Multisensorik: Warum Kunden lieber mit allen Sinnen kaufen

Was wir einmal in der Hand haben, geben wir nur ungern wieder her. Auch Düfte und Klänge können Entscheidendes zur Kundenkommunikation am Touchpoint beitragen. Anne M. Schüller erklärt, wie Unternehmen im stationären Handel multisensorische Erlebnisse schaffen und damit den Umsatz kräftig ankurbeln.

Der vernachlässigte Umsatzbringer

Von Anne M. Schüller, Anne M. Schüller Management Consulting

Fortan wird es in der Kommunikation nicht mehr darum gehen, seine Produkte knallhart an den Mann oder die Frau zu bringen. Die entscheidende Frage ist vielmehr die: Wie können wir die Lebensqualität und/oder den beruflichen/geschäftlichen Erfolg unserer Kunden steigern? Die Multisensorik spielt dabei eine wesentliche, doch bislang stark unterschätzte Rolle.

Die Zeitenwende ist da. Und aufhalten lässt sie sich nicht. Was Computer können, wird in Zukunft von Computern erledigt. Komplette Verkaufsprozesse werden sich dorthin verlagern. Welcher Haarschnitt, welche Vermögensanlage oder welches Gerät für meine Zwecke am besten ist: Softwareprogramme sagen es mir. Welches Haus ich kaufen oder welche Geschäftsräume ich anmieten will: Virtuelle Rundgänge werden bei der Entscheidung helfen. Was ich am besten in den Warenkorb lege, werden Algorithmen für mich kalkulieren. Doch im Dickicht der Leidenschaftslosigkeit, der Nüchternheit und der Berechenbarkeit automatisierter Prozesse täte ein wenig Sexyness gut. Hie und da eine Überraschung, bisweilen ein Schuss von Magie, oh ja, das würde unser Kaufhirn mächtig erfreuen! Wirkungsvolle Kommunikation in Zeiten der Digitalisierung ist vor allem berührend, menschlich, sinnlich, verspielt.

Kundenkommunikation sinnlich aufladen

Das weitaus meiste, das zu unserem Wohlbefinden beiträgt, ist analog. Weil wir die Welt mit allen Sinnen erleben. Was wir hören, sehen, riechen, fühlen, schmecken, wird zerebral decodiert. „Gut für dich“ oder „schlecht für dich“ ist die Antwort. Und demgemäß wird reagiert. Die jeweilige Bewertung findet auf zwei Ebenen statt: einer emotionalen und einer kognitiven. Dabei haben neurowissenschaftliche Experimente immer wieder gezeigt, dass der Aufbau emotionaler Erfahrungen das beste Mittel ist, um den ersten Platz in den Konsumentenköpfen zu besetzen.

Ihr Produkt ist banal und hat kein emotionales Potenzial? Würden sich die Konstrukteure und Produktentwickler nicht nur mit den Funktionalitäten, sondern mehr mit sinnlichen Aspekten und Erlebnisdimensionen beim Produktgebrauch beschäftigen, käme so manches „Wow!“ der Kunden zustande. Alles Emotionalisierende gehört an die erste Stelle, damit man nicht vorzeitig aussortiert wird.

Allerdings ist es in der Praxis genau umgekehrt. Zahlenwerke und Buchstabensalat regieren die Business-Welt. Doch Emotionen regieren das Konsumentengehirn. Und egal ob Maschine, Verbrauchsgegenstand, Dienstleistung oder Produkt: Wer eine Sache mit allen Sinnen erlebt, kauft sie nicht nur über den Preis.

In der Kommunikation gehört also in den Vordergrund, was den Kunden im wahrsten Sinne des Wortes berührt. Die Sensorik steht dabei an erster Stelle. Wer die Gesamtwirkung steigern und unverwechselbar werden will, sollte so viele Sinneskanäle wie möglich ansprechen. Eine sensorische Aufladung ist wie eine Freifahrkarte, um im informationsgefluteten Hirn einen Logenplatz zu ergattern. Zudem stechen in einer zunehmend digitalisierten Umgebung sinnliche Eindrücke besonders heraus.

Sensorische Markenerlebnisse – auch im B2B?

Sinnlichkeit ist nur was für große Marken? Mitnichten! Jeder Mittelständler kann seinen Besucherbereich zu einem kleinen Abenteuerland umfunktionieren. Und in Wirklichkeit? Die öffentlichen Bereiche produzierender Unternehmen sind nichts als ein Egoprogramm. Maschinenteile und Miniaturen von Fertigungsanlagen: anfassen verboten! Die Ahnengalerie, Urkunden und Pokale: verstauben hinter Glas. Groß an der Wand eine Weltkarte voller Fähnchen: das territoriale Eroberungsprogramm.

Der Gesamteindruck? Man feiert sich selbst. Von Sinnlichkeit, mit der man den Besucher umhüllt, keine Spur.

Dabei gäbe es so viel zu erzählen! In jede Eingangshalle könnte man ein kleines Erlebnisland bauen, in dem nicht nur die Sinne Nahrung finden, sondern auch die Hände spielerisch beschäftigt werden. Mein Tipp: Lassen Sie hierzu mal Ihre jungen Leute ran, die gerne Online-Spiele spielen. Denen fällt sicher eine Menge dazu ein.

Erlebnislandschaften retten den Handel

Dem stationären Handel lässt nur die sinnliche Klaviatur – verknüpft mit Service-Exzellenz – derzeit (noch) eine Chance, sich gegen die Online-Händler zu behaupten. Ladenlokale müssen sich zu Erlebnislandschaften umfunktionieren: Essen, trinken, gepflegt auf die Toilette gehen, mit Freunden abhängen, sich einen Moment der Ruhe gönnen, Live-Erfahrungen sammeln, all das kann der Online-Handel nicht bieten.

„Dritte Orte“ werden solche Konzepte genannt. Sie bieten Zuflucht, wenn man mal nicht zu Hause oder in der Firma sein kann oder mag. Große Marken bauen dazu eigene Brandlands auf. Die Swarovski-Kristallwelten in Wattens bei Innsbruck sind ein geniales Beispiel dafür. Die faszinierende Reise in eine glitzernde Traumlandschaft hat sich zu einer der meistbesuchten Attraktionen Österreichs entwickelt.

Serie: Multisensorik
Die Einführung gibt einen ersten Überblick und erklärt, warum Unternehmen möglichst viele Sinne ansprechen sollten. Im zweiten Teil geht es ums Anfassen, also darum, welch starke Beziehung die Berührung von Produkten mit der Hand stiftet. Danach gibt es was auf die Ohren: Sounddesigner entwerfen den Klang von Autotüren und Knusperkeksen – und sorgen dadurch für Umsatz. Als Nächstes sind die Augen an der Reihe: Farben, Formen und Gesichter prägen unser gesamtes Erleben. Der letzte Beitrag widmet sich dem Duftmarketing und führt die Kunden an der Nase zur Kasse.

Kundenerlebnisse wahrnehmbar gestalten

Die Frage ist immer die: Wodurch können Sie Kundenerlebnisse multisensorisch gestalten? Wie hört sich Ihre Marke an? Wo geben Ihre Produkte dem Tastsinn etwas zu tun? Wann könnten Sie welches Duftkonzept integrieren? Wenn Sie an Frauen verkaufen: Wird berücksichtigt, dass Frauen anders und sinnlicher kaufen? Wenn Ihre Kunden schon älter sind: Wird die nachlassende Sensibilität von Tast-, Hör- und Sehsinn bedacht?

So wie Bäckereien den Duft von frisch gebackenem Brot bis auf die Straße senden, so könnte eine Confiserie den Duft von flüssiger Schokolade, eine Metzgerei den eines Grillfestes und ein Reisebüro den von Kokosnussöl nach draußen verströmen. In einem Baumarkt könnte es nach frisch gefälltem Nadelholz, in einem Gartencenter nach frisch geschnittenem Gras und in einem Fischfeinkostgeschäft nach Meeresbrandung riechen. Bei einem Küchenhändler könnte es je nach Tageszeit oder Saison nach frisch geröstetem Kaffee, nach Pizza oder frisch gebackenem Weihnachtsgebäck duften. Umsatzzuwächse im zweistelligen Bereich sind bei solchen Konzepten die Regel.

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Anne M. Schüller ist Managementdenker, Keynote-Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach. Die Diplom-Betriebswirtin gilt als führende Expertin für das Touchpoint Management und eine kundenfokussierte Unternehmensführung. Zu diesen Themen hält sie Impulsvorträge auf Veranstaltungen und Fachkongressen. 2015 wurde sie für ihr Lebenswerk in die Hall of Fame der German Speakers Association aufgenommen. Vom Business-Netzwerk LinkedIn wurde sie zur Top-Voice 2017/2018 und vom Business-Netzwerk Xing zum Xing-Spitzenwriter 2018 gekürt. Ihr Touchpoint Institut bildet zertifizierte Touchpoint Manager sowie zertifizierte Orbit-Organisationsentwickler aus.


Anne M. Schüller Marketing Consulting, Harthauser Str. 54, 81545 München, 089-6423208, info@anneschueller.de, www.anneschueller.de, www.touchpoint-management.de

Fazit: Multisensorik sorgt für kräftigen Umsatzzuwachs

Anbieter, die sensorische Berührungspunkte vernachlässigen, verschleudern Geld. Anbieter hingegen, die uns multisensorische Erlebnisse schenken, sind für Wiederholungskäufe geradezu prädestiniert. Multiple sensorische Erlebnisse sorgen für mehr Aufmerksamkeit, für einen höheren Erinnerungswert und für ein schnelleres Wiedererkennen. Sie signalisieren einen Zuwachs an Qualität. Zusätzlich kann man sich mit Multisensorik besser vom Wettbewerb differenzieren.

Wie können Sie also ein Feuerwerk für die Sinne entfachen und Ihren Kunden die Welt der Sinne erschließen? Dazu eine kleine Frageliste:

  • Nutzt Ihre Marke an allen passenden Touchpoints sensorische Reize?
  • Wie viele Sinne werden dabei angesprochen?
  • Welche Sinne fehlen? Und wie könnten Sie diese zusätzlich integrieren?
  • Welcher Sinn könnte einen unkopierbaren Wettbewerbsvorteil verschaffen?
  • Was ist überflüssig, lästig oder störend und muss weg?
  • Nehmen die Konsumenten Ihr Sinnesmarketing überhaupt wahr?
  • Wie viel Umsatzzuwachs wird durch die getroffenen Maßnahmen erzielt?

Nützliche Links

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Das Buch zum Thema ist Anne M. Schüller: Touch.Point.Sieg. Kommunikation in Zeiten der digitalen Transformation. Offenbach: GABAL 2016. 380 S., ISBN 978-3-86936-694-4, € 29,90 (D), € 30,80 (A). – Von ihr gibt es außerdem: Das Touchpoint-Unternehmen. Mitarbeiterführung in unserer neuen Businesswelt. Offenbach: Gabal 2014. 368 S., 29,90 Euro, ISBN: 978-3-86936-550-3, das auf der Frankfurter Buchmesse 2014 zum Managementbuch des Jahres gekürt wurde.