Lebensmittelmarkt in der Krise: Kann die Branche Teil der Lösung sein?

300 Milliarden Euro – das ist das geschätzte Gesamtvolumen des deutschen Lebensmittelmarkts. Kommt es in dieser Branche zu Umbrüchen oder gar Krisen – und das ist derzeit der Fall – hat das Auswirkungen auf viele Bereiche in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Was das konkret bedeutet und welche Entwicklungen und Lösungsansätze sich abzeichnen, fasst ein Trendpapier zusammen.

Auf übersichtlichen 40 Seiten richtet Autor Thomas Lünendonk* seine Schlaglichter auf die wesentlichen Aspekte des Themas: Rahmendaten und Veränderungen im Umfeld des Lebensmittelmarkts; die Herausforderungen und Lösungschancen in drei zentralen Bedingungen für die Branche, nämlich Anbauflächen, Klimawandel und Personalmangel; schließlich Konsequenzen und strategische Ansatzpunkte.

Eine spezielle, aber dennoch übergreifend relevante Perspektive der Studie ergibt sich durch den Herausgeber, die Transgourmet Deutschland. Das Unternehmen ist hier Marktführer bei der Belieferung von Großverbrauchern wie Gastronomie, Betriebs- und andere Großküchen etc., also im B2B-Geschäft tätig, teils mit Eigenmarken. Transgourmet ist daher hochsensibel für Veränderungen und Trends bei Erzeugern weltweit bis hin zu Abnehmern auf Ebene des Einzelhandels, einschließlich Lieferketten/Logistik, Großküchenausstattung sowie Beratungs- und anderen Services.

Vernetzung kann verletzlich machen

Angesichts vieler beunruhigender Entwicklungen fällt auf, dass Lünendonk mit dem prominent platzierten Slogan „Erfolgsfaktor Mensch“ offenbar Zuversicht signalisieren will. Doch zunächst skizziert er mit relevanten Daten die Rahmenbedingungen des Markts: von Anteilen verschiedener Lebensmittel am täglichen Verzehr bzw. am Lebensmittelabfall (private Haushalte sind hier die größten Verursacher) über Auswahlkriterien beim Kauf bis zur Rolle der Gastronomie.

Lebensmittelmarkt in der Krise – Erfolgsfaktor Mensch
Erfolgsfaktor Mensch: Auf Verwerfungen reagieren wir hochgradig diversifiziert
(Microsoft Designer / stk)

Es wird plausibel, warum die hohe wirtschaftliche Verflechtung im Lebensmittelmarkt problematisch sein kann. Die Bereiche, in denen sich derzeit weltweit rasante Veränderungen bis hin zu Krisen vollziehen, sind ebenso vielfältig wie komplex. Das Papier gliedert sie in Politik, Biosphäre, Wirtschaft, Gesellschaft, Technologie(n) und Mensch.

Kondensiert zusammengefasst, erlaubt die Darstellung z. B. der internationalen politischen Krisen oder des Klimawandels, rasch nachzuvollziehen, welche Turbulenzen sich etwa für die Logistik und den Anbau von landwirtschaftlichen Gütern ergeben. Ökonomische Verwerfungen wirken sich wiederum unter anderem auf die Personalsituation der Branche, aber ebenso – wegen Preissteigerungen und Einkommenseinbrüchen – auf die Nachfrage aus. Negative Wechselwirkungen gibt es zusätzlich wegen Ereignissen wie der Covid-19-Pandemie, die vor allem die Gastronomie nachhaltig erschüttert hat.

Menschen schließlich reagieren auf diese und weitere Verwerfungen mit Unsicherheit, Ängsten, Rückzugstendenzen, dies aber hochgradig diversifiziert – und damit für die Wirtschaft sowohl als Konsumenten als auch als Einflussgruppen zunehmend schwierig einzuschätzen.

Dennoch „A Big Future“?

Der Kontrast zu dieser zunächst düster wirkenden Bestandsaufnahme kommt überraschend. So liest das Trendpapier das Wachstum der Weltbevölkerung als Zunahme der Nachfrage nach Lebensmitteln um 50–70 Prozent bis zur Mitte des Jahrhunderts – wobei allerdings neue Lösungen in jedem Abschnitt der Nahrungsmittelkette erforderlich sind, um entsprechend liefern zu können. Die Herausforderung wird also als Chance gesehen.

Lebensmittelmarkt in der Krise – Robotik und Künstliche Intelligenz
Robotik und Künstliche Intelligenz sollen Probleme des Anbaus ausgleichen.
(Microsoft Designer / stk)

Ökologische ebenso wie technologische Ansätze sollen dabei die Probleme des Anbaus – wie ungünstigere klimatische Verhältnisse und verlorengehende Flächen – ausgleichen. Grüne Gentechnik gehört ebenfalls zum Werkzeugkasten. Dass dabei ethische Fragen ins Spiel kommen, wird nicht verschwiegen. Technik nimmt daneben in anderen Bereichen wie dem Personalmangel einen wichtigen Platz ein (Stichwort Robotik oder Künstliche Intelligenz).

Ernährungsgewohnheiten zu ändern – ein zentrales Moment für die Entwicklung des Lebensmittelmarkts – liegt in den Händen verschiedener Akteure. Außer den Verbrauchern und denjenigen, die auf deren Verhalten Einfluss nehmen, sehen sich auch Unternehmen wie Transgourmet in einer aktiven Rolle. Information gehört ebenso dazu wie ein flexibel auf neue Erwartungen reagierendes Angebot. Außerdem sollen Player dieser Größenordnung Impulse an alle Teile der Liefer- und Produktionsketten senden, um die Umsetzung der skizzierten Lösungen zu unterstützen.

5 Säulen für zukünftige Entwicklung

Konkretisierungen dieser Ansätze will Transgourmet in fünf Schwerpunkten verfolgen. Dabei soll gemeinsames Vorgehen mit dem Mutterkonzern Coop das Momentum verstärken. Diese Säulen sind:

  1. Nachhaltigkeit bei Sortimenten, Umwelt- und Klimaschutz sowie Beschäftigte und gesellschaftliches Engagement
  2. Regionalität, mit der sich bei Produktion und Handel im Lebensmittelsektor Vorteile in Qualität, Kosten und Umweltbelastung ergeben
  3. „Bio“ – dieses Erzeugungs- und Produktsegment soll wegen der offensichtlichen bereichsübergreifenden Vorteile forciert werden
  4. Plant-based Produkte, die dem Trend folgen, tierische Produkte nach und nach wegen der damit verbundenen ökologischen Nachteile zu ersetzen
  5. Digitalisierung als Querschnitts-Werkzeug, ohne die sämtliche Ansätze zur Schaffung und zum Erhalt einer zukunftssicheren Lebensmittelbranche nicht denkbar wären

Zum Fazit des Trendpapiers gehört die Erkenntnis, dass große Technologieoffenheit sowie die Bereitschaft, sich auf neue Lebensmittel- und Gastronomie-Angebote einzulassen, erforderlich sind. Unterfüttert ist die Darstellung mit prominenten Quellen staatlicher Stellen oder etwa der UN, des World Economic Forums (WEF) und des WWF.

Was das Papier nicht leistet, ist die Darstellung einer Strategie, mit der die unstrittig erfolgversprechenden Lösungen tatsächlich praktisch durchgesetzt werden – aber wie auch? Selbst die seit 1988 weltweit mit maximalem Aufwand propagierten und wissenschaftlich abgesicherten Forderungen des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) fließen ja nur mit quälender Langsamkeit in politisches und gesellschaftliches Handeln ein. Dennoch, Beiträge wie dieser tragen immerhin zum unverzichtbaren Bewusstseinswandel bei, und das auf nachvollziehbare und gut lesbare Weise.

* Thomas Lünendonk war unter anderem Gründer und Senior Advisor des B2B-Beratungsunternehmens Lünendonk & Hossenfelder GmbH und ist jetzt als Autor sowie selbständiger Coach und Trainer für Business Strategy und Strategisches Management tätig.