Trambahn im Anflug
Von Michael Praschma
Der urbane Raum, besonders dort, wo er zugleich touristischer Hotspot ist, quillt über von Verkehr. Straßenverkehr vor allem. In Städten wie Wien und Salzburg wünschte man sich in der Hochsaison oft, fliegen zu können. Denn am Boden steht die Partie ja. Hier kommt nun der Spruch ins Spiel: „Nur was hängt, kann nicht im Weg stehen.“ Eigentlich ist es ja egal, ob der Weg von A nach B deshalb mühsam ist, weil es wegen Überfüllung kein Fortkommen gibt oder weil er über zerklüftetes Gelände und Hunderte Höhenmeter führt. Jedenfalls: So kam die Seilbahn auf die Welt.
Seilbahnen – damit es da keine Missverständnisse gibt – sind laut VDS (Verband Deutscher Seilbahnen und Schlepplifte e.V.) alle „Anlagen des Personenverkehrs, bei denen die Fahrgäste […] durch ein oder mehrere Seile gezogen oder getragen werden, die [gemeint sind die Anlagen] keine Aufzüge sind“. In Österreich gehört der Weltmarktführer Doppelmayr aus Vorarlberg zu den Herstellern; prominent ist auch die Südtiroler Leitner AG.
Verkehr ohne Hindernisse
Die Vorstellung, zur Stoßzeit über den Stau in der City bequem hinwegzuschweben, ist nur ein mögliches Szenario für die Idee urbaner Seilbahnen. Auch ohne Verkehrsstockungen gibt es städtische Hindernisse, die es überhaupt kompliziert oder zumindest aufwendig machen, sie auf der Straße zu überwinden. Flüsse, Häfen oder Bahntrassen etwa, für die man Tunnels, Unterführungen bzw. Brücken bauen muss. Oder Hügel, die für die Direttissima zu steil sind und daher in Serpentinen erklommen werden müssen.
Die naheliegende Lösung, Umwege und teure Baumaßnahmen zu vermeiden, haben Städte wie London (Überquerung der Themse), Koblenz (über den Rhein) oder der bolivianische Regierungssitz La Paz (hier geht es über dicht verbaute Stadtteile) bereits praktisch umgesetzt.
In London waren es etwa die Olympischen Spiele, bei denen eine Lösung gesucht wurde, um der Herausforderung von Verkehrs- und Parkraumproblemen Herr zu werden. Aber auch in weniger extremen Fällen sind es oft punktuelle Ziele, die von vielen Menschen angesteuert werden: Universitäten, Krankenhäuser, Einkaufszentren usw., bei denen es darum geht, vorhandene Verkehrswege zu entlasten.
Ein weiterer denkbarer Einsatzfall für Seilbahnverbindungen sind Ziele außerhalb der dichtverbauten städtischen Zonen wie Naherholungsgebiete, Messegelände oder Flughäfen. Hier kann eine Seilbahnverbindung kostengünstiger sein und weniger Fläche verbrauchen als andere Verkehrstrassen.
Für Doppelmayr ist Mexico City fast schon Stammkundschaft. Die Eröffnung der Cablebús Línea 3 ist für Dezember 2023 angesetzt. (Bild: Doppelmayr Seilbahnen GmbH)
Projekte Wien und Salzburg
Einzelne Bezirks- oder Stadtverwaltungen genießen durchaus den Ruf, auf andere als herkömmliche Verkehrslösungen mit Skepsis oder gar Ablehnung zu reagieren. Beispiel Wien: Hier geht es um eine Verbindung für die Peripherie, angebunden an die U4, zwischen Heiligenstadt im Bezirk Döbling über die nördliche Donauinsel und Strebersdorf zum Kahlenberg; Luftlinie rund 5 km.
Was es gibt: Ein von einem privaten Unternehmen präsentiertes Projekt, basierend auf einer elf Jahre alten Idee, mit 115 Kabinen à zehn Plätzen, die die Strecke in 20 Minuten und bis in 50 m über Grund absolvieren sollen. Was es noch nicht gibt: eine Machbarkeitsstudie sowie einige Behördenverfahren, die mehr Informationen bringen sollen. Und eben eine positive Stellungnahme der Stadt. Soll heißen: Schaumermal. Derweil kommt in Mexiko die dritte Seilbahn, Barcelona, Ankara und Singapur etwa haben zumindest schon eine. In Deutschland zum Beispiel neben Koblenz auch Köln und Berlin.
In Salzburg werden auch schon seit Jahren Pläne für sogar mehrere Seilbahnverbindungen gewälzt – zuletzt in den Budgetverhandlungen für 2024, bisher allerdings ohne fixe Ergebnisse. Im ersten Schritt geht es dabei um zwei Linien, die von Norden und Süden in den Stadtbereich vorstoßen sollen, und zwar ausgehend von den großen Park-and-Ride-Parkplätzen. Es geht also nicht zuletzt darum, den überbordenden touristischen Verkehr aus der Stadt zu bekommen – und in den Tagesrandzeiten um die Pendler. Weitere Projektskizzen gibt es für Linz und Graz.
Vor- und Nachteile
Wie jedes Verkehrsprojekt ruft auch die Planung von urbanen Seilbahnen Widerstände hervor. Tatsächlich treffen Vor- und Nachteile Betroffene bzw. Nutzer nicht überall gleichermaßen.
- Pro
- Geringer Flächenverbrauch, da nur Stützen und Haltestationen Platz am Boden benötigen.
- Fast emissionsfreier Betrieb, sowohl hinsichtlich Schadstoffe als auch Lärm.
- Planung und Bau sind vergleichsweise kostensparend und kurzfristig möglich; zudem ist das Ganze relativ einfach rückbaubar.
- Keine wechselseitige Behinderung anderer, bodengebundener Verkehrsmittel.
- Hohe Sicherheit und unaufwendig erreichbare völlige Barrierefreiheit.
- Im Regelfall keine Wartezeiten für Fahrgäste wegen kontinuierlichen Betriebs.
- Eventuell zusätzliche touristische Attraktion.
- Contra
- Noch keine breite Erfahrungsbasis hinsichtlich Standards und Planungsverfahren, auf die interessierte Kommunen zurückgreifen könnten.
- Vorhandene urbane Seilbahnen z.B. in Deutschland nicht in das Netz und die Tarifstruktur des ÖPNV eingebunden.
- Geringere Beförderungskapazität als etwa U-Bahnen, maximal ca. 5000 Personen/Stunde.
- Meist Betriebsunterbrechung aus Sicherheitsgründen bei Gewittern oder Wind über 80 km/h.
- Mit herkömmlicher Technik Richtungsänderungen nur in weiten Radien.
- Widerstände von Anrainern wegen Einschränkungen der Privatsphäre (Gärten, Fenster), Wertverlust der Grundstücke und störenden Schattenwurfs.
Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Heise-Beilagenreihe „IT-Unternehmen in Österreich stellen sich vor“. Einen Überblick mit freien Download-Links zu sämtlichen Einzelheften bekommen Sie online im Pressezentrum des MittelstandsWiki.
Mobilität auf Plus-1-Ebene
So werden urbane Seilbahnen in der Brache genannt, wenn es um den Beitrag zum städtischen Verkehr geht. Theoretisch jedenfalls. Denn viel ist ja in der Praxis noch nicht zu sehen, auch nicht von den über 100 Projektideen, die es laut Bundesverkehrsministerium bereits für den deutschen Nachbarn gibt.
Paris soll nun Vorbild werden. 2025 lautet das Ziel für die Errichtung des momentan prominentesten städtischen Seilbahnprojekts. Zwei Vororte sollen mit dem Metronetz verbunden werden, bis zu 11.000 Fahrgäste täglich können dann die Strecken in der halben Fahrzeit der Busse zurücklegen.
Die Hoffnung der Seilbahnunternehmen ist, dass Referenzprojekte wie dieses die Skepsis der Kommunen weiter abbauen helfen. Beim Seilbahnhersteller Doppelmayr machen städtische Seilbahnen weltweit schon 20 % des Umsatzes aus, beim Südtiroler Konkurrenten Leitner gar bis zu 30 % – und die Stadtseilbahnen sind für die Unternehmen deutlich rentabler als das Geschäft in Skigebieten. Immerhin, in Deutschland gibt es bereits einen ministeriell entwickelten Leitfaden „Urbane Seilbahnen im öffentlichen Nahverkehr“.
Der Einführungsbeitrag beginnt in Berlin – die Bundeshauptstadt ist experimentierfreudiger Vorreiter neuer Mobilitätskonzepte. Gute Beispiele meldet der Report auch aus Hamburg und Dresden. Teil 2 begibt sich dann in den Westen nach Nordrhein-Westfalen; dort hat das Zukunftsnetz Mobilität NRW viele Projektfäden in der Hand. Eine wichtige Rolle spielt hier der öffentliche Personennahverkehr, denn immer mehr Verkehrsbetriebe lassen ihre Busse mit Biogas fahren. Teil 3 geht zu den Ursprüngen der Automobilindustrie und sieht sich an, wie sich Baden-Württemberg und insbesondere Stuttgart die Zukunft der Mobilität vorstellen. Teil 4 berichtet aus dem benachbarten Flächenland Bayern, Teil 5 fährt über die Grenze nach Österreich. Außerdem gibt es bereits einen Report zu mobilen Stauwarnanlagen und intelligentem Verkehrsmanagement sowie zu autonomen Schiffen, Wasserstoffprojekten, Business-Bikes, Stadtseilbahnen sowie Lufttaxis und Urban Air Mobility.
Innovative Techniken
Die Flexibilität und Bedarfsorientierung des Seilbahntransports lässt sich mit neuen Ideen erweitern, die das Konzept besser an städtische Gegebenheiten anpassen. Leitner etwa entwickelt derzeit eine Hybridlösung aus Seilbahn und bodengeführten Trassen: Die Seilbahnkabinen „landen“ damit auf der Straße und können so auch um die Ecke fahren. Andere Studien basteln an der Nutzung eines zentralisierten KI-Systems, das dafür sorgt, dass selbstfahrende Kabinen für einzelne Nutzer individuelle Routen frei einschlagen können.
Eine „Weltneuheit“, die seit Anfang 2023 im Montafon am Berg im Einsatz ist, könnte auch für urbane Seilbahnen ein Troubleshooter sein. Denn die Valisera-Seilbahn fährt weitgehend ohne Personal, das den Ein- und Ausstieg regeln würde. Ermöglicht wird das einerseits durch einen barrierefreien Übergang, dann aber auch durch Sicherheitseinrichtungen wie Sensoren. Kameras übertragen den Einstiegsbereich an einen Kontrollraum, von wo aus auch eine Kommunikation mit dem Einstieg möglich ist.
Die Valisera-Seilbahn ist bereits ein Magnet für ausländische Delegationen, die sich für das System interessieren – auch und speziell für urbane Seilbahnen. Kommunal Verantwortliche, die dem Gedanken an eine urbane Seilbahn in ihrer Stadt nähertreten wollen, hätten es für einen ersten „Schnupperkurs“ also nicht so weit wie nach London oder Ankara.
Michael Praschma ist Texter, Lektor und Redakteur. Er beherrscht so unterschiedliche Gattungen wie Werbetext, Direct Marketing, Claims, Webtext, Ghostwriting, Manuals oder PR. Außerdem treibt er sich – schreibend und anderweitig engagiert – in Journalistik, Non-profit-Organisationen und Kulturwesen herum. Seine Kunden kommen aus verschiedensten Branchen. Am MittelstandsWiki schätzt er die Möglichkeit, mit eigenen Recherchen auf den Punkt zu bringen, was Verantwortliche in Unternehmen interessiert. → https://praschma.com/