IT-Arbeitsmarkt 2023: Wo freie Amerikaner arbeiten wollen

Ob Google, Meta, Microsoft, Amazon oder Apple (und natürlich Twitter) – die US-Technologiebranche stellt reihenweise Beschäftigte aus, bis hinauf in die C-Suite. Auf die Great Resignation folgt nun die Great Redundancy. In Deutschland sind diese Fachkräfte heiß begehrt – aber wollen sie denn kommen?

Ansturm auf Europa?

Von Friedrich List

Über das letzte Jahrzehnt schien die IT-Industrie ziemlich immun gegen konjunkturelle Schwankungen. Der stetige Ausbau der digitalen Infrastrukturen und nicht zuletzt der gestiegene Bedarf an IT-Lösungen während der Corona-Krise sorgten für beständiges Wachstum.

Aber in den vergangenen Monaten hat sich das Bild eingetrübt. Gerade die Großen der Industrie, von Apple bis Microsoft, haben begonnen, Personal abzubauen. Mit dabei sind auch Hardware-Produzenten wie Dell oder der deutsche Software-Anbieter SAP. Während aber im Kernland der globalen Digitalwirtschaft, im Silicon Valley, plötzlich die Angst umgeht, machen sich Verantwortliche in Deutschland Hoffnung, ein Teil der Spezialisten aus den USA könnte sich in Deutschland niederlassen.

Krise bei den Marktführern

Die Branchenriesen Amazon, Salesforce, Microsoft und Alphabet Inc. haben zusammen genommen immerhin rund 70.000 Stellen abgebaut. Apple ließ verlauten, vorerst keine neuen Mitarbeiter einzustellen, scheint aber auf der anderen Seite auch keine Entlassungen zu planen. Google und Meta wollen in der nächsten Zeit jedenfalls keine weiteren Fachkräfte mehr einstellen. Meta-Chef Mark Zuckerberg hatte zunächst nur einen Einstellungsstopp verkündet, dann aber sogar rund 11.000 Leute entlassen, also etwa 13 % der Belegschaft. Zuckerberg begründete das mit den Problemen bei Meta und eigenen Fehleinschätzungen während der Covid-19-Pandemie. Er habe angenommen, der Aufschwung beim E-Commerce sei von Dauer, meinte er gegenüber Pressevertretern.

Tatsächlich aber hat der Abschwung nach dem Auslaufen der meisten Beschränkungen die gesamte Branche kalt erwischt. Und von einem Boom ausgerechnet durch den Ukraine-Krieg ist wenig zu bemerken, im Gegenteil. Der Konflikt und seine wirtschaftlichen Folgen sorgen eher für Verunsicherung. Zudem sind Investoren aktuell eher zurückhaltend, wenn es darum geht, in Technologien mit ungewissem Potenzial zu investieren.

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Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag ist zuerst in unserer Magazin­reihe „IT & Karriere“ erschienen. Einen Über­blick mit freien Down­load-Links zu sämt­lichen Einzel­heften be­kommen Sie online im Presse­zentrum des MittelstandsWiki.

„Diese großen Unternehmen dürfen ruhig annehmen, dass die ruhigen Gewässer, die ihre Boote die letzten 15 Jahre angetrieben haben, in nächster Zeit unruhiger werden“, meinte die US-Ökonomin Jo-Ellen Pozner gegenüber der Plattform Bloomberg. Investitionen in spekulative Technologie würden nach ihrer Einschätzung künftig mehr auf Erfolgsfaktoren geprüft werden, als das zuletzt der Fall war.

Verschlankung ist angesagt

Dafür ist Amazon ein gutes Beispiel. Der Online-Versandhändler spart nicht nur im gesamten Unternehmen Personal ein, sondern nimmt auch seine Alexa-Sparte unter die Lupe. Amazon-CEO Andy Jassy gab den Personalabbau am 4. Januar zunächst intern bekannt. Das Unternehmen entlässt demnach weltweit 18.000 Beschäftigte. Betroffen sind alle Hierarchieebenen, der Retail-Bereich, aber auch das Device-Geschäft und das Personalwesen. Amazon hatte zu Corona-Zeiten seinen Personalbestand gerade im E-Commerce-Bereich stark aufgestockt, dann aber schon 2022 einen Einstellungsstopp verhängt. Obwohl es dazu keine Zahlen gibt, dürften auch Zeitarbeiter und Freiberufler betroffen sein.

Beim Hardware-Hersteller Dell Technologies mussten laut der Online-Plattform Bloomberg 6650 Beschäftigte gehen. Dell begründete das mit dem schwierigen Marktumfeld, und tatsächlich musste das PC-Geschäft starke Einbußen hinnehmen. Dell setzt hier knallhart die angekündigten Sparmaßnahmen um.

Auch der Netzwerkspezialist Cisco stellt Personal frei. Von 83.300 Angestellten müssen 4.100 ihren Hut nehmen. Auch hat sich der Konzern laut Computerwoche von überzähligen Immobilien und Büroflächen getrennt. Im laufenden Quartal wendet das Unternehmen 600 Millionen Dollar auf, um die nötigen Veränderungen zu bewältigen. Allerdings plant Cisco auch wieder Neueinstellungen in Bereichen wie Cloud, Enterprise Networking oder Plattformen.

Sogar Tesla, bislang vom Erfolg verwöhnt, muss wie viele ehemalige Vorzeigeunternehmen kürzer treten. Der Konzern will weltweit Tausende von Stellen abbauen. Etwa 3,5 % der 100.000 Mitarbeiter in aller Welt sind betroffen. Das Unternehmen streicht auch in Entwicklungsbereichen wie dem „Autopilot-Team“, das an autonomen Fahrzeugen arbeitet, rigoros Personal. Von 276 Mitarbeitern blieben nur 81 übrig, die nun auf verschiedene Standorte verteilt werden. Nur die deutsche Niederlassung sucht weiterhin Personal, laut tagesschau.de aber eher deswegen, weil sie Interessenten zu geringe Gehälter anbietet.

Was nicht läuft, muss weg

Bei genauerem Hinsehen unterscheiden sich die Einsparstrategien der einzelnen Unternehmen voneinander. Amazon baut viele Stellen bei Amazon Stores und PTX Solutions ab. Diese Stores betreibt Amazon hierzulande überhaupt nicht, während sie in den USA inzwischen recht häufig geworden sind. Amazon Fresh sollte sogar eigene Filialen eröffnen, aber das wird wohl so bald nicht geschehen. Dagegen deckt PTX Solutions die Personalentwicklung ab, ist also Amazons Kerngeschäft gewissermaßen nachgeordnet. Es liegt also nahe, dass der Handelskonzern auch hier Stellen streicht.

Google stellt nachweislich erfolglose Projekte ein. Dazu gehören laut c’t die Cloud-Gaming-Plattform Stadia oder das Open-Source-Betriebssystem Fuchsia. Microsoft gibt Zukäufe wieder auf, die zu wenig zum Kerngeschäft des Unternehmens beitragen. Und Facebook-Gründer Mark Zuckerberg lässt nun bei seinem ambitionierten Projekt Metaverse kürzertreten, nachdem die mit großen Fanfaren angekündigte Online-Erlebniswelt nicht auf das erwartete Interesse gestoßen ist.

Auch in Europa knirscht es

Auch deutsche und europäische Unternehmen bauen Stellen ab, die Entlassungswelle trifft nicht nur die hiesigen Standorte der Hightech-Konzerne aus Übersee. Das Walldorfer Software-Unternehmen SAP entlässt weltweit 3000 Mitarbeiter, davon 200 hierzulande. Die Verantwortlichen wollen bei den jährlichen Kosten 350 Millionen Euro einsparen und sich wieder stärker auf das Kerngeschäft mit ERP-Software konzentrieren. Beim schwedischen Streamingdienst Spotify haben rund 6 % der Belegschaft ihre Kündigung erhalten. Auch hier nennt die Firmenleitung Sparmaßnahmen als den Grund.

Vodafone Deutschland streicht laut einem Bericht vom 11. Februar in der Online-Ausgabe der Rheinischen Post jede zehnte Stelle. Das sind rund 1600 Jobs. Die Entlassungen sind Teil des im November 2022 verkündeten Sparprogramms, mit dem der Telekommunikationskonzern seine Ausgaben weltweit bis 2026 um rund eine Milliarde Euro senken will. Auf der ganzen Welt arbeiten etwa 104.000 Menschen für das Unternehmen, das zuletzt rund die Hälfte seines Börsenwerts verloren hatte.

Der schwedische Finanzdienstleister Klarna war mit dem Ziel gestartet, im Online-Bezahlwesen neue Wege zu gehen, und ist in den letzten Jahren auch kräftig gewachsen. Inzwischen hat das Unternehmen durch die inflationsbedingte Kaufzurückhaltung vieler Kunden wirtschaftliche Schwierigkeiten und musste seit Mai letzten Jahres etwa 10 % seiner weltweit 7000 Menschen umfassenden Belegschaft entlassen.

Zieht es US-Fachkräfte nach Europa?

Zumindest in der Schweiz ist von einer Drift aus Übersee zurzeit wenig zu bemerken. Nach Recherchen des Online-Magazins Inside IT können eidgenössische IT-Unternehmen bislang kein gesteigertes Interesse von Fachkräften aus den USA an Jobs in der Schweiz verzeichnen. In Deutschland jedoch machen sich Experten und Verantwortliche in IT-Unternehmen Hoffnungen, dass zumindest eine kleine Zahl der Freigestellten ihren Weg nach Europa findet oder dass verunsicherte Mitarbeiter von US-Konzernen in einen Job bei einem hiesigen Mittelständler wechseln wollen. Die bayerische Digitalisierungsministerin Judith Gerlach lud in einem Post auf LinkedIn Arbeitssuchende aus den USA in ihr Bundesland ein. Wie viele diesen Schritt tatsächlich gehen werden, muss sich allerdings erst noch zeigen.

Zwar gibt es laut dem Branchenverband Bitkom in Deutschland 137.000 offene Stellen für IT-Spezialisten. Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder erwartet zudem, dass der Bedarf weiter wächst. Er kritisiert jedoch die deutschen Zuwanderungsregeln, die das Abwerben von Fachleuten etwa aus den USA erschweren. Trotz Initiativen wie der Einführung der Blue Card vor zehn Jahren oder dem von der Großen Koalition aufgelegten Fachkräftezuwanderungsgesetz haben sich nicht sonderlich viele gesuchte Fachkräfte ausgerechnet in Deutschland nach Jobs umgesehen. Der deutsche Arbeitsmarkt ist oft einfach nicht interessant genug. „IT-Fachkräfte aus den USA nach Deutschland zu holen, ist ein schwieriges Unterfangen und nur in absoluten Einzelfällen erfolgversprechend. Auch in den USA haben die Unternehmen einen hohen Bedarf an IT-Know-how, sodass die Betroffenen innerhalb des eigenen Landes meist sehr gute berufliche Perspektiven haben“, meinte er gegenüber dem Fachblatt c’t.

Binnenwanderung statt Exodus

Tatsächlich dürften die meisten Entlassenen in den USA relativ schnell einen neuen Job im eigenen Land finden. Der amerikanische IT-Arbeitsmarkt ist ungleich größer als der hiesige und er beschränkt sich nicht auf den geografisch begrenzten Bereich des Silicon Valley. Die traditionell hohe Mobilität auf dem US-Arbeitsmarkt wirkt sich gerade in Krisenzeiten positiv aus.

Daneben spielen auch die überdurchschnittlich stark gewachsenen Lebenshaltungskosten nicht nur im Valley, sondern auch in anderen Westküstenmetropolen eine Rolle. Schon seit Längerem, also noch während des Aufschwungs, ließ sich eine Abwanderung von Unternehmen und qualifizierten Arbeitskräften in andere Teile der USA beobachten, in denen die Steuern niedriger sind, die Lebenshaltung preiswerter ist und oft auch die Kriminalität geringer. Gerade Ballungsräume wie Los Angeles oder San Francisco sind mittlerweile nicht nur in Sachen gezahlter Gehälter Spitzenreiter, sondern auch in Sachen Alltagskriminalität, Obdachlosigkeit und in beinahe unerschwinglichen Preisen für Wohnraum.

Und schließlich gibt es in den USA neben den Branchenriesen zahlreiche kleinere Unternehmen und KMU, die ebenfalls IT-Experten brauchen, obschon sie nicht die im Silicon Valley üblichen hohen Gehälter zahlen können. Viele der Jobsuchenden werden sich dementsprechend wohl oder übel bei einem dieser Unternehmen eine Anstellung suchen, bevor sie auf die Idee kommen, im „alten“ Europa ihr Glück zu suchen.

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Friedrich List ist Journalist und Buch­autor in Hamburg. Seit Anfang des Jahr­hunderts schreibt er über Themen aus Computer­welt und IT, aber auch aus Forschung, Fliegerei und Raum­fahrt, u.a. für Heise-Print- und Online-Publikationen. Für ihn ist SEO genauso interessant wie Alexander Gersts nächster Flug zur Inter­nationalen Raum­station. Außerdem erzählt er auch gerne Geschichten aus seiner Heimatstadt.

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