potenzial, das Frauen in die Digitalisierung einbringen können, zu vernachlässigen. Und die Frauen selbst sollten erkennen, welch hervorragende Chancen ihnen eine Karriere in der IT bietet.

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David Schahinian arbeitet als freier Journalist für Tageszeitungen, Fachverlage, Verbände und Unternehmen. Nach Banklehre und Studium der Germanistik und Anglistik war er zunächst in der Software-Branche und der Medienanalyse tätig. Seit 2010 ist er Freiberufler und schätzt daran besonders, Themen unvoreingenommen, en détail und aus verschiedenen Blickwinkeln ergründen zu können. Schwerpunkte im IT-Bereich sind Personalthemen und Zukunftstechnologien.

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