Frauen in MINT-Berufen: Was Mädchen in MINT-Berufe bringt

Es besteht derzeit ein dringlich hoher Fach­kräfte­bedarf bei Ingenieuren, tech­nischen Hand­werks­berufen und allen IT-nahen Bereichen. Aber nur eine teil­weise ver­schwindend geringe Anzahl Frauen geht in diese technisch-natur­wissen­schaft­lichen Berufe. Warum ist das so? Und wie kann man das ändern?

Mädchen in Männerjobs

Von Vera Kriebel

Sie bilden zentrale wirtschaftliche Innovationssektoren. Berufe rund um Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik, kurz: MINT-Berufe, haben in Deutschland einen hohen Stellenwert, bieten exzellente Arbeitsaussichten – und gelten gemeinhin als reine Männerdomäne. So ist etwa nicht einmal ein Viertel aller Studierenden der Ingenieurwissenschaften (dazu gehören Maschinenbau, Informatik, Elektrotechnik) weiblich. Es geht aber auch noch darunter: In der Informatik liegt der Frauenanteil bei 17 %, bei den Fachinformatikern bei 8 % und bei den Kraftfahrzeug-Mechatronikern bei 4 %.

Warum ein MINT-Beruf?

Statt soziale Aufgaben oder Büroarbeit zu erledigen, lieber handwerkliche Tätigkeiten, Interesse an Technik und mathematisches Verständnis ausleben – das sind wichtige Faktoren für die Motivation von jungen Frauen, einen technisch orientierten Beruf zu ergreifen. Neben schulischer Förderung und Praktika spielen heute die Väter eine große Rolle, die ihre Töchter an ihrem Beruf und an ihren Hobbys, am Autoschrauben oder Heimwerkeln teilhaben lassen. Längst vorbei sind die Zeiten, in denen dies „nichts für Mädchen“ war.

Die Aussichten in MINT-Berufen sind gut bis sehr gut. Das hat auch Mona, 28, Physikerin, heute Entwicklungsingenieurin, überzeugt:

„Ich habe Physik studiert, weil es mich interessiert hat und weil ich danach viele Chancen habe. In den MINT-Berufen findest du immer irgendetwas, was sehr, sehr gut bezahlt wird. Bei den Physikern sind anfangs zwar immer einige arbeitslos, weil sie ein bisschen wählerischer bei der Jobsuche waren, aber dann fangen sie mit extrem hohen Einstiegsgehältern als Quereinsteiger an.“
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Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag ist zuerst in unserer Magazin­reihe „IT & Karriere“ erschienen. Einen Über­blick mit freien Down­load-Links zu sämt­lichen Einzel­heften be­kommen Sie online im Presse­zentrum des MittelstandsWiki.

Made in Germany

Warum aber gibt es dann kaum Technikerinnen? Vorurteile über „Frauen und Technik“ halten sich hartnäckig – und das in den Köpfen beider Geschlechter. MINT-Fächer sind sehr technisch, da steckt viel Mathematik drin, viele MINT-Berufe gelten als schmutzig, beides ist eben „nichts für Frauen“. Woher aber kommt die unerschütterliche Verbindung zwischen Technik und Männlichkeit? Zunächst einmal ist es eine kulturell geprägte Verknüpfung, eine „soziale Konstruktion“, erklärt die Soziologin Dr. Ulrike Struwe, die sich als Chefin des Bielefelder Kompetenzzentrums Technik-Diversity-Chancengleichheit für mehr Frauen in MINT-Berufen einsetzt. „Maschinenbau hat in Deutschland einen Status, den es in anderen Ländern nicht hat, zum Beispiel in Spanien oder Griechenland, wo der Anteil an Ingenieurinnen viel höher ist. Bei uns sollen Frauen keine schweren Berufe ausüben. In Sibirien sehen Sie Frauen im Straßenbau. Da fragt kein Mensch danach, ob das eine schwere Arbeit ist.“

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Teamarbeit – hier im Heinz Nixdorf MuseumsForum – ist für Mädchen eine Selbstverständlichkeit. (Bild: Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit e.V.)

Männer sitzen am Computer, arbeiten in der Werkstatt, ordnen Kabel im Schaltschrank. Ob im Fernsehen oder in Anzeigen für Kfz-Werkstätten – in Deutschland tauchen bei MINT-Tätigkeiten nur Männer auf. Wer sich einen Techniker, Informatiker, Mathematiker vorstellt, stellt sich in der Regel einen Mann vor. Das führt zu dem allgemein akzeptierten Urteil: „Das ist nur für Männer.“ In der Familie und in der Schule setzt sich das fort. Neben den Eltern spielen nicht zuletzt die Großeltern eine prägende Rolle: Sie schenken den Jungen Spielzeugautos und Legotechnik, die Mädchen bekommen Puppen und Ponys. Und auch im Familienalltag haben Mädchen andere Aufgaben als Jungen.

Wenn Mädchen in der Schule in Mathe schlechte Noten haben, ist das normal, denn „Mädchen können das nicht so gut“. Jungen mit einer Vier in Mathe und Physik jedoch studieren durchaus Elektrotechnik oder Maschinenbau oder schließen Elektroherde an. Den jungen Frauen wird dagegen in der Berufsberatung, die oft die geschlechtsspezifische Orientierung der Eltern und Lehrer unüberlegt fortsetzt, bei mäßigen naturwissenschaftlichen oder mathematischen Leistungen von der Wahl eines MINT-Berufs strikt abgeraten.

MINT-Initiativen für junge Frauen

Das Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit e. V. koordiniert zahlreiche Aktivitäten zur Reflexion von Rollenbildern und zur geschlechtsunabhängigen Berufswahl.

Komm, mach MINT ist eine Initiative, die sich der Förderung von Frauen in MINT-Berufen widmet. Hier gibt es Informationen zu Projekten, Podcasts und Kontakt zu Netzwerkpartnern aus Wirtschaft, Medien und Politik, zum Beispiel zu „Ford FiT – Frauen in technischen Berufen“. Außerdem hilft die Initiative bei der Organisation von Netzwerktagungen und bietet Workshops zu Gehaltsverhandlungen, Stimmtraining usw.

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Elektronikerin, Fachinformatikerin, Industriemechanikerin, Ingenieurin, Mechatronikerin … der Girl’s Day soll Mädchen typische Berufe näherbringen, die bislang hauptsächlich Jungen vorbehalten sind. (Bild: Hannibal Hanschke – girls-day.de, CC BY-SA 3.0)

Girls’ Day oder Mädchen-Zukunftstag nennt sich das größte Berufsorientierungsprojekt für Schülerinnen weltweit. Der Schnuppertag, an dem Mädchen zwischen 10 und 16 Jahren einen MINT-Beruf näher kennenlernen können, findet 2020 am 26. März statt.

Das Niedersachsen-Technikum bietet jungen Frauen nach dem Abitur die Möglichkeit, ein sechsmonatiges Praktikum in einem Unternehmen zu absolvieren. Sie erhalten eine konkrete technische Aufgabe und können parallel an einem Tag in der Woche Einführungsveranstaltungen zu MINT-Fächern an der Universität besuchen.

Teufelskreis der Gender-Klischees

Es ist schwierig – für Jungen ebenso wie für Mädchen – sich aus dieser einengenden geschlechtsspezifischen Berufsorientierung zu befreien. Dr. Ulrike Struwe vom Kompetenzzentrum sieht das nüchtern so: „Sich als Mädchen für MINT zu entscheiden, als Junge in soziale, pflegerische, erzieherische Berufe zu gehen, ist nicht so vorgesehen.“ Junge Männer werden schon in der Kindheit eher an technische Berufe herangeführt, bekommen den abgelegten PC des Vaters und dürfen in der Garage ihr Fahrrad reparieren. Mädchen kommen erst gar nicht in Kontakt mit Maschinen, Handwerk, Autos, Elektrik und anderen technischen Umgebungen, sodass sie in diesen Bereichen weder Interesse noch Fähigkeiten und Kenntnisse aufbauen können.

Darüber hinaus handeln viele Frauen offenbar im vorauseilenden Gehorsam brav gesellschaftskonform. Viele Mädchen „kommen überhaupt nicht auf die Idee, einen solchen Beruf zu wählen“, erklärt Pauline, 16, einzige Auszubildende zur KFZ-Mechatronikerin am Emschertal-Berufskolleg in Herne. „Sie haben keine Lust, nur mit Männern zu arbeiten“, meint Michelle, 17, eine von zwei angehenden Assistentinnen für Informationstechnik in Herne.

Außerdem orientieren sich Mädchen im Regelfall am Rollenbild der Mütter – und die arbeiten bis heute fast nie in technischen Berufen. Wenn die Mutter sagt „Ich konnte Mathe auch nie, mach dir nix draus“ oder „Lass das mal den Papa machen“, entwickelt sich auch bei den Töchtern kein Interesse. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Weil Mütter normalerweise keine Informatikerinnen sind, interessieren sich auch ihre Töchter nicht dafür und werden wiederum zu Müttern, die das traditionelle Rollenbild weitergeben. Ein solcher Teufelskreis kann naturgemäß nur sehr langsam aufgebrochen werden.

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Frauen und MINT: Diese Ergebnisse spuckt Google als Erstes aus. (Bild: www.google.de – Redaktion MittelstandsWiki)

Es geht um Chancengleichheit

Wie lässt sich dieser Zirkel durchbrechen? Zum einen muss sich das gesellschaftliche Rollenverhalten ändern und damit auch die geschlechtsspezifisch vorbestimmte Berufswahl verabschieden. Das ist das große Ziel des Kompetenzzentrums: „Wir möchten, dass die jungen Menschen sich nach ihren eigenen Neigungen für Berufe entscheiden und nicht nach dem, was die Gesellschaft immer noch für sie vorsieht“, erklärt Dr. Ulrike Struwe.

Dies muss möglichst früh anfangen. Eltern und Großeltern müssen Jungen und Mädchen weitgehend gleichbehandeln. Sie sollten dieselben Möglichkeiten und Verpflichtungen im Haushalt, in der Schule und auf dem Spielplatz haben. Dazu muss sich auch die Spielzeuglandschaft ändern. „Das Zutrauen in die Fähigkeiten der Kinder darf nicht vom Geschlecht abhängen. Es darf nicht heißen: Du, Junge, du schaffst das, dein Moped zu reparieren, und du, Mädchen, nicht. Sondern: Probier’s halt!“, erklärt Anett Klein, 38, Wirtschaftsinformatikerin. Das hat auch Konsequenzen für die Frauen selbst: „Wenn der Mann Kindergärtner wird und daher nicht so viel verdient, dann muss ich als Frau halt die Kohle ranschaffen. Es darf nicht das Charity-Prinzip gelten: Ich als Frau werde schon irgendwie durchgezogen“, findet die Entwicklungsingenieurin Mona.

Bei der Behandlung technischer Berufe in den Medien müssen Frauen wie Männer vorkommen. Allein der Begriff „Männerberuf“ grenzt Frauen aus. „Im Prinzip würde es schon reichen, wenn man nicht ständig von Männerberuf sprechen würde, sondern einfach mal von Informatik“, sagt die Informationstechnikerin Michelle. Außerdem müssen die Voraussetzungen geschaffen werden, damit Frauen den Beruf überhaupt in Vollzeit ausführen können, dazu gehört nicht zuletzt auch die Kinderbetreuung.

Gebt den Kids mehr MINT!

Es muss Impulse geben, zum Beispiel eine gezielte technische und handwerkliche Erziehung bereits im Kindergarten. Bislang gibt es in Kindergarten und Schule nichts, was der Arbeit eines Informatikers wirklich nahekommt. Stattdessen wirkt Informatik in der Schule oft eher abschreckend, ärgert sich Anett Klein: „Als wäre das etwas furchtbar Kompliziertes, als würden da nur irgendwelche Nerds rumlaufen.“ Informatik in der Schule sollte zeitgemäß vermittelt werden, mit Experimenten, Videos, mit der Möglichkeit, etwas Konkretes im IT-Bereich auszuprobieren.

Schnupperangebote nehmen die Angst vor der unbekannten Männerwelt und zeigen den Mädchen, „dass es gar nicht so schlimm ist, wie die meisten denken. Wenn man Hilfe braucht, helfen einem die Jungs. Und es gibt keine Zickereien, die sich über Tage hinwegziehen wie bei den Mädchen“, meint Elena Bergner, erste Auszubildende zur Elektronikerin für Energie- und Gebäudetechnik bei den Stadtwerken Herne. „Oft hast du sogar den Frauenbonus, dass sie dich ein bisschen unter die Fittiche nehmen“, ergänzt Mona.

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Elena Bergner, erste Auszubildende zur Elektronikerin für Energie- und Gebäudetechnik der Stadtwerke Herne. (Bild: Stadtwerke Herne – Martin Leclaire)

Keine Frauensache?

Letztendlich müssen die Berufsbilder selbst ihre weniger technisch ausgerichteten, aber dennoch zentralen Kompetenzen darstellen: Kommunikation, Kooperation und Sprachen – sofern es sich denn hierbei überhaupt um spezifisch weibliche Fähigkeiten handelt! – sind in der Entwicklung, im Anlagenbau, bei IT-Projekten genauso wichtig wie in sozialen oder kaufmännischen Berufen. Kontaktbereitschaft und Empathiefähigkeit machen es nicht allein in internationalen Projekten einfacher klarzukommen. Und: Frauen schätzen Kreativität hoch ein, sie wollen gerne „etwas Schönes schaffen“. Dazu erklärt Mona kurz und trocken: „Das kann man auch beim Programmieren oder im Webdesign ausleben. Und man kann auch Flugzeuge designen.“

„Die Vorstellungen von unserem Beruf sind nicht richtig: Informatik – da stellen sich die meisten vor: Das ist steril, wenig kommunikativ, wenig kreativ, es gibt viele Einzelgänger. Die Branche selbst stellt sich oft falsch dar“, moniert Anett Klein. Vielen ist das breite Spektrum der MINT-Arbeitsfelder überhaupt nicht klar. „Nur weil du MINT studiert hast, heißt das noch lange nicht, dass du für immer und ewig nach irgendwelchen Teilchen suchst. Du kannst auch in die Medien gehen oder Projektleiter werden“, meint Mona.

Doch wer einen bislang noch typisch männlichen Berufsverlauf wählt, muss sich auf der anderen Seite auch durchbeißen, gegen den inneren Schweinehund und den Stolz kämpfen. Das Studium der Germanistik mag trocken sein, der Lehrberuf problembeladen – ein eindeutiges Richtig oder Falsch gibt es dort aber nur selten, entsprechend gering sind die Durchfallquoten bei Klausuren und im Examen. „Mit Scheitern umzugehen, sich durchzubeißen gehört nicht zum Frauenmuster“, resümiert Mona. „Es muss einem klar sein, dass man sich für das Physikstudium auf den Arsch setzen und auch mit Niederlagen umgehen muss.“

Ich pfeif auf Schubladen

Anett Klein ist sich sicher, dass über die neuen Medien und die geschlechterübergreifende Begeisterung zum Beispiel für Smartphones und andere elektronische Alltagsbegleiter der IT-Bereich für Mädchen wie auch für Jungen interessanter wird. Zudem prägen auch neue Rollenbilder schon seit geraumer Zeit die gesellschaftliche Realität: „Neue Papas mit Elternzeit, neue Mamas in Führungspositionen, Auflösung der konservativen Führungsebenen mit den älteren Herren, die die Frauen nicht ernst nehmen. Dann ist nicht mehr das Geschlecht wichtig. Egal ob Mann oder Frau – eine Person hat einfach Lust und Talent, den Job zu machen, oder eben nicht.“ Da kann frau und man der Fachfrau nur zustimmen, was zählt, ist die Leidenschaft für das, was du machst, und nicht längst überkommene Vorstellungen.

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