Fachleute für Mainframes: Wer die Datendinosaurier bändigt

Der klassische Großrechner prägt immer noch das Banken- und Versicherungswesen. Und nicht nur dort – viele Industrien, die große bis sehr große Datenmengen verarbeiten müssen und hohe Rechenleistung brauchen, setzen weiterhin auf den gerne als „Dinosaurier“ oder „Big Iron“ bespöttelten Mainframe.

Altes Eisen sucht junge Schmiede

Von Friedrich List

Große Industrieunternehmen wie die Autohersteller BMW und Volkswagen, Global Players wie die Kaufhauskette Walmart, jede global agierende Großbank und neun von zehn der größten Versicherungsunternehmen weltweit setzen auf die hohe Zuverlässigkeit und Redundanz von Mainframes. Allerdings kämpfen Mainframe-Nutzer seit Jahren mit dem demografischen Wandel. Viele Experten, speziell die Spätfünfziger aus den geburtenstarken Jahrgängen, gehen in den nächsten Jahren in den Ruhestand.

Etwa 60 % aller Mainframe-Experten sind über 50 Jahre alt. Mit ihnen verlassen sowohl ihre gesammelte Expertise als auch ihre Erfahrungen mit der Mainframe-Technologie die Betriebe. Dem Nachwuchs fehlen diese Qualifikationen oft, da die Arbeit mit Mainframes kein selbstverständlicher Teil des Informatikstudiums mehr ist. Dementsprechend gesucht sind Mainframe-Experten. Die European Mainframe Academy hat beobachtet, dass viele Arbeitsplätze für IT-Fachkräfte mit Mainframe-Expertise über längere Zeit unbesetzt bleiben.

Einfach nicht unterzukriegen

Warum ist das so? Anfang der 1990er Jahre glaubten viele Experten, Mainframes seien veraltet. Sie gingen davon aus, dass Mainframes in den kommenden Jahren durch offene Systeme abgelöst werden würden. In jüngerer Zeit kam dann die Möglichkeit hinzu, ganze Systeme in die Cloud auszulagern. Ein weiteres Problem besteht darin, dass das Interesse heutiger Informatikstudenten an der Arbeit mit Mainframes nicht besonders groß ist. Die Generation Z ist nur schwer für Mainframe-Jobs zu interessieren. Uni-Absolventen konzentrieren sich bei der Suche nach Tätigkeitsfeldern auf andere Technologien – was nicht zuletzt an der marginalen Rolle liegen dürfte, die das „Big Iron“ in der Hochschulausbildung spielt.

Aber der Mainframe hat überlebt. Gerade Großunternehmen und Institutionen, die große Datenmengen verwalten, schätzen Mainframes, weil sie sehr hohe Anforderungen an Zuverlässigkeit, Sicherheit, Verfügbarkeit und Rechenleistung erfüllen. Dazu gehören nicht nur Banken und Versicherungen, sondern auch Behörden, Universitäten, Handels- und Logistikfirmen, Energieversorger und Produktionsbetriebe. Mainframes in Deutschland bearbeiten bis zu 100 Millionen Transaktionen pro Tag – hochzuverlässig und vergleichsweise unkompliziert, was Betrieb und Wartung betrifft.

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So sah der Arbeitsplatz an einem Siemens 4004 in der 1960er Jahren aus. (Bild: Het Utrechts Archief)

Robustes Potenzial wird geschätzt

Bereits 2018 zeigte eine Umfrage des US-amerikanischen Softwareunternehmens BMC, dass gerade große Unternehmen, aber auch öffentliche Verwaltungen und Behörden auch weiterhin auf das Mainframe setzen. Auch der 15th Annual Mainframe Survey, den BMC im Oktober 2020 veröffentlichte, bestätigt diesen Trend. Diese jährlich durchgeführte Umfrage ist die größte ihrer Art. Jedes Jahr befragt BMC über tausend Führungskräfte und Mainframe-Spezialisten zu Prioritäten, Wachstumspotenzialen und Herausforderungen der Plattform.

Hier die wichtigsten Ergebnisse aus Deutschland im Überblick:

  • 86 % der Befragten halten den Mainframe für eine Plattform, die Wachstum und langfristige Anwendungen möglich macht.
  • 77 % erwarten, dass die Rechenleistungen des Mainframes wachsen werden.
  • 54 % sehen Sicherheit und Konformität als ihre wesentlichen Mainframe-Prioritäten.
  • 48 % der Befragten sehen ein steigendes Transaktionsvolumen auf ihrem System.
  • 36 % haben ein wachsendes Datenvolumen festgestellt.
  • Mehr als die Hälfte der Umfrageteilnehmer berichten, dass das Daten- und Transaktionsvolumen um 25 % oder mehr gestiegen ist.

„Der Survey bestätigt, dass Unternehmen den Mainframe als eine entscheidende Komponente des modernen digitalen Unternehmens und aufstrebende Drehscheibe für Innovationen sehen“, sagte der Analyst Stephen Elliot, BMCs Program Vice President, Management Software and DevOps, gegenüber dem Online-Magazin des ap-Verlags. „Sie setzen die Mainframe-Plattform mehr und mehr ein, um die Anforderungen des digitalen Geschäfts zu unterstützen und größere Agilität und Erfolg im gesamten Unternehmen zu erreichen.“

Wo Mainframes im Vorteil sind

Denn Cloud-Anwendungen erreichen oft nicht die Verfügbarkeit und Ausfallsicherheit von Mainframes. So zeigt der Cloud Monitor 2020, den das Beratungsunternehmen KPMG und der Branchenverband Bitkom gemeinsam durchführen, zwar die weite und immer weiter zunehmende Verbreitung von Cloud-Dienstleistungen. Aber der Cloud Monitor belegt auch, dass diese Technologie ihre Tücken hat. So berichtet jedes zweite befragte Unternehmen von Ausfällen, die durch technische Probleme beim Cloud-Anbieter verursacht worden waren. Mainframes sind da deutlich zuverlässiger und redundanter. Ihre Downtime bemisst sich übers Jahr betrachtet in Minuten.

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Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag ist zuerst in unserer Magazin­reihe „IT & Karriere“ erschienen. Einen Über­blick mit freien Down­load-Links zu sämt­lichen Einzel­heften be­kommen Sie online im Presse­zentrum des MittelstandsWiki.

Das ist nicht verwunderlich, gehören doch Redundanz und Skalierbarkeit zu den konstruktiven Grundprinzipien eines Großrechners. Ein Mainframe ist nicht nur rund um die Uhr verfügbar. Es ist auch möglich, im laufenden Betrieb Hardware-Komponenten auszutauschen, und beliebige Rechnerinstanzen können dazu- oder abgeschaltet werden. Diese Optionen kommen der Modernisierung auch älterer Systeme entgegen.

Außerdem haben Mainframe-Hersteller wie IBM oder Fujitsu mit der Entwicklung Schritt gehalten. IBMs Betriebssystem z/OS ist mit Linux und Open Source kompatibel und unterstützt seit 2017 auch Ende-zu-Ende-Verschlüsselungen. Unternehmen nutzen inzwischen mehrheitlich moderne Programmiersprachen wie Java und wenden zudem agile Umsetzungsmethoden wie DevOps an.

Das führt zu gewandelten Anforderungen an Mainframe-Experten. Die neue Generation braucht zeitgemäße Kenntnisse, etwa in agilen Entwicklungs- und Projektmanagementmethoden. Entwickler müssen sich mit der altehrwürdigen Programmiersprache Cobol auskennen, aber auch mit Java, Net und anderen. Für die Frontend-Seite wäre das beispielsweise WebSphere. Doch eine der wesentlichen Herausforderungen ist es, die Mainframes mit der Welt des Cloud Computing in Einklang zu bringen.

Urbane Mainframe-Experten

Wer mit der Arbeit mit Mainframes vertraut ist, kann sich über ein breites Angebot an anspruchsvollen Jobs freuen. Das Durchschnittsbruttogehalt beläuft sich laut der Online-Stellenbörse Stepstone auf 51.600 Euro pro Jahr. Stepstone listete jüngst 8103 offene Stellen in diesem Bereich auf. Ausgeschrieben waren nicht nur Stellen für IT-Projektmanager und Information Security Analysts, sondern auch für Anwendungs- und Host-Entwickler, Entwickler für Cobol oder Build and Deployment Engineers Mainframe für IBMs z/OS.

Die meisten Stellen für Mainframe-Anwendungsentwickler finden sich nur in drei Städten, nämlich Berlin, München und Hamburg, wobei München auf Platz 1 liegt, gefolgt von Berlin und Hamburg. Darauf folgen Frankfurt auf Platz vier sowie Stuttgart und Köln. Unter den Unternehmen mit dem höchsten Bedarf waren die Deutsche Bahn AG, die Ferchau GmbH, die Boschgruppe sowie Zeiss. Die meisten Stellen für Mainframe-Anwendungsentwickler werden in Süddeutschland und in Westdeutschland angeboten. Will man hier weiter differenzieren, dann finden sich die meisten davon in Bayern, das damit noch vor Norddeutschland und Baden-Württemberg rangiert.

Aus- und Weiterbildung forcieren

Der Mangel an Mainframe-Experten ist nicht nur hierzulande ein Problem, sondern betrifft die gesamte entwickelte Welt. Denn auch in Ländern wie den USA, Großbritannien oder Frankreich geht die Generation, die ein ganzes Berufsleben lang mit Mainframes gearbeitet hat, nach und nach in den Ruhestand. Die einfachste und für andere Bereiche der IT gängigste Lösung, Experten aus anderen Ländern einzustellen, scheidet hier also aus. Leider nicht mit der nötigen Intensität betrieben wird ein anderes naheliegende Lösungskonzept, nämlich die Aus- und Weiterbildung der eigenen Mitarbeiter. Vielen Unternehmen fehlen die Ressourcen, um Angestellte über längere Zeit zu qualifizieren.

Dabei ist das Angebot an Weiterbildungsmöglichkeiten durchaus vorhanden. Neben den Mainframe-Herstellern bieten Fördervereine wie die European Mainframe Academy (EMA), das Academic Mainframe Consortium (AMC), die Talentschmiede und andere Initiativen entsprechende Maßnahmen und Zertifizierungen an. Hier eröffnet sich die Möglichkeit, Talente aus dem eigenen Unternehmen an die Mainframe-Technologie heranzuführen, und zudem kann die Ausbildung auf den späteren Aufgabenbereich zugeschnitten werden.

Beispielsweise dauern Trainee-Programme an der EMA zwischen 18 und 24 Monaten. Die Absolventen sind dann entweder z/OS-Spezialist, -Operator oder -Developer und können sich auf eine erfolgreiche Karriere als Mainframe-Experten freuen. Die Talentschmiede bildet Spezialisten für große deutsche Banken aus. Deren Ausbildung zum Mainframe System Operator dauert 18 Monate. Ein System Operator ist jemand, der für den laufenden Betrieb des Mainframe zuständig ist und dessen Systemstabilität sicherstellt.

Ein weiterer, betriebsinterner Weg ist natürlich Training on the Job. Und tatsächlich scheint das zurzeit der am häufigsten eingeschlagene Weg zu sein, auf dem gerade junge IT-Fachleute mit der Mainframe-Welt in Berührung kommen. Damit aus dem ersten oder zweiten Job aber ein Berufsweg wird, darf der Kontakt nicht wieder abreißen. Ein Unternehmen muss dem zukünftigen Experten auch eine längerfristige Perspektive bieten und in den kontinuierlichen Ausbau der Kenntnisse investieren. Das gilt erst recht dann, wenn das Unternehmen seine Mitarbeiter extern weiterqualifizieren lässt.

Mein Traumjob: Dino-Dompteur

Es empfiehlt sich auch, den Kontakt zu Talenten zu suchen, die aktuell noch an den Hochschulen ein Studium absolvieren. „Zu diesem Zweck sind interne Maßnahmen frühzeitig mit externen zu kombinieren. Wir arbeiten zum Beispiel mit Universitäten und Schulen, insbesondere der Fachhochschule Hagenberg, zusammen, um Diplomanden und Praktikanten für den Mainframe und unser Unternehmen zu begeistern“, sagt Alexander Wiesinger, Geschäftsführer der 3 Banken IT GmbH aus Linz im Gespräch mit der Zeitschrift computerwoche. „Dies funktioniert durch Forschungskooperationen, aber auch mit Firmeninformationstagen. Unternehmen müssen bei jungen Menschen bekannt und präsent sein“, fordert der IT-Experte.

Wer sich also nicht davor scheut, seine Fähigkeiten an den großen Eisenschränken zu erproben, und die Herausforderung gerne annimmt, robuste Technologie mit agilen Methoden zukunftsfähig zu machen, der kann sich darüber freuen, dass es nur wenige Mainframe-Spezialisten in Deutschland gibt, die obendrein sehr gesucht sind. Ein gerade jetzt wieder gefragter Job mit großer Zukunft – denn diese Dinosaurier werden so schnell nicht aussterben.

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Friedrich List ist Journalist und Buch­autor in Hamburg. Seit Anfang des Jahr­hunderts schreibt er über Themen aus Computer­welt und IT, aber auch aus Forschung, Fliegerei und Raum­fahrt, u.a. für Heise-Print- und Online-Publikationen. Für ihn ist SEO genauso interessant wie Alexander Gersts nächster Flug zur Inter­nationalen Raum­station. Außerdem erzählt er auch gerne Geschichten aus seiner Heimatstadt.

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