Digitale Daseinsvorsorge: Warum Online kommunale Pflichtaufgabe ist

Wer in Deutschland unterwegs ist, bemerkt Versäumnisse bei Instandhaltung und Ausbau der öffentlichen Infrastruktur nicht selten: sicherheitshalber gesperrte Autobahnbrücken, überlasteter Schienenverkehr … Genauso lästig ist aber auch die in vielen Bereichen nur zäh vorankommende Digitalisierung.

Wasser, Strom, Müllabfuhr und Internet

Von Michael Praschma

Kritik am Fortschritt der Digitalisierung braucht sich hierzulande nicht allein auf diejenigen zu berufen, die über schlechtes Internet meckern. „Deutschland bleibt digitales Mittelmaß“, titelte im Sommer 2022 die Computerwoche, und zwar unter Berufung auf einen ruhmlosen Platz 13 der Bundesrepublik beim DESI-Ranking. Das sei das zweitschlechteste Ergebnis überhaupt. Dieser Index für digitale Wirtschaft und Gesellschaft der EU-Kommission wertet u.a. Kennzahlen für die Integration der Digitaltechnik und für digitale öffentliche Dienste aller 27 Mitgliedsstaaten aus. Das Ergebnis: Bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) sei man von einer „mindestens grundlegenden digitalen Intensität“ noch ordentlich weit weg. Und Verbesserungsbedarf ortet die Kommission auch bei der digitalen Interaktion zwischen staatlichen Stellen und der Bevölkerung.

Warum Online kommunale Pflichtaufgabe ist

Es kommt ja nicht „nur“ darauf an, auch weit draußen am Land schnelles Internet zum Streamen zu haben oder sich mithilfe eines Onlineformulars hin und wieder einen Gang zur Behörde zu ersparen. Vielmehr geht es für alle – von den Einzelnen im Privatbereich über Selbstständige und Betriebe aller Art bis hin zu Kommunen und anderen öffentlichen Einrichtungen – darum, überhaupt Chancen wahrnehmen zu können: auf Teilhabe, technische und wirtschaftliche Entwicklung, effiziente Aufgabenerfüllung und vieles andere. Oder eben dies alles mehr oder weniger zu verpassen.

Denn dass digital organisierte Infrastrukturen und Abläufe in der Gesellschaft immer mehr Bereiche immer stärker prägen, bedarf keiner langen Erläuterung. Die weitere Zunahme überhaupt nur noch digital zugänglicher Angebote bzw. Dienste ist absehbar. Insofern besteht einfach eine Pflicht der öffentlichen Hand, deren flächendeckende Verfügbarkeit zu gewährleisten. Das Stichwort hierzu lautet „digitale Daseinsfürsorge“.

Digitale Daseinsvorsorge: Was bedeutet das genau?

Zuständig für Daseinsvorsorge ist der Staat, meist begründet mit dem grundgesetzlichen Sozialstaatsprinzip. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 20. März 1984, Az. 1 BvL 28/82 (Leitsatz) muss es Leistungen geben, „derer der Bürger zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz unumgänglich bedarf“ – von der Krankenversicherung bis zur Müllabfuhr. Ein Großteil davon fällt in den kommunalen Aufgabenbereich.

Hier einige typische Beispiele digitaler Daseinsfürsorge:

  • Bereitstellung technischer Infrastruktur wie Glasfaserkabel, 5G-Netze etc. zur Gewährleistung von Mindestübertragungsraten für die Internet-Nutzung;
  • digitaler Zugang zu behördlichen Leistungen wie Auskünften, Anträgen, Eingaben, Nachweisen;
  • niederschwellige Angebote zur Interaktion zwischen öffentlichen Stellen und Bevölkerung, z.B. über Messenger-Dienste und Chat-Kanäle;
  • Fahrplan- und andere Infos sowie Ticketkauf beim öffentlichen Nahverkehr;
  • ebenso bei Kultur-, Sport- und anderen Einrichtungen;
  • Durchsetzung barrierefreier digitaler Schnittstellen, z.B. Websites mit vorlesefähigem Content und Versionen in einfacher Sprache.

Von den meisten dieser Elemente der digitalen Daseinsfürsorge profitieren nicht nur Bürgerinnen und Bürger, sondern auch Unternehmen, Organisationen aller Art sowie die in diesem Bereich agierenden staatlichen Stellen selbst. Allein schon wegen des Kostendrucks und der ständigen Notwendigkeit der Effizienzsteigerung sind diese Akteure bei leistungsschwacher oder gar ganz fehlender digitaler Infrastruktur erheblich benachteiligt: Unternehmensziele können scheitern, die Erfüllung vorgeschriebener Aufgaben leidet, und ganz allgemein entsteht ein Haufen betriebs- und volkswirtschaftlicher Schäden – mit Folgen für die ganze Gesellschaft.

Serie: Digitale Infrastruktur
Die Einführung beginnt in Berlin und klärt die Rahmenbedingungen in Deutschland. Ein erster Regionalschwerpunkt widmet sich dann dem Westen und Nordrhein-Westfalen. Weitere Regionalreports konzentrieren sich auf den deutschen Südwesten und auf Bayern. Extra-Beiträge berichten außerdem über den Stand der NGA-Netze in Österreich und über die praktische, aber schwierige Mobilfunk-Dominanz in der Alpenrepublik.

Beispiel schnelles Internet: Pläne gibt’s durchaus

Wir reden nicht davon, dass im voll besetzten ICE das WLAN zu schwächeln beginnt, wenn ein Großteil der Fahrgäste gleichzeitig Spielfilme streamt. Das wirkliche Problem sind Fälle wie der eines Planungsbüros am Ortsrand, wo das Glasfaserkabel einige hundert Meter vor dem Haus endet und daher der digitale Empfang und Versand großer Bilddateien geschäftsschädigend lang dauert. Und wir reden davon, dass ärmere und in mehrfacher Hinsicht ohnehin benachteiligte Bevölkerungsgruppen durch fehlendes, schlechtes oder zu teures Internet noch weiter ins Hintertreffen geraten.

Um hier Abhilfe zu schaffen, hat der Bund im Telekommunikationsgesetz (TKG) seit Ende 2021 die Bestimmung verankert, dass es ein individuelles Recht auf Versorgung mit Telekommunikationsdiensten zu einem erschwinglichen Preis gibt. Das beinhaltet auch Internet-Zugangsdienste und die dafür erforderlichen Anschlüsse. Als „erschwinglich“ gelten dabei Preise, die nicht so hoch liegen, dass etwa der Anschluss für abgelegene Wohnlagen praktisch nicht mehr leistbar ist. Dies und mehr Details hat die Bundesnetzagentur in ihren Grundsätzen über die Ermittlung erschwinglicher Preise für Telekommunikationsdienste publiziert.

Das hört sich vielversprechend an, allerdings haben die Regelungen Kritik sowohl bei Anbietern von Kabelverbindungen als auch beim Verbraucherschutz ausgelöst. So war es der Verbraucherzentrale Bundesverband nicht gelungen, der Bundesnetzagentur einen konkreten Höchstpreis für einen Internet-Zugang zu entlocken – das werde im Einzelfall geklärt, teilt netzpolitik.org mit.

Der Bundesverband Glasfaseranschluss dagegen moniert bei grundsätzlicher Zustimmung zu den neuen Regelungen, seine Branche müsse kostendeckend arbeiten können; es fehle die Möglichkeit, Preise auch an das Einkommensniveau in einer Region anzupassen, nicht bloß an ortsübliche Herstellungskosten. Das TKG erlaube dies, die Bundesnetzagentur jedoch nicht. Die von der Agentur vorgesehene jährliche Evaluierung der Grundsätze lässt allerdings Anpassungen zu.

Serie: Smart City

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Teil 1 gibt eine erste Einführung und stellt als Beispiele die Konzepte in Hamburg, Berlin und Göttingen vor. Teil 2 geht nach Bayern und berichtet, was sich in den Münchner Modellvierteln tut. Teil 3 wechselt über die Grenze nach Österreich – dort hat man nämlich bereits eine nationale Smart-City-Strategie und ist führend im Passivhausbau. Teil 4 stürzt sich dann mitten in die Metropolregion Ruhrgebiet und berichtet unter anderem von der digitalsten Stadt Deutschlands. Den deutschen Südwesten nimmt sich zuletzt Teil 5 dieser Serie vor. Ein Extrabeitrag hat außerdem Beispiele dafür zusammengetragen, was Green IT zur Smart City beitragen kann. (Bild: zapp2photo – Fotolia)

Highspeed-Internet: nur im Durchschnitt gut

Hinsichtlich der Versorgung der Haushalte mit schnellem Internet befindet sich laut Eurostat Deutschland mit knapp 75 % ganz leicht auf der besseren Seite des europäischen Durchschnitts von 70,2 % – aber weit hinter Spitzenreitern wie Dänemark (95 %), Spanien (94 %) oder Litauen (91 %). Selbst das als nicht sonderlich „modern“ geltende Rumänien liegt mit 87 % vor der Bundesrepublik.

Allerdings hilft diese Durchschnittszahl den ländlichen Regionen auch nicht viel; denn hier sind bundesweit nur 22 % mit schnellem Internet versorgt, während wieder Rumänien auf 76 % kommt. „Highspeed-Internet“ bedeutet bei Eurostat, dass Übertragungsraten, Resilienz und Latenzzeiten durch Glasfaserkabel gewährleistet werden oder mit anderen Technologien gleichwertig sind.

Die Unterschiede sind aber auch nach Bundesländern beträchtlich. Zum Beispiel liegt die sogenannte technische Verfügbarkeit eines Glasfaseranschlusses (auf Deutsch: Das Kabel liegt in unmittelbarer Reichweite) zwischen gut 60 % in Schleswig-Holstein und bei 10 % in Berlin. Allerdings steht dem auch ein nur mäßiges Interesse der Menschen gegenüber: Nicht einmal die Hälfte derjenigen, die Glasfasertempo kriegen könnten, bucht es auch.

Serie: Glasfaser
Teil 1 sagt, warum Lichtwellenleiter bei Breitband das Maß der Dinge sind und erklärt die Ausbauvarianten von FttN bis FttH. Teil 2 sichtet den deutschen Markt und erläutert sinnvolle Optionen für Geschäftskunden.

Verbesserungen in diesem Bereich hat sich die Bundespolitik schon auf die Fahnen geschrieben. Bisher galt dabei der Grundsatz, dass Glasfaseranschlüsse bezuschusst werden, wo der Markt es nicht selbst hinkriegt, oft mit einem Mix aus Bundes- und Landesmitteln. In die Kritik der südlichen Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg, aber auch aus Rheinland-Pfalz gerieten zuletzt allerdings die Wege, mit denen das Digital- und Verkehrsministerium bis 2025 die Hälfte aller Haushalte mit Glasfaseranschlüssen versorgen will. Die neue Förderstrategie setzt auf eine Streckung der Förderungen und Konzentration auf förderungsbedürftige Regionen. Hier sind die Länder der Ansicht, dass dies den Ausbau eher bremsen würde. Das Ministerium verweist dagegen auf Zusagen der Wirtschaft, den Ausbau selbst zu beschleunigen. Die Diskussion zu dieser Kontroverse ist (Stand Anfang 2023) noch im Gange.

Etwas besser als bei den Privathaushalten sieht es laut Eurostat bei Unternehmen aus. Bei denjenigen mit mindestens zehn Beschäftigten verfügen 85 % über einen schnellen Internet-Anschluss – hier definiert durch Übertragungsraten von mindestens 30 MBit/s.

Übertragungsgeschwindigkeit ist nicht alles

Die digitale Daseinsvorsorge ist aber nicht darauf beschränkt, schnellere Verbindungen zu schaffen. Vielfach lassen sich ja recht schlichte Ideen, Angebote zu digitalisieren oder digital zu vereinfachen, auch mit vorhandener Infrastruktur bzw. mit verfügbaren Lösungen umsetzen.

Im öffentlichen Bereich haben die Kommunen dazu – in Reaktion auf die OZG-Umsetzung – mit den „Dresdner Forderungen“ notwendige Rahmenbedingungen formuliert. Dazu zählen unter anderem eine Vereinheitlichung von IT- und Online-Services, etwa über Cloud-Plattformen, und eine Neuordnung von Verwaltungszuständigkeiten. Diese Bereiche sind bisher oft noch zersplittert. Außerdem sei ein neues Mindset erforderlich, in dem sich Kommunen stärker als Netzwerker im Geflecht von zivilgesellschaftlichen Einrichtungen, Wirtschaft und Akteuren im föderalen System verstehen und als solche handeln.

Neun „zentrale Aktionsfelder“ hat dazu die Kommunale Gemeinschaftsstelle für kommunales Management geortet. Erforderlich ist zunächst natürlich, eine Vision und Mission zu definieren sowie Anreize für die Beschäftigten zu schaffen. Die Kommunikationsformen etwa in sozialen Netzen erfordern aber zudem Flexibilität im „Umgangston“ einer Kommune – weit abseits des sprichwörtlichen Behördendeutschs. Ein großes Lernfeld stellt auch datengetriebene Verwaltung dar, außerdem in einer Reihe weiterer Bereiche eine weitgehend neue Lern- und Arbeitskultur.

Fazit: Es fehlt wahrlich nicht an Konzepten

Auch der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) ist mit einem Papier zur digitalen Daseinsvorsorge an die Öffentlichkeit getreten. Zu den zehn darin enthaltenen Leitideen zählen z. B. kommunale Zusammenarbeit, eine regionale Planung digitaler Infrastrukturen oder die Einbindung der Bevölkerung in die „Smarte Kommune“.

Pläne und Konzepte brauchen allerdings auch die nötigen Ressourcen, um Wirklichkeit zu werden. Die sind allerorten knapp. Einer der wesentlichen Treiber wird daher Kreativität und Improvisationstalent sein müssen. Und die Bereitschaft, weit über den institutionellen Tellerrand hinaus Synergien zu nutzen und vorhandene Lösungen zu adaptieren.

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Michael Praschma ist Texter, Lektor und Redakteur. Er beherrscht so unterschiedliche Gattungen wie Werbetext, Direct Marketing, Claims, Webtext, Ghostwriting, Manuals oder PR. Außerdem treibt er sich – schreibend und anderweitig engagiert – in Journalistik, Non-profit-Organisationen und Kulturwesen herum. Seine Kunden kommen aus verschiedensten Branchen. Am MittelstandsWiki schätzt er die Möglichkeit, mit eigenen Recherchen auf den Punkt zu bringen, was Verantwortliche in Unternehmen interessiert. → https://praschma.com/

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