Open Access für die Forschung: Wie frei zugängliche Forschung funktioniert

Dass Wissenschaftspublikationen und Fachzeitschriften nur in den Bibliotheken stehen, wurde in der Pandemie spürbar. Nun rückt der allgemeine, freie und kostenlose Zugriff auf Forschungsergebnisse in greifbare Nähe. Hilfreich war vor allem die Erkenntnis, dass Open Access ein Geschäftsmodell sein kann.

Frei zugängliche Wissenschaft

Von Roland Freist

Die vergangenen beiden Jahre waren Meilensteine in der Geschichte der deutschen Open-Access-Bewegung. Im Januar 2019 schloss das Projekt DEAL, das die Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen vertritt, mit dem amerikanischen Wissenschaftsverlag John Wiley & Sons eine Partnerschaftsvereinbarung ab. Ein Jahr später folgte ein Vertrag mit Springer Nature.

Seither kann der Wissenschaftsbetrieb, können Studentinnen und Studenten im Rahmen eines Open-Access-Modells ohne Gebührenzahlungen auf die Zeitschrifteninhalte der Nummern 2 und 3 unter den wissenschaftlichen Verlagen zugreifen. Gleichzeitig sehen die Verträge vor, dass sämtliche Artikel der 700 vertretenen Organisationen, Universitäten und Forschungseinrichtungen dauerhaft frei im Internet zugänglich sind. Die für ihr Überleben notwendigen Einnahmen generieren die Verlage seither über Publish-&-Read-Gebühren, die für jeden veröffentlichten Artikel anfallen und größtenteils über die deutschen Forschungsnetzwerke wie etwa die DFG finanziert werden. Eine vergleichbare Vereinbarung mit dem Branchenführer, dem britischen Verlag Reed Elsevier, war bislang jedoch nicht möglich. Entsprechende Verhandlungen wurden 2018 abgebrochen.

Gründe für Open Access

Unter Open Access versteht man den freien Zugriff auf (wissenschaftliche) Literatur und andere Materialien übers Internet. Entsprechende Forderungen kamen in den 90er Jahren auf, als die wissenschaftlichen Verlage vor allem Zeitschriften aus den Bereichen Naturwissenschaft, Technik und Medizin so stark verteuerten, dass sich Universitäts- und andere Bibliotheken die Publikationen nicht mehr leisten konnten. Da es sich bei den Autoren der Zeitschriften vorwiegend um Angestellte bei staatlich finanzierten Instituten und an Universitäten handelt, die für die Publikation ihrer Forschungsergebnisse von den Verlagen kein Honorar erhalten, entstand ein Missverhältnis: Die Öffentlichkeit bezahlte Wissenschaftler für ihre Arbeit, konnte aber die Ergebnisse dieser Arbeit nicht einsehen und nutzen, da die Gebühren für die entsprechenden Zeitschriften nicht mehr zu finanzieren waren.

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Im August 2019 fassten das Projekt DEAL und Springer Nature ein Memorandum of Understanding, das dann im Dezember zum Open-Access-Vertrag führte. Von links nach rechts: Prof. Dr. Gerard Meijer (Max-Planck-Gesellschaft), Frank Vrancken Peeters und Dagmar Laging von Springer Nature, Prof. Dr. Horst Hippler (Chefunterhändler DEAL); Dr. Frank Sander (Max Planck Digital Library) und Daniel Ropers (Springer Nature). (Bild: Bettina Ausserhofer – Springer Nature)

Die Befürworter von Open Access führen noch eine Reihe weiterer Argumente an, die in erster Linie auf die Vorteile des Modells für die wissenschaftliche Zusammenarbeit verweisen. So habe Open Access den Vorteil, dass sich Forschungsergebnisse anhand der frei zugänglichen Rohdaten einfach überprüfen ließen. Gleichzeitig werde die Recherche zu einem Thema vereinfacht, wenn eine Wissenschaftlerin oder ein Wissenschaftler eine Veröffentlichung direkt begutachten könne und bei der Einschätzung des Inhalts nicht allein auf Titel, Kurzzusammenfassung, Inhaltsverzeichnis sowie Stich- und Schlagworte angewiesen sei. Open Access vereinfache und beschleunige auch die Zusammenarbeit in der Forschung. Das habe sich beispielsweise gezeigt, als im Zuge der Covid-19-Pandemie zahlreiche Verlage und Institutionen ihre Forschungsergebnisse frei publizierten und damit einen schnellen und effektiven internationalen Austausch ermöglichten. Schließlich seien Open-Access-Publikationen dank der Internet-Suchmaschinen einfacher zu finden, würden häufiger gelesen und auch öfter zitiert.

Kritik an Open Access

Demgegenüber stehen die Argumente aus den Reihen der Wissenschaft, wo Open Access überwiegend kritisch gesehen wird. Man befürchtet, dass durch die zunehmende und einseitige Förderung von Open-Access-Publikationen durch die Forschungseinrichtungen und -gesellschaften die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zukünftig quasi gezwungen sein würden, diese Art der Veröffentlichung für ihre Werke zu wählen. Das jedoch sei unrechtmäßig und stelle eine Gefährdung der Publikations- und Wissenschaftsfreiheit dar. Außerdem könne es zu Interessenkonflikten kommen. Beim Open-Access-Modell bezahlen die Autorinnen und Autoren bzw. die Bibliotheken oder Wissenschaftsorganisationen Gebühren an die Verlage für die Publikation von Beiträgen. Es bestehe daher die Gefahr, dass die Verlage aus wirtschaftlichen Gründen auch Beiträge geringerer Qualität veröffentlichen könnten.

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Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag ist zuerst in unserer Magazin­reihe „IT-Unternehmen aus der Region stellen sich vor“ erschienen. Einen Über­blick mit freien Down­load-Links zu sämt­lichen bereits verfügbaren Einzel­heften bekommen Sie online im Presse­zentrum des MittelstandsWiki.

Dr. Rafael Ball, Leiter der Bibliothek der ETH Zürich und Chefredakteur der Bibliotheksfachpublikation B.I.T. online, wies in einem Artikel auf weitere Probleme des Open-Access-Modells hin. So sei die Zahl der Veröffentlichungen an einer Hochschule nicht planbar. Die Bibliotheken wüssten also nicht, welches Budget sie benötigen, um sämtliche Publikationen eines Jahres finanzieren zu können. Bisher sei es möglich gewesen, per Fernleihe oder Document Delivery (zumeist kostenpflichtiges Anfertigen einer Kopie) einem Wissenschaftler die benötigten Werke zu beschaffen. Diese Möglichkeit entfalle beim Open-Access-Modell. In der Praxis hieße das für die Bibliotheken, dass sie, sobald das Jahresbudget ausgeschöpft sei, keine Publikationen mehr finanzieren könnten.

Zudem sei es nahezu unmöglich, die unzähligen Publikationsverträge der Autoren mit ihren jeweiligen Verlagen zu verwalten. Schließlich ergebe sich als weiteres Problem noch die Frage nach der Archivierung und langfristigen Verfügbarkeit von Fachliteratur. Weil die Verlage beim Open-Access-Modell einmal pro Beitrag bezahlt werden, hätten sie kein Interesse an einer garantierten Archivierung der Inhalte. Da die Bibliotheken weder Einfluss auf noch Einblick in die Verträge haben, könnten sie diese Aufgabe anders als in der Vergangenheit nur schwer übernehmen. Die Archivierung und Langzeitverfügbarkeit sei daher nicht mehr gesichert.

In einem Artikel für die Online-Publikation Libreas ging Dr. Bernhard Mittermaier, der Leiter der Zentralbibliothek des Forschungszentrums Jülich, zusammen mit Christoph Holzke, Claudia Frick und Irene Barbers auf die Argumente von Dr. Ball ein und warf ihm „eine Vielzahl irriger Annahmen und Fehlinterpretationen“ vor.

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OA-Werbung im Stil der Tabakwarnung: Auch das BMBF hat seit eine – sehr weiche – Open-Access-Strategie. (Bild: BMBF (CC BY-SA 4.0)

Schattenbibliotheken

Ein wenig erinnert die aktuelle Situation an die Jahre um die Jahrtausendwende, als Napster und andere Musiktauschdienste die technischen Voraussetzungen schufen, damit Menschen weltweit nahezu sämtliche jemals veröffentlichte Musik herunterladen und weitergeben konnten. Zunächst versuchte die Musikindustrie mit juristischen Mitteln, die freie Weitergabe der urheberrechtlich geschützten Werke zu stoppen. Damit hatte sie jedoch nur teilweise Erfolg. Auch die Kontrolle der Verbreitung mit Kopierschutzmaßnahmen erwies sich als Flop. Erst als Apple, Amazon und andere Anbieter ein neues Geschäftsmodell entwickelten und begannen, Musik zu erschwinglichen Preisen online anzubieten, wendete sich das Blatt. Als bald darauf die ersten Streaming-Services aufkamen und Millionen von Abonnentinnen und Abonnenten gewannen, wurde klar, dass die Leute durchaus bereit waren, für Musik zu zahlen. Lediglich das alte Vertriebsmodell wurde abgelehnt.

Ein ähnliches Bild ergibt sich heute bei den Open-Access-Publikationen. Zur gleichen Zeit, als Elsevier die Verhandlungen mit Projekt DEAL abbrach, kündigten Hunderte von Bibliotheken und Forschungseinrichtungen an, die hohen Abopreise nicht mehr zahlen zu wollen, und bestellten die Zeitschriften des Verlags ab. Da die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei ihrer Arbeit jedoch auf die veröffentlichten Artikel angewiesen waren, entstand eine Reihe von Schattenbibliotheken, die den Austausch von wissenschaftlicher Literatur ermöglichen und in der Funktion mit den alten Musiktauschdiensten und Online-Archiven wie The Pirate Bay vergleichbar sind.

Bibliotheken wie Sci-Hub und LibGen arbeiten wie Suchmaschinen, die im Web nach digitalen Kopien von Büchern und Zeitschriftenbeiträgen suchen. Die Seite https://de.booksc.org hingegen hat sich auf die Archivierung von Zeitschriftenbeiträgen spezialisiert und stellt nach eigenen Angaben über 70.000 Artikel zur Verfügung. Die Seite ist Teil des Netzwerks Z-Library, das in seinen Archiven Tausende von E-Books gesammelt hat.

Für den Tausch von elektronischen Büchern hat sich in den vergangenen Jahren parallel dazu eine eigene Szene entwickelt, die sich jedoch vorwiegend auf belletristische Werke konzentriert. Nicht zuletzt nutzen viele auch die sozialen Netzwerke, um gezielt nach Kopien von benötigten Zeitschriftenbeiträgen zu bitten. Unter dem Hashtag #IcanhazPDF wird beispielsweise auf Twitter nach Artikelkopien gefragt.

Eine Frage der Finanzierung

Ob sich Open Access schließlich auf breiter Linie durchsetzen kann, wird wesentlich von den finanziellen Rahmenbedingungen abhängen. Auf der einen Seite wollen die Verlage ihre editorische Arbeit angemessen vergütet haben, auf der anderen Seite dürfen die Kosten für die Bibliotheken und Forschungsorganisationen nicht die Budgets sprengen. Eines ist immerhin in der Diskussion der vergangenen Jahre klar geworden: Die Verlage sind für den Publikationsprozess wissenschaftlicher Arbeiten unabdingbar. Ihr Geschäftsmodell und auch die von ihnen erbrachten Leistungen mögen sich verändern, die professionelle Bearbeitung, Veröffentlichung und Vermarktung wissenschaftlicher Literatur ist ohne sie jedoch nicht denkbar.

Um sicherzustellen, dass die Kosten für Open-Access-Publikationen nicht ins Unermessliche steigen, entstand in der EU 2018 die Strategie Plan S. Sie sieht unter anderem vor, dass die Publikationsgebühren für wissenschaftliche Veröffentlichungen in der Höhe gedeckelt und standardisiert werden sollen. Die Gebühren sollen, wann immer möglich, nicht von den Forschern, sondern von den Universitäten, Forschungseinrichtungen und Förderorganisationen aufgebracht werden. Ziel ist es, dass sämtliche staatlich finanzierten Forschungsergebnisse ausschließlich als Open Access publiziert werden und frei zugänglich sind. Die Liste der Unterstützer von Plan S umfasste Anfang 2021 insgesamt 26 nationale und internationale, Forschungsförderorganisationen, die Europäische Kommission und den Europäischen Forschungsrat sowie die Weltgesundheitsorganisation WHO und weitere Institutionen.

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Roland Freist, Jahrgang 1962, begann nach einem Studium der Kommunikations­­wissenschaft ein Volontariat beim IWT Verlag in Vater­­stetten bei München. Anschließend wechselte er zur Zeitschrift WIN aus dem Vogel Verlag, wo er zum stell­­vertretenden Chef­­redakteur aufstieg. Seit 1999 arbeitet er als freier Autor für Computer­­zeitschriften und PR-Agenturen. Seine Spezial­­gebiete sind Security, Mobile, Internet-Technologien und Netz­­werke, mit Fokus auf Endanwender und KMU.


Redaktionsbüro Roland Freist, Fritz-Winter-Str. 3, 80807 München, Tel.: (089) 62 14 65 84, roland@freist.de

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