Das Ende der Fleischindustrie: Wann die Fleisch­industrie zur Schlacht­bank geht

Eher früher als später. Nicht­tierische Alter­nativen ziehen Kapital an, und Veggie-Start-ups sammeln Millionen ein. Die Geschäfts­modelle der fleisch- und milch­verarbeitenden Industrien sind damit strate­gisch bedroht – und die sämt­licher Zweige, die bislang als Aus­rüster, Zu­lieferer etc. fungieren.

Die Grüne Revolution

Von Andreas Franken und Stefan Wendler, Franken-Consulting

Nahezu alle Geschäftsmodelle haben ein Verfallsdatum, da sich ihre Rahmenbedingungen permanent ändern. Beispiele hierfür sind der Ausstieg aus dem Bergbau, die Energiewende und der aktuelle Umbruch in unserer Automobilindustrie. Als Nächstes erwartet uns der Untergang der Fleischindustrie durch „die Grüne Revolution“.

Pflanzlich wird zum Normalfall

Eine neue, für viele im Bereich der Fleisch- bzw. der Tierprodukteindustrie ansässigen Branchen einschneidende Veränderung kündigt sich durch die Grüne Revolution an. Irgendwie überraschend, denn lange Zeit waren vegetarische und vegane Lebensweisen etwas belächelte gesellschaftliche und wirtschaftliche Randthemen. Doch dies ändert sich derzeit mit hoher Geschwindigkeit.

Mittlerweile sind es nicht mehr nur einige wenige „vegane Spinner“, die auf ihre Ernährung achten, sondern auch immer mehr „normale Menschen“. Insbesondere vier wesentliche Treiber einer Veränderung zu mehr pflanzenbasierten Produkten sind zu beobachten:

  1. allgemeine soziokulturelle Faktoren wie eine immer größere Aufmerksamkeit darauf, woher unsere Lebensmittel kommen, wie sie produziert werden und welche eigentlich unnatürlichen Stoffe sie enthalten;
  2. eine signifikante Vergrößerung der Angebotsbreite und -tiefe an gut schmeckenden veganen/vegetarischen Produkten – auch traditioneller Hersteller;
  3. Innovationen auf dem Weg zu fleischähnlichen Produkten – insbesondere das große Thema Cultured Meat, also Fleisch, das auf Zellbasis entwickelt wird und die gesamte Lieferkette lebender Tiere überflüssig macht;
  4. die wachsende Ansicht vieler Menschen, dass eine auf Massentierhaltung und mit Medikamenten am Leben gehaltenen Tieren basierende Ernährung eher schadet als nützt.

Bemerkenswert sind zudem die erheblichen Investitionen renommierter Großinvestoren in Themen rund um die vegane/vegetarische Ernährung. Dies alles deutet auf strukturelle Umbrüche in der Industrie rund um die Herstellung von und den Handel mit Tierprodukten hin.

Wachsende Nachfrage der Konsumenten

Wenngleich die Kernzielgruppen mit 1,3 Millionen Veganern und 8 Millionen Vegetariern in Deutschland noch relativ klein ist, steigt die Anzahl jener, die sich mit weniger Fleisch ernähren wollen – immerhin 54 % der Befragten in einer Studie von Kantor Emnid gaben 2018 eine solche Absicht an.

Einer Veröffentlichung von Forbes zu Trends in der Ernährung zufolge steht das pflanzenbasierte Ecosystem an zweiter Stelle der Food-Makrotrends weltweit. Forbes projiziert darin ein weiteres exponentielles Wachstum der pflanzenbasierten Lebensmittel. Planet Market Reports prognostiziert ein Wachstum des globalen Marktes für pflanzliche Fleischalternativen von 4,05 Milliarden auf 7 Milliarden US$ im Jahr 2025. Ein Report von Research and Markets schätzt das Wachstum pflanzenbasierter Milchalternativen von US$ 11,16 Milliarden US$ (2018) auf 19,7 Milliarden US$ im Jahr 2023, was einer CAGR von 12,0 % entspricht.

Diese Veränderungen sind für die direkt betroffenen traditionellen Unternehmen rund um die Herstellung von und den Handel mit Tierprodukten ebenso ein unmittelbares strategisches Risiko wie sie für veränderungsfähige Unternehmen und neue Anbieter eine strategische Chance darstellen.

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Beispiele der jetzigen Angebots- und Nachfragelandschaft pflanzenbasierter Produkte (Bild: Franken-Consulting)

Fleisch und Tierprodukte stehen unter Veränderungsdruck

Die ersten traditionellen Anbieter tierischer Produkte wandeln ihre Produktpalette bereits hin zu pflanzlichen Alternativen, wie beispielsweise das deutsche Traditionsunternehmen Rügenwalder Mühle (mittlerweile mehr als 25 % Umsatzanteil mit Fleischalternation), Wiesenhof, Ritter Sport und viele weitere.

Großunternehmen wie Danone, Nestlé, Unilever, Tyson Foods, Monde Nissin und viele weitere entwickeln ihre eigenen pflanzenbasierten Produkte oder übernehmen junge Unternehmen mit pflanzenbasierten Lebensmitteln wie zum Beispiel Alpro, The Vegetarian Butcher (Niederlande), Quorn, Daiya Foods und andere.

Der Lebensmitteleinzelhandel schließt die Kette zum Verbraucher, denn den alternativen Produkten wird zunehmend mehr Regalraum eingeräumt, und die Angebotspalette der Alternativen wird breiter und tiefer. Ebenso ist zu beobachten, dass die Kennzeichnungen „vegetarisch“ oder „vegan“ immer mehr zu Qualitätsmerkmalen von Produkten werden.

Diese Veränderungen auf Anbieterseite zeigen, dass einige traditionelle Hersteller die Herausforderung erkannt haben. Und das hat natürlich direkte Auswirkungen auf deren herkömmliche Zulieferer, denn diese sollten willens und in der Lage sein, die neuen Vorprodukte zu produzieren.

Die Ablösung alter Industrien durch das Neue

Mitte der 1970er Jahre hatte alles mit einem „Atomkraft? Nein danke“ begonnen, und die relativ wenigen Aktivisten wurden von vielen noch belächelt, aber im Zuge der Fukushima-Katastrophe entwickelte sich in der deutschen Bevölkerung eine so starke Ablehnung gegen die Atomkraft, dass der stufenweise Austritt durch die Politik beschlossen wurde. Dies änderte die Geschäftsmodelle der Energieversorgungsunternehmen massiv und führte zu unvermeidbarem Personalabbau, wogegen im Bereich der erneuerbaren Energien neue Wertschöpfungskonfigurationen und Arbeitsplätze entstanden sind.

Aktuell befindet sich unsere Automobilindustrie im Umbruch und auch hier haben die Konzerne massive Umstrukturierungen und Massenentlassungen angekündigt. Management und Arbeitnehmer zeigten sich betroffen, denn auch wenn Veränderungen in der jeweiligen Branche vermutet wurden, war man doch wegen der Geschwindigkeit überrascht. Ob und wie sich die E-Mobilität entwickeln wird und welche bzw. wie viele Arbeitsplätze neu entstehen werden, ist noch ungewiss.

Beispiele dafür, dass das Alte immer wieder vom Neuen abgelöst wird, gibt es genug und dennoch neigen viele Menschen dazu, sich im Status quo sicher zu fühlen, und glauben, dass sie sich nicht anpassen müssen.

Innovationen bei der Herstellung fleischähnlicher Produkte

Eine große Zahl innovativer Start-ups und KMU entwickeln pflanzliche Alternativen zu herkömmlichen tierischen Produkten. Beispiele sind Tofurky, Beyond Meat, Impossible Foods und andere Anbieter fleischähnlicher Produkte. Hinzu kommt eine Vielzahl von Playern mit Milchalternativen wie etwa Oatly, Alpro, dennree und viele weitere. Nicht zu vergessen in der Aufzählung sind die Alternativen zu Käse, Schokolade, Honig etc. Mittlerweile existiert sogar ein Markt für pflanzliche Haustiernahrung. Und die Innovationsgeschwindigkeit nimmt rapide zu. Künstliche Fleischersatzproduke sowie pflanzenbasierte Milch- und Käseprodukte sind massenmarkttauglich.

Gesundheit, Tierrechte, Umwelt und Nachhaltigkeit

Eine Vielzahl von Artikeln, neue Publikationen, neue Messen und ein immer größer werdendes Interesse breiterer Gesellschaftsschichten an den Themen Gesundheit, Tierrechte, Umwelt und Nachhaltigkeit sorgen für eine breite Nachfragebasis.

Diese Entwicklungen sollten in ihrer Bedeutung nicht unterschätzt werden, denn wenn die Nachfrage an tierfreien Produkten weiter steigt, erschüttert dies eine sehr komplexe, weltweit verflochtene und außerordentlich große Industrie in ihren Grundfesten, wie die folgende Abbildung zeigt.

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Strategische Risiken für „alte“ Geschäftsmodelle (Bild: Franken-Consulting)

Signifikante Investitionen von Großinvestoren

Finanzstarke Investoren investieren bereits seit Längerem in die Grüne Revolution, insbesondere in innovative, künstliche Fleischprodukte (Lab Meat/Clean Meat). Zu den Investoren zählen beispielsweise Bill Gates, Sergey Brin und Leonardo DiCaprio sowie Kleiner Perkins Caufield & Byers, der Founders Fund, Khosla Ventures oder die Volksrepublik China, die zuletzt 300 Millionen US$ in israelische Start-ups investiert hat.

Damit erhöht sich die Vielfalt der pflanzenbasierten Produktpalette in bislang ungekanntem Ausmaß, und die Beteiligung finanzstarker Konzerne und Geldgeber zeigt, dass der Trend beim Kapital und auf der Angebotsseite sehr ernst genommen wird.

Die Konsequenz ist eine tief greifende Veränderung der Märkte

Nunmehr entsteht etwas, das Experten seit langem vorhersagen: Die persistente Nachfrage zunächst kleiner Randgruppen sowie technologische Durchbrüche führen langsam, aber sicher zu strukturellen Veränderungen auf der Angebotsseite. Neue Unternehmen bedrohen mit pflanzlichen und „ethischen“ Produkten die traditionellen Anbieter (Disruption und Innovation), die Handelsseite verstärkt die Angebotsbreite und -tiefe am Point of Sale (Produktverfügbarkeit), und die Kapitalgeber unterstützen bzw. beschleunigen die Transformation.

Das sind nur einige der vielen Beispiele weltweit. Es ist davon auszugehen, dass das Thema „pflanzenbasiert“ in die Wachstumsphase übergehen und auf viele Branchen disruptive Auswirkungen haben wird. Und daraus ergibt sich die Frage, inwieweit welche Unternehmen in ihrer Gesamtheit von diesen Auswirkungen betroffen sein werden?

Chancen und Risiken

Wenn ein Unternehmen tierische Produkte herstellt und/oder in seinen Produkten verwendet, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass das Geschäftsmodell dieses Unternehmens strategisch bedroht ist. Wer heute mit Vorprodukten, Hilfs- und Betriebsstoffen, Maschinen und Dienstleistungen die fleisch- und milchverarbeitenden Industrien bedient, steht ebenfalls einem sehr großen strategischen Risiko gegenüber. Wenn Unternehmen allerdings heute in der Lage sind oder künftig in der Lage sein werden, pflanzliche und tierfreie Produkte zu produzieren, dann haben diese eine große Chance, vom Wandel zu profitieren.

Diese Chancen und Risiken bestehen potenziell auch für Unternehmen, die nicht unmittelbar in den Branchen Nahrungs- und Genussmittel, Gastronomie, Kosmetika, etc. angesiedelt sind, sondern auch für die Bereiche Handel, Fitness, Touristik, Wellness, die Automobilindustrie (Stichwort: Leder in der Innenausstattung), Maschinenbau, Verpackungen, Logistik, Verlage, Ausbildung, Wissenschaft, Bildung und viele mehr.

Natürlich sind nicht alle Unternehmen über Nacht von diesen Veränderungen betroffen, jedoch lohnt es sich, zeitnah über das eigene Geschäftsmodell nachzudenken. Denn es ist immer wieder gleichermaßen verblüffend wie frustrierend zu sehen, wie selbst vergleichsweise professionell geführte Unternehmen unfähig sind, fundamentale Veränderungen in ihrem Umfeld zu antizipieren und sich entsprechend anzupassen – mit verheerenden Konsequenzen für alle Beteiligten.

Fazit für Management und Belegschaft

Nahezu jedes Geschäftsmodell hat ein Verfallsdatum und bedarf der regelmäßigen Überprüfung. Insbesondere dann, wenn signifikante strategische Veränderungen das Geschäftsmodell bedrohen. Und dabei gilt es nicht nur für die im Kern betroffenen Unternehmen, vorsichtig zu sein. Die Wertketten der traditionellen Fleischwirtschaft sind ausgebrochen komplex und vielschichtig. So vielfältig wie die potenziellen Chancen und Risiken sind auch die Bereiche, in denen diese auftreten können.

In jedem Fall lohnt es sich, sich frühzeitig mit diesen Themen zu befassen, denn die Grüne Revolution hat bereits begonnen und die Transformationsgeschwindigkeit könnte höher sein, als viele heute noch glauben.

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Andreas Franken ist als Unternehmensberater spezialisiert auf die Themen Strategie, Marketing und Vertrieb. Seine Berufserfahrung erstreckt sich über mehr als 30 Jahre, und er veröffentlicht regelmäßig Fachartikel zu Managementthemen. Zur eigenständigen Optimierung von Unternehmen bietet er seinen Neun-Punkte-Plan zum kostenlosen Download.


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