Katastrophenschutz: Wie Hochwasser-Simulationen Leben retten

Mit der Klimakrise sind Katastrophenmeldungen fast schon Alltag geworden. Doch das gilt nur für Unbeteiligte, die in den Medien verfolgen, wie Landstriche überflutet, Bahnlinien vermurt oder Hallendächer vom Sturm abgedeckt werden. Für Betroffene dagegen ist die frühestmögliche Warnung lebenswichtig.

Sag mir, wann die Flut kommt

Von Michael Praschma

Es kann im Extremfall über Leben und Tod entscheiden, wie früh Menschen alarmiert werden, wenn eine Gefahrensituation eingetreten ist. Und auch hochwertige Sachgüter, ob im privaten Besitz oder betriebliche Anlagen, lassen sich, wenn überhaupt, umso besser schützen, je eher entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden.

Hochgradig ausgereift ist in Österreich zumindest der operative Teil der sogenannten Alarmierungskette: Die österreichischen Blaulichtorganisationen, die in Katastrophenfällen zum Einsatz kommen, von den Feuerwehren über das Rote Kreuz und die Wasserrettung bis hin zum Bundesheer – und viele andere mehr –, gelten als exzellent organisiert, ausgerüstet und ausgebildet. Alle Vorgänge sind in aller Regel routiniert und funktionieren, vom Eintreffen eines Alarms über die Weiterleitung aus Einsatzleitstellen bis zur Koordination und Durchführung der erforderlichen Maßnahmen am Einsatzort.

Sicherheitsfaktor Zeit

Beim Beispiel einer Flutkatastrophe leuchtet unmittelbar ein, dass Gefahrensituationen sich exponentiell verschärfen, wenn nicht oder erst zu spät bekannt ist, wann etwa Wohngebiete evakuiert werden müssen. Ist das nicht mehr möglich, dann werden Bergungsmaßnahmen erforderlich, die für alle Beteiligten riskant sind und außerdem bei den Einsatzkräften sehr viel Kapazität binden. Ohnehin fordern die zunehmend in dichter Folge eintretenden Starkregenereignisse vor allem die Freiwilligen bereits jetzt oft bis über die Leistungsgrenzen hinaus.

Die Folgen derartiger Ereignisse werden sich nur durch langfristige vorbeugende Schutzmaßnahmen abmildern lassen, da die zögerliche Umsetzung echter Klimaschutzmaßnahmen hier keine spürbaren Effekte in absehbarer Zeit erhoffen lässt. Vor diesem Hintergrund wird aber umso mehr ausschlaggebend, dass vermeidbare Schäden mithilfe hoch entwickelter Prognosetechniken vermieden werden. Im Mittelpunkt stehen dabei vor allem akute Auswirkungen der Klimakrise, zu denen die Bundesregierung z. B. zählt: Starkregen, Hochwasser, Hagelunwetter/Stürme, Murenabgänge, Schädlingsinvasionen.

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Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Heise-Beilagenreihe „IT-Unternehmen in Österreich stellen sich vor“. Einen Überblick mit freien Download-Links zu sämtlichen Einzelheften bekommen Sie online im Pressezentrum des MittelstandsWiki.

Schwierige Prognosen

Gesichertes Wissen zu bevorstehenden Katastrophen gibt es. Allerdings tendenziell nur großräumig und über längere Zeiträume. So steht z.B. ziemlich eindeutig fest, dass in den kommenden Jahrzehnten im alpinen Raum der Anstieg der Durchschnittstemperaturen etwa doppelt so hoch sein wird wie global – mit allen bekannten Folgen. Für die lässt sich in bestimmtem Umfang ganz allgemein vorsorgen. Ob aber nun bei der herannahenden Kaltfront eine Gewitterzelle mit Sturmböen und schwerem Hagel eine bestimmte Gemeinde in Niederösterreich treffen wird, ist kaum früher zu wissen als 30 Minuten vorher – und das nicht mit Gewissheit.

Die Wiener Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) arbeitet u.a. daran, solche Prognosen weiter zu verbessern. Schwierigkeiten bereitet einerseits das Netz der Messstellen für aktuelle Wetterdaten, andererseits die Rechenkapazität. Denn was, wann und wo z.B. bei einem Gewitter passiert, entscheidet sich auf kleinstem Raum, während die Gitterpunkte des Messnetzes meist bestenfalls einen Kilometer auseinanderliegen. Selbst Hochleistungsrechner würden allerdings bei noch mehr Daten und lokal verfeinerten Prognosen derzeit an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen. Bei regionalen Wettermodellen gelten zwei bis drei Tage im Voraus derzeit als seriös haltbares Zeitfenster.

„Die Atmosphäre ist hochgradig chaotisch. Wenn man mit einem kleinen Fehler am Anfang wegrechnet, dann verstärkt sich der völlig unkontrolliert und führt zu wachsenden Fehlern mit Fortdauer der Prognoserechnung“, erläutert ein ZAMG-Experte. Daher werden Vorhersagen zunehmend aus mehreren Modellen und mit der Angabe von Wahrscheinlichkeiten erstellt – und mit erweiterten Datenquellen: neben Wetterstationen und -ballons auch Satelliten oder Flugzeuge.

Serie: Geografische Informationssysteme
Teil 1 sieht sich um, wo kommunale GIS überall von Nutzen sein können: 80 % aller Verwaltungsvorgänge sind raumbezogen. Teil 2 erklärt, warum Geodaten und Dokumentenmanagement verknüpft sein sollten. Außerdem geht es um den Datenschutz und um die Kostenübernahme. Ein Extrabeitrag widmet sich dem Berufsbild Geodatenmanager.

Kommt der Berg?

Nicht nur für Skitourengeher und Bergwanderer, sondern längst auch für die Wohnbevölkerung in Tallagen wächst das Risiko von Fels- oder Bergstürzen. Denn mit steigenden Temperaturen schmilzt Eis, das bisher als dauerhafter „Klebstoff“ Gestein in den Höhenlagen der Alpen festhielt. Sogenannte Gefahrenkarten veralten immer schneller. Auch hier sind Daten der Schlüssel, wenn es gilt, bedrohliche Entwicklungen zu erkennen.

Zum Beispiel Messreihen am Matterhorn seit dem Jahr 2006, die seit Kurzem auch an der Uni Innsbruck ausgewertet werden: Sie stammen aus dem PermaSens-Projekt der ETH Zürich, wo Sensoren in Bohrlöchern von rund einem Meter Tiefe Daten wie Felstemperaturen und Neigungs- oder Spaltbewegungen registrieren. Die Dringlichkeit, solche Daten z.B. für Evakuierungspläne zu verwenden, ist in der Schweiz wegen anderer geologischer Gegebenheiten höher, sie steigt aber auch in den Gebirgsregionen Österreichs, wie etwa der massive Felssturz in der Tiroler Silvrettagruppe im Juni 2023 zeigt.

„Jahrhunderthochwasser“ alle paar Jahre, dazwischen Dürren, Superzellen und Tornados … Extremereignisse mit katastrophalen Folgen sind auch deshalb schwer genau vorherzusagen, weil es zahllose Wechselwirkungen gibt, die zu berücksichtigen sind. Oder zu berücksichtigen wären, wenn ausreichend Daten dazu flächendeckend zur Verfügung ständen.

Vielleicht am bekanntesten: Es ist nicht die reine Niederschlagsmenge pro Stunde, die eine Überflutung verursacht. Der gleiche Regen kann riesige Schäden anrichten, wenn Böden so ausgetrocknet sind (oder aber bereits dermaßen durchnässt), dass sie das Wasser nicht aufnehmen, während ein mäßig durchfeuchteter Boden problemlos damit fertig wird. Umgekehrt führt die von Temperatur und vorangegangenen Niederschlägen abhängige Bodenverdunstung zu mehr oder weniger Wolkenbildung und damit zu unterschiedlich starken Gewittern.

Auch hier gilt wieder: Großflächige Wetterereignisse wie hereinziehende Tiefdruckgebiete lassen sich sehr sicher auf Tage im Voraus prognostizieren; die Entstehung eines Wärmegewitters im Voralpenland ist fast Glückssache. Und ein Donauhochwasser kündigt sich viel früher an als die Überschwemmung eines ganzen Dorfs durch einen verklausten Bergbach nach einem Unwetter.

Land-unter-Simulation

Weisheit mit V – Visdom –, so heißt eine Software, die Hochwasser- und Starkregenereignisse dreidimensional simuliert und visualisiert. Wozu das dient? Kurzfassung: Damit lässt sich anhand verschiedener Szenarien ausprobieren, wo mit welchen Eingriffen am besten gegen Überflutungen vorgegangen werden kann, und zwar vorbeugend ebenso wie in akuten Fällen.

„Mittels eines digitalen Zwillings und der Navigation in der Zeit lässt sich mit Visdom nachvollziehen, welche Fließwege das Wasser nimmt und wo kritische Hotspots entstehen. Dieser digitale Zwilling kann den Angaben zufolge auch extrem große Gebiete abbilden, wofür eine Reihe an verschiedenen Daten und Datenquellen gebündelt werden: Hier reicht die Palette von hochaufgelösten Geländemodellen und Gebäudekatastern bis zu Daten zu Landnutzung, hydrologischen Einzugsgebieten, Kanalnetzen, Niederschlägen und Wasserständen“, heißt es in einer APA-Science-Mitteilung vom Oktober 2022. Eine hochaufgelöste Karte mit der Hochwassergefährdung für Österreich ist unter hora.gv.at im Internet kostenlos aufrufbar.

„Künftig soll Visdom für verschiedenste Szenarien, die mit Niederschlag und Wasser zu tun haben, verwendbar sein. Das beginnt bei der Katastrophenschutzplanung, geht über die Entwicklung von resilienten Städten und reicht bis zu nachhaltigen Konzepten wie blau-grüner Infrastruktur, wo Wasser auch gespeichert wird, um Spitzenbelastungen zu entschärfen“, heißt es in der APA-Mitteilung weiter.

Ein Beispiel für Kooperationen bei der Entwicklung solcher Lösungen für Vorhersagemodelle ist die zwischen dem Wiener Forschungszentrum VRVis und dem Linzer Start-up SOBOS. Ihre neue Methode bündelt physikalische, statistische und KI-Modelle in einer benutzerfreundlichen Anwendung. Dabei fällt auch für die Flussschifffahrt etwas ab, die zunehmend durch niedrige Pegelstände behindert wird und auf genaue Wasserstandsvorhersagen angewiesen ist.

Katastrophenschutz mit Smart Data

Neben dem Forschungszentrum VRVis mit seinen Schwerpunkten Katastrophenschutz/Hochwassermanagement einschließlich z.B. Kanalnetzkopplung oder Evakuierungsszenarien, Hochwasserprognosen und Risikoanalysen haben auch hochrangige Wirtschaftsvertreter das Thema Katastrophenschutz auf die Agenda gesetzt. Branchenübergreifend setzt sich in Österreich etwa der Verein CEOs for Future für nachhaltige Transformation ein, aber auch für Maßnahmen, mit denen sich Unwetterkatastrophen besser erkennen lassen. Herausgegeben hat C4F etwa das Whitepaper „Nutzung von KI & Smart Data Management für die sektorenübergreifende Transformation zur Energiewende“ gemeinsam mit Drei Österreich, Microsoft Österreich und IBM Österreich. Als Botschafter von C4F fungiert u.a. Wolfgang Anzengruber, Ex-CEO der Verbund AG.

Aber auch auf ganz populärer Ebene gibt es Katastrophenwarnungen. Google Maps etwa blendet „möglicherweise“ Erdbeben, Hochwasser, Orkane oder Waldbrände in der aktuell gewählten Karte ein. Und wetteronline.at ermöglicht mit seinem Wetterradar eine recht genaue und zuverlässige 90-minütige Vorschau auf verschiedene Wetterphänomene für jeden beliebigen Ort.

Das Wettrennen zwischen klimabedingten Änderungen des Wettergeschehens und der Entwicklung neuer und potenterer Tools für Prognose und Schadensminderung ist jedenfalls in vollem Gange.

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Michael Praschma ist Texter, Lektor und Redakteur. Er beherrscht so unterschiedliche Gattungen wie Werbetext, Direct Marketing, Claims, Webtext, Ghostwriting, Manuals oder PR. Außerdem treibt er sich – schreibend und anderweitig engagiert – in Journalistik, Non-profit-Organisationen und Kulturwesen herum. Seine Kunden kommen aus verschiedensten Branchen. Am MittelstandsWiki schätzt er die Möglichkeit, mit eigenen Recherchen auf den Punkt zu bringen, was Verantwortliche in Unternehmen interessiert. → https://praschma.com/

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