Stephan Hauber zum Onlinezugangsgesetz: Wo das OZG nach­bessern müsste

Mit dem Online­zugangs­gesetz sollen den Bürgern bis 2022 viele Ver­waltungs­leistungen in digi­tali­sier­ter Form zur Ver­fügung ge­stellt werden. Gut ge­meint ist aller­dings oft­mals das Gegen­teil von gut ge­macht. Viele Pro­zesse stecken noch in den Kin­der­schuhen, wieder­holt wird Kritik an der Vor­gehens­weise laut.

Gelegenheit zur Modernisierung verpasst

Ein breit gefächerter Umsetzungskatalog, ein ambitionierter Zeitplan sowie unterschiedliche Prioritäten und Vorgehensweisen in den Bundesländern – das Onlinezugangsgesetz (OZG) stellt die öffentliche Verwaltung vor enorme Herausforderungen, bietet aber auch Chancen. Wir sprachen mit Stephan Hauber, Vorsitzendem des Verbandes der mittelständischen IT-Dienstleister und Softwarehersteller für den öffentlichen Sektor (DATABUND e.V.), über Wohl und Wehe des Mammutprojekts.

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Stephan Hauber ist geschäftsführender Gesellschafter der HSH Soft- und Hardware Vertriebs GmbH, außerdem Vorstandsmitglied im DATABUND e.V. und Aufsichtsratsmitglied der Uniscon GmbH. HSH hat mit VOIS ein Baukastensystem zur Integration kommunaler Fachverfahren, das unter einer einheitlichen Web-Oberfläche die erforderliche Interoperationalität, Kommunikation und Kompatibilität gewährleistet.


VOIS Software – HSH Soft- und Hardware Vertriebs GmbH, Rudolf-Diesel-Str. 2, 16356 Ahrensfelde OT Lindenberg, Tel.: 030-94004-302, vertrieb@vois.org, www.vois.org

MittelstandsWiki: Herr Hauber, das OZG fordert, dass bis Ende 2022 insgesamt 575 Fachverfahren in der deutschen Verwaltung digitalisiert werden sollen. Was steckt dahinter?

Stephan Hauber: Die Digitalisierung ist ein gesamtgesellschaftlicher Prozess, der in der Verwaltung bisher jedoch nicht richtig gegriffen hat. Die Politik hat hier Handlungsbedarf erkannt und das OZG beschlossen.

MittelstandsWiki: Wie bewerten Sie das Gesetz?

Stephan Hauber: Als Initialzündung ist es positiv zu bewerten, weil es Bewegung in die Sache bringt: Es werden Mittel freigesetzt, und die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung rückt stärker ins Blickfeld. Aus meiner Sicht gibt es dabei aber zwei große Fehlleistungen.

MittelstandsWiki: Welche sind das?

Stephan Hauber: Zum einen wird in dem Gesetz ein Lösungsweg vorgegeben. Die Verwaltungsleistungen sollen über Portale angeboten werden, die Nutzer über Servicekonten in Anspruch nehmen können. Stellen Sie sich vor, Sie würden die Digitalisierung im Maschinenbau mit ähnlichen staatlichen Vorgaben vorantreiben wollen! Die zweite Fehlleistung ist, dass das OZG von Menschen entwickelt wurde, die in der Regel kein großes Hintergrundwissen über die praktischen Abläufe in der kommunalen Verwaltung haben. Das zeigt sich schon an der Zahl der ausgewählten Verwaltungsleistungen: 575. Sie ist dem Zufall geschuldet, es hätten auch 300 oder 800 sein können. Man hat ausgewählt, was gerade en vogue war. Manche davon sind verwaltungstechnisch völlig irrelevant, andere im geltenden Rechtsrahmen überhaupt nicht realisierbar. Bei wiederum anderen fehlte das tiefe Verständnis dafür, unter welchen Bedingungen eine Leistung digitalisierbar ist und welche Voraussetzungen dafür geschaffen werden müssen.

MittelstandsWiki: Können Sie ein Beispiel nennen?

Stephan Hauber: Den elektronischen Personalausweis. Technisch ist er Weltklasse, die Organisation aber ist Kreisklasse. Man hat zu viel Bürokratie hineingepackt und ihn damit praktisch erledigt. Hier hätte die Erfahrung aus der Digitalisierung einer Vielzahl an Fachverfahren helfen können. Wichtig ist das Wissen, wie man sowohl die Umsetzung hin zum Bürger als auch zur Verwaltung realisieren kann. Den Fehler hat man nun auch beim OZG begangen: Die fachliche Kompetenz wurde komplett ausgeschlossen. Stattdessen hat man Lösungen vorgeschlagen und den Wettbewerb damit unterbunden.

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Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserem Kommunale-ITK-Sonderdruck im Herbst 2019. Einen Über­blick mit freien Links zu sämt­lichen Einzel­heften bekommen Sie online im Presse­zentrum des MittelstandsWiki.

MittelstandsWiki: Bis 2022 bleibt nicht mehr viel Zeit. Wie ist der aktuelle Umsetzungsstand?

Stephan Hauber: Die derzeitige Situation erscheint mir ein wenig wie ein Termitenhügel: Es ist sehr viel in Bewegung gekommen, aber es fehlt die Koordination. Viele Aktivitäten sind nicht vernünftig synchronisiert. Das wird am Ende nicht reichen. Es gibt einige Pilotprojekte, die vorangetrieben werden – etwa die digitale Beantragung von Elterngeld. Vom Echteinsatz sind sie aber noch sehr weit entfernt. Das OZG ist in gutem Willen entstanden, verfolgt aber einen falschen Ansatz.

MittelstandsWiki: Wie hätte man es besser machen können?

Stephan Hauber: Man hätte sich zunächst Gedanken machen sollen, was Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung überhaupt bedeutet. In der Gesellschaft hat man real existierende Prozesse, die man mit IT effizienter gestalten will. Es gibt also eine Basis. Die Verwaltung dagegen ist seit 1870 gewachsen und aus historischen Gründen heute so, wie sie ist. Das OZG hätte eine große Chance geboten, sie von Grund auf zu modernisieren. Dazu hätte man die Prozesse analysieren und erkennen müssen, wo sie verbessert werden können und welche Leistungen bereits mit guten Lösungen digitalisiert worden sind. Das hat man jedoch versäumt. Die Experten aus der Praxis hat man außen vor gelassen. Es gibt bereits seit 20 Jahren Online-Prozesse in der Verwaltung, die mit viel Bedacht und Erfahrung umgesetzt wurden.

MittelstandsWiki: Nimmt man damit nicht in Kauf, gut funktionierende Fachverfahren zu opfern oder kleinere, aber vielleicht bessere Lösungen zu ignorieren?

Stephan Hauber: Das wird hinter vorgehaltener Hand als Kollateralschaden bezeichnet. Aus meiner Sicht ist es ein Irrsinn, da hier bereits viel Geld und Zeit investiert und Erfahrungen gesammelt wurden. Es ist jedoch nicht zu spät, um noch signifikante Änderungen im Umsetzungsprozess vorzunehmen.

MittelstandsWiki: Bleiben wir beim Beispiel Personalausweis: Wie könnte eine zukunftsfähige Lösung aussehen?

Stephan Hauber: Hier muss die generelle Frage nach der digitalen Identität gestellt werden. Das dafür nötige Sicherheitslevel kann mit den im OZG vorgesehenen Servicekonten nicht erreicht werden. Die Blockchain ist in diesem Zusammenhang eine Technologie, über die man nachdenken muss. Dazu müsste man aber eine intensive Diskussion darüber zulassen, was heute schon möglich ist und wie eine sichere digitale Identität vernünftig eingeführt werden kann. Auch der Blick über die Grenzen schadet nicht. Länder wie Estland oder Dänemark haben das Problem bereits gelöst. Es müssen nicht die richtigen Lösungen für Deutschland sein – aber Servicekonten sind es sicher nicht.

MittelstandsWiki: Welche Entscheidungen sollten Ihrer Meinung nach wie abgestimmt werden?

Stephan Hauber: Viele üben sich in Kritik am Föderalismus. Aber einheitliche Lösungen ohne Wettbewerb führen zu Stillstand. Das ist inakzeptabel. Der Gesetzgeber sollte vielmehr einen Rechtsrahmen abstecken und damit Leitplanken setzen, innerhalb derer es dann möglich ist, eine Verwaltungsleistung mit verschiedenen Lösungen zu bearbeiten. Jeder Anbieter würde sein Produkt ständig optimieren, um im Wettbewerb die Nase vorn zu haben.

MittelstandsWiki: Für Bürgerinnen und Bürger wird das Handeln der öffentlichen Verwaltung meist unmittelbar im Kontakt mit der untersten Verwaltungsebene sichtbar. Was kann der DATABUND zur bürgernahen und verwaltungskonformen Umsetzung des OZG konkret beitragen?

Stephan Hauber: Um die Einführung digitaler Verwaltungsleistungen erfolgreich umzusetzen, braucht es Zeit und auch Marketing. Es beschäftigen sich zwar viele Menschen mit E-Government, aber der Bürger erfährt davon fast nichts. Sie müssen informiert werden – ob durch die Auslage von Flyern, Internet-Marketing oder auch im Fernsehen. Bei der Einführung des neuen Personalausweises war nicht einmal ein Marketing-Budget ausgewiesen. Der DATABUND kann hier einen gemeinschaftlichen Beitrag leisten, um die Bevölkerung über die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung aufzuklären. Ein weiterer Beitrag ist die Erfahrung, die wir einbringen können. Sie zeigt uns beispielsweise, dass die einfache Lösung meistens die beste ist. Das ist keinesfalls trivial, denn komplexe Vorgänge einfach zu gestalten, ist anspruchsvoll. Aber nur dann werden sie von den Bürgern auch angenommen. Hier kommen wir wieder zu einer Grundvoraussetzung, die vom OZG nicht berücksichtigt wurde: Es sollten vorrangig jene Vorgänge digitalisiert werden, die für die Bürger relevant sind.

MittelstandsWiki: Welche Möglichkeiten nutzt der DATABUND, um seiner Position Gewicht zu verleihen?

Stephan Hauber: Wir werden den Umsetzungsprozess des OZG selbstverständlich aktiv mitgestalten und uns diesem nicht verweigern. Wir werden aber, wenn nötig, immer auch den Finger in die Wunde legen und konstruktive Vorschläge einbringen. Dazu suchen wir das Gespräch mit den Verantwortungs- und Entscheidungsträgern. Ein Beispiel sind unsere DATABUND-Foren, in denen wir mit ihnen zusammen Ideen entwickeln und neue Wege aufzeigen. Wir weisen zudem, auch gemeinsam mit VITAKO, der Bundes-Arbeitsgemeinschaft der Kommunalen IT-Dienstleister, auf wichtige Stellschrauben hin. Das ist für mich der Kernpunkt: sich mit möglichst allen Beteiligten für eine erfolgreiche Verwaltungsdigitalisierung zu engagieren. Im Mittelpunkt steht dabei für uns die digitale Identität, da sie die Basis digitaler Verwaltungsleistungen bildet. Es ist höchste Zeit, dass Innovation auf die Tagesordnung gesetzt wird.

Serie: DATABUND-Forum

  • Teil 1 beginnt 2013 mit den eID-Funktionen des neuen Personalausweises und führt direkt zum Datenschutz. Teil 2 knüpft mit der Frage nach Vertrauen und Sicherheit im Web an und schildert die heftige Diskussion um Standards.
  • 2014 ging es in Köln darum, was Bürger und Unter­nehmen von E-Behörden er­warten und ob die kommunale ITK ent­sprechend aufgestellt ist.
  • 2016 stand die „digitale Gewaltenteilung“ im Fokus, und der DATABUND stellte sein „Hemer Manifest“ vor.
  • 2017 fand das Forum in Hamburg statt: Teil 1 des ausführlichen Vortragsberichts beginnt mit dem Onlinezugangsgesetz, in Teil 2 erklärt dann Prof. Dr. Thorsten Siegel die Konditionen des kommenden Portalverbunds. In Teil 3 holt Stephan Hauber zu einem Rundumschlag aus: Er sagt, wie eine vernünftige Aufgabenstelllung aussehen sollte, und skizziert die weitere Entwicklung auf dem Markt für Kommunalsoftware.
  • 2019 in München waren das Onlinezugangsgesetz und der anvisierte Portalverbund das Hauptthema. Für die Kommunen wird die Umsetzung nicht ganz einfach werden.
  • 2021 ging es bei der virtuellen Veranstaltung in Berlin schwerpunktmäßig um die Digitalisierungsstrategie insgesamt – und darum, wo dabei die Wirtschaft bleibt.

MittelstandsWiki: Sieht sich der DATABUND ausreichend in den Realisierungsprozess einbezogen? Wird Ihre Stimme gehört?

Stephan Hauber: Es gibt Erfolge zu verzeichnen. Vor wenigen Monaten war vielen Entscheidungsträgern noch nicht einmal der Unterschied zwischen einem Fachverfahren und einer Online-Lösung klar. Hier sind wir heute beispielsweise schon einen Schritt weiter. Aber was ist ein Schritt in einem Hundertmeterlauf? Mitunter finden wir bisher nur schwer Gehör.

MittelstandsWiki: Hand aufs Herz: Ist das gesteckte Ziel von Bund, Ländern und Kommunen bis 2022 noch erreichbar?

Stephan Hauber: 575 Vorgänge zu digitalisieren? Die Frage ist, was damit gemeint ist. Wenn es lediglich bedeutet, dass es ein Formular im Internet gibt, das der Bürger ausfüllen muss, würde ich das nicht als einen digitalisierten Prozess bezeichnen. Ich verstehe darunter Online-Vorgänge mit sicherem Identitätsnachweis, die automatisiert in die Verwaltung einlaufen. Das ist eine größere Zielsetzung. Aus meiner Sicht besteht aber keine Chance mehr, das bis 2022 einzuführen. Ich halte es für realistisch, bis dahin 25 bis 50 Prozesse voll zu digitalisieren. 50 bis 100 wären ein Erfolg.

MittelstandsWiki: Ihr grundsätzlicher Ansatz wäre ein anderer?

Stephan Hauber: Der Zeitpunkt ist ideal, um die öffentliche Verwaltung neu zu denken, sie umzuorganisieren und auf einen modernen Stand zu bringen. Dann hätte ich die Prozesse schon enorm vereinfacht und könnte darauf aufbauend Leistungen digitalisieren. Dieser strategische Aspekt ist bislang viel zu kurz gekommen bzw. überhaupt nicht berücksichtigt worden. Warum muss ich als Bürger beispielsweise für manche Leistungen zur Gemeinde-, für andere zur Kreisverwaltung gehen? Das müsste heutzutage nicht mehr nötig sein.

Das Interview führte David Schahinian.
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David Schahinian arbeitet als freier Journalist für Tageszeitungen, Fachverlage, Verbände und Unternehmen. Nach Banklehre und Studium der Germanistik und Anglistik war er zunächst in der Software-Branche und der Medienanalyse tätig. Seit 2010 ist er Freiberufler und schätzt daran besonders, Themen unvoreingenommen, en détail und aus verschiedenen Blickwinkeln ergründen zu können. Schwerpunkte im IT-Bereich sind Personalthemen und Zukunftstechnologien.

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