Industrie 4.0 und das Vorbild der Natur
Von Roland Freist
Den Begriff des Business Ecosystems hat Anfang der 90er Jahre der amerikanische Harvard-Wissenschaftler James F. Moore geprägt. Um die strategische Planung von Unternehmen zu vereinfachen, entwickelte er ein Modell, das die Abhängigkeiten, Beziehungen und Rollen der Teilnehmer am Wirtschaftsprozess angelehnt an Ökosysteme in der Natur beschreibt.
Laut Moore profitieren sämtliche Akteure von allen anderen, die Unternehmen sind genauso Objekte in einem komplexen, interagierenden System wie die Kunden, Lieferanten etc. Das spiegelt die Situation in der Natur mit ihren komplexen Abhängigkeiten zwischen Tieren und Pflanzen wider. Moore zog daraus den Schluss, dass die Beteiligten miteinander kooperieren müssen, um größere Ziele zu erreichen und die nächste Stufe der Evolution zu erklimmen. Er beschreibt aber auch verschiedene Nebenaspekte, so beispielsweise, dass neu entstehende oder hinzukommende Spezies die traditionellen Nischen, in denen sich die bereits länger existierenden Pflanzen, Tiere, Unternehmen eingerichtet haben, übernehmen oder anderweitig gefährden können. Die Firmen müssten daher aktiv werden und zu Kunden, Lieferanten und sogar Konkurrenten stabile Beziehungen aufbauen, die für alle Seiten von Vorteil sind. Nur so könnten sie längerfristig überleben.
Geschäftliche Ökosysteme in der IT
Das Modell der Business Ecosystems hat sich besonders bei IT-Unternehmen durchgesetzt. Dort wurde es in letzter Zeit vor allem im Zuge der stürmischen Entwicklung bei den sozialen Medien und in der Diskussion über Industrie 4.0 sowie das Internet of Things weiter ausgebaut und angepasst.
So nimmt etwa im Zuge der Digitalisierung die Auswahl an innovativen Dienstleistungsangeboten rapide zu. Über die sozialen Medien und ganz allgemein das Internet und die ständig zunehmende Vernetzung werden mehr Menschen als jemals zuvor mit neuen Ideen und Produkten bzw. Dingen verbunden und nehmen darauf Einfluss. So arbeiten alle führenden Automobilhersteller an Systemen, die etwa die Fahrweise, aber auch die Durchschnittsgeschwindigkeiten und Routen der Wagen erfassen und zentral auswerten. Es entstehen neue Ökosysteme aus Herstellern, Fahrern, Zulieferern, Versicherern etc., die gemeinsame, für alle Beteiligten vorteilhafte Ziele verfolgen.
M2M-Kommunikation ist eigene Kybernetik
Aber auch die M2M-Kommunikation (Machine to Machine) im Zuge des Industrie-4.0-Konzepts lässt sich als Business Ecosystem beschreiben. Echte Vorteile wird die Vernetzung der Maschinen bei Herstellern, Lieferanten und Kunden aber nur dann generieren, wenn alle davon profitieren und sie ihre Beziehungen auf einer gleichberechtigten Basis gestalten. Dabei ist es von höchster Wichtigkeit, dass die Kommunikation auf Standards aufbaut, sodass sich die Systeme schnell und reibungslos um neue, zusätzliche Komponenten erweitern lassen. Offene, nach Open-Source-Maßstäben entwickelte Standards sind ein probates Mittel, um den Kreis der partizipierenden Firmen schnell und zu erweitern.
Smart Ecosystems für das Internet of Things
Das Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering IESE skizzierte vor einiger Zeit das Modell der Smart Ecosystems: Sie verbinden Informationssysteme, Embedded Systems und mobile Apps bzw. deren Nachfolger zu einem einzigen Software-Ökosystem, in dem Einzelsysteme über das Internet der Dienste, Dinge, und Daten vernetzt sind und organisationsübergreifende innovative Lösungen entstehen können. Geschäftsabläufe und technische Prozesse sind dabei gleichwertige Entwicklungen, die sich gegenseitig beeinflussen und ständig aktualisierte Informationen nutzen, um gemeinsame Ziele zu verwirklichen.
Fazit: Evolutionstheorie für Geschäftsmodelle
Business Ecosystems haben sich als taugliches Modell für die Beschreibung von Geschäftsprozessen allgemein durchgesetzt, sodass die theoretischen Grundlagen ein wenig in Vergessenheit geraten sind. Im Zuge des Internet of Things und der Industrie 4.0 zeigt sich jetzt erneut der hohe Nutzen des Modells, das mit Konzepten wie Smart Ecosystems ständig weiterentwickelt wird.
Roland Freist, Jahrgang 1962, begann nach einem Studium der Kommunikationswissenschaft ein Volontariat beim IWT Verlag in Vaterstetten bei München. Anschließend wechselte er zur Zeitschrift WIN aus dem Vogel Verlag, wo er zum stellvertretenden Chefredakteur aufstieg. Seit 1999 arbeitet er als freier Autor für Computerzeitschriften und PR-Agenturen. Seine Spezialgebiete sind Security, Mobile, Internet-Technologien und Netzwerke, mit Fokus auf Endanwender und KMU.
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