Open-Source-Entwicklung: Wo Quelloffenheit die Karriere fördert

Es klingt vielleicht ein wenig paradox: Unbezahlte Mitarbeit an Open-Source-Projekten kann sich auszahlen. Denn Unternehmen suchen verstärkt nach Mitarbeitern, die bereits Erfahrungen mit quelloffener Software gesammelt haben. Nicht selten wird die Karriere auf diese Weise deutlich beschleunigt.

Frei verfügbare Karrieretreiber

Von Roland Freist

Open Source und proprietäre Software sind heute keine Gegensätze mehr. Während in früheren Jahren eine regelrechte Feindschaft zwischen den beiden Entwicklungsmodellen herrschte, hat sich die Lage mittlerweile beruhigt und ist einer durchaus respektvollen Zusammenarbeit gewichen. Dieser Umschwung kam nicht von ungefähr: Nahezu jedes Unternehmen setzt neben proprietärer auch Open-Source-Software ein. Die Qualität vieler quelloffener Programme spricht ebenso dafür wie die oftmals niedrigeren Kosten oder die einfache Verfügbarkeit als Download aus dem Internet und nicht zu vergessen: die weltweit vernetzte Open-Source-Community, die laufend dafür sorgt, dass quelloffene Softwareprodukte auf dem neuesten Stand bleiben.

Big Tech ist längst mit von der Partie

Auch die großen Software-Firmen haben umgeschwenkt. Viele Hersteller von proprietärer und geschlossener Software engagieren sich mittlerweile auch bei Open-Source-Projekten oder bieten eigene Produkte quelloffen unter einer GPL-Lizenz an. Beispiel Microsoft: In den frühen 2000er-Jahren hatte der damalige CEO Steve Ballmer das Open-Source-Betriebssystem Linux noch als „Krebsgeschwür“ bezeichnet. In den folgenden Jahren kam es jedoch unter dem Ballmer-Nachfolger Satya Nadella zu einer 180-Grad-Kehrtwende: 2015 stellte Microsoft mit Azure Cloud Switch eine eigene Linux-Distribution vor, die als Betriebssystem für Switches bei Cloud-Diensten konzipiert war. Im Jahr darauf brachte die Firma eine Version ihres SQL Server auf den Markt, die kompatibel zu diversen Linux-Distributionen war, 2021 folgte eine Version des Edge-Browsers für Linux. Und seit Windows 10 bringt das Betriebssystem das Windows Subsystem for Linux (WSL) mit, sodass sich auch Linux-Anwendungen ausführen lassen.

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Viele der weltweit größten Tech-Unternehmen ermutigen ihre Mitarbeiter, sich aktiv an Open-Source-Projekten zu beteiligen. (Bild: GitHub, Statista)

Daneben stellt Microsoft, ebenso wie beispielsweise IBM, HP, Oracle und viele andere Hersteller, auch immer wieder Entwickler für Open-Source-Projekte ab. Hinter diesem Engagement stecken oft handfeste wirtschaftliche Interessen: Die Firmen beobachten die Entwicklungen in der Open-Source-Szene genau und achten beispielsweise darauf, dass erfolgreiche Projekte kompatibel zu ihren eigenen Produkten sind. Für angehende und lernbegierige Entwickler heißt das, dass ihnen ein Engagement bei Open-Source-Projekten für die weitere Karriere zusätzliche Chancen eröffnet, und das gleich in mehrfacher Hinsicht.

Open Source ist überall

Open-Source-Software ist heute in jedem Unternehmen vertreten. Firmen nutzen Analyse-Tools, Datenbanken, Programmiersprachen, Storage-Systeme und zahlreiche andere Produkte, die quelloffen vertrieben werden. Da sich mit der Anpassung und dem Support dieser Programme gut Geld verdienen lässt, haben sich zahlreiche Software-Firmen gebildet, die ihre Produkte auf Open-Source-Basis entwickeln. Sie suchen oft händeringend nach Entwicklern und anderen Mitarbeitern, die bereits Erfahrungen mit Open Source gesammelt haben.

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Open-Source-Software hat sich mittlerweile auch im deutschen Mittelstand durchgesetzt. (Bild: Bitkom Research, Statista)

So lässt sich dem Open Source Jobs Report der Linux Foundation für das Jahr 2022 entnehmen, dass 93 % der Arbeitgeber Schwierigkeiten haben, qualifizierte Fachkräfte mit Open-Source-Erfahrung zu finden. Gesucht sind aktuell vor allem Mitarbeiter, die bereits Erfahrungen mit Cloud– und Container-Projekten wie beispielsweise Docker oder Kubernetes im Open-Source-Umfeld besitzen. An dritter und vierter Stelle folgt auf der Wunschliste der Arbeitgeber Know-how in den Themen Linux und Security.

Parallel dazu sind eine ganze Reihe neuer Themen in den Fokus der Software-Hersteller geraten. Künstliche Intelligenz und Machine-Learning beherrschen nun die Software-Szene. Und etliche der Produkte in diesem Bereich stammen aus der Open-Source-Szene. So hat Google bereits vor Jahren seine Machine-Learning-Plattform TensorFlow zur offenen Software erklärt, Facebook gab seine Python-Programmbibliothek PyTorch frei. Und OpenAI, die Firma, die dieses Jahr mit ihrer KI-Software ChatGPT die Schlagzeilen beherrschte, stammt zumindest aus der Open-Source-Szene, auch wenn sie mittlerweile proprietäre Software verkauft.

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Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag ist zuerst in unserer Magazin­reihe „IT & Karriere“ erschienen. Einen Über­blick mit freien Down­load-Links zu sämt­lichen Einzel­heften be­kommen Sie online im Presse­zentrum des MittelstandsWiki.

Einfach mal anfangen

Viele Entwickler beginnen bereits während ihrer Schulzeit oder auch später während des Studiums in ihrer Freizeit, bei Open-Source-Projekten mitzuarbeiten. Der Anfang ist immer ein Sprung ins kalte Wasser, doch tatsächlich sind die Hürden nicht allzu hoch. Auf GitHub, im Netzwerk der Linux Foundation oder an unzähligen anderen Locations im Web findet man Tausende von kleinen und größeren Open-Source-Projekten, die für jede Mitarbeit dankbar sind.

Interessierten Anfängern wird geraten, sich ein Projekt auszusuchen, das einerseits interessant klingt und bei dem sie andererseits ihre Fähigkeiten besonders gut einbringen können. Das kann beispielsweise das Design von Bedienoberflächen sein oder auch die Web-Programmierung mit Front- und Backend. Es kann manchmal eine Weile dauern, bis ein passendes Projekt gefunden ist.

Und dann kommt der erste Versuch: Der Einsteiger sucht sich im Rahmen dieses Projekts eine Aufgabe, wie etwa ein bislang ungelöstes Problem, und lädt seinen Vorschlag auf die Website hoch. Auf diese Weise macht er sich sowohl mit dem Code wie auch mit den Arbeitsabläufen vertraut. Bei einigen Projekten sind insbesondere einfache, für Anfänger geeignete Aufgaben sogar gesondert gekennzeichnet.

Kontakte zur Community knüpfen

Parallel dazu erfolgt der Eintritt in die Community. Wichtig ist zunächst eine Vorstellung der eigenen Person. Bei Unklarheiten sollten Einsteiger aber auch Fragen an andere, erfahrenere Mitglieder stellen und bei Problemen um Hilfe bitten. Auf diese Weise sammelt er oder sie mit der Zeit eigenes Know-how. Hilfreich und wichtig ist dabei auch, die Entwicklung des Codes zu verfolgen und die Dokumentation zu lesen. Wer an einem Projekt mitarbeitet, sollte sich mit dessen Struktur ebenso vertraut machen wie mit den Programmierkonventionen. Das erleichtert und verbessert auch die eigenen Code-Beiträge. Schließlich sollten Einsteiger die Kritik anderer Projektmitarbeiter an der geleisteten Arbeit ernst nehmen und als konstruktive Hilfestellung ansehen, um die eigenen Fähigkeiten zu verbessern.

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Interessante Projekte und die Zusammenarbeit in der globalen Open-Source-Community sind die stärksten Argumente für eine Beteiligung. (Bild: The Linux Foundation)

Für angehende Entwickler kann sich dieses Engagement schnell lohnen: Viele Fachkräftevermittler und Personalverantwortliche scannen regelmäßig Open-Source-Projekte und sprechen die Beteiligten direkt an, um sie für einen Kunden oder die eigene Firma als Mitarbeiter zu gewinnen.

Übrigens sind für Open-Source-Projekte nicht nur Programmierer erforderlich. Daneben werden häufig Autoren für die Dokumentation und die Hilfefunktion, Grafiker für die Gestaltung der Bedienoberfläche und Übersetzer für die Befehle und Menüs benötigt. Auf diese Weise können auch Open-Source-Enthusiasten ohne oder mit geringen Kenntnissen von Programmiersprachen an Projekten mitwirken.

OS-Erfahrung ist ein starkes Asset

Die Zusammenarbeit mit einer Community ist eines der wesentlichen Merkmale der Entwicklung von Open-Source-Software. Aus diesem Grund suchen Arbeitgeber oft gezielt Personen, die bereits Erfahrungen mit Open-Source-Projekten gesammelt haben. Sie sollten mit den Gepflogenheiten vertraut sein und die wichtigsten Programmiersprachen kennen. Können sie zudem auf ein paar Jahre Programmiererfahrung verweisen, stehen die Chancen nicht schlecht, eine Leitungsposition für ein neues Projekt angeboten zu bekommen.

Open-Source-Spezialisten werden aber auch von Firmen geschätzt, die sich vorwiegend oder sogar ausschließlich mit der Entwicklung von proprietärer Software beschäftigen. Finanzinstitute wie Banken und Versicherungen beispielsweise entwickeln nahezu ausschließlich proprietäre Anwendungen. Doch die Server, auf denen diese Software später installiert wird, laufen in vielen Fällen mit dem Open-Source-Betriebssystem Linux. Wenn ein Entwickler sich mit dem Linux-Kernel so gut auskennt, dass er ein Finanzprogramm entsprechend optimieren und beschleunigen kann, bedeutet das für seinen Arbeitgeber einen echten, geldwerten Vorteil.

So offen bin ich gern

Open Source ist in den vergangenen Jahren endgültig aus der Nerd-Ecke herausgekommen und steht heute gleichberechtigt neben proprietärer Software. Im Zuge dieser Entwicklung haben quelloffene Programme in den Unternehmen eine immer weitere Verbreitung gefunden, entsprechend gestiegen ist die Nachfrage nach Open-Source-Entwicklern. Eines ist sicher: Ein Ende dieses Trends ist nicht zu erwarten.

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Roland Freist, Jahrgang 1962, begann nach einem Studium der Kommunikations­­wissenschaft ein Volontariat beim IWT Verlag in Vater­­stetten bei München. Anschließend wechselte er zur Zeitschrift WIN aus dem Vogel Verlag, wo er zum stell­­vertretenden Chef­­redakteur aufstieg. Seit 1999 arbeitet er als freier Autor für Computer­­zeitschriften und PR-Agenturen. Seine Spezial­­gebiete sind Security, Mobile, Internet-Technologien und Netz­­werke, mit Fokus auf Endanwender und KMU.


Redaktionsbüro Roland Freist, Fritz-Winter-Str. 3, 80807 München, Tel.: (089) 62 14 65 84, roland@freist.de

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