Fintechs: Wie Start-ups die Finanzmärkte aufmischen

Vor Covid-19 waren die Deutschen gegenüber digitalen Zahlungslösungen eher skeptisch und nutzten lieber die gewohnten Wege, vor allem Bargeld. Die Pandemie hat das spürbar geändert, sodass Fintechs trotz eines leichten Einbruchs bei den Investitionen einen großen Sprung nach vorne machen konnten.

App-Antworten auf Geldfragen

Von Friedrich List

Der Begriff „Fintech“ ist eine Zusammenziehung von „Financial Services“ und „Technology“. Er steht für junge Unternehmen oder Start-ups, die innovative Finanzlösungen mit digitalen Technologien anbieten. Nicht alle arbeiten für den Endverbraucher, viele davon sind ausschließlich im B2B-Umfeld aktiv. Manche bieten aber auch den normalen Bankkunden mobile und flexible Zahlungslösungen und Versicherungen an.

In einer Studie von 2020 zählt die comdirect-Bank in Deutschland knapp 900 Fintech-Unternehmen. Die meisten sind im Immobiliengeschäft aktiv, aber es gibt auch zahlreiche Finanzdienstleister wie etwa das in München ansässige Unternehmen Scalable Capital.

Diese jungen Unternehmen konzentrieren sich an einigen wenigen Hotspots. Die meisten finden sich in Berlin, wo laut Fintech Startup Monitor 2021 über ein Drittel (38,2 %) der Unternehmen angesiedelt ist; als Nächstes folgen München und Frankfurt. München ist die Heimat von 11, 2 % der Fintechs, wobei in ganz Bayern 16,9 % ansässig sind. Frankfurt bringt es auf 10,8 %, das gesamte Land Hessen auf 13,1 %. In Baden-Württemberg sind 4,1 % der Fintechs beheimatet, in Nordrhein-Westfalen 2,1 % und im Saarland 0,3 %.

Vor der Pandemie war die Digitalisierung der wesentliche Treiber der Entwicklung. Allerdings hat Covid-19 das Kundenverhalten und die Akzeptanz digitaler Zahlungslösungen stark verändert. Germany Trade and Invest hat festgestellt, dass 43 % der Deutschen auf bargeldlose Zahloptionen umgestiegen sind, wobei die meisten die klassische Kartenzahlung bevorzugen. Einzelhändler, die vor der Pandemie nur Bargeld akzeptierten, haben aus hygienischen Gründen Optionen wie die Kartenzahlung eingeführt.

Trends der Entwicklung

Die Geschäftsmodelle der Fintechs bringen die traditionellen Banken unter Druck. Allerdings kann von einem Verdrängungswettbewerb kaum die Rede sein. Viele Fintechs verdienen ihr Geld entweder als Dienstleister oder sogar als Partner etablierter Banken. Aber andere machen den Platzhirschen durchaus Konkurrenz.

Fintechs punkten mit Technologievorteilen wie Big Data, künstlicher Intelligenz oder der Affinität zu mobilen Endgeräten. Auch Beratungsprozesse können durch Robo Advice, also letztlich KI-gestützte Prozesse beschleunigt und bis zu einem gewissen Grad automatisiert werden. Kunden kommen so schneller an Kredite, Versicherungen oder sinnvolle Investments. Daneben zeichnen sich vier wichtige Trends ab:

  1. Banking as a Platform bzw. Banking as a Service: Ähnlich wie bei SaaS-Lösungen (Software as a Service) bietet hier ein Unternehmen Banking-Funktionalitäten an, sodass sich Finanzdienstleister oder Banken auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können.
  2. Open Banking APIs: Dabei handelt es sich um Schnittstellen, über die Finanzinstitute Bankdaten von Kunden und Transaktionen zur Verfügung stellen oder über die Zahlungen ausgelöst werden. Kunden entscheiden selbst, was mit ihren Daten geschieht, und sind bei Zahlungsdiensten nicht mehr allein auf das Angebot ihrer Hausbank angewiesen. Auf diese Weise können Verbraucher Dienstleistungen von Fintechs oder Insurtechs nutzen, die wiederum die nötigen Daten von der kontoführenden Bank beziehen.
  3. Regtech: Dieses Kürzel steht für „Regulatory Technology“. Es bezeichnet alle neuartigen Dienstleistungen, die z.B. Geldwäsche, die Bekämpfung von Cyberkriminalität, Risikominimierung, die Verbesserung von Daten-Compliance oder den Verbraucherschutz betreffen. Regtech-Unternehmen stellen z.B. Lösungen bereit, mit denen sich einzelne Nutzer und Unternehmen hinsichtlich gesetzlicher Vorschriften überprüfen lassen.
  4. Künstliche Intelligenz: KI wird auch im Finanzwesen immer selbstverständlicher, um große Datenmengen zu sammeln und auszuwerten. Fintechs nutzen sie bei allen Automatisierungsprozessen, vor allem um den Kundenservice zu verbessern. KI ermöglicht sogenannte Robo Advisors oder digitale Finanzberater, virtuelle Coaches, personalisierte Versicherungsdienstleistungen, algorithmische Risikobewertung und die automatische Analyse von Verträgen.

Starker Standort Frankfurt

Frankfurt ist Deutschlands wichtigster Finanzstandort und zudem einer der wichtigsten Finanzplätze Europas. Neben Commerzbank und Deutscher Bank haben auch zahlreiche andere deutsche Banken hier ihren Hauptsitz. Hinzu kommen viele ausländische Finanzinstitute. Allerdings belegt die Main-Metropole in Sachen Fintechs zur Zeit nur den dritten Platz, den sie sich auch noch mit Hamburg teilen muss. Trotzdem gibt es hier ein gut funktionierendes Ökosystem für Gründer und Start-ups. Seit 2016 bietet das TechQuartier Vernetzungsmöglichkeiten zwischen Gründern und Investoren. Der Main Incubator der Commerzbank fördert gezielt Fintechs. Die Deutsche Börse und flatexDEGIRO (zwischenzeitlich: Fintech Group) bieten Coworking Spaces für Gründer. Die Deutsche Bank unterhält in der Mainmetropole ihre Digitalfabrik.

Serie: Innovations- und Gründerzentren
Der Einführungsbeitrag gibt eine erste Übersicht für Gründer und Start-ups. Dabei interessiert auch die Frage, wie sich die Locations auf den eigenen Erfolg und die Karriere auswirken. Teil 1 stellt dann konkrete Beispiele aus Berlin, Hamburg und anderen Orten im deutschen Norden und Osten vor. Teil 2 reist nach Köln, Dortmund, Mainz und Gummersbach, um die Technologiezentren an Rhein und Ruhr zu sichten. Überraschungen hat auch der Südwesten parat, von dem Teil 3 berichtet – aus Darmstadt und Stuttgart ebenso wie aus dem beschaulich-umtriebigen Bad Orb. Teil 4 geht schließlich in den Postleitzahlenbereich 8 und 9 nach Bayern und Thüringen: Auch außerhalb von München bekommen Gründer gute Unterstützung. Sonderbeiträge geben außerdem Auskunft über die Innovations- und Gründerzentren in Österreich und die dortige Start-up-Szene.

Die Main-Metropole beherbergt folglich ein breites Spektrum an Fintechs. Portagon (ehemals CrowDesk) stellt seinen Kunden eine SaaS-Plattform zur Verfügung, mit der Finanzdienstleister und Unternehmen online Kapital sammeln können. Ein ähnliches Modell verfolgt Giromatch, das Banken und B2B-Kunden eine komplett automatisierte Lösung zur Aufnahme und Abwicklung von Darlehen anbietet. BITA, gegründet 2018, hält für seine Kunden Infrastruktur, Indexe und Daten bereit. Das Angebot richtet sich an Institutionen, die im Bereich der passiven und quantitativen Investitionen tätig sind. Die Plattform hat eine Technologie für die Konzeption, Entwicklung, Berechnung und Verbreitung von Finanzindizes und quantitativen Anlagestrategien entwickelt.

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Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag ist zuerst in unserer Magazin­reihe „IT-Unternehmen aus der Region stellen sich vor“ erschienen. Einen Über­blick mit freien Down­load-Links zu sämt­lichen bereits verfügbaren Einzel­heften bekommen Sie online im Presse­zentrum des MittelstandsWiki.

München macht Konkurrenz

München liefert sich gerade mit Frankfurt und Hamburg ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die Position des zweitwichtigsten Fintech-Standorts. Aktuell stuft die Fintech-Studie von Comdirect die bayerische Landeshauptstadt tatsächlich als den zweitwichtigsten Standort nach Berlin ein. Traditionell ist die Isar-Metropole eher ein Standort für Versicherungen, aber auch hier haben sich inzwischen zahlreiche Fintechs niedergelassen. Start-ups wie FinTecSystems, Payworks (mittlerweile bei Visa) oder das bereits genannte Scalable Capital haben ihre Firmensitze an der Isar.

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Der schnell wachsende Digital-Broker und Vermögensverwalter Scalable Capital hat bei der Finanzierungsrunde im Frühjahr 2021 sein Kapital mehr als verdoppelt: um 150 Millionen Euro auf über 260 Millionen Euro. Mit an Bord ist jetzt auch die chinesische Internet-Größe Tencent. (Bild: Scalable Capital)

In München findet man ein aktives Ökosystem von Networking-Initiativen und Investoren. Allianz X bietet eine privatwirtschaftliche Förderung, speziell für Start-ups aus dem sogenannten Insurtech-Bereich, also für Fintechs, die sich auf Lösungen für das Versicherungswesen spezialisiert haben. Hinzu kommt der Tech-Accelerator TechFounders, der an der TU München angesiedelt ist und u.a. mit der HypoVereinsbank zusammenarbeitet. Zurzeit gibt es um die 180 Fintech-Start-ups in München.

Das wohl bekannteste Fintech-Unternehmen dürfte Scalable Capital sein, eine automatisierte Investment-Plattform für börsengehandelte Fonds (ETFs), Aktien, Anleihen, Rohstoffe und Immobilien. Sie bietet Tools zum Optimieren des Portfolios, zur Bewertung, Risikoüberwachung und zum Portfolio-Management. Außerdem können Kunden eine App nutzen, die es für Android und iOS gibt.

Ottonova, ebenfalls in München ansässig, ist eher ein Insurtech- als ein Fintech-Unternehmen. Es bietet Krankenversicherungen für Selbstständige, Beamten und Angestellte. Ottonova hilft den Kunden, das richtige Versicherungspaket zu buchen und vermittelt dann die entsprechenden Leistungen.

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2017 gründeten Frank Birzle (CTO), Sebastian Scheerer (Chief Design Officer) und Dr. Roman Rittweger (CEO) den ersten rein digitalen Krankenversicherer Deutschlands: Ottonova. Auch hier läuft das Geschäft zielgruppengerecht via App. (Bild: Ottonova)

Der Südwesten holt auf

In Baden-Württemberg gibt es immerhin rund 50 Fintechs. In Heidelberg hat Getsafe, ein Anbieter von digitalen Versicherungen, seinen Sitz. Hier ist auch FinMatch ansässig, eine Online-Plattform für Unternehmensfinanzierungen. Sie bringt Investoren und mittelständische Unternehmen zusammen. FinMatch wickelte 2020 bereits Finanzierungen im Gesamtvolumen von 350 Millionen Euro ab.

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Im Juni konnte das 2015 von Christian Wiens (CEO) und Marius Simon (CTO) gegründete Insurtech-Start-up Getsafe den 200.000. Kunden vermelden. Abgewickelt wird alles per App. (Bild: Getsafe)

Etliche Akteure am Finanzplatz Stuttgart haben sich jüngst zusammengeschlossen und fintogether gestartet, um junge Unternehmen aus dem Bereich der Finanzdienstleistungen für den Standort Stuttgart bzw. das Musterländle zu gewinnen. Mit fintogether sollen nicht nur Start-ups in der Gründungsphase unterstützt werden. Die Initiative soll auch verhindern, dass hoffnungsvolle Fintechs zu einem der großen Hotspots abwandern.

Start-ups durchlaufen bei fintogether ein dreimonatiges Programm mit Coaching, individuellem Mentoring, Arbeitsmöglichkeiten, technologischer Unterstützung und Zugang zum Netzwerk von Stuttgart Financial sowie Hilfe bei der Suche nach Wagniskapital. Stuttgart Financial ist eine bereits 2007 gegründete Initiative, die Baden-Württemberg als Standort für Unternehmen aus der Finanzbranche attraktiver machen will.

SevDesk ist ein inzwischen recht bekannter Offenburger Dienstleister für Selbstständige. 2013 gegründet, stellt das Unternehmen eine Buchhaltungssoftware bereit und automatisiert viele Abläufe, die Klein- oder Einzelunternehmer viel Zeit kosten. Die Software digitalisiert Belege, schreibt Angebote und Rechnungen und bietet eine Schnittstelle zum Steuerberater.

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Friedrich List ist Journalist und Buch­autor in Hamburg. Seit Anfang des Jahr­hunderts schreibt er über Themen aus Computer­welt und IT, aber auch aus Forschung, Fliegerei und Raum­fahrt, u.a. für Heise-Print- und Online-Publikationen. Für ihn ist SEO genauso interessant wie Alexander Gersts nächster Flug zur Inter­nationalen Raum­station. Außerdem erzählt er auch gerne Geschichten aus seiner Heimatstadt.

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