Start-up-Szene Austria: Welche Farben das erste rot-weiß-rote Einhorn trägt

Lange Zeit nahm die Welt Öster­reich haupt­sächlich wegen seiner attrak­tiven Ski­gebiete und seinem – spe­ziell in der Haupt­stadt Wien – reichen Kultur­angebot wahr. Doch seit einigen Jahren wandelt sich das Bild: Gleich mehrere aufsehen­erregende Exits werfen ein Schlag­licht auf eine dynamische Start-up-Szene.

Österreich erfindet sich neu

Von Dirk Bongardt

Von vielen der erfolgreichsten Start-ups weiß wahrscheinlich nur ein kleiner Teil ihrer Kunden, dass sie ihre Wurzeln in Österreich haben. Das Fintech-Start-up N26 etwa, gegründet von den beiden Wienern Valentin Stalf und Maximilian Tayenthal, hat seinen Sitz heute in Berlin und mehr als 500.000 Kunden in Deutschland, Österreich, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, der Slowakei und Spanien. Das 1997 gegründete Online-Wettbüro bwin (das allerdings erst seit 2006 diesen Namen trägt) ist mit einem Umsatz von 760 Millionen US-Dollar der größte Online-Gaming-Anbieter weltweit; der heutige Unternehmenssitz Gibraltar verstellt auch hier den Blick auf die österreichischen Wurzeln.

Spektakuläre Exits

Doch bei einem Blick in die jüngere Geschichte österreichischer Start-ups drängt sich ein Unternehmen in den Vordergrund. Die Fakten lesen sich wie eine typische Erfolgsstory aus dem Silicon Valley: 2006 entwickeln einige Studenten zusammen mit ihrem Professor eine Tracking-Technologie für Sportveranstaltungen. 2009 gründen vier von ihnen mit dieser Technologie ein Start-up, richten dessen Fokus auf Individualsportler. Das Unternehmen wächst. 2011 sind 25 Mitarbeiter an Bord, 2013 bereits 90. In diesem Jahr steigt der erste Großinvestor ein und sichert sich 50,1 % des inzwischen auf 22 Millionen Euro geschätzten Unternehmens. Nach nur zwei weiteren Jahren kauft ein Sportartikelhersteller sämtliche Unternehmensanteile – und zahlt dafür 220 Millionen Euro.

Diese Erfolgsstory nahm ihren Anfang nicht in Kalifornien, sondern im oberösterreichischen Pasching, wo im Jahr 2009 die Runtastic GmbH an den Start ging, deren größere Hälfte 2013 von Axel Springer übernommen und das 2015 von Adidas gekauft wurde.

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Schwarz auf Weiß
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Nicht ganz so bekannt, aber kaum weniger erfolgreich im Exit war die finderly GmbH, Wien, die dank ihrer Flohmarkt-App Shpock im Jahr 2015 für rund 200 Millionen Euro Teil der norwegischen Mediengruppe Schibsted wurde. Im Sommer 2017 schließlich übernahm der Schweizer Pharmakonzern Roche das Wiener E-Health-Start-up MySugr, das Diabetikern mit Apps und medizinischen Hilfsmitteln das Leben erleichtern will. Über die genaue Exitsumme schweigen die Vertragspartner, Experten schätzen den Deal aber auf 70 bis 80 Millionen Euro.

Start-up-freundliches Umfeld

Wie die Beispiele zeigen, kommt eine ganze Reihe überdurchschnittlich erfolgreicher Start-ups aus der Alpenrepublik. Größte Krux – aus Sicht der österreichischen Wirtschaft – mag die Tatsache sein, dass viele der großen Investoren aus dem Ausland stammen. Immerhin sollen etwa MySugr, Runtastic und Shpock auch mittelfristig ihren Sitz in Österreich beibehalten und damit mindestens Arbeitsplätze erhalten und – weiteres Wachstum vorausgesetzt – schaffen.

Investitionswillige österreichische Unternehmer haben inzwischen auf diese Herausforderung reagiert und – neben anderem – die Austrian Angel Investors Association gegründet. Seit 2012 sind der AAIA 180 Mitglieder beigetreten. Die Vereinigung soll Start-ups auf der einen, investitionswillige Business Angels auf der anderen Seite zusammenbringen. Angesprochen sind ausdrücklich auch Unternehmer, die noch keine Erfahrung als Business Angel haben. So heißt es in der Selbstbeschreibung der Vereinigung:

„Als Sparringspartner begleiten wir sie über ihre gesamte Karriere als Business Angel hinweg: vom ersten Kontakt mit der Investorenszene über das erste Investment bis hin zum erfolgreichen Management des eigenen Portfolios. Unser Zugang dazu entspricht dem Mindset der Start-up-Welt: hands-on & learning by doing.“

Start-up-Gründer haben in der Regel bereits einige, nicht zuletzt finanzielle Hürden zu übersteigen, bevor erste Business Angels überhaupt auf den Plan treten. Zwei Institutionen, die an dieser Stelle ins Mittel treten, sind die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) und die Austria Wirtschaftsservice GmbH (AWS).

Der Staat schiebt an

Die FFG finanziert innovativen Neugründern bis zu 70 % der F&E-Projektkosten und bis zu 60 % der Kosten notwendiger Machbarkeitsstudien. Außerdem kann die FFG Unternehmen inzwischen eine Frist von bis zu fünf Jahren ab Projektende zur Tilgung der gewährten Darlehen einräumen.

Die AWS als Förderbank des Bundes unterstützt Neugründungen sowohl mithilfe eigener, vergünstigter Kredite ab 10.000 Euro als auch durch Garantien. Unternehmen, die für ihr Geschäftsmodell nicht die erforderlichen Mittel über Bankkredite aufbringen können, haben außerdem eventuell die Chance, Risikokapital als Beteiligungskapital aus dem AWS-Gründerfonds zu erhalten.

Darüber hinaus bietet Österreich ein für Gründungen recht attraktives (steuer-)rechtliches Umfeld: So erleichtert eine gründungsprivilegierte GmbH mit einer von 17.500 auf 5000 Euro reduzierten Mindesteinzahlung den Einstieg in die Selbstständigkeit. Investitionen in die Forschung belohnt Österreich mit einer Steuergutschrift von 12 %, und der Körperschaftsteuersatz liegt einheitlich bei 25 %. Erst im Herbst des vergangenen Jahres verabschiedete die Bundesregierung unter SPÖ-Bundeskanzler Christian Kern außerdem ein Start-up-Paket, das neuen Unternehmen mit einer Senkung der Lohnnebenkosten unter die Arme greifen soll. Es gilt als ausgemacht, das sein designierter Nachfolger Sebastian Kurz (ÖVP) diesen gründerfreundlichen Kurs fortsetzen wird.

Serie: Innovations- und Gründerzentren
Der Einführungsbeitrag gibt eine erste Übersicht für Gründer und Start-ups. Dabei interessiert auch die Frage, wie sich die Locations auf den eigenen Erfolg und die Karriere auswirken. Teil 1 stellt dann konkrete Beispiele aus Berlin, Hamburg und anderen Orten im deutschen Norden und Osten vor. Teil 2 reist nach Köln, Dortmund, Mainz und Gummersbach, um die Technologiezentren an Rhein und Ruhr zu sichten. Überraschungen hat auch der Südwesten parat, von dem Teil 3 berichtet – aus Darmstadt und Stuttgart ebenso wie aus dem beschaulich-umtriebigen Bad Orb. Teil 4 geht schließlich in den Postleitzahlenbereich 8 und 9 nach Bayern und Thüringen: Auch außerhalb von München bekommen Gründer gute Unterstützung. Sonderbeiträge geben außerdem Auskunft über die Innovations- und Gründerzentren in Österreich und die dortige Start-up-Szene.

Dynamische Szene, Wien im Fokus

„Wenn ihr nochmal von vorne beginnen würdet – wo würdet ihr starten?“ – Mitarbeiter der European Startup Initiative stellten diese Frage im vergangenen Jahr 700 Gründern. Unter 30 europäischen Städten gelangte Wien immerhin auf den zehnten Platz, zwar weit hinter Berlin und London, aber noch deutlich vor Paris oder Madrid. Die Start-up-Szene in Wien konzentriert sich auf den 5. Bezirk. Hier treffen sich angehende Gründer in Coworking Spaces, vereinbaren Kooperationen, treffen sich mit Investoren und helfen einander auch schon einmal ganz informell mit dem einen oder anderen Tipp weiter.

Seit Oktober tummeln sich erste Start-ups auch im vom Unternehmen WeXelerate im zweiten Bezirk eingerichteten Start-up-Hub im Design Tower. Auf 9000 m² ist hier einer der weltweit größten Start-up-Brennpunkte in Action. Das Zentrum soll an 365 Tagen pro Jahr rund um die Uhr geöffnet und das gesamte Erdgeschoß ein öffentlich zugänglicher Coworking Space sein. Neben dem unentgeltlichen, hunderttägigen Acceleratorprogramm im ersten Stock, von dem erfolgreiche Bewerber profitieren, soll es einen Champions Floor geben, in den sich erfolgreiche Start-ups einmieten können. Investoren, Business Angels, etablierte Großunternehmen, Risikokapitalgeber, Berater und Förderstellen sollen ebenfalls ihren Platz dort finden. Für die Zukunft will WeXelerate mit regelmäßigen Events und Gastvorträgen aufwarten.

In Wien findet auch die Pflichtveranstaltung schlechthin für österreichische Tech-Start-up-Gründer statt: das Pioneers Festival in der Hofburg. Rund 2500 Innovatoren aus 70 Ländern trafen sich dort zuletzt im Juni 2017, Pioneers ’18 wird am 24. und 25. Mai stattfinden. Neben hoffnungsvollen Gründern treten hier nicht zuletzt gestandene Experten auf. Dazu gehörten unter anderem bereits der Skype-Mitgründer Jaan Tallinn und der für Google tätige Ingenieur Behshad Behzadi. Gründer haben hier außerdem die Gelegenheit, Investoren von ihren Ideen und Geschäftsmodellen zu überzeugen.

Rot-weiß-rote Einhörner

Unicorn (Einhorn), so nennen Insider ein Start-up, das bei Exit oder Börsengang einen Marktwert von über einer Milliarde US-Dollar hat. Ein innovations- und Gründer-freundliches Klima, wie es in Österreich anzutreffen ist, wäre ein guter Nährboden für diese Spezies, reicht aber allein nicht aus. Großinvestoren, ohne deren Engagement Start-ups irgendwann auf der Stelle treten, kommen bislang oft aus dem Ausland: Runtastic: Deutschland, Shpock: Norwegen, MySugr: Schweiz. Es wäre eine Überraschung, wenn das erste Einhorn aus dem Alpenland nach dem Exit noch die Landesfarben trüge. Immerhin: Die Startbedingungen sind gut.

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Dirk Bongardt hat vor Beginn seiner journalistischen Laufbahn zehn Jahre Erfahrung in verschiedenen Funktionen in Vertriebsabteilungen industrieller und mittelständischer Unternehmen gesammelt. Seit 2000 arbeitet er als freier Autor. Sein thematischer Schwerpunkt liegt auf praxisnahen Informationen rund um Gegenwarts- und Zukunftstechnologien, vorwiegend in den Bereichen Mobile und IT.


Dirk Bongardt, Tel.: 05262-6400216, mail@dirk-bongardt.de, netknowhow.de

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