Vertragsmanagement: Wann analoges Vertrags­management zu teuer kommt

Das alte Vertrags­wesen gerät gerade aus den Fugen – Unter­nehmen gehen dabei große Risiken ein. Optimal wäre eine kon­solidierte 360-Grad-Sicht auf das Ver­trags­werk samt allen pro­dukt­bezogenen Infor­ma­tio­nen. Warum also Ver­träge nicht lieber aus dem Product Life­cycle Manage­ment heraus verwalten?

Beziehungswissen zwischen Vertrag und Produkt

Von Frank Zscheile

Ein Kaufvertrag im Anlagenbau bestand früher aus wenigen Seiten. Das Vertragswesen war ein eher unscheinbarer Bestandteil interner Kontrollsysteme. Heute füllen vertragliche Dokumente, die Supply Chain und Produktion absichern, mehrere Leitzordner. Entsprechend hoch sind die Erstellungs- und Bearbeitungszeiten, bis solche Verträge unterschriftsreif sind. Parallel dazu werden mit Kunden auftrags- und projektbezogene Verträge geschlossen, die ebenfalls überwacht und verwaltet werden müssen. Hinzu kommen verschärfte Haftungsauflagen, neue Richtlinien und Compliance-Vorgaben. Nationale und internationale Gesetze, Richtlinien und Zertifizierungen formalisieren das Vertragswesen immer mehr.

Die Grenzen des bisherigen Vertragswesens

Ziel des Managements muss es vor diesem Hintergrund sein, eine 360-Grad-Sicht auf das Vertragswerk herzustellen und es in Beziehung zu allen produktbezogenen Informationen im Unternehmen zu setzen. Dieses Beziehungswissen fehlt aber oft, denn in vielen Unternehmen schließen einzelne Abteilungen Verträge eigenhändig ab. Die Folge: Vertragsdokumente werden nicht zentral verwaltet, sondern sind verteilt in einzelnen Fachbereichen abgelegt, entweder in Papierform oder elektronisch auf Netz- und lokalen Laufwerken. Die Folge davon ist, dass die Verträge oft nicht auffindbar sind und dass keine Klarheit darüber herrscht, ob unter Umständen verschiedene Stellen im Unternehmen mit ein und demselben Lieferanten gleichlautende Verträge abgeschlossen haben. Auch Kündigungsfristen verlängern sich oft ungewollt, weil die jeweiligen Dokumente gerade nicht zur Hand sind, um sie auf ihre Laufzeit zu prüfen.

In manchen Branchen wie dem Anlagen- oder Schiffsbau enthalten Verträge oft Pönalen. Sie machen ein proaktives Claim Waiver Management (Nachforderungsmanagement) erforderlich, das nicht Bestandteil des traditionellen Vertragswesens ist. Darunter werden alle Aktivitäten zusammengefasst, mittels derer man eigene berechtigte Ansprüche gegenüber dem Partner identifizieren, bewerten und geltend machen bzw. fremde unberechtigte Forderungen abwehren kann.

Vertragsmanagement muss angesichts neuer betrieblicher und gesetzlicher Anforderungen zu einer Kernaufgabe der Geschäftsleitung werden. Als Management Risk Controlling System unterstützt es die Geschäftsführung bei der Überwachung und Einhaltung regulatorischer Vorgaben und stellt sicher, dass bei Abweichungen und vertraglichen Risiken oder Claims frühzeitig gegengesteuert werden kann. Damit wird es zum wichtigen Instrument bei der Einhaltung von Compliance-Vorgaben.

Vertragswesen im digitalen Wandel

Das klassische Vertragsmanagement stand in der Vergangenheit auf den drei Säulen Vertragscontrolling, Vertragsverwaltung und Vertragsarchivierung. Sie waren zumeist manuell und analog aufgebaut, manchmal auch schon mit ersten „elektronischen Ansätzen“. Informationsbrüche und -fehler konnten durch personelle Mehraufwände noch ausgeglichen werden, prägen aber bis heute das Tagesgeschehen. In den letzten Jahren hat sich die Sicht auf das Vertragsmanagement aber stark verändert. Waren anfangs nur wenige Beschäftigte mit dem Thema beschäftigt, sind es heute unternehmensweit ganze Stäbe und Abteilungen, die sich aufgrund komplexer werdender Produkte mit diesem Thema beschäftigen müssen.

Im Fehlerfall kann bei unzureichender Bearbeitungsqualität, versäumten Fristen oder Außerachtlassung von Pönalen ein immenser Schaden für das Unternehmen entstehen. Noch unangenehmer wird es, wenn die Vertragsparteien auf unterschiedlichen Versionsständen des Vertrages miteinander verhandeln, ohne dass es jemandem auffällt. Indem sich der Fokus des Vertragswesens verschiebt, rücken neben Controlling, Verwaltung und Archivierung zusätzlich das vertragsbegleitende Risikomanagement und ein auftragsbegleitendes Claim Waiver Management in den Blick. Es wacht außerdem über die Einhaltung von Compliance-Richtlinien.

Product Lifecycle plus Contract Management

Dedizierte digitale Vertragsmanagementlösungen bieten zumeist nicht, was heute im Vertragswesen essenziell ist: die Verknüpfung eines Vertrags oder Vertragsbestandteils mit allen Produktinformationen, die mit ihm in Beziehung stehen. Nur dann können alle Involvierten vom Vertrag in die Auftrags-, Produkt- und Projektdaten abspringen und umgekehrt sowie auf diese Weise ein Beziehungswissen, d.h. ein referenziertes Wissen aufbauen.

In industriellen Unternehmen bereits flächendeckend eingesetzt werden Dokumentenmanagement– bzw. Produktdatenmanagementsysteme. Sie bilden das Datenrückgrat (Product Data Backbone) für alle Produktinformationen entlang des Product and Document Lifecycle Managements und sind oftmals integriert in die bestehende ERP– und CRM-Landschaft. Mit diesen Eigenschaften sind sie prädestiniert dafür, auch die gewachsenen Aufgaben des Vertragsmanagements zu übernehmen. Leistungsfähige PLM-Systeme bringen die Funktionalität eines technischen Dokumentenmanagementsystems bereits im Standard mit und sind damit eine geeignete Ausgangsbasis für digitales Vertragsmanagement. Fortgeschrittene Lösungen umfassen im Standard bereits vorkonfigurierte Anwendungspakete, die auf bestehende Umgebungen erweitert werden können.

Eine PLM-Software steht als Vertragsmanagementsystem nicht nur der Rechtsabteilung offen, sondern jedem, der im Unternehmen mit dem Aushandeln und Abschließen von Verträgen zu tun hat (Einkauf, Auftragswesen, Vertrieb), sowie den Projektteams, die dieses System für ihre originäre Arbeit nutzen und darüber zusätzlich in das dazugehörige Vertragswerk abspringen können.

Der Vertrag und sein Beziehungsnetz im PLM

Die Vertragsmappe ist der zentrale Ort für alle Vertragsunterlagen zu einem Vorgang. Sie gehört daher in den gleichen Speicherbereich wie das PLM. Dadurch lässt sie sich mit allen weiterführenden technischen Strukturen direkt in Bezug setzen, seien es Produkte oder Anlagen, einzelne Zulieferprodukte oder Kundenaufträge. Ebenso kann das integrierte Risikomanagement begleitend mit Bezug auf Vertrag und z.B. auf Zulieferanten bis auf die Teileebene über das Beziehungsnetz mitverwaltet werden. Somit ist ein direkter Zugriff auf alle vom Vertrag adressierten Elemente auf Knopfdruck möglich.

Der Vertrag und sein Lifecycle

Jedes Objekt, sei es eine Zeichnung, ein Teil oder auch Vertragsunterlagen, unterliegt entlang seines Lebenslaufes unterschiedlichen Status. Diese wechseln automatisch entlang der Bearbeitungsprozesse. Das Procad-PLM-System Pro.File mit seinem Pro.Ceed-Anwendungspaket „Digitales Vertragsmanagement“ unterscheidet z.B. zwischen fünf verschiedenen Status. Diese übernehmen die Dokumentenlenkung im Object Lifecycle eines Vertrags und lassen sich bei Bedarf noch mit weiteren verfeinern.

Was bedeutet der Einsatz einer PLM-Lösung als Vertragsmanagementsystem nun im Angesicht der heutigen Anforderungen an das Vertragswesen? Verträge werden online, etwa per E-Mail, vom Vertragspartner bereitgestellt (Papierverträge werden eingescannt) und sofort im Vertragsmanagementsystem elektronisch an der gleichen Stelle abgelegt wie die gesamten Produktdaten im Product Data Backbone. Die Vertragsmappe speichert die Unterlagen redundanzfrei und stellt sie Abteilungen zentral bereit. Das Suchen von Vertragsdokumenten erleichtert sich dadurch erheblich, einzelne Vertragsinhalte werden schnell per Volltextsuche gefunden. Alle im Rahmen der Bearbeitung entstehenden Dokumente und Informationen werden ebenfalls in der Vertragsmappe abgelegt und stehen nachgeschalteten Abteilungen sofort zur Einsicht zur Verfügung.

Die Unterlagen werden nach einer Vollständigkeitsprüfung mit weiterführenden Informationen verknüpft und die verantwortlichen Stellen über die Aufgaben- bzw. Prozesssteuerung zur Bearbeitung aufgefordert. So automatisiert ein Unternehmen seine Prozesse im Vertragswesen. Vertragsfristen werden im System hinterlegt und unterliegen mit sofortiger Wirkung einem integrierten Eskalationsmanager. Der Anwender kann sich dadurch etwa alle Verträge mit dem Status „Verlängern“ anzeigen lassen und dies mit einer automatisierten Erinnerung kombinieren.

Fazit: Vertragsverwaltung im Zusammenhang

Unternehmen aus dem technischen Umfeld verwalten eine Vielzahl an produkt-, projekt- und auftragsbezogenen Dokumenten in einem PDM-/PLM-System. Diese Dokumente stehen mit Verträgen in unmittelbarem Zusammenhang. Folgerichtig ist es daher, PLM-Lösungen mit der hierfür besonders gut geeigneten DMS-Funktionalität auch für die Vertragsverwaltung einzusetzen.

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