Work-Life-Balance in IT-Berufen: Warum Pro­gram­mie­rer in der Pampa arbeiten

Nach guten Jobs suchen IT-Fach­kräfte mit Vor­liebe in den Metro­pol­regio­nen. Dort sind die An­ge­bo­te am dich­testen ge­sät – aber es sind nicht immer wirk­lich die besten. Es kann sich lohnen, bei der Ar­beits­platz­suche einen Blick in die Pampa zu wagen, wenn es um Firmen an Wohl­fühl­stand­orten geht.

Wo der Mühlbach leise rauscht

Von Dirk Bongardt

Deutschlands führender Digitalstandort ist nach wie vor München. So lautet ein nur wenig überraschendes Ergebnis einer Untersuchung aus der Studienreihe „Datenland Deutschland“ des Beratungsunternehmens Deloitte. Auch auf den weiteren Plätzen folgen die großen Namen unter den Städten Deutschlands: Berlin auf dem 2., Hamburg auf dem 4., Stuttgart auf dem 5. Platz dürften kaum jemanden verwundern. Doch auf Platz 3 überrascht Darmstadt und ab Platz 6 laufen eher mittelgroße Städte wie Erlangen, Karlsruhe, Aachen, Münster und Regensburg deutlich größeren Metropolen den Rang ab.

Was macht den Wohlfühlstandort aus?

Vorweg erwähnt: Es gibt Menschen, deren Städter- bzw. Landbewohnerdasein so tief in ihrer Seele verankert ist, dass sie bei einem Wechsel in die jeweils andere Umgebung zutiefst unglücklich würden. Für die ist ihre angestammte Umgebung die einzig wahre Wohlfühlumgebung. Wer bis hierhin gelesen hat, wird aber wahrscheinlich nicht zu dieser Gruppe von Menschen gehören.

Das Karrierenetzwerk Xing und die Bewertungsplattform kununu haben die 30 größten Städte Deutschlands im Hinblick auf die dort jeweils gebotene Work-Life-Balance unter die Lupe genommen. Dabei berücksichtigten die Auswerter rund 65.000 Bewertungen von Arbeitgebern und achteten besonders darauf, ob die Mitarbeiter im Homeoffice arbeiten können, flexible Arbeitszeiten haben und eine Kinderbetreuung in Anspruch nehmen können. Den Spitzenplatz unter allen untersuchten Städten nahm schließlich Karlsruhe ein, auch wenn die Küstenstadt Kiel bei der Kinderbetreuung knapp die Nase vorn hatte.

Wenn es um die Work-Life-Balance geht, lohnt sich für Arbeitnehmer auf Jobsuche auch ein Blick in Regionen, die umgangssprachlich mehr oder minder scherzhaft als „Pampa“ abqualifiziert werden. Die dort angesiedelten Arbeitgeber sind nicht weniger als andere auf talentierte Fachkräfte angewiesen, und die meisten von ihnen sind sich auch der vergleichsweise geringeren Attraktivität ihres Standorts wohl bewusst. Was die Infrastruktur nicht hergibt, gleichen solche Arbeitgeber über andere Faktoren aus – zum Beispiel eben über eine Kinderbetreuung, über flexible Arbeitszeitmodelle und andere Wohlfühlfaktoren.

Pro und kontra arbeiten auf dem Land

Aufstieg: Hochqualifizierte Fachkräfte können sich aussuchen, wo sie arbeiten wollen – und entscheiden sich häufig für die Metropolen. Deshalb ist der Fachkräftemangel in ländlichen Regionen noch deutlicher spürbar. Wer seine Arbeitskraft hier zur Verfügung stellt, hat beste Chancen, schnell voranzukommen. Wer nur vorübergehend aufs Land möchte, um von dort nach ein paar Jahren nach München, Paris oder Tokio weiterzuziehen, dürfte allerdings mit einer Station wie Dörentrup im Lebenslauf bei manchen Arbeitgebern für Stirnrunzeln sorgen.

Umstieg: In ländlichen Gebieten ist die Dichte gleichrangiger Arbeitgeber naturgemäß geringer als in den Metropoleregionen. Wer seinen Job verliert, tut sich entsprechend schwerer, schnell wieder einen gleichwertigen zu finden – vor allem, wenn er dafür nicht gerne umziehen möchte. Das gilt insbesondere für Arbeitnehmer, die sich auf eine Branche festgelegt haben.

Anbindung: Leider kein Scherz – Deutschlands ländlicher Raum ist Internet-Entwicklungsland. Wer als Freiberufler auf eine schnelle Internet-Anbindung angewiesen ist – oder sich bloß nach Feierabend von Netflix berieseln lassen möchte – sollte sich den angepeilten Standort sehr genau ansehen und sich bei potenziellen künftigen Nachbarn über die erreichbaren Datenraten erkundigen. Und nicht nur die Daten-, sondern auch die andere Autobahn ist mitunter aus ländlichen Regionen schwer zu erreichen. Die Wege zum nächsten größeren Bahnhof oder Flughafen können durchaus ebenfalls länger sein als erwartet.

Ausbildung: Wer mit Kindern aufs Land ziehen will, sollte nicht nur die grünen Wiesen und die frische Luft ins Kalkül ziehen, sondern auch die Art und Verteilung der Schulen, sowie die späteren Ausbildungsmöglichkeiten. Bis der Nachwuchs sich auf den Weg zur Uni machen will, mag es noch etwas dauern. Aber auch schon das nächste Gymnasium könnte mit etwas Pech eine Schulbusstunde weit entfernt sein.

Ländliche Regionen als Karriereturbo

Auch der Karriere kann die Entscheidung für einen Arbeitgeber abseits der großen Metropolen durchaus förderlich sein. Die Berater von Robert Walters empfehlen den dort angesiedelten Unternehmen, flexibler zu sein, wenn es um die Einstellungskriterien geht: „Personaler sollten auch Kandidaten in ihre Bewerbungsprozesse mit reinnehmen, die vielleicht nicht 100-, sondern nur 80-prozentig auf die Stelle passen. Dafür aber müssen sich die Firmen dann Gedanken über interne Weiterbildungsmöglichkeiten machen und ihren Mitarbeitern ausreichende Karriereperspektiven bieten. So kann es gelingen, weitere Potenziale zu wecken und so auf die 100 % zu kommen“, rät Thomas Hartenfels, Direktor von Robert Walters in Düsseldorf. Weitere Boni könnten eine starke Unternehmensmarke, eine offene und transparente Kommunikation, große Gestaltungsspielräume oder flache Hierarchien sein.

Viele der sogenannten Hidden Champions sind außerhalb von Metropolregionen angesiedelt. Baden-Württemberg etwa gilt als das Bundesland mit der weltweit größten Dichte an solchen Unternehmen. Aber auch die Region Ostwestfalen ist die Heimat von Top-Unternehmen wie Dr. Oetker, Bertelsmann oder Miele. Deren Bedarf an qualifizierten Mitarbeitern ist kaum geringer als der vergleichbarer Unternehmen in Metropolen. Selbst Start-ups gibt es in der Provinz, wenngleich die naturgemäß dünner gesät sind als in den klassischen Start-up-Hubs Berlin, Hamburg oder München. Das ostwestfälische Bielefeld etwa hat mit der von Bertelsmann angeschobenen Founders Foundation vor einigen Jahren die Grundlage für eine (wenn auch langsam) wachsende Start-up-Szene gelegt.

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Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag ist zuerst in unserer Magazin­reihe „IT & Karriere“ erschienen. Einen Über­blick mit freien Down­load-Links zu sämt­lichen Einzel­heften be­kommen Sie online im Presse­zentrum des MittelstandsWiki.

Genau hinsehen beim Kostenvergleich

Wer sich für das Leben auf dem Lande entscheidet, tut das nicht selten auch im Hinblick auf die Kosten: Liegen die Immobilienpreise in der Nähe der Metropolen Köln und Düsseldorf bis zu 50 % über dem Landesdurchschnitt, notieren sie in den ländlichen Regionen Ostwestfalens um bis zu 40 % darunter. Wer in einer ländlichen Region sowohl lebt als auch arbeitet, findet also mit einem eventuell etwas geringer ausfallenden Gehalt durchaus sein Auskommen.

Ein Kostenfaktor bleibt bei dieser Berechnung allerdings oft unberücksichtigt: die Mobilitätskosten. Wer auf dem Land lebt, aber in der Stadt arbeitet, pendelt täglich etliche Kilometer, und nicht immer lässt sich der Arbeitsweg mit öffentlichen Verkehrsmitteln praxistauglich zurücklegen. Oder auch andere Wege. Und die sind auf dem Land ebenso nicht zu unterschätzen: Jede Fahrt zum Einkaufen, zur Reinigung, ins Fitnessstudio oder zum Arzt schlägt sich auf dem Kilometerzähler und an der Zapfsäule nieder, während viele Bewohner großer Städte immer öfter sogar ganz auf einen eigenen Pkw verzichten.

Beispielhaft für den Großraum um München bietet der Münchner Verkehrs- und Tarifverbund unter bayern.wowohnen.eu einen Wohn- und Mobilitätsrechner an. Der Nutzer kann dort Angaben zu (in Erwägung gezogenen) Wohn- und Arbeitsorten machen und erhält dann eine Übersicht über Mobilitätskosten, den Zeitaufwand und den ökologischen Fußabdruck, den er im Fall einer positiven Entscheidung regelmäßig hinterlassen würde.

Mein Konto, mein Vertrag, mein Landsitz

Unabhängig von den individuellen Präferenzen ist der Standort eines Unternehmens für die meisten Arbeitnehmer jedoch nur einer von einer ganzen Reihe an Faktoren, die es als attraktiven Arbeitgeber erscheinen lassen. Das ergab eine Untersuchung, für die das Marktforschungsinstitut Infofact AG im Auftrag der Targobank 1054 Arbeitnehmer, Studenten und Auszubildende befragt hat.

Fast zwei Drittel (61 %) der Befragten sehen die Vergütung als wichtiges Merkmal für die Arbeitgeberattraktivität. Der Lohn ist damit eindeutig der meistgenannte Faktor. Beinahe ebenso viele Studienteilnehmer legen jedoch auch großen Wert auf langfristige Jobsicherheit – belegt etwa durch einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Dann erst folgen mit deutlichem Abstand andere Faktoren: Je 37 % der Befragten gaben an, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie ein guter Unternehmensstandort seien wesentlich für die Arbeitgeberattraktivität. Immerhin: Deutlich mehr als ein Drittel legt Wert auf eine angenehme, familienfreundliche Umgebung – und hat von den Vorteilen einer ausgewogenen Work-Life-Balance zumindest schon einmal gehört.

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Dirk Bongardt hat vor Beginn seiner journalistischen Laufbahn zehn Jahre Erfahrung in verschiedenen Funktionen in Vertriebsabteilungen industrieller und mittelständischer Unternehmen gesammelt. Seit 2000 arbeitet er als freier Autor. Sein thematischer Schwerpunkt liegt auf praxisnahen Informationen rund um Gegenwarts- und Zukunftstechnologien, vorwiegend in den Bereichen Mobile und IT.


Dirk Bongardt, Tel.: 05262-6400216, mail@dirk-bongardt.de, netknowhow.de

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