5G-Campus-Netze: Wo Unter­nehmen eigene 5G-Campus-Netze aufziehen

Nicht jedes Geschäft braucht extrem niedrige Latenzen für enorm hohe Daten­mengen. Wahr­scheinlich die wenigsten. Ob man dazu 5G benötigt, hängt vom Geschäfts­modell ab. Die Möglich­keit, eigene Campus-Netze auf­zubauen, er­öffnet gerade der Industrie neue Chancen. Erste Bei­spiele gibt es bereits.

Warum 5G – und wenn ja, wie viel?

Von Axel Oppermann

Auch wenn 5G die nächste Stufe der Konnektivität und der Mensch-zu-Umwelt-Interaktion sein wird – 5G ist momentan und in naher Zukunft kein Thema für den Massenmarkt. Zumindest nicht in den kommenden Jahren.

Einerseits liegt das an fehlenden Geschäftsmodellen. Ein Beispiel: TK-Provider, gerade in Deutschland, stehen vor der Herausforderung, die wachsenden Datenmengen zu monetarisieren; und noch viel mehr davor, ein insgesamt größeres Stück vom Markt – von der Wertschöpfung – für sich zu gewinnen. Es braucht neue Preismodelle und Services. Und Services, wie der Verkauf von Nutzerdaten, können für den deutschen Markt als schwierig bezeichnet werden. Kurzum: 5G für Endanwender nach den Spielregeln von 4G wird den Providern keinen Spaß machen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass das Tempo einer Umsetzung doch nicht so hoch sein wird wie die Protagonisten glauben machen.

Andererseits wird es zunächst schlicht an der Silver Bullet fehlen, der Killer-App, der alles entscheidenden und umwälzenden Anwendung. Vernetzte medizinische Systeme, virtuelle Realität oder Sachen wie Echtzeitübersetzung stehen zwar quasi vor der Tür und warten auf Bandbreite. Aber auch hier wird die Adoptionskurve der (neuen) Services klassisch verlaufen – bis es Mainstream wird, dauert es. Sicherlich: Over-the-top-Content- (OTT) und Serviceanbieter werden von der digitalen 5G-Infrastruktur profitieren, die es ihnen ermöglicht, ihr Angebot zu erweitern und innovative neue Produkte zu entwickeln. Allerdings alles nur sehr bedingt. Das Ökosystem der Telekommunikation, bestehend aus Providern, politischen Entscheidungsträgern, Regulierungsbehörden, TK-Ökosystempartnern wie etwa Hersteller von Smartphones oder Datenbrillen sowie alle Anwendungsentwickler werden es nicht schaffen, den Dreiklang aus Netzverfügbarkeit (inklusive Geschäfts- und Preismodelle), Geräteverfügbarkeit und Anwendungen kurzfristig zu realisieren.

Neues vom Campusfunk

Auch werden durch 5G keine Funklöcher gestopft. Jedenfalls nicht direkt. Indirekt aber doch, da sicherlich einige TK-Provider ihr 4G-Equipment in städtischen Regionen abbauen, um es in ländliche oder vorstädtische Bereiche zu verlegen. Hierdurch wird der Netzausbau in diesen Regionen wirtschaftlich interessant. Fakt ist: Die 5G-Technologie wird zunächst landwirtschaftliche und Industrieanwendungen beflügeln und unterstützen. Handel und Dienstleistung profitieren, zunächst weiterhin primär, von anderen Funktechnologien (Stichwort WLAN, Bluetooth oder Narrowband-Technologien).

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Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Heise-Beilage „IT- und Technologie­unternehmen stellen sich vor“. Einen Über­blick mit freien Downl­oad-Links zu sämt­lichen Einzel­heften be­kommen Sie online im Presse­zentrum des MittelstandsWiki.

Doch wie kommt 5G-Technologie auf den Acker, in die Fertigungshalle? Dies geschieht, neben dem klassischen Netzausbau der Provider, in sogenannten Campus-Netzen, die exemplarisch ein Firmengelände oder eine Fabrikhalle umschließen. Solche Campus-Netze können durch einen TK-Provider als Service bereitgestellt werden, modular aufgebaut. Sie können aber auch von den Unternehmen selbst betrieben werden. So ist eine lokale grundstücksbezogene Nutzung innerhalb und außerhalb von Gebäuden sowie regionale Nutzung möglich. Ein erster Schritt ist, die Lizenzen zu beantragen. Voraussetzung hierfür ist das Eigentum am Grundstück, respektive ein Nutzungsrecht. Und das Netz darf nur für innerbetriebliche Anwendungen genutzt werden.

Solche Campus-Netze sind sinnvoll, wenn viele Maschinen automatisch vernetzt miteinander arbeiten sollen. Unter anderem Audi und Daimler denken gerade in diesen Dimensionen. Oder in der Landwirtschaft für automatisch gesteuerte und optimierte Vollernter. Ob ein Industrieunternehmen, ob ein landwirtschaftlicher (Groß-)Betrieb solche Netze selbst betreibt oder von einem Dienstleister realisieren lässt, hängt vom individuellen Reifegrad, den Anforderungen an Sicherheit und Servicequalität ab.

Lost Generations?

Bevor wir auf weitere Nutzungsszenarien und komplementäre Funktechnologie eingehen, schauen wir uns das Thema 5G im Kontext an. In den vergangenen 40 Jahren hat die Welt vier Generationen der Mobilfunktechnik erlebt.

  • Die erste Generation der mobilen Kommunikation, die um 1980 entstand, basierte auf der analogen Übertragung.
  • Mit der zweiten Generation der mobilen Kommunikation (ab Anfang der 1990er-Jahre) wurde die digitale Übertragung über die Funkverbindung eingeführt. Obwohl der „Zieldienst“ – der primäre Service – immer noch Sprache war, ermöglichte die digitale Übertragung auch begrenzte Datendienste.
  • Die dritte Generation der mobilen Kommunikation (3G) wurde Anfang 2000 eingeführt. Mit UMTS wurde der eigentliche Schritt zu einem hochwertigen mobilen Breitband gemacht, das einen schnellen drahtlosen Internet-Zugang ermöglicht.
  • Wir sind jetzt seit mehreren Jahren in der vierten Generation (4G) der mobilen Kommunikation, die durch LTE-Technologie verkörpert wird. Die erste Veröffentlichung der technischen Spezifikationen der LTE wurde im Jahr 2009 eingeführt.

LTE hat seitdem mehrere Entwicklungsstufen durchlaufen, die eine verbesserte Leistung und erweiterte Möglichkeiten bieten. Dabei ist die Aussage so nicht ganz korrekt: Viele Provider arbeiten in ihren Mobilfunknetzen heute mit mehreren Technologien wie 2G, 3G, 4G; aber auch NarrowBand IoT. Die Diskussionen über die Mobilkommunikation der fünften Generation begannen etwa 2012. Im Zusammenhang mit 5G wird häufig von drei unterschiedlichen Klassen an Anwendungsfällen gesprochen. Dies sind Enhanced Mobile Broadband (eMBB), Massive Machinetype Communication (mMTC) sowie Ultra-reliable and Low-Latency Communication (URLLC):

  • Das eMBB entspricht mehr oder weniger einer einfachen (Weiter-)Entwicklung der heutigen Mobilfunkbreitbanddienste, die noch größere Datenmengen und ein noch besseres Benutzererlebnis ermöglichen.
  • Dagegen ist mMTC ein Anwendungsfeld, das durch eine Vielzahl von Geräten gekennzeichnet ist, wie zum Beispiel bei (Remote-)Sensoren oder bei der Überwachung verschiedener Geräte. Zu den wichtigsten Anforderungen an solche Services zählen sehr niedrige Gerätekosten und ein sehr niedriger Geräteenergieverbrauch, der eine lange Akkulaufzeit von bis zu mehreren Jahren ermöglicht. Typischerweise verbraucht und erzeugt jedes Gerät nur eine relativ kleine Datenmenge, die Unterstützung hoher Datenraten ist also von geringerer Bedeutung.
  • Die URLLC-Dienste sind so konzipiert, dass sie eine sehr geringe Latenz und eine extrem hohe Zuverlässigkeit aufweisen. Beispiele hierfür sind Verkehrssicherheit, automatische Steuerung und Fabrikautomatisierung.
Serie: 5G-Mobilfunk
Teil 1 setzt beim Bandbreitenbedarf an, der durch die Decke schießt. WLAN und Mobilfunk liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen auf der Zielgeraden zu 10 GBit/s. Teil 2 schildert den Stand der Standards und interessiert sich eingehend für die Konsortien der Entwicklung. Teil 3 begibt sich auf die technische Seite. Es geht um die Grundlagen der 5G-Netze, um Ping-Zeiten und Frequenzen. Teil 4 schließlich erläutert den Stand der Dinge kurz vor der Frequenzversteigerung 2019. Drei Sonderberichte widmen sich der Möglichkeit von 5G-Campus-Netzen, berichten vom letzten Stand der 5G-Frequenzauktion und untersuchen, welche Berufe für den Netzaufbau gebraucht werden. Zum Schluss lohnt noch ein Blick nach Österreich: Dort gibt es 5G schon.

Es muss nicht immer Kaviar sein

Die Mobilfunknetze laufen teils parallel und erfüllen unterschiedliche, sich ergänzende oder überschneidende Aufgaben. Aus Unternehmenssicht muss das ganze Thema aber ohnehin etwas breiter gedacht werden. Die Leitfrage: Welche Technologien, insbesondere drahtlose Technologien, kann ich kombinieren, um das jeweilige Geschäftsziel zu erreichen? Oft lässt sich das in Dimensionen wie Reichweite (der Netzanbindung) und Durchsatz (von Daten) oder Stromverbrauch ermitteln. Es entsteht ein Spannungsdreieck. Bei vielen IoT-Projekten dominieren die Faktoren Stromverbrauch und Reichweite. In solchen Projekten gibt es dann auch noch limitierende Faktoren wie etwa Preis pro Device, Lebensdauer oder die Frage, ob es sich bei der auszuwählenden Funktechnik um ein lizenziertes oder unlizenziertes Spektrum handeln soll.

Ist dies – und noch einiges mehr – entschieden, fällt die Wahl zum Beispiel auf Low Power WAN, LTE-M, NB-IoT, 5G oder eine Kombination davon. Dass es bei der intelligenten Fertigung nicht immer 5G sein muss, zeigen Nokia und der Provider China Unicom. Sie realisierten ein privates LTE-Netzwerk für ein BMW-Brilliance-Autowerk in der chinesischen Provinz Liaoning. Der Einsatz erfolgt mit der virtualisierten Multi-Access-Edge-Computing-Lösung (vMEC) von Nokia, die das LTE-Netzwerk von China Unicom nutzt, um eine latenzarme Unterstützung für Smart-Manufacturing-Aktivitäten im Werk zu bieten.

Manchmal muss es Kaviar sein

Aber wenn die Welt doch so einfach ist und es ausreichend Funktechnologien gibt, warum dann der Hype um 5G? Weil es manchmal 5G sein muss. 5G ist für ausgewählte Anwendungsfälle relevant, die eine geringere Latenz bei gleichzeitig hohem Durchsatz erfordern, wie etwa Virtual Reality (VR), High-Definition-Gaming oder Remote-Chirurgie –, oder dort, wo es die Topografie erfordert. Und weil es natürlich zu den klassischen Beispielen dazugehört: Drohnen, Flugtaxis, autonomes Fahren. Alles 5G. Und natürlich Smart Cities. So realisieren die Modellstadt Gelsenkirchen und Huawei Technologies eine Smart-City-Plattform, die behördliche Dienstleistungen für die Bewohner, Besucher und Unternehmen abbilden soll. Zentraler Bestandteil: 5G.

Serie: Smart City

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Teil 1 gibt eine erste Einführung und stellt als Beispiele die Konzepte in Hamburg, Berlin und Göttingen vor. Teil 2 geht nach Bayern und berichtet, was sich in den Münchner Modellvierteln tut. Teil 3 wechselt über die Grenze nach Österreich – dort hat man nämlich bereits eine nationale Smart-City-Strategie und ist führend im Passivhausbau. Teil 4 stürzt sich dann mitten in die Metropolregion Ruhrgebiet und berichtet unter anderem von der digitalsten Stadt Deutschlands. Den deutschen Südwesten nimmt sich zuletzt Teil 5 dieser Serie vor. Ein Extrabeitrag hat außerdem Beispiele dafür zusammengetragen, was Green IT zur Smart City beitragen kann. (Bild: zapp2photo – Fotolia)

In Industrie, Logistik, Landwirtschaft und anderen Branchen wird 5G auch bald zu finden sein. Es wird für viele Anwendungsfälle die Funktechnik der Wahl sein. Allerwärts sind 5G-Anwendungen noch nicht zu finden. Es gibt sie aber: Shell überwacht in den Niederlanden die Rohre in Raffinerien in Echtzeit in Ultra-HD auf Schwachstellen. In Schweden hat der Systementwickler Einride gemeinsam mit DB-Schenker einen autonomen und vollelektrischen LKW, den T-Pod, auf öffentlichen Straßen in ein Industriegebiet gebracht. Grundlage: 5G. Volvo CE hat gemeinsam mit Telia und Ericsson ein 5G-Netzwerk für den industriellen Einsatz in einem Werk in Schweden aufgesetzt. Ziel ist es, ferngesteuerte Maschinen und autonome Lösungen zu testen.

Und noch ein Beispiel aus einer anderen Branche: Ericsson, der australische Dienstleister Telstra und die Commonwealth Bank of Australia arbeiten gemeinsam daran, 5G-Edge-Computing-Anwendungen für den Finanzsektor zu realisieren. Im Kern geht es darum, End-to-end-Bankenlösungen über 5G zu etablieren, die die derzeit benötigte Netzwerkinfrastruktur in den einzelnen Bankfilialen reduziert.

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Axel Oppermann berät seit über 17 Jahren als IT-Markt­analyst Technologie­unternehmen in Strategie- und Marketing-Fragen. Er arbeitet beim Beratungs- und Analysten­haus Avispador, schreibt für diverse Blogs, Portale, Fach­zeitschriften und kommentiert in diversen Bewegt­bild­formaten aktuelle Themen sowie den Markt. Als Gesprächs­partner für Journalisten und Innovatoren bringt Axel erfrischend neue Ansichten über das Geschehen der digITal-Industrie in die Diskussion ein. Seine viel­fältigen Erkenntnisse gibt Axel in seinen kontroversen, aber immer humor­vollen Vorträgen, Seminaren, Work­shops und Trainings weiter. Seine Themen: Digital & darüber hinaus.

Option auf die Zukunft

Drahtlose Technologien wie GSM, UMTS, LTE, Wireless LAN und Bluetooth haben unsere Kommunikation revolutioniert, indem sie Dienste wie Telefonie und Internet-Zugang jederzeit und von fast überall verfügbar gemacht haben. Indem sie Geschäftsmodelle und Arbeitsabläufe erst ermöglicht haben. Es wird erwartet, dass die fünfte Generation der mobilen und drahtlosen Kommunikation einen Einfluss auf Gesellschaft und Industrie haben wird, der weit über den Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie hinausgeht.

Unternehmen brauchen 5G immer dann, wenn sie Geschäftsmodelle oder Prozesse realisieren wollen, die bei niedriger Latenz hohe Datenmengen verarbeiten wollen; sowie dann, wenn es bauartbedingt nicht durch andere, günstigere Funktechnologien realisiert werden kann. Die Frage, ob 5G benötigt wird, hängt vom eigenen Geschäftsmodell ab. Die Möglichkeit, eigene Campus-Netze aufzubauen und ein großes Ökosystem an Anbietern eröffnet gerade im industriellen Umfeld die Chance, eine bezogen auf unsere aktuellen Möglichkeiten absehbare technologische Lücke in zukünftigen Anwendungsfällen zu schließen.

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