WindCores: Wo ein Rechen­zentrum in der Wind­kraft­anlage steckt

Energie und IT sollen zu­sam­men­finden. Darum geht es bei­spiels­weise beim Thema Smart Grid. Doch man kann diese Auf­gabe auch weit di­rek­ter be­grei­fen – im Sinn eines räum­li­chen Zu­sam­men­rückens von Ener­gie­erzeu­gung und Ver­brauch. Genau diese Idee steht hinter der Wind­Core-Kom­bi­na­tion von WestfalenWind.

Rechnen unter Rotorblättern

Von Ariane Rüdiger

Es gibt Rechenzentren an vielen originellen Standorten: in Bergwerken wie in Norwegen (Lefdal Mine Datacenter), in ehemaligen Bunkern wie im ebenfalls norwegischen Stavanger (Green Mountain Datacenter), unter Wasser wie jetzt ein Microsoft-Rechenzentrum (Project Natick), in den Kellern öffentlicher Gebäude, die dadurch gleichzeitig beheizt oder gekühlt werden (etwa im Gebäude der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin), und nun auch im Fuß von Windenergieanlagen wie im westfälischen Lichtenau in der Nähe von Paderborn. Dort hat WestfalenWind IT, ein Tochterunternehmen des Windenergieerzeugers WestfalenWind, kürzlich einen Prototyp in Betrieb genommen.

Der WindCore, wie der Prototyp heißt, ist nicht die einzige RZ-Anlage, die vorwiegend Windenergie nutzt. Auch das Start-up Windcloud in Braderup verwendet in der Nähe erzeugte Windenergie, kombiniert mit Biogas und einem Hybridspeicher als sekundärem Energielieferanten, um seinen Metrocluster mit selbst erzeugtem Windstrom zu powern. Aber die RZ-Anlage ist diesem Fall nicht direkt in der Windenergieanlage untergebracht.

Ideengeber Paderborn

Die Gegend um Paderborn ist windreich, weshalb dort mehrere Windparks entstanden sind. Paderborn, immerhin eine Stadt mit 150.000 Einwohnern, kann sich daher einschließlich aller Industrieanlagen übers Jahr gerechnet vollständig mit nachhaltig erzeugter Energie versorgen, auch wenn gelegentlich in Schwachwindphasen Strom von anderswo zufließt. Weht zu viel Wind, müssen wegen nicht ausreichender Leitungen zum Abtransport in windärmere Gebiete gelegentlich Rotoren abgestellt werden – ein unbefriedigender Zustand.

Der Energieerzeuger WestfalenWind hat seit 2011 rund 80 Windgeneratoren gebaut und betreibt rund 350 MW Anschlussleistung. Dazu gehört auch der Windpark Asseln bei Lichtenau, wo nun der WindCore-Prototyp entstanden ist. Das Projekt hat eine lange Vorgeschichte. Denn schon 2011 beschäftigten sich Wissenschaftler einerseits mit den hohen Energieverbräuchen der IT und andererseits mit Möglichkeiten, die nötige Stromerzeugung möglichst umweltfreundlich zu gestalten.

Meist müssen dafür kostspielige Versorgungsleitungen angelegt werden, die Strom vom Erzeuger, beispielsweise einem Windpark, zum Verbraucher, zum Beispiel Rechenzentren, bringen. Doch das ist möglicherweise nicht der Weisheit letzter Schluss. Ideal wäre vielmehr, so überlegte sich Dr. Gunnar Schomaker, der heute am Software Innovation Campus Paderborn (SICP) der Universität Paderborn tätig ist, die Verbraucher möglichst nah zum Erzeuger zu holen. Beispielsweise das Rechenzentrum in den Fuß einer Windenergieanlage, deren Architektur das zulässt.

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Die Rechnerschränke und dazugehörigen Anlagen (links) fügen sich problemlos in den Fuß der Enercon-115-Windenergieanlage ein. Die Windturbine (rechts deren energietechnische Anlagen) erzeugt bis zu 3 MW, die im Zweifel vollständig für die Rechner zur Verfügung stehen. (Bild: WestfalenWind IT)

Modellprojekt Asseln

WestfalenWind betreibt eine Reihe von Enercon-115-Anlagen. Diese Anlagen haben einen Stahlbetonturm mit 40 cm dicken Wänden und einem Durchmesser von 13 m. Normalerweise befinden sich dort nur der Transformator und einige andere für den Betrieb nötige Aggregate, beispielsweise ein kleiner Fahrstuhl, mit dem Techniker in den Turm hinauffahren können, etwa wenn sie Reparaturen am Windgenerator durchführen müssen. Reichlich Platz also für Rechner. Bei WestfalenWind fielen diese Ideen auf fruchtbaren Boden; die Tochterfirma WestfalenWind IT mit dem rührigen Geschäftsführer Dr.-Ing. Fiete Dubberke beschloss, den Versuch zu wagen.

Im Jahr 2016 führte SICP eine Machbarkeitsstudie durch, 2017 begann die Umsetzung. Bis zum Erhalt aller Genehmigungen dauerte es rund ein Jahr. Eine anspruchsvolle Aufgabe war es zunächst, den Windenergieanlagenhersteller Enercon davon zu überzeugen, dass die Sicherheit und Standfestigkeit des Windgenerators auch weiterhin allen Ansprüchen der technischen Normen und denen der Genehmigungsbehörden genügen würde, wenn im Turm Rechner aufgestellt werden. Die Umsetzung dauerte dann ab Baustart nur noch sechs Wochen und erfolgte wie auch die Planung ohne Zuschüsse komplett aus Eigenmitteln.

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Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Magazin­reihe „Rechen­zentren und Infra­struktur“. Einen Über­blick mit freien Down­load-Links zu sämt­lichen Einzel­heften bekommen Sie online im Presse­zentrum des MittelstandsWiki.

Inzwischen besteht die RZ-Anlage aus vier Panzerschränken DC-ITSafe von RZpro, die jeweils Verbrauchern mit 15 MW Leistung Platz bieten. Die Umsetzung erledigte das Systemhaus dtm Datentechnik Moll. Die mögliche Gesamtleistungsaufnahme der Rechner liegt damit derzeit bei 60 MW, einem Bruchteil der 3 MW, die die oben am Turm befindliche Windenergieanlage maximal bereitstellen kann. Deshalb, so Patrick Georg, Projektleiter Bau Windparks, „reicht der Strom auch in Schwachwindphasen zu 90 % aus, um das Rechenzentrum zu betreiben.“ Zudem sind eine USV und Bleigelakkumulatoren für eine Überbrückungsdauer von 20 Minuten vorhanden, und die Anlage ist durch zwei 110-kV-Anbindungen mit zwei unterschiedlichen Stromprovidern, nämlich mit Westnetz und Avacon, verbunden.

Insgesamt genügt das Rechenzentrum den Sicherheitsanforderungen an Tier-III-Rechenzentren und liegt teilweise sogar darüber: Alle wichtigen Aggregate sind mit n+1-Redundanz ausgeführt. Die Kühlung ist bis auf einen Tischkühler, der sich außerhalb des Turms befindet, ebenfalls in dem Raum untergebracht. Die Systemwärme wird derzeit mit einem Glykol-Wasser-Gemisch durch sogenannte Coolblades innerhalb der Schränke abgeführt und wandert dann zum Tischkühler nach außen, wo die Freiluftkühlung stattfindet. Bei höheren Temperaturen sorgt eine zusätzliche Kältemaschine dafür, dass die derzeit testweise verwendete Eingangstemperatur von 21 °C eingehalten wird. Die Ausgangstemperatur liegt derzeit bei 29 °C. Dazu wird eine Kühlanlage von Socomec verwendet, als Kolokationsprovider richtet sich WestfalenWind IT allerdings hier nach den Wünschen seiner Kunden.

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Der Tischkühler für die Freiluftkühlung ist das einzige Element des Rechenzentrums außerhalb des Turms der Windenergieanlage im Windpark Asseln. (Bild: WestfalenWind IT)

Was die Energieeffizienz der Anlage angeht, will sich Dubberke noch nicht festlegen. „Um hier solide Daten zu liefern, muss die Anlage mindestens ein Jahr regulär laufen“, sagt er. Angestrebt wird jedoch eine PUE (Power Usage Effectiveness) von 1,2 oder besser. Das bedeutet, dass die Kühlsysteme maximal 20 % mehr Strom verbrauchen als die Rechner – in älteren RZ-Anlagen verbrauchen sie häufig das Mehrfache des Rechnerstrombedarfs. Eine Nutzung der Abwärme, die die Energiebilanz von Rechenzentren theoretisch weiter verbessern kann, ist derzeit nicht geplant – erstens ist die Abluft dazu nicht warm genug, zweitens fehlen die Verbraucher in der Nähe.

Telekommunikativ bestehen breitbandige Anbindungen an das Netz der Deutschen Telekom über den Provider Innofactory und eine Richtfunkverbindung. Im Übrigen sind sowohl Windenergieanlage als auch die Anlagen im RZ in dem neuen Setting weitgehend unverändert nutzbar – ein wichtiges Kriterium, wenn es darum geht, dieses Modell möglicherweise fest im Markt zu etablieren.

Direktstrom ohne Netzentgelt

Die ersten WindCore-Kunden haben das RZ bereits bezogen bzw. stehen kurz davor. Einer von ihnen ist der auf Open-Source-Services spezialisierte Provider teuto.net, ein weiterer das Dortmunder Systemhaus Green IT, dazu kommt die Universität Paderborn, die ihre Präsenz im Prototyp auch nutzen wird, um Untersuchungen dazu durchzuführen, wie das Rechenzentrum als Direktverbraucher sich auf die Netzstabilität auswirkt und was das RZ leistet. Sie alle profitieren von einem Strompreis von nur 15 Cent/kWh. Der wird möglich, weil der Strom sozusagen „direkt von oben“ kommt und dafür deswegen keine Netzentgelte zu entrichten sind.

Bei WestfalenWind IT denkt man derweil schon weiter. „Als Nächstes steht ein Ausbau der Prototypanlage auf 40 bis 50 konventionelle Racks an“, sagt Dubberke. Steht man im Turm der Enercon-Anlage, wird deutlich, dass das absolut keine Utopie ist. In der Fläche und auch nach oben hin gibt es noch reichlich Platzreserven. Geplant sind auch Prototypen für weitere Windenergieanlagentypen mit anderen Architekturen.

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